[home] [Überblick "Panorama"] 

 

Die offizielle Propaganda nicht hinnehmen
Joachim Guilliard 
ND vom 16.01.04
 
Vor allem muss es um die Frage gehen, welche Haltung die Friedensbewegung zum Widerstand von Betroffenen einnimmt, die sich gegen die von einem Aggressor bereits ausgehende Gewalt zur Wehr setzen. Teile der Friedensbewegung sprechen auf Grund ihrer pazifistischen Einstellung einem bewaffneten Widerstand prinzipiell die Legitimität ab, andere, wie Peter Strutynski (ND vom 23.12.), tun es auf Grund der unklaren Zusammensetzung der kämpfenden Gruppen sowie der terroristischen Anschläge auf Unbeteiligte, für die pauschal die gesamte Bewegung verantwortlich gemacht wird.
Es ist selbstverständlich nicht Sache der Friedensbewegung, einzelne Guerillagruppen im Irak zu unterstützen, wie ein Panorama-Beitrag es uns unterstellte. Genauso wenig dürfen wir aber aus sicherer Distanz den Betroffenen das Recht absprechen, sich auch bewaffnet gegen militärische Angriffe, Besatzung und Fremdherrschaft zur Wehr zu setzen, die weit mehr Opfer fordern als der Widerstand. Nicht alle Formen des Kampfes sind legitim. Es ist aber wichtig, dem undifferenzierten Terrorismusvorwurf an die gesamte Widerstandsbewegung, mit dem auch einer direkten Unterstützung durch die NATO und Deutschland der Weg geebnet werden soll, entgegenzutreten. Die Friedensbewegung darf die offizielle Propaganda nicht hinnehmen, die Besatzungsherrschaft als legitime Ordnung darstellt und jene, die sich ihr widersetzen, pauschal als Terroristen.
Es gibt in der Friedensbewegung keine gemeinsame Grundposition strikter Gewaltfreiheit. Der Kampf gegen den Krieg vereint Menschen, die sich auf Gandhi berufen, mit jenen, die sich beispielsweise auch in der Tradition von Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg sehen. Wer Gandhis gewaltfreien Widerstand als allgemeingültig hinstellen möchte, der lässt den historischen und weltpolitischen Kontext des indischen Unabhängigkeitskampfes außer Acht. Er wäre in den von Wehrmacht und SS besetzten Ländern ziemlich aussichtslos gewesen. Und wer meint, nur Auschwitz hätte bewaffneten Widerstand legitimiert, der verharmlost die Realität militärischer Besatzung.
Jürgen Grässlin stritt in einem Interview mit der »Jungen Welt« den Irakern die Anwendbarkeit des Artikels 51 der UN-Charta – das Recht auf militärische Selbstverteidigung – generell ab, da »die USA vorgeben, nunmehr den Übergang zu einer vom irakischen Volk gewählten Regierung leisten zu wollen«. Doch keiner, der das Geschehen kritisch verfolgt, glaubt, dass die USA die Kontrolle über das Land freiwillig aufgeben werden. »Der Reichtum des Landes wird nun in einer offenen internationalen Auktion verscherbelt«, urteilte Baqer Ibrahim, Mitglied des Politbüros der irakischen KP in einem, von weiteren Führungspersönlichkeiten mitunterzeichneten Schreiben, das die aktuelle Parteiführung für ihre Kollaboration heftig kritisiert und zur Unterstützung des Widerstands aufruft. Die Bush-Administration hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Besatzungstruppen auf unbestimmte Zeit bleiben werden. Weit entfernt von einer demokratischen Entwicklung, droht die US-Strategie der »Irakisierung« der Besatzungsherrschaft zu einer US-hörigen Diktatur und zum Bürgerkrieg zu führen. Jüngste Berichte über den Aufbau einer neuen Geheimpolizei und von Todesschwadronen aus Milizen der verbündeten irakischen Organisationen sowie übergelaufenen Angehörigen des alten Geheimdienstes Mukhabarat belegen dies nachdrücklich.
Die kriegskritischen europäischen Staaten und die UNO – unter deren Hoheit zwölf Jahre lang mörderische Sanktionen aufrechterhalten wurden – konnten den Überfall nicht verhindern und haben ihn letztlich unterstützt. Statt den US-Truppenaufmarsch zu verurteilen, setzten sie noch am Vorabend des Krieges die Verschrottung irakischer Raketen durch. Anschließend legitimierten und unterstützten sie die Besatzungsherrschaft und machten UN-Organisationen zu Hilfsagenturen der Besatzung. Es zeugt angesichts dessen von großer Naivität führender Vertreter der Friedensbewegung, wenn sie auf Versprechungen der USA und eine stärkere Rolle der UNO setzen.
Allein der irakische Widerstand, der vielfältiger ist als hier bekannt, hat bisher verhindert, dass die USA ihre Pläne im gewünschten
Unsere Aufgaben liegen aktuell hier vor Ort: das Bemühen um Einstellung jeglicher deutschen Unterstützung und – zusammen mit der internationalen Bewegung – Erhöhung des Drucks auf die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten.

