Aufstandsbekämpfung

Was heute in Irak geschieht, hat Vorläufer: Auch in Vietnam und auf den Philippinen sollten in Bombenstimmung »Herzen und Hirne der Bevölkerung« gewonnen werden

Rainer Werning, junge Welt vom 12.04.2003
 
»Counterinsurgency« – »Aufstands- bzw. Aufruhrbekämpfung« – bildet seit den imperialen Feldzügen westlicher Kolonialmächte in Afrika, Lateinamerika und Asien einen integralen Bestandteil ihrer Strategie zur Unterwerfung der einheimischen Bevölkerungen. Die »Pazifizierung« (»Befriedung«), das gewaltsame militärische Draufgängertum, ist eine Seite der Counterinsurgency, deren Rückseite demonstrativ säuselndes Gutmenschentum bildet. Heute zeigt sich das in Gestalt massenhaft gefilterter und gestellter Bilder der Mainstream-Medien, die in hemmungslosen Endlosschleifen die »Koalition der Unwilligen« mit der Message traktieren, Kriege seien eigentlich aufopfernde Friedenseinsätze. So paßt ins Bild, daß GIs Kaugummis verteilen, medizinische Hilfe leisten und – in humanitärer Arbeitsteilung – britische Soldaten als verkappte Entwicklungshelfer und (Trink-)Wasserträger paradieren. Offensichtlich haben die Militärs aus der Vergangenheit einiges dazugelernt. Keineswegs zum Wohle und Nutzen der geschundenen Zivilbevölkerung.

Aus der Vergangenheit haben die Militärs offensichtlich einiges dazugelernt. Keineswegs zum Wohle der geschundenen Zivilbevölkerung, wie Erfahrungen auf den Philippinen und während des Vietnamkrieges belegen. In den 40er und 50er Jahren bildete beispielsweise die aus dem antijapanischen Widerstand hervorgegangene philippinische Volksbefreiungsarmee Hukbalahap die Speerspitze im Kampf gegen die Feudalherren auf der Hauptinsel Luzon. Große Landstriche wurden besetzt und eine eigene Verwaltung und Infrastruktur aufgebaut. Diesem »kommunistischen Aufruhr« sollte mit allen Mitteln ein Riegel vorgeschoben werden. Eine »weiche« Variante der Unterdrückung endemischer Bauernunruhen beschrieben ein philippinischer Oberst und ein US-amerikanischer Oberstleutnant später so: »Ein Bataillon Armeepioniere rückte auf ein Stück staatseigenes Land unweit eines Barrios in Pampanga (Provinz im Zentrum der philippinischen Hauptinsel Luzon – R.W.) vor und rodete das wuchernde Cogongras, das eine Wurzeldecke bildet, in die der Pflug kaum eindringen kann. Sie zogen dann Gräben und entwässerten es; sie bauten Reisfelddeiche und erhöhte Wege. Sie schlossen die Arbeit ab, indem sie die Häuser der Barriobewohner schulterten und sie unbeschädigt zu einem neuen Standort in der Nähe der Felder brachten, die den Menschen nach kurzer Arbeitsdauer als Eigentum überschrieben wurden. Dieses Projekt war teuer. Es war ein Projekt, dessen Nützlichkeit für die Nation nicht zu rechtfertigen war (...) Als psychologische Operation aber war es ein riesiger Erfolg.« 1)

Testfall für »Befriedung«

Als am 4. Juli 1946 die philippinische Nationalflagge gehißt wurde, endeten – wie Spötter meinten – reichlich 300 Jahre im spanischen Konventsmief und knapp ein halbes Jahrhundert unter Hollywood, lediglich von einem kurzzeitigen japanischen Kolonialintermezzo unterbrochen. In den Präsidentenpalast Malacanang zu Manila zog mit Manuel Roxas ein Mann ein, dessen einst projapanische Haltung die USA geschickt für ihre Zwecke nutzten. Um der Roxas-Regierung Wiedergutmachungsgelder für die während des Krieges mit Japan entstandenen Schäden zu gewähren, wurden politisch und ökonomisch alle Register gezogen, die in Verbindung mit den gegen die Hukbalahap gerichteten Militäraktionen das nachgerade klassische Modell neokolonialer Herrschaftssicherung bildeten. Dabei ging es nicht mehr um die mit missionarischem Eifer praktizierte »Kopf-ab-Politik« der Jahrhundertwende. Bedeutsamer wurde ein umfassendes Konzept sozialer, politischer und kultureller »Befriedung« – im Militärjargon kurz »Counterinsurgency«, »Aufstandsbekämpfung« genannt.

