Die üble Mauer oder der «schleichende Transfer»

Die Mauer zwischen Israel und Palästina wird den Weg in eine Zukunft des Friedens blockieren

von Uri Avnery, Israel

Zeit-Fragen Nr. 17 vom 12. 5. 2003

Dieser üble Wall ist nicht nur ein Instrument, um Palästinenser zu enteignen, nicht nur ein Terrorinstrument, als Verteidigung gegen Terrorismus getarnt, nicht nur ein Instrument der Siedler, als Sicherheitsmassnahme vorgetäuscht. Er ist vor allem ein Hindernis für Israel, ein Wall, der unseren Weg in eine Zukunft des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands blockiert.

Den Bruchteil einer Sekunde lang war ich von panischer Angst erfüllt. Das schreckliche Monster, das auf mich zukam, war kaum mehr als fünf Meter von mir entfernt und bewegte sich auf mich zu, als ob ich nicht da wäre. Der riesige Bulldozer schob einen grossen Haufen Erde und Geröll vor sich her. Der Fahrer, zwei Meter über mir, schien ein Teil dieser Maschine zu sein. Es war klar, nichts würde ihn aufhalten. Ich sprang im letzten Augenblick zur Seite.

Vor ein paar Wochen war die amerikanische Friedensaktivistin Rachel Corrie in einer ähnlichen Situation; sie erwartete, dass der Fahrer anhält. Er tat es nicht, und sie wurde zu Tode zermalmt.

Bei dieser Gelegenheit kam ich nicht zum Demonstrieren (wir werden dies heute tun), sondern um mich umzusehen. Im Olivenhain, ein paar Meter entfernt von den Zelten, die von den Dorfbewohnern von Mas'ha zusammen mit israelischen und internationalen Friedensaktivisten aufgebaut waren, bereiteten drei Ungeheuer den Boden für die «Trennungsmauer» vor. Staubwolken wirbelten auf und ohrenbetäubender Lärm umgab uns, so dass wir kaum miteinander reden konnten. Sie arbeiteten jeden Tag, sogar über Pessach, zwölf Stunden am Tag ohne Unterbrechung.

Die ganze israelische Öffentlichkeit ist für die «Trennungsmauer». Sie weiss gar nicht, was sie da unterstützt. Man muss an Ort und Stelle kommen, um all die Folgen dieses Projektes zu verstehen.

Zunächst muss unzweideutig gesagt werden: Diese Mauer hat nichts mit Sicherheit zu tun. Sie wird der israelischen Öffentlichkeit als «Sicherheitszaun» verkauft. Die Armee nennt es ein «Hindernis». Die Öffentlichkeit, die sich natürlich nach Sicherheit sehnt, nimmt dies für bare Münze. Endlich wird etwas getan!

Und tatsächlich sieht die Sache ganz einfach aus. Selbst die einfachste Person kann dies begreifen. Es sieht fast selbstverständlich aus: Ein Palästinenser, der sich in Israel in die Luft jagen will, muss zuerst die 1967er Grenze, die sogenannte «Grüne Linie», überqueren. Wenn eine Mauer oder ein Zaun entlang der Grünen Linie gebaut wird, wird der Terrorist nicht in der Lage sein, zu kommen. Keine Angriffe mehr, keine Selbstmordattentäter.

Aber die Logik sagt, wenn dies wirklich ein Sicherheitswall sein soll, dann wäre er direkt entlang der Grünen Linie gebaut worden. Alle Israeli (ausser den Siedlern) würden dann auf der einen Seite (der westlichen) sein und alle Palästinenser auf der anderen. Die Linie sollte so gerade wie möglich und so kurz wie möglich sein; denn sie muss inspiziert, patrouilliert und verteidigt werden. Je kürzer sie ist, desto einfacher und billiger wird sie zu verteidigen sein. Das wäre die Logik der Sicherheit.

Aber in Wirklichkeit ist der Wall, von kleinen Abschnitten abgesehen, nicht auf der Grünen Linie gebaut, auch nicht in gerader Linie. Im Gegenteil, er mäandriert wie ein Fluss, dreht und windet sich, nähert sich der Grünen Linie und entfernt sich von ihr.

Das ist kein Zufall. Das Flussbett wird von der Natur diktiert. Das Wasser gehorcht den Gesetzen der Schwerkraft. Aber der Plan für den Wall berücksichtigt die Natur nicht. Die Bulldozer sind der Natur gegenüber gleichgültig; unbarmherzig durchschneiden sie sie. Was bestimmt diesen Plan?

Wenn man neben dem Wall steht, wird die Antwort deutlich sichtbar. Die einzige Erwägung, die seinen Verlauf bestimmt, sind die Siedlungen. Der Wall windet sich wie eine Schlange nach einem einfachen Prinzip: Die meisten Siedlungen müssen auf der westlichen Seite des Walles liegen, um eines Tages Israel angeschlossen zu werden.

