[ Info zur Rundreise der Gewerkschafter ] 

    [home]

Unabhängige Gewerkschaften im Irak 
– auch für Bundesregierung
zu unbequem

Möglichkeiten authentischer Information und des Austausches blockiert

Manuskript des einführender Beitrag auf der Veranstaltung „Der andere irakische Widerstand“

am 4.11. 2005 in Heidelberg, mit Dr. Sabah Alnasseri

von Joachim Guilliard

 

Es sollten eigentlich heute Abend die beiden irakischen Gewerkschafter aus Basra, Frau Boshrah A. Abbood und Herr Taha A. Ibraheem Breshdi sprechen.

Leider wurde ihnen völlig überraschend kurzfristig und zunächst ohne Angabe von Gründen die Einreise verweigert.

 

Ich werde kurz auf die Hintergründe eingehen und auch die Gewerkschaft kurz vorstellen. (Ausführliche Infos, Geschichte, Interviews im Reader auf dem Büchertisch.)

 

Wir, eine Initiative aus der Friedensbewegung, der Attac AG Globalisierung & Krieg und Gewerkschaftern, hatten die beiden Gewerkschafter - bewusst einen Mann und eine Frau - eingeladen, damit sie uns auf einer Rundreise quer durch Deutschland über die Lebensbedingungen und die politische Situation im Süden Iraks allgemein, sowie über die Arbeitsbedingungen in der Ölindustrie berichten können. 

Berichte aus erster Hand also, von zwei Referenten, die von ihrer Gewerkschaft - der Allgemeinen Gewerkschaft der Beschäftigten im Ölsektor GUOE- als offizielle Vertreter entsandt wurden. Über 100 Gruppen unterstützen die Rundreise und wir hatten alle gehofft, dass dabei längerfristige Kontakte zwischen irakischen und deutschen Gewerkschaftern, Globalisierungskritikern und Frie-densaktivisten geknüpft werden könnten.

 

Solche Kontakte wären eine Möglichkeit den uniformen Medienberichten etwas entgegenzusetzen, die sich fast ausschließlich auf das politische Theater in der strengabgeriegelten „Grünen Zone“ und die tägliche Anschlagsserie beschränken. Die zivile Opposition gegen die Besatzung wird völlig ausgeblendet. Dabei gibt es eine Vielfalt von Basis-Bewegungen, die gegen die Besatzung und für einen tatsächlichen demokratischen Neuanfang sind, die unabhängigen Gewerkschaften sind ein Teil davon. Sabah Alnasseri, der freundlicher Weise heute Abend eingesprungen ist, wird nachher darauf eingehen.

 

Die Gründe für die Verweigerung blieben zunächst im Dunkeln. Nachfragen beim Auswärtigen Amt über die Abgeordneten Ulla Jelpke (Linkspartei) und Christian Ströbele (Grüne) ergaben, dass von dieser Seite keine Einwände gegen die Einreise erhoben worden waren.

Erst als wir gerichtliche Schritte eingeleitet hatten, um die Einreisebewilligung durchzusetzen, teilte die deutsche Botschaft in Bagdad mit, die Visa wären aufgrund von Bedenken deutscher Sicherheitsbehörden verweigert worden. Aus Datenschutzgründen könne man diese aber nicht weitergeben. Eberhard Schultz, unser Anwalt hat deswegen nun den Bundesdatenschutzbeauftragte eingeschaltet.

 

Die Verweigerung stieß natürlich weithin auf Empörung. Eine ganze Reihe von Parlamentarier setzte sich daraufhin für eine Einreisegenehmigung ein. Leider vergeblich. Auch ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg, das Hauptverfahren wird erst in einigen Wochen eröffnet. Wir bleiben aber auf alle Fälle dran und versuchen nun die beiden im nächsten Frühjahr nach D. zu holen.

 

Da es unwahrscheinlich ist, dass die Ablehnung der Sicherheitsbehörden wegen individueller Vorwürfe gegen die beiden Gew. erfolgte, richtet sich das Veto offensichtlich gegen ihre Gewerkschaft, ihre politische Einstellung und wohl auch das Ziel der Rundreise.