Die Verabschiedung des Militärischen Beistandspakts (1946), des Militärbasenabkommens (1947) und des 1951 geschlossenen Gemeinsamen US-amerikanisch-philippinischen Sicherheitsvertrages gestattete Washington, in seinen damaligen (gleichzeitig auch größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen) Stützpunkten extraterritoriale Rechte auszuüben und federführend die Bekämpfung des inneren »Aufruhrs« zu organisieren. Gemeint war zuvörderst die Hukbalahap, die im Zentrum der Hauptinsel Luzon eine funktionstüchtige, vom Großteil der Bevölkerung getragene Verwaltung errichtet und mittels der über militärische Aspekte hinausgehenden Organisierung von Vereinten Barrio-Verteidigungseinheiten (BUDC) Großgrundbesitz unter Pächtern und Kleinbauern aufgeteilt und/oder exorbitante Ernteabgaben und Wucher drastisch gesenkt hatte.

Seit Ende der vierziger Jahre übernahm die Vereinte US-Militärberatungsgruppe (JUSMAG) mit Sitz in Quezon City schrittweise selbst die Reorganisierung, Ausbildung und Ausrüstung der philippinischen Streitkräfte und straffte das Oberkommando der drei Waffengattungen Armee, Luftwaffe, Marine sowie der Polizei (Constabulary). Zur Ausbildung von Piloten, zum Kauf von Flugzeugen, Munition und Minenräumgeräten stand der JUSMAG ein Sonderbudget von umgerechnet knapp 170 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Weitere zirka 20 Millionen Dollar wurden von Washington als Waffenhilfe bereitgestellt, und »die Philippinen stimmten zu, die Masse ihrer militärischen Ausrüstung aus den USA zu kaufen und die Erlaubnis der USA für Käufe einzuholen, die anderswo getätigt wurden. Diese Bestimmung gab den USA einen beachtlichen Einfluß auf die Größe und den Charakter der philippinischen Streitkräfte«. 2)

Ab 1950 wurden die »unruhigen Gebiete« in Militärbezirke und -sektionen unterteilt, in denen man lokalen Amtsträgern quasi Polizeibefugnisse übertrug. Unter Verteidigungsminister Ramon Magsaysay erfolgte das Splitten der Regierungstruppen in 26 mobile Battalion Combat Teams (BCT) - ein Resultat der JUSMAG-Planung. Diesen durch Führungsstäbe, Infanteriekompanien und Artilleriebatterien gebildeten Einheiten waren zudem nachrichtendienstliche und Elitetrupps – zum Beispiel die Scout-Ranger- und Scout-Dog-Verbände – als operative »Greifer« zugeordnet. »Neben den militärischen Vernichtungsaktionen (...) leistete die Armee auch Pionierarbeit, die den guten Willen der Regierung unterstreichen sollte; Schulen und Krankenhäuser wurden errichtet, neue Landwirtschaftsgebiete erschlossen, Brücken und Wasserleitungen gebaut. Desertierte Guerilleros wurden freundlich empfangen und erhielten Land und materielle Unterstützung, denn die Zahl der erwarteten und tatsächlich erfolgten Desertionen war so gering, daß für die Überläufer ohne weiteres Vorsorge getroffen werden konnte.« 3)

Die Kommunistische Partei (PKP), im antijapanischen Partisanenkampf führend, versuchte nunmehr, sich legal in die philippinische Politik einzuschalten, indem sie eine politische Tarnorganisation, das »Demokratische Bündnis« (DA) gründete, damit jedoch scheiterte, weil man den gewählten DA-Mitgliedern ihre Sitze im philippinischen Kongreß verweigerte. Tatsächlich war die nach 1946 zwischen Putschismus und Parlamentarismus pendelnde PKP-Politik mitverantwortlich für den Erfolg des US-amerikanischen Rekolonialisierungsmodells.

Im Schatten Vietnams

»Civic action«, also auf Bürgernähe bedachte Projekte des Militärs, und erhöhte Feuerkraft durch aufgestockte US-Militärhilfe bildeten fortan den Januskopf der US-Kriegführung in Südostasien. Was auf den Philippinen experimentiert worden war, diente Militärstrategen wie Edward Geary Lansdale und Maxwell D. Taylor auch im Vietnamkrieg als Vorbild. 4) Nachdem in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die sogenannten Nachrichtenkoordinierungs- und Auswertungsprogramme (ICEX) des US-amerikanischen Oberkommandos in Südvietnam in die Operation Phönix mündeten, gelang es, im Rahmen des gemeinsamen Nachrichten-Militär-Polizei-Programms Saigons (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) und Washingtons, die Infrastrukturen der Befreiungsarmee FNL zu neutralisieren, wobei nach offiziellen Angaben mindestens 21 000 Menschen getötet wurden. Das Saigoner Regime behauptete seinerzeit, durch die Operation Phönix annähernd 41 000 »verdächtige feindliche« Zivilisten vom Zeitpunkt seiner Einführung im August 1968 bis Mitte 1971 »ausgeschaltet« zu haben.

