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Die Ölarbeiter im Irak werden das Öl des Landes verteidigen!

David Bacon: Interview mit Hassan Juma’a Awad

5. April 2005 – www.truthout.org

Frage: Wie war die Gewerkschaft der Southern Oil Company organisiert?

Antwort: Zwei Wochen, nachdem die Besatzungstruppen am 9. April 2003 in Basra einmarschiert waren, trafen sich irakische Aktivisten aus der Ölindustrie, um die Gewerkschaftsarbeit neu zu organisieren. Erst mal mussten wir mit der Verwaltung zurecht kommen, die von den Besatzungsmächten eingesetzt worden war. Darüber hinaus befürchten wir, dass die Besatzung vor allem den Zweck hat, die Ölindustrie zu kontrollieren. Wir wussten, wenn wir uns nicht organisierten, würden wir nicht in der Lage sein, unsere Industrie zu schützen, um die wir uns seit Generationen gekümmert hatten. Es war unsere Pflicht als irakische Arbeiter, die Ölanlagen zu schützen, denn sie sind das Eigentum des irakischen Volkes, und wir sind sicher, dass die USA und die internationalen Gesellschaften hergekommen sind, um sich der Ölreserven des Landes zu bemächtigen.

Wir sind trotz der britischen Besatzung in der Lage gewesen, die erste Öl-Industrie-Gewerkschaft im Bergesseya-Gebiet seit Saddams Terror-Regieme aufzubauen, und diese Arbeit haben wir in Basra und im Süden des Landes fortgesetzt. Inzwischen haben wir Arbeiterverbände in 23 Gebieten des Südirak und eine kleine Konferenz in Basra organisiert. Die Öl-Unternehmen im Süden haben undgefähr 90% der Ölreserven , und wir vertreten über 23.000 Arbeiter. Eine Gewerkschaft für Ölarbeiter zu organisieren war weder einfach, noch war es im Sinne der Besatzungskräfte. Sie betrachteten uns als Gefahr und taten ihr Möglichstes, um uns aufzuhalten.

Frage: Warum?

Antwort: Weil ihnen klar ist, dass organisierte Arbeiter eine Macht haben, mit der sie sich auseinander setzen müssten. Es würde sie dazu zwingen, ihre Pläne aus den Anfängen der Besatzung zu ändern.

Frage: Welche Probleme musste die Gewerkschaft überwinden?

Antwort: Die Arbeiter haben nicht bekommen, was ihnen zustand. Die Besatzungskräfte haben die Verordnung Nummer 30 für Löhne im öffentlichen Sektor erlassen, nach der das Gehalt eines Arbeiters 69.000 Dinar im Monat betragen würde - das entspricht ungefähr 35 Dollar, extrem niedrig also, während die Inflation und die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind.

Die irakischen Ölreserven sind die zweitgrößten der Welt. In dieser Situation fragten wir uns: wie kann das sein, dass die Arbeiter in unserer Ölindustrie mit einem Lohn von 35 Dollar abgespeist werden sollen? Es stellte sich heraus, dass die amerikanische Verwaltung nicht gewillt war, mit uns eine Einigung zu erzielen, sodass wir am 13. August den Streik ausriefen. Nach einem kurzen Streik schafften wir eine Erhöhung des Gehalts auf 150.000 Dinar, also ungefähr 100 Dollar. Das ist für uns erst der Anfang - ein Anfang des Kampfes zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter. Und wir haben es geschafft, dass die amerikanische Firma KBR ihre Arbeiter komplett von unseren Anlagen abgezogen hat.

Frage: Haben die Autoritäten sich deshalb geweigert, mit den Gewerkschaften zu reden, weil sie das Gesetz von 1987 im Auge hatten, nach dem Gewerkschaften im öffentlichen Sektor verboten sind?

Antwort: Ja. Wir hatten Probleme, weil sie immer wieder darauf bestanden, dass wir kein Recht hätten, die Ölarbeiter zu vertreten. Aber was uns betraf – wir brauchten sie nicht für unsere Rechtfertigung, denn wir waren von den Arbeitern gewählt. Das ist die einzige Rechtfertigung, die wir brauchen.

Frage: Und wie haben Sie es geschafft, dass die Regierung doch mit Ihnen gesprochen hat?

Antwort: Es war der Druck des Streiks, der die amerikanische Verwaltung schließlich dazu gebracht hat ihre Meinung zu ändern. Sie hatten keine andere Wahl als das Lohnniveau zu heben. Es ist uns gelungen, die beiden niedrigsten Lohngruppen abzuschaffen, was die Löhne vieler Arbeiter verdoppelte.

Der Lebensstandard ist gestiegen, sogar im Vergleich zu Saddam Hussein’s Zeiten. Inzwischen bekommt ein Arbeiter mit 20jähriger Erfahrung ungefähr 420.000 Dinar, also ungefähr 300 Dollar. Damit sie mal einen Vergleich haben: ein Hühnchen auf dem Markt kostet 300 Dinar, also 1 Dollar.

Frage: Was halten die Mitglieder der Ölarbeitergewerkschaft von der Besatzung?

