Kein Fall für Berlin

Bundesregierung und deutsche Industrie setzen Zusammenarbeit mit Besatzungsmacht  fort.

gfp, 30.11.2005
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56135
BERLIN/BAGDAD/MÜNCHEN (Eigener Bericht) - Trotz anhaltender Gefährdung der im Irak bedrohten deutschen Geisel setzen Bundesregierung und deutsche Industrie ihre Zusammenarbeit mit der illegalen Besatzungsverwaltung fort. Die Entführer verlangen ein sofortiges Ende der Berliner Staatsbeihilfen für die Bagdader Administration. Ohne auf diese Forderung einzugehen, verlautbart der Krisenstab, man werde das Leben der entführten Susanne Osthoff zu retten versuchen; gleichzeitig offeriert das Berliner Wirtschaftsministerium interessierten deutschen Firmen schnelle Geschäfte mit dem Folterregime und hat grünes Licht für staatliche Export-Garantien gegeben. Die Vereinbarungen ("Hermes-Kredite") wurden mit den Bagdader Statthaltern im dortigen Finanzministerium getroffen. Von den Berliner Kreditzusagen profitiert u.a. der Siemens-Konzern, der mit diversen Produktsparten im Irak tätig ist. Beim Geschäftsaufbau lassen sich die deutschen Investoren von ortskundigen Mitarbeitern helfen, zu denen auch Susanne Osthoff gehörte. Diese Tätigkeit wird in Guerillakreisen als feindliche Zuarbeit für ausländische Kriegsparteien verstanden. Die bedenkenlose Nutzung individueller Hilfsbereitschaft für die politischen Ziele der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft wurde der jetzt entführten Deutschen zum Verhängnis.

Über die Überlebenschancen von Susanne Osthoff heißt es im Berliner Krisenstab, man werde auf die politischen Forderungen der Kidnapper auf keinen Fall eingehen. Unter Hinweis auf einen Entführungsfall im Jahr 1977 wird die deutsche Öffentlichkeit von anonym auftretenden Diplomaten darauf vorbereitet, dass der Tod von Frau Osthoff hinzunehmen ist, sollten die Geiselnehmer an ihrer Forderung nach Abbruch der deutschen Regierungshilfe für die irakische Administration festhalten.[1] Eine Änderung der Berliner Außenpolitik werde nicht stattfinden.

Für den Krieg
Deutschland beteiligt sich am Aufbau der von den Besatzungsmächten installierten Verwaltung mit Ausbildungs- und Ausrüstungsmaßnahmen, die auch bewaffnete Verbände umfassen (Polizei, Streitkräfte). Wie das Auswärtige Amt einräumt, zählen zu dem von Berlin instruierten Personal mehr als 300 Baupioniere, über 400 Kriminalpolizisten, 170 Mitarbeiter irakischer Ministerien (von der GTZ in Kairo ausgebildet), 42 Diplomaten und weitere Ministerialbeamte, außerdem über 120 Wahlbeobachter sowie so genannte "Multiplikatoren", die an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt waren.[2] Zusätzlich wurden bzw. werden 25 irakische Stabsoffiziere an der Führungsakademie der Bundeswehr geschult - für den Krieg gegen ihre eigenen Landsleute.

Wichtiger Beitrag
Erst vor wenigen Tagen (am 17. November) gab das Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht für "Hermesdeckungen zugunsten deutscher Exporteure", die in den Irak liefern und unter Kriegsbedingungen Geschäfte machen wollen.[3] Die zum Allianz-Konzern [4] gehörige Euler Hermes Kreditversicherungs-AG schloss ein "Rahmenabkommen" mit dem irakischen Finanzministerium und der Trade Bank of Iraq. Danach hat das irakische Finanzministerium "gegenüber dem Bund" für alle "Zahlungsverpflichtungen" irakischer Importeure "einzustehen": "Damit sind alle unter dem Abkommen abzuwickelnden Exportgeschäfte für den Bund de facto mit einer Staatsgarantie unterlegt." "Weitergehende Hermesdeckungen" werden für den Fall in Aussicht gestellt, dass die irakische Seite "überfällige" und "nicht bundesgedeckte offene Irakforderungen deutscher Exporteure" aus der Regierungszeit Saddam Husseins begleicht. Schließlich leisteten die Exportbürgschaften der Bundesregierung "einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau Iraks" und ermöglichten deutschen Firmen "die Wiederaufnahme ihrer Lieferbeziehungen mit irakischen Kunden", so Euler Hermes-Vorstandsmitglied Dr. Hans Janus.[5]

