[home]

 

Interview

Deutscher Völkermord in Namibia vergessen?

jW sprach mit Kuaima Riruako, dem Chief der Hereros in Namibia

junge Welt, 08.11.2000

F: Derzeit besucht der namibische Premierminister Hage Geengob Berlin. Auch Sie haben vor einigen Wochen Deutschland besucht, um für Entschädigung für die Verbrechen an den Hereros durch deutsche Truppen zwischen 1904 und 1907 zu kämpfen. Sie sprechen vom »Völkermord« an den Hereros. Was ist in dieser Zeit genau geschehen?

Unter der Leitung von General von Trotha wurde das Volk der Hereros von der deutschen Reichsarmee vernichtet. Es gab Konzentrationslager in Windhoek und in Swakopmund. Es gab eine regelrechte »Ausrottungserklärung«. Von Trotha hat angekündigt, jeden Herero auf deutschem Gebiet zu erschießen, auch Frauen und Kinder. Und er hat wahrgemacht, was er sagte. Wer überlebte, wurde in die Wüste getrieben und mußte verdursten.

F: Was sind die Folgen der Verbrechen von damals für die Hereros heute?

Die ganze Bevölkerungsstruktur wurde zerstört - physisch und ökonomisch. Alles, was den Hereros gehörte, wurde deutsches Eigentum. Von ungefähr 80 000 Hereros haben nur 15 000 überlebt.

F: Deutsche Politiker haben Namibia in der Vergangenheit öfter besucht. Wie haben sie sich gegenüber den Hereros verhalten?

Respektlos, denn nicht einer von ihnen ist zu den Gräbern der Hereros gekommen. Es gab nur eine Ausnahme, der ehemalige deutsche Botschafter in Namibia, ein Herr Schuhmacher. Er hat uns besucht. Aber er hat das ohne Anweisungen der Regierung getan.

F: Helmut Kohl kam 1995.

Helmut Kohl hat kein Wort zu den deutschen Verbrechen gesagt. Er hat der deutschen Minderheit gratuliert und erklärt, daß sie ihre Mission erfüllt hätten. Sie hätten ein »kleines Berlin« in Namibia errichtet.

F: Ex-Bundespräsident Roman Herzog aber hat während seines Besuches im Jahr 1998 gesagt, daß die »Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den Hereros nicht in Ordnung« war.

»Nicht in Ordnung« - das ist für mich reiner Zynismus. »Auseinandersetzung« - das klingt, als wären wir mitschuldig. Herzog kam mit derselben Einstellung wie Kohl. Er hat nicht einmal gewagt, offen mit uns zu sprechen.

F: Gab es je ein offizielles Schuldeingeständnis von deutscher Seite?

Schon 1904 hat der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, August Bebel, im Reichstag die Methoden der Kriegsführung im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika kritisiert. In der Tageszeitung The Namibian wurde 1980 berichtet, die CDU, die SPD und die Grünen stimmten überein, daß ein Völkermord stattgefunden hat. Sie geben zu, was passiert ist, und wollen es zugleich vergessen. Sie wollen, daß wir vergessen. Aber die Juden haben nicht vergessen, die Sinti und Roma haben nicht vergessen. Warum sollten wir vergessen?

F: Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hat seinen General damals zur Vernichtung der Hereros beglückwünscht. In Swakopmund ist heute noch eine Straße nach ihm benannt. Macht Sie das wütend?

Ja, natürlich, es gibt auch noch einen Kaiser-Wilhelm-Berg hier. Man muß man sich vor Augen halten, daß die jetzige Regierung nicht von den Hereros gestellt wird. Die Politik wird von anderen Volksgruppen dominiert. Auch sie interessieren sich nicht für die Geschichte. Diese Leute bekommen Geld von der deutschen Regierung, direkt oder durch wirtschaftliche Investitionen.

F: Welche Rolle spielte die deutschen Industrie zu Beginn des Jahrhunderts?

Die Firma Lüderitz aus Bremen hat ja seit den 1880er Jahren die Kolonisierung durch räuberische Landkäufe vorangetrieben. Die deutsche Industrie war auch am Krieg gegen die Hereros maßgeblich beteiligt. Es wurde ja alles Eigentum der Hereros konfisziert - das beinhaltete Gold, Schafe und anderes Vieh. Die Hereros wurden auch zur Sklavenarbeit gezwungen. Die Vorgängerfirma von Krupp hat da eine wichtige Rolle gespielt. Auch Frauen und Kinder wurden als Sklaven gehalten - auf Farmen und im Diamanten- Bergbau bei deutschen Unternehmen.

F: Aber Ihre Forderungen richten Sie an die deutsche Regierung?

Ja, wir wenden uns nicht an Krupp. Die Regierung kann Krupp in die Pflicht nehmen und ihren Anteil zurückfordern. Die Regierung trägt die Verantwortung. Deutschland hat zwei Kriege angefangen, und niemand hat Berlin oder Bonn konfisziert. Deutschland ist heute eine der reichsten Nationen der Welt.

F: Sie haben in den letzten Jahren sicher die Entschädigungsverhandlungen mit Zwangsarbeitern aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges verfolgt. Welche Konsequenzen sehen Sie daraus für Ihr Anliegen?

Hier hat die deutsche Seite praktische Reue gezeigt. Dasselbe muß auch uns gegenüber gelten. Ein anderer Präzedenzfall, diesmal für koloniale Verbrechen, kommt aus Großbritannien. Die britische Königin ist nach Neuseeland gefahren, sie hat vor der Weltöffentlichkeit den Maoris Reparationen gezahlt und sie entschädigt für alle Verbrechen, die während der kolonialen Zeit begangen wurden.

F: Wie würden Sie das Entschädigungsgeld verwenden?

Wir würden es ähnlich verwenden wie die Zwangsarbeiter aus dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben eine Stiftung gegründet, die Chief-Hosea-Kutako-Stiftung. Wir schlagen vor, einen karitativen Deutsch-Herero-Verband zu gründen, dessen Zweck es sein soll, ein detailliertes Wiederaufbau- und Rehabilitationsprogramm für das gesamte Herero-Volk in Namibia auszuarbeiten. Es soll nicht an einzelne Individuen gehen, es soll der ganzen Gemeinschaft zugute kommen. Wir haben keine Parteien oder ethnischen Konflikte unter den Hereros. Wir wollen mit den Reparationen eine Vision schaffen für die Generationen der Zukunft.

Interview: Monika Krause