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Hermann Theisen
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7. Februar 2005

Wenn ein Flugblatt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet

Vorgeschichte

Im März, Juni und November 2004 haben Friedensaktivisten an die im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten Bundeswehrsoldaten Aufrufe zur Befehlsverweigerung verteilt. Die Soldaten wurden damit aufgefordert, sich ihren völker- und grundgesetzwidrigen Befehlen zu verweigern, soweit diese in Zusammenhang mit den in Büchel stationierten Atombomben bzw. der nuklearen Teilhabe stehen. In dem Aufruf heißt es: "Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle! Lehnen Sie sich auf gegen jegliche Unterstützung der nuklearen Teilhabe! Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!" Dabei wird unterstellt, dass die Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe einen Verstoß gegen das Völkerrecht und das Grundgesetz darstellt. Demgegenüber heißt es im Soldatengesetz, § 11 Abs. 2: "Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde." Und im Wehrstrafgesetz, § 22, Abs. 1: "In den Fällen der §§ 19 bis 21 handelt der Untergebene nicht rechtswidrig, wenn der Befehl nicht verbindlich ist, insbesondere wenn er nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt ist oder die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde."

Ohne diese Rechtsfragen zu prüfen, erließt das Amtsgericht Cochem auf Antrag der Staatsanwaltschaft Koblenz Strafbefehle wegen des Verdachts der Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und ließ zudem entsprechende Anklagen zu.

Strafverfahren und Urteil

Am 23. November 2004 kam es zu einem ersten Strafverfahren gegen Martin Otto (Wetzlar), Dr. Wolfgang Sternstein (Stuttgart), Johanna Jaskolksi (Erftstadt) und Hermann Theisen (Heidelberg) vor dem Amtsgericht Cochem. Der Urteilsspruch lautete: "Die Angeklagten Theisen, Otto, Dr. Sternstein und Jaskolkski sind der gemeinschaftlichen Aufforderung zu Straftaten, der Angeklagte Theisen einer weiteren Aufforderung zu Straftaten schuldig. Der Angeklagte Theisen wird zu einer Gesamtgeldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, der Angeklagte Otto zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro, der Angeklagte Dr. Sternstein zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten und die Angeklagte Jaskolski zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat verurteilt. Die sichergestellten 144 Flugblätter werden eingezogen. Die Angeklagten tragen die auf sie entfallenden Kosten des Verfahrens und ihre eigenen notwendigen Auslagen. Angewendete Vorschriften: §§ 111, I, II, 25, 26 StGB, 15, 16, 19, 20, 27 28 WaffG." (Im Urteil wird irrtümlich das Waffengesetz genannt, hier handelt es sich jedoch vielmehr um das Wehrstrafgesetz, WStG).

Der Strafrichter verurteilte somit zu erstaunlich harten Strafen. Zugleich weigerte er sich aber während der Gerichtsverhandlung, sich auf die Sachargumente der Angeklagten einzulassen. Der eigentliche Konflikt, die Stationierung von Atomwaffen in Büchel und die daraus folgende nukleare Teilhabe, schien für seine Urteilsfindung irrelevant zu sein. Entsprechende Beweisanträge wurden lapidar abgewiesen. Der Aufruf zur Befehlsverweigerung, den es ja strafrechtlich zu bewerten galt, wurde vom Richter nicht weiter thematisiert, die Urteilsbegründung dauerte nicht länger als drei Minuten und blieb dabei in ihrer juristischen Aussagekraft ebenso substanzlos, wie zuvor schon das Plädoyer der Staatsanwältin.

Rechtspolitisch skandalös daran ist die Tatsache, dass sich somit sowohl die Staatsanwältin, als auch der Strafrichter einer ihnen qua ihres Berufes auferlegten inhaltlich-rechtlichen Auseinandersetzung zu den Umständen und Hintergründen des Strafvorwurfs vollständig verweigert haben. Auch nicht im Ansatz gab es den Versuch, die komplexen Rechtsfragen um die Völkerrechtswidrigkeit der nuklearen Teilhabe bzw. das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gegeneinander auszuloten.

