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Verfassungsreferendum im Irak

 

Zählen bis es passt? –
Nein zur Verfassung evtl. durch Betrug verhindert

 

Zweifelhafte Ergebnisse nähren Verdacht auf massive Wahlfälschungen

von Joachim Guilliard, 5.11.2005

 

(für eine ausführliche kritische Würdigung der neuen Verfassung siehe "Iraks Verfassung - Eine konstitutionelle Besatzung - Die neue Verfassung fördert den Ausverkauf des Landes und untergräbt die staatliche Einheit ) 

 

Mit großer Verzögerung wurde am 25. Oktober, zehn Tage nach dem Referendum im Irak, die neue Verfassung für angenommen erklärt. Trotz vielfacher Hinweise auf massiven Wahlbetrug rief die Leiterin des UN-Unterstützungsteams im Irak, Carina Perelli, dazu auf, dem Ergebnis zu trauen und wertete die EU-Kommission die Annahme des Referendums als „einen großen Tag für die Demokratie“. Schon steht der nächste Urnengang bevor. Am 15. Dezember wird das Parlament neu gewählt, nun auf Basis der neuen Verfassung und für eine Legislaturperiode von vier Jahren. Ein weiterer Grund den Vorwürfen systematischer Wahlfälschung beim Referendum nachzugehen.

 

Erste Zweifel an der Korrektheit des Referendums wurden schon bald nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse laut. Aus 12 der 18 Gouvernaten (Provinzen) waren Zustimmungsquoten von über 95% gemeldet worden, aus den drei Kurdenprovinzen Arbil, Dahuk und Sulaimaniyya sogar über 99%.

Die kuriosesten Zahlen kamen aber aus Ninive, die mit ihrer Hauptstadt Mossul einer der Hochburgen des Widerstandes ist. Nach Auszählung von 275 der 300 Wahllokale, so die Wahlkommission, hätten 326.000 für und nur 90.000 gegen die Verfassung gestimmt.

Gerade auf Ninive hatten sich alle Augen gerichtet, da die Verfassung auch gescheitert wäre, wenn in drei Provinzen Zweidrittel der Wähler gegen sie stimmten. Und Ninive galt neben den beiden anderen Widerstandszentren al-Anbar und Salah-ad-Din, westlich, bzw. nördlich von Bagdad, als aussichtsreicher Kandidat hierfür. Da die Besatzungsgegner diesmal gerade in ihren Hochburgen in großer Zahl zu den Urnen gingen, um die Verfassung über drei Zweidrittelmehrheiten niederzustimmen, war hier eine mehrheitliche Zustimmung an sich ausgeschlossen gewesen.

 

Die Zweidrittelregelung sollte ursprünglich den mit den USA verbündeten Kurdenparteien, Kurdische Demokratische Partei KDP und Patriotische Union Kurdistan PUK ein Vetorecht bei der Verfassung sichern. Nun bot sie ihren Gegnern die große Chance die Verfassung in den mehrheitlich sunnitischen Provinzen scheitern zu lassen. Viele Widerstandsgruppen, die sich zunächst für einen Boykott des Referendums ausgesprochen hatten, riefen am Ende dazu auf, diese Chance durch zahlreiche Teilnahme zu nutzen.

Um die Möglichkeit eines solchen Vetos von vorneherein auszuschließen, hatten die Regierungspartien versucht, das Quorum auf zwei Drittel aller Wahlberechtigten zu erhöhen, scheiterten aber an der massiven internationalen Kritik.

 

Auf Drängen der UNO ordnete die Wahlkommission eine umfangreiche Überprüfung der verdächtigen Zahlen an. Nach 10 Tagen verkündigte sie das endgültige Ergebnis. Hinweise auf Wahlfälschungen seien nicht gefunden worden. Doch für Ninive wurde nun mit 55% eine deutliche Mehrheit gegen die Verfassung ausgewiesen, weit jedoch von der 66,6%-Marke entfernt. Damit konnte die Verfassung, trotz klarer Zweidrittelmehrheiten gegen die Verfassung in Anbar und Salah-ad-Din, mit landesweit 78,8% als angenommen erklärt werden.

