MONITOR Nr. 477 am 05.07.2001  
  Mazedonien: Das Versagen der deutschen Politik

Bericht:  Jo Angerer, Beate Philipp, Gregor Popp, Mathias Werth
 
 

Volker Happe: "Bundesliga letzter Spieltag und in der letzten Minute ein Volltreffer: die Meisterschaft ist entschieden. Die Tore und den Jubel aber sollen alle Fernsehzuschauer demnächst erst Stunden später zu sehen bekommen. Guten Abend, meine Damen und Herren, willkommen bei MONITOR. Mit Leo Kirchs Foul an den Fußballfans, das eine rote Karte verdient hat, werden wir uns im Verlauf der Sendung noch beschäftigen.

Doch zunächst zu einem anderen Thema, dem Streit der Politiker um den geplanten Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien. Nach Bosnien und dem Kosovo steht die Bundeswehr jetzt vor ihrem dritten komplizierten Auslandseinsatz. Offiziell geht es dabei um die Entwaffnung von albanischen UCK-Kämpfern, die man neuerdings gerne als 'Terroristen' bezeichnet. Doch eines ist heute schon klar: Freiwillig wird die UCK ihre Waffen nicht herausrücken. Schließlich sehen sie sich selbst als Verbündete der NATO auf dem Balkan und wurden darin gerade durch das Verhalten der Deutschen immer wieder bestärkt, wie Jo Angerer, Beate Philipp und Mathias Werth herausfanden."

Mazedonien, ein Land im Kriegszustand. Von albanischen UCK-Kämpfern werden immer wieder Dörfer in der Grenzregion zum Kosovo überfallen, auch unter den Augen der deutschen KFOR-Soldaten. Tausende Menschen sind auf der Flucht.

Das Dorf Aracinovo, nördlich der Hauptstadt Skopje, vor wenigen Tagen. In klimatisierten Bussen ziehen 400 Albaner der 113. UCK-Brigade ab - mit ihren Waffen und unter Geleitschutz amerikanischer KFOR-Soldaten. Diese Vorzugsbehandlung hat Gründe: Schließlich verfügt die UCK-Brigade über eine moderne amerikanische Ausrüstung. Ihre Ausbilder, 17 ehemalige US-Offiziere, verlassen mit den UCK-Kämpfern den Ort, wo sie sich wochenlang verschanzt hatten. 

Für amerikanische und deutsche Politiker war die UCK eine Art Hilfstruppe der NATO im Kosovo-Krieg. Jetzt rächt sich diese Politik, jetzt führt die gleiche UCK Krieg gegen den NATO-Partner Mazedonien.

Der Balkan-Experte Wolf Oschlies ist Professor bei der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik", einer Forschungseinrichtung, finanziert vom Bundeskanzleramt.

Professor Wolf Oschlies, Stiftung WissenschaftProfessor Wolf Oschlies, Stiftung Wissenschaft: "Mit Mazedonien geschieht etwas, was es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hat, nämlich ein souveränes, demokratisches Land sieht sich einer Aggression vom Territorium eines internationalen Protektorats aus ausgesetzt. Das ist die Lage, dem ist nichts hinzu zu fügen. Und das ist eine gewaltige Rüge an die internationale Gemeinschaft, deren Teil ja auch Deutschland ist."
UCK-Kämpfer in Mazedonien. Früher nannte man sie "Freiheitskämpfer", heute "Terroristen", denn - so glaubt man in den USA inzwischen - diesen schwer bewaffneten Banden gehe es nicht um den Schutz albanischer Minderheiten auf dem Balkan, sondern schlicht um Geld: Profit aus dem Drogen- und Waffenschmuggel. Und hier werden die Nachschubwege gesichert.

Auch deshalb hat US-Präsident George Bush am 27. Juni diese so genannte "Executive Order" erlassen, über das "Einfrieren des Vermögens von Personen, die die Friedensbemühungen auf dem Balkan gefährden."

Jede finanzielle Unterstützung für die hier aufgeführten Organisationen steht in den USA ab sofort unter Strafe. Mit auf der Liste: die UCK und ihr Ableger UCPMB.