Schriftliches Urteil

Entsprechend bescheiden heißt es im schriftlichen Urteil:

"Die Angeklagten haben öffentlich und durch Verbreitung von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 WStG, der Fahnenflucht nach § 16 WStG, des Ungehorsams nach § 19 WStG, der Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, der Meuterei nach § 27 WStG und der Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG aufgefordert. Auf dem in Frage stehenden Flugblatt wird dazu aufgerufen, dass die Soldaten die Einsatzbefehle verweigern sollen, dass sie auch ihre Kameraden zum Ungehorsam bewegen sollen und dass sie sich jeglicher Beteiligung ihres Stützpunktes an den beschriebenen Einsätzen verweigern sollen.

Es wird ohne Zweifel zum Ungehorsam gemäß § 19 WStG aufgerufen, denn aufgrund der `angestrebten´ Befehlsverweigerung ist nicht auszuschließen, dass dadurch wenigstens fahrlässig eine schwerwiegende Folge verursacht wird, beispielsweise wird durch die `Befehlsverweigerer´ die Schlagkraft der Truppe gefährdet, da die Anzahl der Einsatzkräfte dezimiert wird. Auch besteht dadurch eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso liegt ein Aufruf des Flugblattes zur Ungehorsamsverweigerung nach § 20 WStG vor. Es ist denkbar, dass sich ein Soldat angeregt durch das Flugblatt, auch nach wiederholter Befehlserteilung nicht zu dessen Befolgung veranlasst sieht. Zudem wird durch das Flugblatt zur Meuterei nach § 27 WStG aufgerufen, indem die Soldaten dazu angehalten werden, auch andere Kameraden zum Ungehorsam zu ermutigen und diese dann demnach folglich auch die Einsatzbefehle verweigern sollten. Eine Zusammenrottung von Soldaten mit dem Ziel der effektiven und gefährlichen Gruppendynamik zur Begehung von Wehrstraftaten ist somit nicht ausgeschlossen. Auch liegt in den Aufrufen des Flugblattes eine Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG , denn auch eine Verabredung zur gemeinschaftlichen Begehung einer Wehrstraftat ist durchaus denkbar und nicht unwahrscheinlich. Ein Aufruf zur eigenmächtigen Abwesenheit bzw. Fahnenflucht nach den §§ 15,16 WStG ist gleichfalls zu besorgen. Es ist nicht auszuschließen, dass Soldaten den Aufruf, sich nicht an den Einsatzbefehlen zu beteiligen bzw. diese zu verweigern, soweit verstehen, dass sie sich eigenmächtig von der Truppe entfernen bzw. Fahnenflucht begehen sollten." (Der vorstehende Text wurde wortwörtlich zitiert!)

Diese Begründung ist derart absurd, dass sich eigentlich jeglicher Kommentar erübrigt, wären mit eben jener Begründung nicht Haftstrafen (ohne Bewährung!) ausgesprochen worden. Es scheint so, als habe der Richter seine liebe Mühe gehabt, sich eine Begründung dafür aus den Fingern saugen zu müssen, warum denn mit dem Flugblatt zu einer sprichwörtlichen Armada an Wehrstrafdelikten aufgefordert worden ist...

An späterer Stelle versteigt sich der Richter gar in folgende Überlegungen zur Frage der Unverbindlichkeit von Befehlen: Im übrigen "wäre die Rechtswidrigkeit der aufgeforderten Tat der §§ 19,20 WStG nur dann entfallen, wenn der Befehl nicht verbindlich war, insbesondere, wenn dieser die Menschenwürde verletzt. Dies lässt sich indes nicht allgemein beantworten. Die Menschenwürde könnte dann verletzt sein, wenn eine Person zum bloßen Objekt, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt würde. Das wird man von einem möglichen Einsatzbefehl hinsichtlich eines direkten nuklearen Waffeneinsatzes durch die Bundeswehr nicht annehmen können, da die Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer politischen Entscheidung auf den Besitz und auch den Einsatz von Atomwaffen verzichtet hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich politisch indes entschieden, eine Armee aufzubauen, diese zu bewaffnen und einem Militärbündnis beizutreten. Konsequenterweise würde dann unter Beteiligung des Bundestages, mithin der demokratisch legitimierten Vertretung des deutschen Volkes, und vor allem mit der Zustimmung der im Militärbündnis zusammengeschlossenen Partner entschieden, sich an einem bewaffneten Einsatz zu beteiligen. Diese Wertentscheidung der politisch Verantwortlichen und in diesem Fall auch der Gesellschaft führt letztlich dazu, dass auch die zum Gehorsam verpflichteten Soldaten (§ 11 Soldatengesetz), die zur Umsetzung der politischen Entscheidung verpflichtet sind, ihrem Einsatzbefehl im Grunde nach Folge leisten müssen."