Der Wahlprozess hätte höchsten Standards entsprochen, so Carina Perelli, Leiterin der UN-Wahlunterstützungsabteilung (UN Electoral Assistance Division) EAD, das mit einem kleinen Team die Interimsregierung technisch unterstützte. Die Ergebnisse seien auf professionelle Weise überprüft worden und völlig akkurat.[1]

 

Doch wenn zuvor alles so korrekt gewesen war, warum mussten in Ninive 5.000 Ja-Stimmen gestrichen werden und woher kamen die 295.000 zusätzlichen Nein-Stimmen – alle etwa aus den zwei Dutzend noch nicht ausgezählten Wahllokalen?[2] Oder wurde hier nicht doch nachtäglich der Übereifer von „Wahlhelfern“ korrigiert, um glaubwürdigere Ergebnisse zu erhalten?

 

Plausibel sind allerdings auch die neuen Zahlen für Ninive nicht.

 

323.000 sollen hier mit Ja gestimmt haben. Sieht man sich aber die (wahrscheinlich auch schon geschönten) Wahlergebnisse der Provinz vom Januar an, so entfielen auf die Parteien, die aktuell die Verfassung unterstützen, nur etwa 175.000 der 200.000 abgegebenen Stimmen. Während unter Kurden und Schiiten die Wahlbeteiligung damals hoch war, boykottierte die überwiegende Mehrheit der Wahlberechtigten (85%) die Wahlen.[3]

Auch wenn, wie in den Medien breit berichtet, eine sunnitische Partei, die Irakische Islamische Partei IIP, noch kurz vor dem Referendum umschwenkte und zur Annahme der Verfassung aufrief, so ist es dennoch wenig wahrscheinlich, dass sich die Zustimmung zum Übergangsprozess plötzlich beinah verdoppelte. Die IIP hatte in Ninive im Januar gerade mal 721 Stimmen (landesweit 21.342) erhalten.

Einige Experten versuchen das Ergebnis mit einer hohen Zahl von Ja-Stimmen der nicht-kurdischen und nicht-arabischen Minderheiten zu deuten. Auch das ist unwahrscheinlich, da sich an deren ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik ebenfalls nichts geändert haben dürfte. Turkmenen, assyrische Christen und die anderen kleineren Minderheiten befinden sich in massivem Konflikt mit den Kurdenparteien, die mittels massiver paramilitärischen Präsenz ihrer Peshmergas die ländlichen Gegenden kontrollieren. Sie befürchten von ihrem Land vertrieben zu werden – ähnlich wie nach Kriegsbeginn die Araber aus Zimar, Sinjar oder Shaykhan im Gebiet zwischen der Kurdisch Autonomen Region (KAR) und der syrischen Grenze. Ihre Furcht wird durch die Zugeständnisse an die Kurden in der neuen Verfassung noch gestärkt. Sowohl Turkmenen als auch assyrische Christen hatten daher große Demonstrationen gegen die Verfassung organisiert.

Auch der Verbindungsoffizier der Wahlkommission in Ninive, Major Jeffrey Houston ist überzeugt, dass die christlichen Gemeinden mehrheitlich gegen die Verfassung stimmten.[4]

 

Fragwürdig ist auch die relativ niedrige offizielle Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen in Ninive, wenn man sie mit den benachbarten Provinzen vergleicht, die ähnliche politische und demografische Verhältnisse aufweisen. In Salah-ad-Din lag die Wahlbeteiligung bei 90% und in Dyiala (mit einem höheren Anteil kurdischer Bevölkerung) bei 67%. In Ninive sollen es nur 53% gewesen sein, d.h. weit weniger als im Landesdurchschnitt.

 

In der sunnitisch geprägten Provinz Salah-ad-Din, wo Fälschungen auch schwieriger wäre, steht das Ergebnis in Einklang mit den Januarergebnissen. Im Januar waren 145.000 (25%) zur Wahl gegangen, etwa 90.00 wählten die pro-amerikanischen Listen, im wesentlichen sind dies die Kurdische Allianz, die schiitische Vereinigte irakische Allianz UIA, sowie die Listen von Übergangspremier Ijad Allawi und Übergangspräsident Ghazi al-Yawer. Ungefähr genauso viel stimmten beim Referendum mit "Ja", allerdings stieg die Wahlbeteiligung durch 417.000 Nein-Stimmen auf 510.000 (90%).

