Über die Überlebenschancen von Susanne Osthoff heißt
es im Berliner Krisenstab, man werde auf die politischen Forderungen
der Kidnapper auf keinen Fall eingehen. Unter Hinweis auf einen
Entführungsfall im Jahr 1977 wird die deutsche Öffentlichkeit von
anonym auftretenden Diplomaten darauf vorbereitet, dass der Tod von
Frau Osthoff hinzunehmen ist, sollten die Geiselnehmer an ihrer
Forderung nach Abbruch der deutschen Regierungshilfe für die irakische
Administration festhalten.[1] Eine Änderung der Berliner Außenpolitik
werde nicht stattfinden.
Für den Krieg
Deutschland beteiligt sich am Aufbau der von den
Besatzungsmächten installierten Verwaltung mit Ausbildungs- und
Ausrüstungsmaßnahmen, die auch bewaffnete Verbände umfassen (Polizei,
Streitkräfte). Wie das Auswärtige Amt einräumt, zählen zu dem von
Berlin instruierten Personal mehr als 300 Baupioniere, über 400
Kriminalpolizisten, 170 Mitarbeiter irakischer Ministerien (von der GTZ
in Kairo ausgebildet), 42 Diplomaten und weitere Ministerialbeamte,
außerdem über 120 Wahlbeobachter sowie so genannte "Multiplikatoren",
die an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt waren.[2] Zusätzlich
wurden bzw. werden 25 irakische Stabsoffiziere an der Führungsakademie
der Bundeswehr geschult - für den Krieg gegen ihre eigenen Landsleute.
Wichtiger Beitrag
Erst vor wenigen Tagen (am 17. November) gab das
Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht für "Hermesdeckungen
zugunsten deutscher Exporteure", die in den Irak liefern und unter
Kriegsbedingungen Geschäfte machen wollen.[3] Die zum Allianz-Konzern
[4] gehörige Euler Hermes Kreditversicherungs-AG schloss ein
"Rahmenabkommen" mit dem irakischen Finanzministerium und der Trade
Bank of Iraq. Danach hat das irakische Finanzministerium "gegenüber dem
Bund" für alle "Zahlungsverpflichtungen" irakischer Importeure
"einzustehen": "Damit sind alle unter dem Abkommen abzuwickelnden
Exportgeschäfte für den Bund de facto mit einer Staatsgarantie
unterlegt." "Weitergehende Hermesdeckungen" werden für den Fall in
Aussicht gestellt, dass die irakische Seite "überfällige" und "nicht
bundesgedeckte offene Irakforderungen deutscher Exporteure" aus der
Regierungszeit Saddam Husseins begleicht. Schließlich leisteten die
Exportbürgschaften der Bundesregierung "einen wichtigen Beitrag zum
Wiederaufbau Iraks" und ermöglichten deutschen Firmen "die
Wiederaufnahme ihrer Lieferbeziehungen mit irakischen Kunden", so Euler
Hermes-Vorstandsmitglied Dr. Hans Janus.[5]
Unüberbrückbar
Bei den deutschen Irak-Exporten kommen hochbezahlte
Mittler zum Einsatz, zu deren Aufgaben die operative Steuerung der
Geschäftsbeziehungen in den Mittleren Osten gehört. Vor Ort werden
Mitarbeiter mit Sprach- und Landeskenntnissen benötigt, die bei hoher
Gefahrenlage ihr Leben riskieren - oft aus humanitärem Altruismus.
Ähnliche Motivationen werden der entführten Susanne Osthoff
zugeschrieben, die für eine Münchner Consulting-Agentur in Bagdad tätig
war ("FaktorM"). Das Unternehmen gibt an, deutsche Firmen aus den
Bereichen "Energieversorgung", "Gesundheitswesen" und "Öffentlicher
Dienst" zu beraten, wobei "interkulturelle Kompetenz" beim Umgang mit
Kunden aus arabischen Staaten vermittelt werde - ein Vorgang, der
mittlerweile zum Standardrepertoire deutscher Firmen gehört und auf
schwer überbrückbare Differenzen bei der westlichen Expansion in die
islamischen Länder verweist.
Business Opportunities
Über Frau Osthoff sagt ihr Arbeitgeber, sie habe
"Projekte zum Aufbau des Gesundheitswesens im Irak" initiiert,
koordiniert und beraten.[6] Genau auf diesem Geschäftsfeld ist der
Münchner Siemens-Konzern tätig.[7] Dr. Peter Bertsch, Vertriebsmanager
im "Medical Department" bei Siemens Erlangen, berichtete auf der
"Deutsch-Irakischen Wirtschaftskonferenz" im Juli dieses Jahres in
München, dass "Siemens Medical Solutions" seit langem hochwertige
medizinische Geräte in den Irak exportiere, darunter allein 33
Computertomographen.[8] Siemens befand sich auf der
Wirtschaftskonferenz in bester Gesellschaft; die Liste der
Konferenzthemen war lang: Firmenvertreter sowie hochrangige
Repräsentanten der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung
diskutierten mit ihren irakischen Gesprächspartnern aus Regierung und
Wirtschaft die Geschäftschancen auf fast sämtlichen
Unternehmensfeldern. Deutsche Investitions- und Exportinteressen
betrafen die Sektoren Infrastruktur, Bankwesen, Energieversorgung ("Oil
and Gas"), Kommunikationstechnologie und Sicherheitssysteme ("Security
Systems") sowie Wasserwirtschaft. Der zweite Teil der Konferenz war
strategischen Fragestellungen vorbehalten: Zugang zum irakischen Markt
("Market Entry into Iraq"), Ausbildung von irakischen Fachkräften in
Deutschland und potentielle Geschäftsfelder in Irakisch-Kurdistan
("Business Opportunities in Kurdistan").[9]
Opferung
Das der deutschen Öffentlichkeit verborgene Ausmaß
wirtschaftlicher und politischer Interessen im Irak lässt erahnen,
warum sich die Bundesregierung auf die eventuelle Opferung des Lebens
der Verschleppten vorbereitet. Eine Entwicklung wie im Fall der
italienischen Journalistin Giulina Sgrena will sie unbedingt vermeiden:
Unter dem Druck der italienischen Öffentlichkeit musste Rom in diesem
Frühjahr politische Zugeständnisse machen, um den Entführern
entgegenzukommen und das Leben von Frau Sgrena zu retten - kein Fall
für Berlin.
[1] Erster Ernstfall für die Kanzlerin; Focus online
29.11.2005
[2] s. dazu
Reformkurs
und
Tribale
Elemente
[3] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium
und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; www.agaportal.de 17.11.2005
[4] s. dazu
Drang
nach Osten und Süden,
Logisch
und
Brücke
nach China
[5] Rahmenabkommen für Hermesdeckungen mit irakischem Finanzministerium
und Trade Bank of Iraq unterzeichnet; www.agaportal.de 17.11.2005
[6] www.faktorm.de/osthoff.html
[7] Siemens, FaktorM und Eon sponserten gemeinsam die Tagung "Bild und
Macht", die im April 2004 vom Département für Philosophie an der
Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltet wurde.
[8], [9] www.deutsche-irakische-wirtschaftskonferenz.de