Unüberbrückbar
Bei den deutschen Irak-Exporten kommen hochbezahlte Mittler zum Einsatz, zu deren Aufgaben die operative Steuerung der Geschäftsbeziehungen in den Mittleren Osten gehört. Vor Ort werden Mitarbeiter mit Sprach- und Landeskenntnissen benötigt, die bei hoher Gefahrenlage ihr Leben riskieren - oft aus humanitärem Altruismus. Ähnliche Motivationen werden der entführten Susanne Osthoff zugeschrieben, die für eine Münchner Consulting-Agentur in Bagdad tätig war ("FaktorM"). Das Unternehmen gibt an, deutsche Firmen aus den Bereichen "Energieversorgung", "Gesundheitswesen" und "Öffentlicher Dienst" zu beraten, wobei "interkulturelle Kompetenz" beim Umgang mit Kunden aus arabischen Staaten vermittelt werde - ein Vorgang, der mittlerweile zum Standardrepertoire deutscher Firmen gehört und auf schwer überbrückbare Differenzen bei der westlichen Expansion in die islamischen Länder verweist.

Business Opportunities
Über Frau Osthoff sagt ihr Arbeitgeber, sie habe "Projekte zum Aufbau des Gesundheitswesens im Irak" initiiert, koordiniert und beraten.[6] Genau auf diesem Geschäftsfeld ist der Münchner Siemens-Konzern tätig.[7] Dr. Peter Bertsch, Vertriebsmanager im "Medical Department" bei Siemens Erlangen, berichtete auf der "Deutsch-Irakischen Wirtschaftskonferenz" im Juli dieses Jahres in München, dass "Siemens Medical Solutions" seit langem hochwertige medizinische Geräte in den Irak exportiere, darunter allein 33 Computertomographen.[8] Siemens befand sich auf der Wirtschaftskonferenz in bester Gesellschaft; die Liste der Konferenzthemen war lang: Firmenvertreter sowie hochrangige Repräsentanten der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung diskutierten mit ihren irakischen Gesprächspartnern aus Regierung und Wirtschaft die Geschäftschancen auf fast sämtlichen Unternehmensfeldern. Deutsche Investitions- und Exportinteressen betrafen die Sektoren Infrastruktur, Bankwesen, Energieversorgung ("Oil and Gas"), Kommunikationstechnologie und Sicherheitssysteme ("Security Systems") sowie Wasserwirtschaft. Der zweite Teil der Konferenz war strategischen Fragestellungen vorbehalten: Zugang zum irakischen Markt ("Market Entry into Iraq"), Ausbildung von irakischen Fachkräften in Deutschland und potentielle Geschäftsfelder in Irakisch-Kurdistan ("Business Opportunities in Kurdistan").[9]

Opferung
Das der deutschen Öffentlichkeit verborgene Ausmaß wirtschaftlicher und politischer Interessen im Irak lässt erahnen, warum sich die Bundesregierung auf die eventuelle Opferung des Lebens der Verschleppten vorbereitet. Eine Entwicklung wie im Fall der italienischen Journalistin Giulina Sgrena will sie unbedingt vermeiden: Unter dem Druck der italienischen Öffentlichkeit musste Rom in diesem Frühjahr politische Zugeständnisse machen, um den Entführern entgegenzukommen und das Leben von Frau Sgrena zu retten - kein Fall für Berlin.

[1] Erster Ernstfall für die Kanzlerin; Focus online 29.11.2005
[2] s. dazu Reformkurs und Tribale Elemente
[3] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; www.agaportal.de 17.11.2005
[4] s. dazu Drang nach Osten und Süden, Logisch und Brücke nach China
[5] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; www.agaportal.de 17.11.2005
[6] www.faktorm.de/osthoff.html
[7] Siemens, FaktorM und Eon sponserten gemeinsam die Tagung "Bild und Macht", die im April 2004 vom Département für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltet wurde.
[8], [9] www.deutsche-irakische-wirtschaftskonferenz.de