Warum sollte das im ebenfalls überwiegend sunnitischen Ninive anders gewesen sein? Bei einer ähnlich starken Ablehnung der US-Politik unter den Sunniten wäre die Zahl der Nein-Stimmen bereits ab einer Wahlbeteiligung von 72% über der Zweidrittel-Marke gelegen.

 

Die Mehrheiten in Dyiala und at-Ta'mim (Kirkuk) für die Verfassung sind ebenfalls mehr als zweifelhaft, auch wenn hier die Unstimmigkeiten nicht so offensichtlich sind. In beiden Provinzen stimmten aber 20 bis 30% mehr Wähler für die Verfassung als im Januar für die pro-amerikanischen Parteien.

In Kirkuk haben PUK und KDP unmittelbar mit Beginn der Besatzung begonnen, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu ihren Gunsten zu ändern. Nach Angaben des UN-Nachrichtenservice IRIN wurden mittlerweile 17.000 kurdische Familien (das sind ungefähr 140.000 Personen) nach Kirkuk gebracht und über 30.000 nichtkurdische Personen vertrieben.[5] Der US-Historiker Dilip Hiro geht sogar von über 100.000 Vertriebenen aus.[6]

Vor den Januarwahlen hatten die Kurdenparteien durchgesetzt, dass mehr als 200.000 Kurden aus anderen Provinzen sich in Kirkuk registrieren lassen konnten. Da das Wählerregister vom Januar für den Urnengang im Oktober nur ergänzt wurde, blieben diese Registrierungen vermutlich auch beim Referendum gültig.

Dennoch sind Kurden immer noch in der Minderheit in Kirkuk und lehnen die anderen Bevölkerungsgruppen die Verfassung vehement ab – vor allem natürlich die weitreichende Föderalisierung und den potentiellen Anschluss der Provinz an die Kurdische Region. Hier wäre daher ebenfalls eine Mehrheit gegen die Verfassung zu erwarten gewesen und keinesfalls eine Zustimmungsquote von 63%.

 

Die vielfältigen Beschwerden über systematischen Wahlbetrug sind daher recht plausibel. Die Durchführung des Referendums stand schließlich unter alleiniger Kontrolle der Besatzungsmacht und es waren, wie bei den letzten Wahlen, so gut wie keine internationalen Beobachter oder Journalisten vor Ort. [7] Das renommierte US-amerikanische Carter Center zum Beispiel, das im letzten Jahrzehnt Dutzende Wahlen in Übersee überwachte, hielt die Durchführung fairer Wahlen unter den im Irak herrschenden Bedingungen für ausgeschlossen und hat eine Mitarbeit sowohl bei den Wahlen im Januar als auch beim Referendum kategorisch abgelehnt.

 

„Trotz der Bemühungen der USA der Kampagne ein irakisches Gesicht zu geben, ist das Referendum im Grunde eine amerikanische militärische Operation,“ so auch die Washington Post kurz vor der Abstimmung. Die Amerikaner würden alles überwachen, sich dabei aber sehr bemühen, im Hintergrund zu bleiben. Kein Bild eines US-Soldaten soll dabei neben einer Wahlurne zu sehen sein, erläuterte US-Oberstleutnant Jody L. Petery, einer der Verantwortlichen für die Operation ihre Vorgehensweise, „denn dann hätten wir ein echtes Problem“.[8]

 

