Erschreckende Schieflage in der Berichterstattung über den Irak
Leserbrief an die Frankfurter Rundschau

Ihre Berichterstattung über den Irak in den letzten Tagen weist eine Schieflage auf, die mich erschreckt. Während allein in Falludscha durch die Angriffe der US-Truppen mindestens 600 Iraker getötet,  darunter 160 Frauen und 141 Kinder sowie über 1200 verletzt wurden, konzentrieren sich alle Berichte auf die gefangengenommenen (aber noch lebenden) Ausländer und zwei getötete BGS-Beamten.
Andrea Nüsse versuchte die gemeldeten Opferzahlen in ihrem Artikel Falludscha und Dschenin im gleichen Atemzug herunterzuspielen in dem sie generell alles, was von arabischer Seite kommt - sei es in Palästina, sei es in Falludscha - in den Bereich der Mythen verweist. Die Statistiken der Opferzahlen in Falludscha stammen von den Kliniken dort, für Andrea Nüsse sind sie unbestätigt. Wer soll sie ihr bestätigen? Etwa die Besatzungstruppen, die sich seit ihrem Einmarsch weigern, die Opfer ihrer Angriffe zu zählen?
Bestätigt werden die Statistiken von den fürchterlichen Bildern und Filmberichten aus der belagerten Stadt, die auch westlichen Journalisten kaum entgangen sein können. Bilder von den Leichen auf den Straßen und vom Fußballfeld, das zum Not-Friedhof wurde. Bilder von getöteten Kindern und von Kindern denen Gliedmaßen abgerissen wurden und die sich, die Wunden nur notdürftig versorgt, im Schmerz wälzen und nach ihren Eltern schreien. Und niemand traut sich zu sagen, dass es ihre Eltern nicht mehr gibt, da sie in Stücke zerrissen wurden.

Mit allen Mitteln, so scheint es, soll auch weiterhin das Bild der USA als Ordnungsmacht aufrechterhalten werden, die sich einer ausufernden Gewalt entgegenstellt. Falludscha wird zur Hochburg von Saddam-Anhänger erklärt, obwohl jeder wissen könnte, dass die konservative sunnitische Stadt stets weit davon entfernt war. Zur Hochburg des Widerstands wurde sie als am 28. April US-Truppen das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffneten und 15 tötete. Weitere folgten. Mindestens sieben Zivilisten wurden vor zwei Wochen bei einer Razzia massakriert. Einwohner bezeichneten dies als den Grund für die Tötung der vier US-Söldner und das erschreckende Schauspiel, das dann folgte.

Pierre Simonitsch befürchtet, dass die Besatzungstruppen lange über den 30. Juni hinaus in Irak gebunden sein werden, um das Schlimmste zu verhindern. Das Schlimmste für wen? Für die meisten Iraker ist in jeder Hinsicht die Besatzung das Schlimmste und müssen die Besatzungstruppen raus. Es kann doch kaum jemand ernsthaft weiter daran glauben, dass sich die Iraker der Herrschaft der USA unterordnen werden, unabhängig davon, wie sie sich in Zukunft tarnt.

Robert Fisk, der Nahostkorrespondent des britischen Independent und einer der besten Kenner des Iraks, hat die häufig geäußerte Warnungen vor einem Bürgerkrieg bei Abzug der fremden Truppen schon lange als pure Propaganda entlarvt. Die demonstrative Zusammenarbeit schiitischer und sunnitischer Kräfte in den letzten Tagen hat ihn eindrucksvoll bestätigt.

Joachim Guilliard,
Heidelberg, 14.04.2004