 

Es reicht anscheinend schon, einer Organisation anzugehören, die sich aktiv für ein Ende der Besatzung engagiert, um in Deutschland als Sicherheitsrisiko abgewiesen zu werden.

 

Wie so oft erweisen sich deutsche Behörden dabei päpstlicher als der Papst. Der Vorsitzende der Ölarbeitergewerkschaft konnte im Frühjahr problemlos an einer Rundreise irakischer Gewerkschafter durch die USA und an mehreren Veranstaltungen in London teilnehmen.

 

Wer sich die Geschichte der GUOE und ihre politischen Stellungnahmen ansieht, sieht sofort, dass eventuelle Sicherheitsbedenken völlig an den Haaren herbeigezogen sind.

 

Die Ölarbeitergewerkschaft ist ein Zusammenschluss von Betriebsgewerkschaften der großen Energieunternehmen im Süden Iraks.

Die erste und größte (die Gewerkschaft der Südlichen Ölgesellschaft) wurde bereits im April 2003, zwei Wochen nach Einmarsch der Besatzungstruppen, in Basra gegründet

Heute sind über 23.000 Beschäftigte der Ölindustrie in der GUOE organisiert.

 

Nachdem es vor der Invasion nur eine staatsnahe Einheitsgewerkschaft gegeben hatte, entstanden nach dem Sturz des alten Regimes eine ganze Reihe neuer Gewerkschaften und Gewerkschaftsbünde. Die meisten allerdings organisiert von den politischen Parteien, die mit der Besatzungsmacht verbündet sind. So z.B. die Allgemeine Föderation der  Irakischen Gewerkschaften (GFOUI) die von SCIRI und der Dawa-Partei geleitet wird – zwei der Parteien, die die aktuelle Übergangsregierung stellen – und der Irakische Gewerkschaftsbund IFTU, der von der Kommunistischen Partei und der Partei des ehemaligen Interimspremier Ijad Allawi dominiert wird. IFTU ist zudem eng verbunden mit dem Kurdischen Arbeitersyndikat, der Gewerkschaft der beiden kurdischen Parteien PUK und KDP.

IFTU wurde als einziger Gewerkschaftsverband von der Besatzungsmacht offiziell anerkannt und konnte sich Nachlass und Mitgliederlisten des alten Gewerkschaftsbundes sichern.

Gegen die Besatzung ist der Gewerkschaftsbund der von der Kommunistischen Arbeiterpartei geführt wird und zu der auch die sehr aktive Arbeitslosengewerkschaft gehört.

 

 

Wir haben Kontakt zu der Ölarbeitergewerkschaft aufgenommen, da sie parteipolitisch und weltanschaulich neutral, nicht mit den Besatzungsmächten liiert um im Moment die einzige wirklich legitimierte Arbeiterorganisation im Irak ist. Sieht man von der Gewerkschaft der Kommunistischen Arbeiterpartei FWUCI ab, die zumindest einige lokale Wahlen durchführte, ist die GUOE die einzige Gewerkschaft die eine Satzung hat und ihre Gremien und Vertreter durch Wahlen bestimmt hat. Und die GUOE ist auch die einzige Gewerkschaft die sichtbar vor Ort aktiv ist und Arbeitskämpfe führt.

Interessant für uns und auch hier hochaktuell ist zudem ihre generelle Haltung zu Privatisierung und neoliberale Globalisierung. Im Mai hatte die GUOE z.B. auch eine vielbeachtete Konferenz gegen Privatisierung in Basra organisiert, auf der sowohl irakische Experten und Gewerkschaftsaktivisten als auch namhafte internationale Fachleute sprachen.

Die GUOE sieht den Schwerpunkt ihrer Arbeit daher vor allem im Kampf gegen die wirtschaftlichen Pläne Washingtons, sowie der Privatisierung allgemein. In ihrer politischen Plattform werden die Naturressourcen und die großen Industriebetriebe als Eigentum der irakischen Bevölkerung betrachtet, die auch unter irakischer Kontrolle bleiben sollen. Der Reichtum des Iraks soll (weiterhin) allen Irakern zu gute kommen, um die Armut zu beseitigen und das Land wieder aufzubauen.