William E. Colby, Leiter des Hilfsprogramms für zivile Operationen und ländliche Entwicklung (Civil Operations and Rural Development Support Program; CORDS), das der Operation Phönix und deren Vorläufer unmittelbar zugeordnet war, sowie hochrangige Militärberater räumten bei späteren Hearings vor Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses zynisch ein, daß »Feinde (Vietcong) möglicherweise falsch identifiziert wurden.« (Newsweek, 19.6.1972, S.42 f.) Systematischer Staatsterror mit einem abgestuft prämierten »body count« (Leichenzählen) war durch die Operation Phönix bittere Realität geworden. Diese Erfahrungen wiederum ließ man denn auch dem seit 1966 auf den Philippinen herrschenden Marcos-Regime zugute kommen.

Marcos, Machos, Militärs

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern zeichnete das Regime des Ferdinand E. Marcos eine Konzentration und Zentralisierung der Staatsmacht aus, worunter vor allem eine Aufwertung des Militärs zu verstehen war. In Verbindung mit den Polizeistreitkräften (Constabulary) des Landes sollten sie die Gewähr für »nationale Sicherheit und Entwicklung« bieten. Definierte sich Sicherheit durch die Abwehr und Ausschaltung »interner Subversion«, so war Entwicklung gleichbedeutend mit einer Wirtschaftsstrategie exportorientierten Typs samt aller damit verbundenen Anreize für ausländisches Kapital. Noch bevor Marcos im September 1972 das Kriegsrecht über die Inseln verhängte, war bekannt geworden, daß die US-amerikanische Behörde für internationale Entwicklung (USAID) und die CIA philippinische Polizisten ausgebildet hatten – für eventuelle paramilitärische Einsätze und zur Aufstandsbekämpfung als Teil eines weltweiten Programms, die Polizei abhängiger Staaten zu militarisieren und zu Söldnern aufzubauen. Unter der Rubrik »technische Hilfe« finanzierte die USAID das Büro für Öffentliche Sicherheit (OPS), welches maßgeblich an der Reorganisation, Finanzierung und Ausbildung des philippinischen Polizeiapparates auf den Philippinen wie in den USA beteiligt war. (Wie die CIA ist die USAID unmittelbar dem Präsidenten unterstellt, koordiniert den Auf- und Ausbau von Verwaltung und Polizei im Rahmen der »Entwicklungshilfe« des Pentagon, akquiriert – wie jetzt erneut in Irak der Fall – Aufträge für US-Firmen und schützt gleichzeitig US-amerikanische Kapitalinteressen gegen Verstaatlichungen und Verluste in Folge von Kriegshandlungen.)

Im Dezember 1966 wurde Frank Walton, gerade aus Saigon zurückgekehrt, Teamleiter von USAID/OPS. In Vietnam hatte er für den Ausbau und die Reorganisierung der südvietnamesischen Polizeikräfte in großem Stil verantwortlich gezeichnet – ein Eckstein des umfassenden CIA-Plans, die politische Infrastruktur der Nationalen Befreiungsfront (NLF) zu zerstören. Walton assistierten US-Beamte mit Erfahrungen in Brasilien, den Philippinen und Äthiopien. Hinzu kamen philippinische Geheimdienstoffiziere, die die CIA während der Zerschlagung des Hukbalahap-Aufstandes trainiert hatte und die Experten auf dem Gebiet der Gegenspionage in und um Saigon geworden waren. Der im Februar 1967 von der Walton-Gruppe fertiggestellte Bericht führte zur Einbindung des AID/OPS-Programms in das CORDS, dessen philippinische Variante personell mit »alten Hasen« aus Vietnam bestückt wurde. Mit Thomas Rose und Richard Kriegel traten Personen an dessen Spitze, die zuvor Chef der AID-Verwaltung in Saigon beziehungsweise CORDS-Berater in der südvietnamesischen Provinz Bin Dinh gewesen waren.