Zu den für Wahlbetrügerein anfälligsten Provinzen zählten von vorneherein die drei von PUK und KDP beherrschten Provinzen der Kurdisch-Autonomen Region, sowie die daran angrenzenden Provinzen Kirkuk, Ninive und Dyiala, die ebenfalls ganz oder teilweise von den Kurdenparteien und ihren Peshmergas kontrolliert werden. Fernab jeglicher Öffentlichkeit und in Zusammenarbeit mit den Besatzern, haben die beiden Parteien vielfältige Möglichkeiten, Wahlergebnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen: Boxen mit Ja-Stimmen füllen, Urnen mit potentiell hohem Anteil von Nein-Stimmen verschwinden lassen oder ganz einfach Verfassungsgegner an der Stimmabgabe hindern. Auch im Januar hatten Augenzeugen von vielfältigen Wahlfälschungen berichtet. Recherchen Seymor Hershs und anderer renommierter Journalisten hatten dies im nachhinein bestätigt,[9] so wie indirekt auch der Streit der beiden kurdischen Parteien, die sich gegenseitig des Wahlbetrugs bezichtigten.[10]

Selbst die Internationale Mission für irakische Wahlen (IMIE) hatte diese nördlichen Provinzen nach Auswertung der Januarwahlen als Gebiete bezeichnet, denen aufgrund der festgestellten massiven Manipulationen, bei kommenden Urnengängen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.[11] Die IMIE ist laut Selbstdarstellung eine unabhängige Kommission zur Beurteilung der Wahlen im Irak. Sie wurde allerdings von Regierungen zusammengestellt, die Teil der Besatzungskoalition sind oder die US-Politik im Irak politisch unterstützen und hat enge Verbindungen zur US-Regierung.[12] Entsprechend positiv fielen auch ihre Bewertungen der Wahlen aus. Doch obwohl sich die Gutachter in ihrer Beurteilungen vor Lob für die Wahlen fast überschlagen, finden sich in den Texten eine Vielzahl von Hinweisen auf erhebliche Inkorrektheiten, mangelnde Transparenz, Manipulationsmöglichkeiten, Behinderungen von Beobachtern usw. In Mossul z.B. waren 49 Urnen aufgefallen, die sehr ungeschickt manipuliert worden waren: man hatte sie mit den alten Siegeln von Saddam Husseins Regime versiegelt. Ungefähr 10.000 gefälschte Stimmzettel waren mit diesen Urnen eingeschleust worden. Im kurdischen Arbil waren es noch weit mehr. Hier erschienen 300 Urnen fragwürdig, die ca. 200,000 zweifelhaften Stimmzetteln enthielten. [13]

Diese wurden schließlich für ungültig erklärt. Die naheliegende Frage, ob sie nicht nur die Spitzen eines Eisbergs waren, dessen waren Ausmaße mangels unabhängiger Beobachter vor Ort unentdeckt blieb, stellten sich die IMIE-Experten nicht. Sie ließen sich dadurch auch nicht von ihrem festen Willen abbringen, dem Ganzen ein positives Gesamturteil zu geben und beließen es bei einigen Empfehlungen: neben besserer Ausbildung des Personals und genauerem Abgleich der Urnen, sollten in Zukunft vor allem mehr unabhängige Beobachter vor Ort sein. Davon gab es im Oktober aber noch weniger als im Januar.

 

Konkrete Vorwürfe kamen diesmal u.a. von Saleh al Mutlek, dem Sprecher der sunnitischen Mitglieder in der Verfassungskommission. Unter anderem hätten ihm Augenzeugen berichtet, dass in Mossul Mitglieder der irakischen „Nationalgarde“ LKW-Ladungen von Wahlurnen aus den Wahllokalen in Büros der von Kurden kontrollierten Provinzregierung gebracht hätten. Die Nationalgarde rekrutiert sich in Ninive vorwiegend aus kurdischen Milizionären und untersteht der US-Armee. Auch aus Wahllokalen im sunnitischen Stadtteil von Baqouba in der Diyala-Provinz seien Urnen voll mit Nein-Stimmen geraubt worden, so dass hier am Ende eine Mehrheit für die Verfassung gezählt worden wäre. Für viele Beobachter ist dies nichts Neues, hatte es, nach Angaben eines früheren US-amerikanischen Verbindungsoffizier, ähnliche Vorfälle doch schon im Januar gegeben. [14]

 

