Rückkehr der Putschisten

Haiti: Immer mehr Diktaturanhänger auf seiten der Rebellen. Aufstand geht weiter

Andreas Behn
junge Welt vom 18.02.2004

Schon mehr als zwei Wochen hält der Aufstand rebellierender Gruppen in Haiti unvermindert weiter. Inzwischen sollen elf Städte und Ortschaften unter Kontrolle der Rebellen stehen, mindestens 55 Menschen wurden bei den Kämpfen in fast allen Landesteilen getötet. Seit dem 5. Februar halten schwerbewaffnete Banden die viertgrößte Stadt des Karibiklandes, Gonaives, besetzt am Montag eroberten sie die 87 000 Einwohner zählende Stadt Hinche in Zentralhaiti.

Allerorten fordern die Rebellengruppen wie die politische Opposition den Rücktritt von Präsident Jean-Bertrand Aristide. Dieser zeigt sich allerdings unbeeindruckt, beschwört den »Kampf gegen den Terrorismus« und kündigte am Wochenende die Rückeroberung einiger besetzter Städte an. Gerüchte, daß er bereits seinen Rückzug vorbereite, wurden nicht bestätigt.

Derweil fällt es den politischen Parteien und zivilen Gegnern von Aristide immer schwerer, sich vom brutalen Vorgehen der Rebellentrupps zu distanzieren, ohne zugleich ihr Profil als Alternative zum derzeitigen System zu verlieren. »Es gibt zwei Optionen, eine legale, der wir angehören, und eine gewalttätige, die wir nicht gutheißen«, versucht der Sozialist Serge Gilles, einer der Sprecher der »Demokratischen Plattform« aus Parteien und Gruppen der Opposition, seine Position zu erklären. Und für die Gewalttaten in Gonaives sei Aristide selbst verantwortlich: »Es ist ein Problem der Regierungspartei Lavalas, denn diejenigen, die dort den Aufstand proben, rebellieren gegen ihren eigenen Chef«, meinte Gilles.

Fraglos war die »Kannibalenarmee«, die seit dem Aufstand in Gonaives in aller Munde ist, zuvor ein Aristide-treuer Schlägertrupp. Erst als es zum Streit mit dem Präsidenten kam, wurde sie zur Rebellengruppe. Es ist durchaus die Schuld von Aristide, daß diese schwerbewaffneten Banden so viel Macht in Händen halten. Mangels anderer Optionen und fehlendem politischen Instinkt setzt der ehemalige Laienpriester und frühere Hoffnungsträger des verarmten Landes seit mehreren Jahren auf solche Gruppen, die er bewaffnet und zur Durchsetzung seiner Ziele auf der Straße einsetzt. Noch halten die meisten dieser Banden, zumeist junge Menschen aus den Elendsvierteln, der sozialen Basis Aristides, ihrem Idol und Präsidenten die Treue.

Die Oppositionsbewegung hingegen wird nicht nur dadurch diskreditiert, daß sie mit Schlägertrupps in Zusammenhang gebracht wird. Denn auch die Mutmaßungen, viele Aktive und Anhänger der vergangenen Militärdiktatur würden seit längerem auf einen Umsturz in Haiti hinarbeiten, bestätigen sich zunehmend. Jüngstes Indiz dafür ist das Auftauchen von Louis-Jodel Chamblain, einem Kopf der Militärdiktatur von General Raoul Cedras (1991-1994) und damals Chef der paramilitärischen Todesschwadron FRAPH. Chamblain soll, unterstützt von weiteren 40 ehemaligen Militärs, den Angriff auf Hinche angeführt haben. Angeblich soll er zusammen mit Guy Philippe, dem Expolizeichef von Cap Haitien, gerade aus dem Exil in der benachbarten Dominikanischen Republik nach Haiti gekommen sein. Ein Sprecher in Santo Domingo bestätigte, daß Philippe, der im Jahr 2001 einen Putsch gegen Aristide versucht haben soll, nach Haiti ausgereist sei. Berichte, denen zufolge weitere 20 Exilierte über die Grenze gelassen wurden, dementierte der Sprecher jedoch. Jetzt verkündete der 36jährige Philippe im Radio, daß er sich der Rebellenbewegung von Gonaives, FRAA, angeschlossen habe und sich im Kampf gegen Aristide mit Chamblain zusammentun werde. In London erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International inzwischen, daß die Beteiligung von bekannten Menschenrechtsverletzern an dem Aufstand in Haiti »besorgniserregend« sei.

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