junge Welt vom 28.11.2003
 
Titel

Amtlicher Landraub

Scharon-Regierung will im Westjordanland weiter mauern und Siedlungen legalisieren

Rüdiger Göbel
 
Die israelische Regierung hält an der Errichtung illegaler Siedlungen und am Bau der gigantischen Trennmauer in den besetzten palästinensischen Gebieten fest – aller internationalen Kritik zum Trotz. Vier Tage vor der Unterzeichnung eines »Privatfriedens« zwischen Israelis und Palästinensern in Genf bekräftigte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon am Donnerstag in Tel Aviv, die Errichtung des Sperrwalls im Westjordanland voranzutreiben. Scheinbar moderat auftretend, erklärte der Premier zudem, ein Teilrückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten sei unausweichlich – was aber wiederum nichts anderes heißt, als daß die israelische Regierung beabsichtigt, mit der völkerrechtswidrigen Landnahme fortzufahren und schrittweise das israelische Staatsgebiet zu vergrößern. Direkter als Scharon formulierte dies der stellvertretende Verteidigungsminister Seev Boim. Im israelischen Militärrundfunk kündigte er die anstehende »Legalisierung« illegal errichteter Siedlungsposten und eine Ausweitung bestehender Siedlungen im Westjordanland an – ein klarer Verstoß gegen die »Roadmap«, jenen von Israel offiziell mitgetragenen Friedensplan.

Details über die in Aussicht gestellten Gebietsräumungen – und indirekt formulierten territorialen Ansprüche – wollte Scharon nicht nennen. »Es werden wichtige Schritte sein«, sagte er. »Was immer illegal ist, wird beseitigt, was notwendig ist, wird bleiben.« Es sei klar, so Scharon weiter, »daß wir letztlich nicht mehr überall dort sein werden, wo wir jetzt sind«. Über die Sperranlage sagte der Regierungschef: »Wir beschleunigen den Zaunbau und werden ihn nicht stoppen, weil er für die Sicherheit des Staates von essentieller Bedeutung ist.«

Boim bekräftigte die Vergrößerung des israelischen Staatsgebietes direkt. »In den vergangenen drei Jahren wurden illegale Außenposten errichtet; das ist kein Geheimnis. Einige davon sind jetzt Dörfer, deren Legalisierungsprozeß vor dem Abschluß steht.« Von der israelischen Regierung unterstützt, hätten Siedler seit 1998 Außenposten auf Hügeln im Westjordanland errichtet, »um Tatsachen zu schaffen«. Unverhohlen kündigte Boim weiteren Landraub an: Israel werde auch gegen amerikanischen Druck die Erweiterung von Siedlungen zulassen. Der Bau neuer Häuser im »natürlichen Wachstum« bestehender Siedlungen müsse möglich bleiben. Wenn eine Siedlung wie Negohot bei Hebron etwa ein neues öffentliches Gebäude brauche, müsse sie sich das Land dafür nehmen. Einzig nicht als legalisierbar eingestufte Außenposten würden beseitigt, erklärte Boim.

Der palästinensische Kabinettsminister Sajeb Erakat forderte Israel am Donnerstag auf, umgehend jegliche Siedlungsaktivitäten einzustellen, wie es die »Roadmap« vorschreibe. Der von den USA, der EU, Rußland und der UNO initiierte Nahost-Friedensplan sieht die Gründung eines palästinensischen Staates bis 2005 vor. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, daß Israel die Siedler-Außenposten räumt und jüdische Siedlungen im Westjordanland und Gazastreifen nicht mehr ausweitet. »Die Israelis müssen zwischen Siedlungen und Frieden wählen, und ich hoffe, sie entscheiden sich für Frieden«, sagte Erakat.

Ungewöhnlich scharf kritisierte Scharon gestern die alternative Friedensinitiative für den Nahen Osten, die am 1. Dezember in Genf feierlich unterzeichnet werden soll. Der vom früheren israelischen Justizminister Jossi Beilin und dem ehemaligen palästinensischen Informationsminister Yassir Abed Rabbo ausgearbeitete Plan »schadet und blamiert« Israel, meinte der rechte Premier. Die Genfer Initiative gefährde die Umsetzung des offiziellen Friedensplans, der sogenannten Roadmap.

Wohl um dies zu untermauern, schickte der Premier am Donnerstag seinen Sohn Omri Scharon zu vertraulichen Gesprächen mit hochrangigen Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde nach London. An dem zweitägigen »Seminar« nehmen neben Scharon und dem palästinensischen Sicherheitsberater Dschibril Radschub der israelische Militärkoordinator für die besetzten Gebiete, General Amos Gilad, sowie der Jerusalem-Minister der Palästinenserbehörde, Siad Abu Siad, teil.

Demgegenüber begrüßte US-Außenminister Colin Powell die »Genfer Friedensinitiative« zur Beilegung des Israel-Palästina-Konflikts ausdrücklich. In einem Schreiben an Rabbo und Beilin habe er die Vereinbarung »gelobt«, sagte Powell in der gestern erschienenen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit. Die Initiative fordert von Israel die Räumung der besetzten Gebiete und von den Palästinensern den Verzicht auf ein umfassendes Rückkehrrecht.

Mit einem bundesweiten Aktionstag am morgigen Samstag reihen sich hiesige Friedensgruppen in die internationale Kampagne gegen den Sperrwall und die israelische Besatzungspolitik ein. In Berlin soll auf dem Wittenbergplatz am Nachmittag eine symbolisch errichtete Mauer niedergerissen werden. Kundgebungen gibt es unter anderem in Duisburg, Bonn, Nürnberg, Heidelberg und Hamburg. Die UNO hat den 29. November zum Tag der internationalen Solidarität mit dem palästinensischen Volk erklärt.

 
-----------------------
Adresse: http://www.jungewelt.de/2003/11-28/001.php
 
© http://www.jungewelt.de