Antwort: Auf allen Treffen, die wir mit Arbeitern der gesamten Industrie abgehalten haben, haben wir von fast jedem gehört, dass er ein sofortiges Ende der Besatzung und den sofortigen Rückzug der Besatzungstruppen möchte.

Frage: Machen Sie sich Sorgen um Ihre Sicherheit, wenn die Besatzung jetzt endet?

Antwort: Nein. Wir haben kein Problem damit, weil wir sehr gut in der Lage sind, auf uns selber aufzupassen und für unsere Sicherheit zu sorgen.

Frage: Wenn die Besatzungstruppen abziehen würden, bestünde dann nicht die Gefahr von Überfällen von Aufständischen auf die Gewerkschafter, so wie es ja auch in Bagdad geschehen ist?

Antwort: Das könnte schon passieren, aber wir müssen unsere Probleme selber lösen.

Frage: Welche Art von Regierung wünschen Sie sich?

Antwort: Wir möchten eine Regierung, die die nationalen irakischen Bewegungen repräsentiert. Sie sollte allen Ländern freundlich gesonnen sein, ganz besonders denen, die gegen diesen Krieg waren.

Frage: Welche Haltung hatten die Mitglieder gegenüber den Wahlen im Januar? Haben viele Arbeiter gewählt?

Antwort: Wir haben keinerlei Empfehlungen ausgesprochen. Es war jedem selbst überlassen teilzunehmen oder nicht. Aber sehr viele der Arbeiter haben gewählt – ich schätze mal, es waren so 80%. Sie wählten eine Reihe verschiedener Parteien – entweder entsprechend ihrer Bildung oder entsprechend ihrer persönlichen Neigungen.

Frage: Wie könnte eine von der Bevölkerung gewählte Regierung im Irak an die Macht kommen?

Antwort: Ich glaube nicht, dass es innerhalb der nächsten sechs Monate irgendwelche großen Entwicklungen geben wird. Jede Regierung, die jetzt gewählt wird, hat erst mal eine Menge Probleme zu bewältigen. Sie muss eine neue Verfassung schreiben, und sie muss die Gesetze von Saddam Hussein abschaffen.

Die nächste Regierung sollte nicht nur die Sicherheit der irakischen Bevölkerung garantieren, sondern die Privatisierung der Industrie verhindern. Wir sind sehr stark gegen die Privatisierung, insbesondere die der Ölindustrie. Diese Industrie gehört uns. Wir wollen keine neue Kolonisierung unter dem Deckmantel der Privatisierung, bei der internationale Firmen die Kontrolle über das Öl übernehmen.

Der Tag wird kommen, an dem die Besatzungstruppen gehen. Der Zeitplan der USA sieht die Bildung einer irakischen Regierung nach den Wahlen vor. Die USA sollten dann das Land verlassen, aber ich glaube nicht daran, dass sie so einfach gehen werden. Wir sollten uns alle zusammenschließen, um Widerstand gegen die Besatzung zu leisten.

Frage: Welche Art von Unterstützung wünschen Sie sich von den Gewerkschaften in den USA?

Antwort: Wir haben 35 Jahre lang Saddams Terror erdulden müssen, also brauchen wir sehr viel Unterstützung von den Arbeitern in den USA. Ganz besonders brauchen wir Training beim Organisieren der Gewerkschaften, weil wir darin eben wenig Erfahrung haben. Und wir brauchen ihre Unterstützung beim Widerstand gegen die Privatisierung. Ihnen ist bewusst, was die Globalisierung für die Arbeiter der Dritten Welt bedeutet. Unsere Gewerkschaft ist noch ganz jung, und wir brauchen Hilfe, ganz besonders von den Gewerkschaften, die gegen den Krieg waren.

Frage: Was halten Sie vom bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung?

Antwort: Wir unterstützen alle Arten des ehrenhaften Kampfs im Irak, und wir möchten, dass die Besatzung sofort aufhört. Aber wir sind gegen alle Terrorakte gegen die irakische Zivilbevölkerung durch gewisse Terrororganisationen im Irak. Das unterstützen wir nicht. Dagegen sind wir eben so sehr wie gegen die Besatzung. Wenn die Besatzungstruppen abgezogen sind, werden wir in der Lage sein, eine neue Demokratie aufzubauen – eine, die die Interessen der irakischen Bevölkerung vertritt, nicht die der USA.

Frage: Wie sind Ihre Beziehungen zu anderen Gewerkschaften in Basra?

Antwort: Wir haben sehr gute Beziehungen zu den anderen Handelsgewerkschaften dort. Unser Kampf ist EIN Kampf, und wir müssen gemeinsam gegen die Besatzung vorgehen. Die Gewerkschaft der Southern Oil Company ist unabhängig, und wir haben bis jetzt keine Entscheidung darüber getroffen, welchem Dachverband wir uns anschließen werden. Das werden wir auch erst entscheiden, wenn wir herausgefunden haben, welche Gewerkschaft unsere Interessen als Industriearbeiter am besten vertritt. Wir haben sehr gute Beziehungen mit allen drei Verbänden, und wir werden auch in Zukunft im Interesse unserer Arbeiter mit ihnen kooperieren.

