Demonstration zum 5. Jahrestag des NATO-Überfalls auf Jugoslawien in Mannheim am 27.3.2004

Rede von Joachim Guilliard (Manuskript)

Pünktlich zum 5. Jahrestag meldet sich der Kosovo zurück – erinnert an das Desaster, das der NATO-Überfall und die anschließende Besatzung hinterlassen haben.

Wir alle erinnern uns sicherlich noch gut an den Kriegsbeginn vor 5 Jahren. Es war der 24. März 1999, ein Mittwoch als die NATO-Kampfflugzeuge von ihren Flugbasen in den USA, in Deutschland, Italien, dem bereits besetzten Bosnien und den Flugzeugträgern im Mittelmeer aufstiegen, um pünktlich um acht Uhr abends ihre Bombenlast über Jugoslawien abzuwerfen. Deutsche Tornados flogen diesmal stolz vorne mit. Sie trugen am Rumpf das gleiche Balkenkreuz wie einst die Stukas, die im April 1941 über Jugoslawien herfielen und Belgrad in Schutt und Asche legten.

Es war der erste Krieg, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland offen beteiligte und dies gegen ein Land, das besonders schwer unter dem deutschen Faschismus gelitten hatte.

Es war ein sehr feiger Krieg:

indem eine hundertfach überlegene Militärallianz über ein kleines, schon seit Jahren belagertes Land herfiel. Die Angriffe erfolgten ausschließlich aus der Luft, aus sicherer Entfernung. Selbst praktisch unangreifbar, säten sie mit High-Tech- und international geächteten Waffen Tod und Verderben.

Es war ein sehr zerstörerischer Krieg

32 000 Einsätze flog die NATO, 78 Tage dauerte das Bombardement, während dessen mehr Sprengstoff eingesetzt wurde, als während des ganzen Zweiten Weltkrieges auf dem gesamten Balkan. Militärisch waren die Erfolge gering, sie konnten den jugoslawischen Verteidigungskräften keine größeren Verluste zufügen. Die NATO dehnte daher die Angriffe auf zivile Ziele aus, um so die jugoslawische Regierung zur Kapitulation zu zwingen.

Die Folgen des Dauerbombardements waren, wie nicht anders zu erwarten, verheerend: Tausende Frauen und Männer, Kinder und Greise wurden erschlagen, die Infrastruktur und ganze Bereiche der Wirtschaft zerstört, die Umwelt schwer geschädigt. Der Öffentlichkeit in den NATO-Staaten sind die angerichteten Schäden bis heute nicht bekannt, hier glaubte man gerne die Mär von den zielgenauen Angriffen. [Einer dieser Angriffe auf Zivilisten wird mittlerweile vor deutschen Gerichten verhandelt. In der Kleinstadt Vavarin war eine militärisch völlig bedeutungslose, aber stark begangene Brücke am helllichten Tag und bester Sicht von NATO-Kampfflugzeugen zerstört worden. Zehn Menschen wurden dabei getötet und 16 verletzt ]

Es war ein völkerrechtswidriger Krieg,

genau wie der gegen Irak. Auch er wurde mit ähnlich dreisten Lügen vorbereitet. Keine war der NATO zu grotesk, um Zustimmung für ihren Kriegskurs zu erschleichen: das angebliche Massaker von Racak, KZs in Pristina, Hufeisenpläne usw.

Slobodan Milosevic, der sich stets für den Erhalt eines multiethnischen Jugoslawien eingesetzt hatte, wurde auf übelste Weise dämonisiert, wurde als faschistischer Nationalist, als Wiedergänger Hitlers dargestellt.

Vor allem der damalige deutsche Militärminister Scharping – bezeichnender Weise von der SPD – ließ seiner Phantasie freien Lauf und erzählte ein Gräuelmärchen nach dem anderen: Serben, die mit abgeschnittenen Albanerköpfen Fußball spielen oder Serben die Föten grillen. Der olivgrüne Außenminister bemühte gar "Nie wieder Auschwitz!" um die Zustimmung der einst als friedliebend geltenden Grünen zum Krieg zu rechtfertigen.. Der dritte deutsche Angriff auf Serbien wurde so von Rot-Grün zum Kampf gegen die "Fratze der eigenen Geschichte".

Auch da wo die Gräuel weithin sichtbar wurden, wie bei den Zerstörung von Chemieanlagen in der Nähe von Großstädten, wurde von den Medien die "humanitäre Tat" nicht in Zweifel gezogen: Schuld an allem war ohnehin Milosevic – der den Krieg gewollt habe und nun skrupellos – so ein Balkan-Korrespondent der ARD – "sein Land in die Steinzeit zurückbomben lassen" würde.

Noch nie haben so wenige so viele so gründlich belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg" war das Fazit des CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer, Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, einer der wenigen dt. Politiker, die sich der Kriegsbegeisterung entgegengestellten.