Am besten belegt sind die Hinweise auf massive, systematische Wahlfälschungen, die Gareth Porter von IPS erhalten hat. Diesem waren von US-Offizieren zusammengestellte Berichte zugespielt worden. Sie enthalten beispielsweise übereinstimmende Angaben mehrerer Zeugen – Kurden und assyrische Christen, die als Berater für das US-Militär arbeiteten – darüber, dass Aktivisten der KDP, die aus den kurdischen Provinzen kamen, in Buskonvois durch die Gegend gereist sind und in kleineren Städten und Dörfern die Wahlhelfer gezwungen haben, ihre Stimmen anzunehmen. Oft waren den Berichten zufolge ohnehin alle Wahlhelfer von der KDP. Zudem hätten kurdische Milizionäre vielerorts Einheimische, die als Besatzungsgegner eingeschätzt wurden, durch massive Einschüchterung an der Stimmabgabe gehindert. [15]

Ein namentlich nicht genannter Lokalpolitiker, der die US-Besatzung befürwortet, aber über diese Betrügereien sehr empört war, berichtete z.B., dass die KDP 500 ihrer Aktivisten in Bussen in die östlich von Mossul gelegene Stadt Bartilla gebracht hatten, um dort abzustimmen. Eine starke Einheit kurdischer Milizionäre zwang die Wahlhelfer, den herangekarrten Kurden Stimmzettel auszuhändigen. Ein weiterer Zeuge berichtete gegenüber dem US-Militär, daß der stellvertretende Gouverneur der Provinz, Khasro Goran, selbst ein führendes Mitglied der KDP, die Anweisung gegeben hatte, den 500 Kurden zu gestatten, an der Wahl teilzunehmen. Danach sollen sie das Spiel in anderen Orte wiederholt haben.

In Alqosh, einem weiteren Städtchen östlich von Mossul, kamen die Parteigänger der KDP in 20 Bussen zur Wahl. Sie schüchterten gleichzeitig die Bewohner derart ein, das die meisten den Wahllokalen fernblieben. Als Ergebnis wurden hier 950 „Ja“ zu 100 „Nein“-Stimmen gezählt, d.h. die KDP-Leute stellten fast allein die Wählerschaft des Ortes. Ähnlich auch in Telaskof, wo auch nur 1200 Stimmen abgegeben wurden, davon 90% mit „Ja“. In all diesen Orten ist die Mehrheit der Bevölkerung klar gegen die Verfassung.

 

In der überwiegend christlich-assyrischen Stadt Qaraqosh, wo Kurden nur eine winzige Minderheit stellen, waren ebenfalls fast 90% Ja-Stimmen gezählt worden. Hier wäre Angst vor den Kurdenmilizen der Hauptgrund für die hohe Zustimmungsquote gewesen. Die Peshmergas hätten gedroht, dass alle, die gegen die Verfassung stimmen, ihre Lebensmittelkarten verlieren würden. Qaraqosh gehört zu den Städten, die laut der offen verkündeten Pläne der KDP, bald ihrem Herrschaftsgebiet angegliedert werden sollen.

 

Die selben Quellen berichten auch von Misshandlungen von Leuten, die öffentlich gegen die Politik der Kurdenparteien opponierten, durch kurdische Milizionäre bzw. von ihrer Verschleppung in kurdische Gefängnisse. Da kaum unabhängige Beobachter vor Ort waren, nützt dann am Ende auch eine anschließende von der UNO überwachte Überprüfung der Auszählung nicht mehr viel.

 

Doch nicht nur die lokalen Verbündeten, auch die Besatzer selbst intervenierten auf ihre Weise in das Referendum. Im größten Teil al-Anbars, dem Gouvernat westlich von Bagdad, wo sie mit dem stärksten Widerstand konfrontiert sind, machten sie die Teilnahme am Refendum schlicht unmöglich. Die massiven militärischen Offensiven der US-Truppen hatte die Bewohner vieler Städte zur Flucht gezwungen, andere, wie z.B. in der  Provinzhauptstadt Ramadi, konnten auf Grund der Kampfhandlungen am Wahltag nicht aus dem Haus. [16] Über 200.000 Flüchtlinge waren in den Wochen vorher bereits in der Wüste gestrandet, weitgehend abgeschnitten von der Welt.[17]

Ähnlich wie bei den verheerenden Angriffen vor den Wahlen im Januar auf Falluja rechtfertigten die USA die militärische Eskalation damit, „eine Atmosphäre der Sicherheit“ für das Referendum schaffen zu wollen. [18] Tatsächlich verhinderten sie, wie damals in Falluja, die Stimmabgabe der Bewohner der betroffenen Städte.

Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass sie in vielen Städten, wie Haditha, Hit, Rawa, Qaim, Ana, Baghdadi keine Wahllokale gefunden hätten. [19] Insgesamt blieb ein Drittel der Wahllokale geschlossen. Die Wahlbeteiligung in al-Anbar lag daher am Ende nur bei 38%.

 

Auch wenn der Übereifer der „Wahlhelfer“ die Besatzungsmacht und ihre Wahlkommission in ernste Erklärungsnöte brachten, blieb dies am Ende folgenlos. Zu ihrem Glück bohrten auch diesmal die westlichen Medien nicht nach. In Ländern, deren Regime sie weniger wohlwollend gegenüberstehen, wären Zustimmungsquoten von über 95% wohl kaum akzeptiert worden. Hier wurden sie mit dem Hinweis, dass es sich um rein schiitische bzw. kurdische Provinzen handele akzeptiert, als hätte es sich bei der Abstimmung um eine Volkszählung gehandelt. Sicherlich hatten hier die Aufrufe der religiösen Führer ihre Wirkung gehabt. Doch gab es auch unter den Schiiten starke Kräfte, die die Verfassung ablehnten, wie u.a. die großen Demonstrationen Ende August in den schiitischen Städten Kufa, Najaf, Nasiriyah, Amarah, Basra und dem riesigen Stadtteil Sadr City von Bagdad zeigten und zudem sind bei weitem nicht alle Schiiten religiös.

 

Es ist daher nicht überraschend, dass auch aus dem Süden Betrug gemeldet wird, sind doch auch dort Teile des Landes unter Kontrolle von Milizen der Regierungspartien, hier insbesondere der Badr-Brigaden des SCIRI. Anhänger Muktada al-Sadr sind jedenfalls überzeugt, dass die Zustimmung zur Verfassung bedeutend geringer ausgefallen sein müsste. [20]

 

Selbst Kurden stehen natürlich nicht zu fast 100% hinter der Politik von PUK, KDP und der USA. Hier wächst der Unmut nicht zuletzt deswegen, weil in der KAR bereits massiv die Folgen der neoliberalen Wirtschaftsmaßnahmen zu spüren sind. Andere Kurden, wie Rebaz Mahmood, ein Journalist aus Sulaimaniyya, haben explizit gegen die Verfassung gestimmt, weil sie in Fragen kurdischer Selbständigkeit nicht weit genug geht oder zu widersprüchlich ist.[21] Die tatsächliche Zahl der Nein-Stimmen dürfte daher deutlich über der offiziell ausgewiesenen Promille-Grenze gelegen haben.

 

Salih al-Mutlaq, rief im Namen seiner Organisation, des Irakischen Rats für nationalen Dialog, dazu auf, das Referendum in den umstrittenen Provinzen unter internationaler und irakischer richterlicher Kontrolle zu wiederholen. Sie seien überzeugt, dass die Ergebnisse in Mossul, Diyala und den meisten südlichen Gouvernaten gefälscht worden waren.[22]

Viele andere irakische Organisationen und Persönlichkeiten äußerten ähnliche Forderungen. Auf Unterstützung internationaler Institutionen brauchen die Iraker allerdings auch in diesem Fall nicht zu hoffen. Die Wahlkommission gab bei der Präsentation des amtlichen Endergebnisses am 25.10. an, dass nur 135 Beschwerden eingegangen seien, und bei diesen würde es sich nur um Beschwerden über logistische Probleme, wie Wahllokale in zu entlegenen Gegenden, handeln. Die als Zeugin fungierende Leiterin des UN-Wahlunterstützungsteams, Carina Perelli, widersprach nicht. Ein weiteres Mal macht sich die UNO zur schweigenden Komplizin der Besatzungsmacht im Irak.