In den USA inzwischen verboten, in Deutschland nach wie vor Alltag. Spendensammeln für die UCK. Das Zentrum für die albanischen Muslime in Düsseldorf. Das unscheinbare Haus im Hinterhof gilt als eine der Spendenzentralen der UCK in Deutschland. Hier werde fleißig, wenn auch heimlich, gesammelt: Geld für den Krieg der UCK.

Reporterin: "Haben Sie Spenden gesammelt?"

Albaner: "Ja, auch. Es gibt auch andere Leute, die spenden und wir geben also das Geld."

Reporterin: "Machen das denn viele hier?"

Albaner: "Ja, machen. Doch, geben viele, ja."

Anderer Befragter, Albaner: "Überall werden Spenden gesammelt, aber die Leute, die das machen, die werden nie von jemandem so gesehen."

Nachfrage beim Bundesinnenministerium in Berlin. Spendensammeln für die UCK, sagte man uns hier, sei in Deutschland nach wie vor legal.

Deutlich präziser und auskunftsfreudiger ist das nordrhein-westfälische Innenministerium. Auf Anfrage von MONITOR erklärte man hier: 

"Seit sich die Spannungen in Mazedonien, Südserbien oder dem Kosovo weiter zugespitzt haben, sind ein größeres Spendenaufkommen und stärkere einschlägige Aktivitäten der in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner festzustellen."

Professor Wolf Oschlies, Stiftung Wissenschaft und PolitikProfessor Wolf Oschlies, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Alles, was hier eingesammelt wurde an Geld, hat etwa ein Drittel des Finanzbedarfs der UCK ausgemacht. Die restlichen zwei Drittel kamen von der Verquickung dieser UCK mit dem weltweit organisierten Verbrechen, ganz konkret mit der Beteiligung am organisierten Handel mit Drogen, Waffen und Menschen."

Deutsche KFOR-Soldaten im Grenzgebiet des Kosovo zu Mazedonien. Die Region ist das Rückzugsgebiet der UCK-Kämpfer: Hier sind ihre Ausbildungs- und Waffenlager, von hier aus läuft der Nachschub nach Mazedonien. Dies zu überwachen sei schlicht unmöglich, sagt die KFOR, man kenne nicht alle Übergänge.

Dabei hatte das mazedonische Verteidigungsministerium bereits im April dieses Jahres diese Liste für die deutsche und die amerikanische KFOR-Truppe erstellt, mit den illegalen Grenzübergängen aus dem Kosovo, die von der UCK benutzt werden.

Diese Liste ist brisant. Sie enthält nämlich die genauen Koordinaten der UCK-Schleichwege vom Kosovo nach Mazedonien. Dringender Handlungsbedarf also für die deutschen KFOR-Soldaten: Sie könnten illegale Grenzübertritte von UCK-Kämpfern und damit Terroranschläge verhindern.

Auf Anfrage teilte das deutsche Verteidigungsministerium mit, es kenne diese Liste nicht, habe sie auch nie erhalten. Doch der mazedonische Verteidigungsminister bestätigt gegenüber MONITOR die Übergabe dieser Liste.

Vlado Buckovski, Verteidigungsminister MazedonienVlado Buckovski, Verteidigungsminister Mazedonien: "Wir haben der NATO vertraulich mitgeteilt, welches die kritischen Stellen an der Grenze sind, die Terroristen für ihre illegale Grenzübertritte benutzen. Aber diese Unterlagen sind in die Hände der Terroristen gekommen; wir haben allerdings keine Hinweise wie. Es gibt jetzt eine Menge Spekulationen darüber, wie dieses vertrauliche Dokument, das ausschließlich für die NATO bestimmt war, in die falschen Hände geraten konnte."

Illegale Grenzübertritte von UCK-Kämpfern mit Duldung der Bundeswehr? Dies wäre tatsächlich ein peinlicher Vorgang für einen deutschen Verteidigungsminister, der demnächst womöglich Bundeswehrsoldaten zur Entwaffnung eben dieser UCK-Kämpfer nach Mazedonien schicken will.
 


Volker Happe: "Heute haben die UCK und die mazedonische Regierung einen Waffenstillstand vereinbart. Er tritt um 24.00 Uhr in Kraft. Mal sehen, wie lange der Waffenstillstand diesmal hält."

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