Müssen Bundeswehrsoldaten nun also auch im sog. Ernstfall jene in Büchel gelagerten Atombomben einsetzen? Würde ein Atombombenabwurf durch Bundeswehrsoldaten gegen das Völkerrecht und Grundgesetz verstoßen? Statt hierauf eine Antwort zu suchen, verstrickt sich der Strafrichter in Widersprüche und vermeidet zwanghaft, sich auf das juristische Terrain der nuklearen Teilhabe zu begeben. Eben jenes heiße Eisen wollte der Strafrichter wohl tunlichst umgehen, auch wenn es ihm dafür bei der Strafzumessung nicht schwer fiel, mit harter Faust zuzuschlagen.

Zum strafrechtlich schwierigen Terrain der Meinungsfreiheit heißt es lapidar: "Die Aufforderung der Angeklagten ist auch nicht von der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG gedeckt. § 111 Abs. 1 StGB bildete eine Schranke in Form eines allgemeinen Gesetzes im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Schutzgut des § 111 StGB ist unter anderem das Interesse an einer funktionierenden Rechtsordnung. Der Bürger soll grundsätzlich nicht zum Verstoß gegen diese Rechtsordnung aufrufen. Vorliegend handelt es sich um die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet eine Wechselwirkung zwischen Grundgesetz und den allgemeinen Gesetzen statt. Schränken die allgemeinen Gesetze die Grundrechte zwar ein, dies darf indes nicht soweit gehen, dass der Wertgehalt des Grundrechts ausgehöhlt wird. Den Angeklagten wird die Meinung zu vorliegendem Sachverhalt nicht verwehrt, sie haben indes nicht das Recht, über einen Aufruf zur Befehlsverweigerung ihrer Meinungsfreiheit Ausdruck zu verleihen." (Der vorstehende Text wurde wortwörtlich zitiert!)

Zusammenfassend kann die Haltung der Staatsanwaltschaft bzw. des Amtsgerichts Cochem nur als komplette juristische Verweigerung einer Auseinandersetzung um die eigentlichen Inhalte des Aufrufs zur Befehlsverweigerung interpretiert werden. Es wurde mit entschiedener Härte verurteilt, ohne dabei auch nur im Ansatz die verfassungsrechtlichen Bezüge des eigentlichen juristischen Sachverhalts zu prüfen oder gar in die Urteilsfindung mit einzubeziehen.

Um es in der Terminologie des Aufrufs auf den Punkt zu bringen: Die Staatsanwaltschaft Koblenz und das Amtsgericht Cochem begingen Fahnenflucht vor ihrer eigenen Profession!

Wie es weiter geht

Die Berufungsverhandlung findet am 29. März 2005, um 9:00 Uhr vor dem Landgericht Koblenz (Karmeliterstraße 14) statt. Sicherheitshalber sollte man sich den Termin kurz vorher noch einmal bestätigen lassen: Tel.: 0261/102-1752 (AZ: 2010 Js 32620/04 – 7 Ns).

Wer den Aufruf unterzeichnen möchte (und damit allerdings die Einleitung eines Strafverfahrens riskiert) oder weitere Informationen zu dem Strafverfahren wünscht, wende sich an den Autor: Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg (hermann.theisen@t-online.de). Spenden sind aufgrund der bevorstehenden weiteren Prozesse dringend auf folgendes Konto erbeten: Sonderkonto Hermann Theisen, Sparkasse Heidelberg, Bankleitzahl 67250020, Konto 1000499036.


siehe auch:

Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33, Büchel
"Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!"
Flugblatt PDF (93 KB)

Hermann Theisen, Ossietzky 04/2005
Die Ängste eines Strafrichters

Hermann Theisen, Ossietzky 21/2004
Nukleare Teilhabe – rechtmäßig