Als Kofi Annan zwei Wochen später bei seinem ersten Besuch im Irak seit der US-Invasion zur Versöhnung aufruft, konnten das die Gegner der Besatzung nur als Aufruf verstehen, sich endlich in ihr Schicksal zu fügen und das US-amerikanische Regime anzuerkennen – und vor den Betrügereien der kommenden Wahlen die Augen zu schließen.



[1]Constitution approved, says Iraq panel“, Aljazeera, Tuesday 25 October 2005

[2] Nach den Regeln der irakischen Wahlkommission ist ein Wahllokal für max. 500 Wähler zuständig (siehe International Mission for Iraqi Elections (IMIE): „Final Report: Assessment of the January 30, 2005, Election Process“, http://www.imie.ca/rep_Jan30.html

[3] Independent Electoral Commission of Iraq, Results for 6 Governorates, Kurdistan Assembly and Transitoinal National Assembly 13.2.05

[4] Gareth Porter, „Vote Figures for Crucial Province Don't Add Up“, IPS, 19.10.2005

[5]IRAQ: Focus on increasing displacement in Kirkuk“, IRIN, 3.5.2005

[6] Dilip Hiro, “The Sarajevo of Iraq”, Znet/TomDispatch; 22.7.2004

[7]Ballot Botch – The Iraqi referendum could have been much less vulnerable to allegations of fraud“, The American Prospect, 19.10.2005
Die Wahlkommission gab an, dass sich 500 internationale Beobachter hätten registrieren lassen, 200 weniger als im Januar (
http://www.ieciraq.org) . Die meisten damals hatten allerdings die Wahlen von Amman aus „beobachtet“. Beim Referendum sollten sie an ausgewählten Stellen eingesetzt werden, dort wo Sicherheit und Stabilität gewährleistet sei, so Adil al-Lami, der Leiter der Wahlkommission (in einem Interview mit Radio Free Europe/Radio Liberty am 7.10.05)  Gehört hat man bisher nichts von ihnen.

[8] „Die Leute wissen doch gar nicht, worum es geht“, Interview mit der Rechtsanwältin Hanaa Edward, Bagdad, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/edwar.html, sowie „In Iraqi Swing City, Hope vs. Defiance“, Washington Post, 14.10.2005

[9] Seymour M. Hersh, „Get out the vote – Did Washington try to manipulate Iraq’s election?“, The New Yorker, 25.7.2005

[10]Kurdish Ballot Rigging Row - Parties in Iraqi Kurdistan accuse each other of election fraud“, Institute for War & Peace Reporting, 31.05.2005

[11] IMIE, Final Report ..., a.a.O.

[12] Canada to lead chorus of support for sham election in Iraq“, WSWS, 17.1.2005
Beteiligt sind Großbritannien, Australien, Albanien und Rumänien aus der „Koalition der Willigen“, sowie Bangladesch, Kanada, Panama, Indonesien, Mexiko und Jemen (http://www.imie.ca/media3.html )

[13] IMIE, Final Report ..., a.a.O

[14]Iraqi constitution yes vote approved by UN“, The Guardian, 26.10.2005

[15] Gareth Porter, "Witnesses Describe Ballot Fraud in Nineveh", IPS, 4.11.2005

[16] „«Made in USA und Iran»: Unmut bei Referendum“, dpa, 16.10.2005

[17] Dahr Jamail, „Wähler im Krieg gefangen”, ZNet 17.09.2005, Azzaman, 24.9. 2005

[18] „Neue US-Offensive im Irak“, Wiener Zeitung, 5.10.2005

[19]Few polling sites in western Iraq, activists claim“, Australian Broadcasting Corporation, 15.10.2005

[20] „Iraqis approve new constitution in a split vote“, Knight Ridder Newspapers, 25.10.2005

[21] Rebaz Mahmood, „Flawed Charter Beyond Repair“, Institute for War & Peace Reporting IWPR, 28.10.2005

[22]Constitution approved, says Iraq panel“, Aljazeera, 25.10.2005