Bereits im August 2003 führten die Ölgewerkschafter ihre erste erfolgreiche Aktion durch. Ein dreitägiger Streik gegen die vom US-Statthalter verordneten Maßnahmen, insbesondere drastische Lohnsenkungen, weitere folgten. Es gelang schließlich die beiden untersten Lohnkategorien zu streichen und die Löhne im Schnitt mehr als zu verdoppeln. Durch Boykottmaßnahmen und Arbeitsniederlegungen konnte auch in vielen Firmen verhindert werden, dass US-Firmen die Unternehmensleitung übernahmen oder Arbeitsplätze durch Arbeiter, die von US-Konzernen ins Land gebracht wurden, besetzt werden

Mit Solidaritätsaktionen und Proteststreiks reagierten die Gewerkschafter zudem auch auf Angriffe der Besatzungstruppen auf irakische Städte, wie Najaf und Falludscha.

Den Gewerkschaftern aus dem überwiegend schiitisch geprägten Süden war es dabei völlig egal von welcher Konfession die angegriffenen Landsleute waren. Die mutwillige Unterteilung der Bevölkerung in Sunniten und Schiiten durch die Besatzungsmacht und ihre irakischen Hilfskräfte lehnen die Gewerkschafter prinzipiell ab. „Niemals zuvor gab es eine solche Trennung“ so der Vorsitzende der Gewerkschaft Hassan Juma'an Awad in einem Artikel für den britischen Guardian. „Unsere Familien heirateten untereinander, wir lebten und arbeiteten zusammen. Und heute widerstehen wir gemeinsam dieser brutalen Besatzung, von Falludscha bis Najaf und Sadr City. Der Widerstand gegen die Besatzungsmächte ist ein gottgegebenes Recht der Iraker, und wir, als eine Gewerkschaft, sehen uns selbst als einen notwendigen Teil dieses Widerstandes.“[1]

Die Bedeutung einer solchen Organisation in der aktuellen Situation im Irak kann gar nicht unterschätzt werden. Einer Organisation, die klar die Interessen der arbeitenden Klasse und der ärmeren Bevölkerungsschichten vertritt und mit dieser Ausrichtung diametral den Bemühungen der US-Regierung und ihren extremistischen, kurdischen und schiitischen Verbündeten entgegensteht, dem Land einen völkisch-konfessionellen Diskurs aufzuzwingen, der die eigentlichen (imperialistischen & partikularen) Herrschaftsabsichten verschleiern soll. Bemühungen, die auch von deutschen Politikern und Medien, wie jeder täglich verfolgen kann, unterstützt werden.

 

Für die Besatzungsmacht ist die Gewerkschaft damit sicherlich eine sehr unbequeme Organisation. Ihre Vertreter stellen aber deshalb noch lange kein Sicherheitsrisiko für die BRD dar.

 

Vermutlich wird das Innenministerium sein Veto gegen die Einreise der Gewerkschafter mit der Haltung der Ölgewerkschaft zum Widerstand begründen, die wie ihr Vorsitzender in einem Interview ausführte alle Arten des ehrenhaften Kampfes im Irak“ unterstützen.[2]

Es hat sich in Regierung und Medien schon lange eingebürgert, Unterstützung von Widerstand – wenn er sich gegen Verbündete richtet – mit Unterstützung von Terror gleichzusetzen. Die eindeutige Verurteilung terroristischer Anschläge auf die Zivilbevölkerung, Entführungen etc, durch die oppositionellen Gruppen wird dabei einfach ignoriert.

Die GUOE hat selbstverständlich ebenfalls vielfältig und deutlich alle Terrorakte verurteilt. Auch der von Hassan Awad verwendete Begriff „ehrenhafter Kampf“ hat im Arabischen eine eindeutige Bedeutung: ein solcher Kampf darf sich nur gegen den bewaffneten Feind richten und auf keinen Fall gegen Kinder, Frauen oder Unbewaffnete.

 

Und auch wenn die Ölgewerkschafter sich politisch hinter alle legitimen Formen des Widerstands stellen, einschließlich bewaffneter Angriffe auf Besatzungstruppen, so bleibt die GUOE dennoch eine zivile Organisation, die sich ausschließlich mit gewerkschaftlichen Mitteln für ihre Ziele einsetzt. Ihr Ziel ist, „eine neue Demokratie aufzubauen – eine, die die Interessen der irakischen Bevölkerung vertritt, nicht die der USA“ so Awad im selben Interview (das er während der oben erwähnten Rundreise durch die USA gab).