Tempo umsetzen konnten. Er zwang die USA zum taktischen Rückzug in Form der raschen Einsetzung einer provisorischen Regierung und, wie die Washington Post zum Jahreswechsel vermeldete, auch dazu, eine ganze Reihe bereits fest geplanter Maßnahmen, wie die Privatisierung staatlicher Unternehmen oder Kürzung von Subventionen, vorerst auf Eis zu legen. Er beeinträchtigt zudem entscheidend die Fähigkeit der US-Regierung, ihre aggressive Politik gegen andere Länder auszuweiten.
Angesichts der gewaltigen Macht der USA und der überragenden Bedeutung, die die Kontrolle des Landes für ihre führenden Eliten hat, wird ein Rückzug der USA ohne Zweifel nur durch einen entschiedenen und auch zunehmend einigen Widerstand erzwungen werden können. Dieser könnte eventuell auch mit vorwiegend zivilen Mitteln zum Erfolg führen. Die Widerstandsbewegung im Süden Vietnams gegen das Marionettenregime der USA unter Diem hat allerdings solche zivilen Formen in sechs langen, quälenden Jahren ausprobiert und einen furchtbaren Blutzoll dafür gezahlt, bevor sie sich 1960 zur Gründung der FNL und zum bewaffneten Widerstand entschloss.
Wir werden, wenn wir nicht anmaßend und selbstgerecht sein wollen, die Entscheidung über die Formen des Widerstands den Betroffenen selbst überlassen müssen. Die Frage einer direkten Unterstützung wird sich erst stellen, wenn (oder falls) eine kohärente, von weiten Teilen der Bevölkerung getragene nationale Bewegung sichtbar wird. Ob dies im Rahmen der Friedensbewegung geschehen sollte, ist eine andere Frage. Unsere Aufgaben liegen aktuell hier vor Ort: das Bemühen um Einstellung jeglicher deutschen Unterstützung und – zusammen mit der internationalen Bewegung – Erhöhung des Drucks auf die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten.

Joachim Guilliard ist Sprecher des Heidelberger Forums gegen Militarismus und Krieg; Verfasser zahlreicher Artikel zum Thema Irak. Soeben erschien: Göbel/Guilliard/ Schiffmann (Hg.): Der Irak – Krieg, Besetzung, Widerstand. PapyRossa Verlag, Köln, 2004.

(ND 16.01.04)

top

© ND GmbH 2003 - Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Die Nachrichten sind nur für die persönliche Information bestimmt. Jede weitergehende Verwendung, insbesondere die Speicherung in Datenbanken, Veröffentlichung, Vervielfältigung und jede Form von gewerblicher Nutzung sowie die Weitergabe an Dritte - auch in Teilen oder in überarbeiteter Form - ohne Zustimmung der Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH sind untersagt.
Kontakt zur Redaktion ,  ND-Online wird produziert mit: ONE2Publish