Obwohl die Lügen ebenso rasch entlarvt wurden wie die beim Irak-Krieg, hat sich die mehrheitliche öffentliche Meinung über ihn in den letzten 5 Jahren kaum geändert. Die OSZE-Kommission die vor den Krieg im Kosovo war, hat von Anfang an die Berichte über jugoslawischen Vertreibungsmaßnahmen zurückgewiesen. Suchtrupps fahndeten nach Kriegsende so vergeblich nach Spuren der Massaker, denen angeblich mehrere hunderttausend Albaner zum Opfer gefallen waren, wie die US-Teams nach MVW im Irak.

Auf Grund einer anderer Interessenlage als im Irak, haben die deutschen Medien sich bzgl. Jugoslawien aber geflissentlich blind und taub gestellt.

Auch große Teile der Linken und der Friedensbewegung erwiesen sich als äußerst anfällig für die Propaganda der "humanitären Intervention". Auch viele derer, die Krieg als Mittel der Intervention ablehnten, übernahmen das antiserbische Feindbild und stimmten letztlich in den Zielen mit der NATO überein. Gegen jegliche historische Erfahrung glaubten sie und glauben noch heute, dass nur das westliche Kriegsbündnis den zivilisatorischen Auftrag der "Befriedung und Demokratisierung" auf dem Balkan durchsetzen könne. Eine Haltung, die auch jetzt wieder bezüglich der angloamerikanischen Besatzung des Iraks weit verbreitet ist.

"Die Dämonisierung eines Volkes, der Serben, und seines frei gewählten Präsidenten gelang so perfekt, dass nur wenige Deutsche wagten, gegen die NATO-Angreifer zu protestieren. Zumindest nicht, ohne gleichzeitig die Angegriffenen zu verurteilen und dadurch dem Protest die Schärfe und Wirksamkeit zu nehmen." (Ralph Hartmann, Ossietzky 5/2004)

Wir, die Gegner des Krieges, haben schon damals auch davor gewarnt, daß der Mißbrauch der Menschenrechte zur Begründung von Kriegen die Schleusen für immer weitere Kriege öffnen wird. "Dass der Versuch der UNO, mit dem absoluten Gewaltverbot den Krieg aus der Politik der Staaten zu entfernen, ausgerechnet mit den Menschenrechten unterlaufen wird, ist eine der größten Niederlagen nicht nur der UNO, sondern dessen, was wir Zivilisation nenne," sagte Norman Paech auf der Demonstration am 20.3.04 in Berlin

Das Völkerrecht wurde zertrampelt, die neue NATO-Doktrin, die während des Krieges verabschiedet wurde, gleich schon vorweggenommen: mit der sich das Kriegsbündnis vorbehält, selbstmandatiert und präventiv einzugreifen, wo Interessen der Bündnisstaaten im Spiel sind.

"Und heute? Was uns als Krieg gegen die Katastrophe verkauft wurde, führte zum Desaster eines andauernden Bürgerkriegs, der zur weiteren Aufsplitterung des Balkans führen wird. Nicht ohne Grund sehen darin viele das eigentliche Ziel des NATO-Krieges." (Paech)

Die Vertreibung der überwiegenden Mehrheit der nicht-albanischen Bevölkerung, war bekanntlich das unmittelbare Resultat der Besetzung des Kosovos durch die NATO. Deutlich demonstrieren die aktuellen Ereignisse, dass sich die Verhältnisse seither kein bisschen verbessert haben.

[[Vor wenigen Tagen gab es erneut heftige Gewaltausbrüche albanischer Nationalisten gegen die Reste, der im Kosovo verbliebenen Serben. Sie forderten mindestens 28 Tote und über 500 Verwundete. 30 orthodoxe Klöster und mehr als 300 serbische Häuser wurden niedergebrannt. Ziel der progromartigen Übergriffe ist oft die Beseitigung der letzten serbischen Enklaven durch Vertreibung: "In Prizren gibt es jetzt keine Serben mehr" meldeten gestern die Medien.

Obwohl die Pogrome der albanischen Separatisten sich auch gegen andere Bevölkerungsgruppen richtet, unterstellen Medien auch jetzt wieder den Serben ein Mitschuld und reden von "Auseinandersetzungen" etc.]]

Der damalige NATO-Oberbefehlshaber, General Wesley Clark prophezeite, daß der Krieg gegen Jugoslawien "ein ganz entscheidender Präzedenzfall für das kommende Jahrhundert" sei. – Das neue Jahrhundert kam und mit ihm die neuen Kriege gegen Afghanistan und Irak!

Die Aggression verfolgte viele Ziele. Es ging zum einen darum, das einzige Land in Europa, in dem es eine Regierung gab, die sich dem Willen der Bevölkerung gebeugt hatte und sich den Forderungen der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds widersetzte, endgültig zu zerschlagen. Es ging aber auch darum, durch einen Präzedenzfall die neue NATO-Strategie einzuführen, sowie den Einfluß Rußlands auf dem Balkan zu schwächen, und mit dem Sieg gegen Jugoslawien der NATO den Weg nach Osten zu ebnen.