 

Und die Gewerkschafter befinden sich im Gegensatz zur Bundesregierung auch im Einklang mit internationalem Recht. Dieses gesteht Gruppen eindeutig das Recht zu, gegen Besatzung und Fremdherrschaft auch militärischen Widerstand leisten zu können – selbstverständlich nur in dem vom humanitären Völkerrecht gesetzten Rahmen. Die politische und militärische Unterstützung von Krieg und Besatzung durch die deutsche Regierung ist hingegen – so jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil im Falle des Majors Pfaffs – selbst ein völkerrechtliches Delikt.

 

Das alles ist natürlich auch Schilys Ministerium bekannt. Doch gefährlich für die Bundesregierung sind die Gewerkschafter aus ganz anderen Gründen: Sie hätte das Bild stören können, mit dem hierzulande die Besatzungspolitik beschönigt und ihre Unterstützung aus Deutschland gerechtfertigt wird.

Die Gewerkschafter könnten vor allem aufzeigen, dass die Alternativen im Irak keineswegs zwischen langandauernder Besatzung durch fremde Truppen auf der einen und der Gewalt des Terrors, Chaos und Bürgerkrieg auf der anderen Seite bestehen. Sie könnten vermitteln, dass es eine politische, von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützte Opposition gegen die Besatzung gibt, die Ansprechpartnerin für die Friedensbewegung in Deutschland und in anderen westlichen Ländern sein kann.

 

Wir werden alles versuchen, damit wir im Frühjahr die Tour mit den Gewerkschaftern nachholen können. Wir werden auf keinen Fall hinnehmen, dass mittels nicht überprüfbarer Geheimdienstinformationen unsere Rechte ausgehebelt und unbequeme Information abgeblockt werden. Dass Vertreter der irakischen Zivilgesellschaft, die für einen unabhängigen und demokratischen Irak kämpfen, hier nicht zu Wort kommen dürfen, während gleichzeitig die US-Armee ihre Basen auf deutschen Boden für Krieg und Besatzung nutzen können und mit General Ricardo Sanchez einer der Hauptverantwortlichen für die Folter in Abu Ghraib unbehelligt seiner mörderischen Arbeit hier in Heidelberg nachgehen darf.

Wir fordern alle auf, mit Schreiben an Innen- und Außenministerium, Unterschriftenaktionen etc. unsere Anstrengungen zu unterstützen. Wer über die weitere Entwicklung informiert werden will, kann am Büchertisch seine E-Mail-Adresse hinterlassen.

 

Regierung und Medien werden auch weiterhin versuchen, die US-amerikanische Besatzung des Iraks als alternativlos darzustellen. Um so wichtiger ist es, die Öffentlichkeit über die wirkliche Situation im Irak und den verbrecherischen Charakter der Besatzung zu informieren und für ein Ende der deutschen Beteiligung daran einzutreten.

Eine Möglichkeit in diesem Zusammenhang ist auch der Appell, mit dem sich namhafte Völkerrechtler, UN-Diplomaten und Vertreter der Friedensbewegung an den neuen Bundestag und die zukünftige Bundesregierung wenden, mit der Forderung der Gewalteskalation im Irak entgegenzutreten und die Unterstützung der Besatzung zu beenden. Er liegt auf dem Büchertisch und kann dort unterzeichnet werden, und er steht im Internet auf der Homepage der deutschen Irak-Tribunals-Initiative: http://www.iraktribunal.de/dokus/appell_okt2005.htm



[1] Hassan Juma'an Awad, „Verlasst unser Land jetzt!“, The Guardian, Freitag, 18. Februar 2005, http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/hintergrund/verlasst_land_awad.htm

[2] „Die Ölarbeiter im Irak werden das Öl des Landes verteidigen!“ Hassan Juma’a Awad im Interview mit David Bacon, 5. April 2005 – www.truthout.org,
deutsch unter: http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/hintergrund/bacon_awad.htm