Am 12. Juli 1973 bestätigte der US-Senat William H. Sullivan als neuen Botschafter in Manila. Von 1964 bis 1969 war Sullivan US-Botschafter in Vientiane (Laos) gewesen, wo er mitverantwortlich war für den »Geheimkrieg« mit den (während des gesamten Indochinakrieges verheerendsten) Flächenbombardements in der Ebene der Tonkrüge – nach Ansicht damaliger Militärexperten das abstoßendste Kapitel gesetzwidriger Grausamkeit in der amerikanischen Geschichte. Es war allerdings G. McMurtrie Godley, Sullivans Nachfolger in Vientiane, der das mörderische Nixon-Kisssinger-Programm in die Tat umsetzte. Bei der Organisation und Koordinierung amerikanischer geheimdienstlicher und militärischer Aktivitäten in Südostasien wurden Sullivan bemerkenswerte Fähigkeiten nachgesagt. Nicht ohne Hintergedanken berief ihn das State Department, dem er nach seinem aktiven Dienst mit geschätzter Expertise zur Seite stand, auf den letzten Botschafterposten unter dem Regime des Schah Reza Pahlevi in Teheran, wo übrigens mit Walton ein weiteres bekanntes Gesicht aufgetaucht war.

Die Alchimie des Terrors

Die auf der Pazifikinsel Guam verkündete Nixon-Doktrin (des damaligen US-Präsidenten Richard M. Nixon) – »Asiaten gegen Asiaten kämpfen zu lassen« – markierte seit Beginn der siebziger Jahre eine Abkehr vom direkten und massiven Einsatz US-amerikanischer Bodentruppen in Regionalkonflikten mit dem Effekt, fortan die einheimischen »Sicherheits- und Ordnungsorgane« und deren Etats kräftig aufzustocken. Während des Kriegsrechts (September 1972 bis Januar 1981) wuchsen diese allein in den Philippinen immerhin von 62000 auf 415000 Mann – inklusive paramilitärischer Einheiten und bewaffneter Sekten. Die Militärgerichtsbarkeit hielt Einzug und selbst wirtschaftliche Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen wurden zunehmend Militärs überantwortet. Zu Beginn der achtziger Jahre stellten sie über die Hälfte aller mit der Regionalentwicklung betrauten Präsidialbeamten (PROD). Zur Wahrung »nationaler Sicherheit und Entwicklung« sollten mittels Oplan Katatagan (Operationsplan Stabilität) »Hirne und Herzen der Bevölkerung« durch öffentlichkeitswirksame Aktionen im Samariterstil gewonnen werden. Priorität hatte dabei die Vernichtung der Infrastruktur und Logistik der damals weltweit am schnellsten wachsenden Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA).

Pikanterweise war es Marcos in der Endphase seiner Herrschaft selbst, der dieses vorrangige Ziel durch eine mafiotische, ihm loyal ergebene Militärclique gefährdete und mithin für Washington zum Sicherheitsrisiko wurde. Sein schließlicher Sturz Ende Februar 1986, der vom Vatikan bis hin zu den Grünen als »friedliche Rosenkranzrevolution« und People Power gefeiert wurde, erfolgte mit tatkräftiger Hilfe der USA. Diese nämlich setzten im Sinne gewünschter politischer Stabilität auf eine effizientere Oplan Katatagan-Counterinsurgency und unterstützten mit General Fidel V. Ramos den späteren Präsidenten des Inselstaates. Größere Armeekontingente wurden fortan in flexible Eingreiftruppen bzw. mobile Jägerbataillone umgewandelt, während paramilitärische Verbände, Todesschwadronen vergleichbar, die Raumsicherung übernahmen und in Manila ausdrücklich als »Verkörperung von People Power« galten. 17 Jahre nach dem Sturz des Marcos-Regimes ist dessen allgegenwärtiges Erbe eine Militarisierung, die heute auf die »Pulverisierung« des muslimischen Widerstands im Süden zielt. Daran werden sich in den nächsten Wochen etwa 3 000 GIs beteiligen. Und wie heute im Irak wird dann auch ein Teil von ihnen als »eingebundene civic action«-Experten für die psychologische Kriegführung zuständig sein.

1) Napoleon D. Valeriano, Charles T.R. Bohannan: Counter-Guerilla Operations – The Philippine Experience, London 1962

2) George E. Taylor, »The Philippines and the United States: Problems of Partnership«, New York/London 1966, S. 129

3) Jürgen Horlemann: Modelle der kolonialen Konterrevolution – Beschreibung und Dokumente, Frankfurt/Main 1968, S. 101 ff.

4) General E.G. Lansdale war seinerzeit wichtigster CIA-Verbindungsmann zu Ramon Magsaysay, und Maxwell D. Taylor, zeitweilig Botschafter in Saigon, war Chefstratege der Counterinsurgency während der John F. Kennedy-Administration

 
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