In Jugoslawien demonstrierten die einzig verbliebene Supermacht und ihre Verbündeten unverblümt ihre globalen Hegemonialansprüche. Allen potentiell Unbotmäßigen wurde vor Augen geführt, dass sie sich von nun ab auf Staatensouveränität und Völkerrecht nicht mehr verlassen können, sondern das nun – nach dem Ende der SU – allein das Faustrecht des Stärkeren gilt und jegliche Eigenwilligkeit schwächerer und abhängiger Staaten hart und falls erforderlich auch präventiv bestraft werden kann.

In diesem Sinne baut Scharpings Nachfolger Struck die Bundeswehr weiter um. Gemäß seinem neuen strategischen Konzept ist die klassische Landesverteidigung passé. Benötigt und aufgebaut werden »Einsatzkräfte«, die »mit hoher Intensität« in »allen Dimensionen (Land-, Luft-, See-, Welt- und Informationsraum) operieren« können. »Mögliches Einsatzgebiet ist die ganze Welt«,

Mit ihrer Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien hat die SPD-Grünen Regierung Deutschland wieder in den Kreis der Militärmächte zurückgebracht, deutsche Kriegseinsätze gehören schon fast zum Alltag, die "Enttabuisierung des Militärischen", die sich Schröder zur Aufgabe gemacht hat ist ihm ausgezeichnet gelungen.

Die Bundeswehr hat sich im Kosovo fest einquartiert und tagtäglich wird im dortigen Soldatensender das Lied von der Lili Marleen ausgestrahlt. Mittlerweile wird es von unseren Jungs auch an der deutschen Verteidigungslinie am Hindukusch gesungen. Bald auch zwischen Euphrat und Tigris?

Im Verein mit den Kumpanen war Deutschland schließlich doch gelungen, woran es – wie sich Klaus Kinkel einmal ausgedrückt hatte – zweimal zuvor gescheitert war. Der Balkan steht unter vollständiger westlicher Kontrolle und mit die gewichtigste Position nimmt dabei D. ein. So war z.B. bis zur Einführung des Euro die DM die Währung im Kosovo, übernahmen deutsche Banken die Leitung der Geldgeschäfte in der südserbischen Provinz.

Raph Hartmann: "Die imperialistischen Staaten haben zwar nur den Kosovo besetzt, regieren aber im ganzen Land. Der Staat »Serbien und Montenegro« steht unter kaum verdeckter Fremdherrschaft. Im Hintergrund schalten und walten, steuern und erpressen die Weltbank und der IWF, die USA, die EU und die NATO, die westlichen Banken und Konzerne sowie nicht zuletzt das Haager Jugoslawientribunal und seine umtriebige Chefanklägerin Carla del Ponte.

Ein gutes Jahr nach Kriegsende gelang es schließlich auch die Regierung von Slobodan Milosevic zu stürzen. Die Restauration kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse schritt von nun an zügig voran. Das Privatisierungsgesetz vom Mai 2001 versetzte der jugoslawischen Selbstverwaltung den Todesstoß, enteignete das Volk und verschleuderte die Betriebe in einer Art Sommerschlußverkauf an private Unternehmer; die wertvollsten wurden Beute ausländischer Konzerne. Wie in anderen ehemaligen sozialistischen Ländern gerieten die meisten Zeitungen inzwischen in die Hände ausländischer Aktionäre und Verlage. Die Politika , die traditions- und einflußreichste Zeitung, befindet sich nun im Besitz der deutschen WAZ -Gruppe (deren jetziger Chef Bodo Hombach Schröders Balkan-Beauftragter war)".

Wer weiß, welche enormen Aufbauleistungen in Jugoslawien – dem zuvor äußerst rückständigen Land – nach 1945 geleistet worden war, kann jetzt nur noch mit Bestürzung sehen, daß Jugoslawien nun sogar dem Namen nach von der politischen Landkarte getilgt ist und alle Errungenschaften den Bach runtergingen, das Land wieder zu einem der ökonomischen Schlusslichter in Europa wurde.

Wie die letzten Wahlen zeigten, ist die Mehrheit der Bevölkerung Serbiens nicht gewillt, das Spiel länger mitzuspielen. Wir müssen das unsere hier tun, um ihr den Rücken zu stärken.

Der erste Schritt ist, deutlich zu machen, dass die NATO-Staaten nie Teil der Lösung sein können, sondern das Hauptproblem sind.

Nach wie vor kann unsere Forderung nur lauten: NATO raus dem Kosovo – nur die Wiederherstellung der Souveränität Serbiens über die Provinz eröffnet Chancen für Sicherheit für alle und die Rückkehr der Vertriebenen.

Wir fordern den Rückzug der NATO aus dem ganzen ehem. Jugoslawien und die Respektierung der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der dort lebenden Völker (das nicht mit einem Recht auf Separation zu verwechseln ist).

Wir fordern ein Ende des Zwangs zu neoliberalen Umstrukturierungen – egal ob militärisch, wirtschaftlich oder politisch – auf dem Balkan und anderswo.

Wir fordern ein Ende der Militarisierung in D und EU, sowie den Abbau ihrer Interventionskräfte.

Wir fordern ein Ende der westl. Kriegs- und Interventionspolitik – vom Balkan über den Irak bis Afghanistan.