Ein Gewerkschaftsbund wird von Rasim Al Awad, der zweite von Jabbar Tarish und der dritte von Felah Alwan geleitet. Der erste repräsentiert die Kommunistische Partei Iraks, Allawis Partei und eine die nationalistischen Parteien. Der zweite ist eher unabhängig, schließt aber einige Vertreter religiöser Bewegungen mit ein. So sind zwei seiner Führer Mitglieder des Obersten Rates der islamischen Revolution SCIRI [eine der Parteien, die die aktuelle Übergangsregierung stellen] Der dritte Verband vertritt die Kommunistische Arbeiterpartei. Wir sind immer noch dabei zu prüfen, welcher der drei für uns am überzeugendsten die Interessen der Arbeiter vertritt. Es gibt auch viele Gewerkschaften, die gar keinem Verband angehören. Es gibt Mitglieder bei uns, die für alle diese Parteien gestimmt haben. Für uns sind sie alle ok - alle außer den Baathisten.

Die irakische Zivilgesellschaft glaubt heute an den Pluralismus. Deshalb finden einige, dass die ehemaligen baathistischen Gewerkschaften frei arbeiten können sollten. Das könnte zu einer Wiederkehr des Baath-Regimes führen – und deshalb glaube ich, dass wir den Pluralismus begrenzen sollten. Ich halte ihn nicht für gut.

Der anstehende Kampf gegen die Privatisierung ist wichtiger als der Kampf gegen die Besatzung, denn die USA versuchen, alle Sektoren der irakischen Wirtschaft zu privatisieren. Die Haltung der Gewerkschaften dazu könnte verschieden ausfallen. Wenn nur eine von ihnen vom Staat anerkannt wird, könnte das zu einem Problem werden. Die Baath-Gewerkschaften haben für die Regierungspolitik gearbeitet, und in unserer derzeitigen Lage könnten offiziell anerkannte Gewerkschaften das Gleiche tun. Das ist einer der Gründe, warum der Pluralismus für die irakische Gesellschaft schlecht sein könnte.

Frage: Wie ist die Lage der Hafenarbeiter in Um Quasr?

Antwort: Die Dockarbeiter in Um Quasr stehen vor großen Problemen. Die Hafenverwaltung – die Stevedoring Services of America - ist amerikanisch, nicht irakisch. Letzten Monat gab es ein Problem zwischen der Verwaltung und den Arbeitern, die ungerecht behandelt wurden. Ihre Hafenindustrie-Gewerkschaft wird von Nadam Radhi geleitet, aber die örtlichen irakischen Manager und die amerikanische Gesellschaft weigern sich, sie als Vertreter der Arbeiter anzuerkennen. Wenn das Management den Arbeitern einen angemessenen Lohn zahlen würde, gäbe es das Problem nicht. Ich war mit dem Vorsitzenden der irakischen Vereinigung der Handelsgewerkschaften, Abu Lina, in Um Quasr, um mit der Verwaltung zu verhandeln, und Abu Lina übergab ihnen einen Brief der Internationalen Hafenarbeitergewerkschaft.

Frage: Erzählen Sie uns ein bisschen über Ihre eigene Geschichte.

Antwort: Ich arbeite seit 23 Jahren als Techniker in der Southern Oil Company. Ich war einer von sehr vielen, die gegen Saddam Hussein waren, habe den Widerstand gegen sein Regime im Geheimen mit organisiert und war am Aufstand von 1991 beteiligt. Wir wollten Unabhängigkeit und wir gehörten zu keiner politischen Partei. Nach dem Beginn der Besatzung wurde ich Vorsitzender der Gewerkschaft. Ich hatte die breite Unterstützung anderer Aktivisten, weil ich mich bereits für die Rechte der Arbeiter ausgesprochen hatte. Ich wurde zum Vorsitzenden der Region Basra gewählt, und zwar in freien und demokratischen Wahlen, und schließlich zum Vorsitzenden der Gesamtgewerkschaft.

Frage: Gibt es Angriffe auf die Gewerkschaften in Basra?

Antwort: Ja, ähnlich wie im ganzen Irak. Gerade neulich wurde ein Arbeiter der Energieversorgungsanlage von einem Mitglied der Firmenverwaltung angegriffen.

Ich erwarte auch einen Angriff auf mich selbst, aber ich habe keine Angst. Ich gehe davon aus, dass die Terroristen überall angreifen werden. Einige unserer Abteilungen in Basra waren bereits ein Angriffsziel, sowohl die Arbeiter als auch die Anlagen selbst, aber bisher ist noch kein Arbeiter getötet worden. Allerdings sind drei oder vier Arbeiter bei dem Versuch getötet worden das Feuer der Bomben zu löschen. Als Hadi Saleh, der Vorsitzende der Internationalen Irakischen Handeslgewerkschaft, in Bagdad ermordet wurde, hatte ich den Eindruck, dass Saddams alte Geheimpolizei, der Mukhabharat, dafür verantwortlich sein könnte. Sie könnten anscheinend völlig frei operieren.

Übersetzung: Annette Schiffmann