Als ich auf einem Hügel stand, der vom Wall überquert werden soll, und in westliche Richtung sah, erblickte ich unten Elkana, eine grosse jüdische Siedlung. Auf der östlichen Seite - nur ein paar Dutzend Meter entfernt - liegt das palästinensische Dorf Mas'ha. Das Dorf selbst steht auf der östlichen Seite, aber fast all seine Ländereien liegen auf der westlichen Seite. Der Wall wird das Dorf also von 98 Prozent seines Landes abschneiden, von Olivenhainen und Feldern, die sich bis zur Grünen Linie - etwa 7 km - bis nahe Kafr Kassem erstrecken.

Mas'ha ist ein grosses Dorf wie das Nachbardorf Bidia, wo Tausende von Israeli an jedem Samstag zum Einkaufen kamen. Auch Mas'ha war einst ein blühendes Dorf. Es hat eine grosse Industriezone, die nun vollkommen verlassen ist.

Man kann das Dorf nur zu Fuss auf einem steilen Pfad erreichen. Zu Beginn der Intifada blockierte die israelische Armee die Hauptstrasse mit zwei Haufen Erde und Felsen. Kein Fahrzeug kann passieren.

«Zuerst zerstörten sie unseren Lebensunterhalt,» sagt Anwar Amar, der Dorfälteste, bitter. «Jetzt kommen sie wieder und nehmen uns unser Land.»

Tatsächlich schwebt der faule Geruch des «Transfers» über dem Wall. Seine Lage lässt ganze palästinensische Dörfer auf der westlichen Seite - gefangen zwischen dem Wall und der Grünen Linie. Die Bewohner können sich nicht bewegen, um Lebensunterhalt zu finden, und können kaum noch atmen. Andere Dörfer, wie Mas'ha, werden auf der östlichen Seite des Walles bleiben, aber ihr Land, von dem sie lebten, wird auf der westlichen Seite sein. Es gibt Orte, wie die Stadt Kalkilia, die fast vollständig von einer Wallschlinge umgeben wird, die nur eine kleine Öffnung zur Westbank hin offenlässt. Eine der Absichten des Walles ist zweifellos, das Leben der Einwohner zur Hölle zu machen, um sie nach und nach dahin zu bringen wegzugehen. Es ist eine Art «schleichender Transfer».

Wie der schreckliche Bulldozer, der Erde und Felsen vor sich herschiebt, so schiebt die Besatzung die palästinensische Bevölkerung immer weiter nach Osten, also hinaus.

Historiker können dies als einen kontinuierlichen Prozess erkennen, der vor 120 Jahren begann und der nicht einen Augenblick aufgehört hat. Es begann mit der Vertreibung der Fellachen vom Land, das von abwesenden Landbesitzern verkauft wurde, und setzte sich in der Nakba 1948 fort; die massive Landenteignung der Araber in Israel nach dem Krieg; die Vertreibungen während des 1967er Krieges; die schleichende Räumung durch den Siedlungs- und Umgehungsstrassenbau während der Besatzungsjahre und nun die Vertreibung durch den Wall. Die hebräischen Bulldozer rollen vorwärts. Es ist kein Zufall, dass Ariel Sharon den Spitznamen «Der Bulldozer» hat.

Der Wall von Mas'ha und Kalkilia, der sich bis in die Gilboa-Berge fortsetzt, ist nicht der einzige. Östlich davon ist schon ein zweiter in Planung. Er wird Ariel und die Kadumim-Siedlungen umgeben und 20 km in das palästinensische Land vordringen und damit fast die Mittelachse der Westbank, die Ramallah-Nablus-Strasse, erreichen.

Selbst dies ist jedoch noch nicht das ganze Bild. Sharon plant den «Östlichen Wall», der die Westbank vom Jordantal abschneidet. Wenn dies vollendet ist, wird die ganze Westbank zu einer Insel werden, die nur von israelischem Land umgeben ist, von allen Seiten abgeschnitten. Auch die südliche Westbank (Hebron und Bethlehem) wird von der nördlichen Westbank (Ramallah, Nablus, Jenin), die auch in verschiedene Enklaven aufgeteilt wird, abgeschnitten.

Diese Karte erinnert sehr an die Karte von Südafrika zur Apartheidszeit. Die rassistische Regierung schuf mehrere schwarze «Homelands», auch «Bantustans» genannt, angeblich selbstverwaltete Gebiete, deren schwarze Führer von der weissen Regierung bestimmt wurden. Jedes Bantustan war vollkommen vom Gebiet des rassistischen Staates umgeben, abgeschnitten vom Rest der Welt.

Genau dies ist es, was Sharon im Sinn hat, wenn er über einen «palästinensischen Staat» spricht. Er wird aus mehreren Enklaven bestehen, umgeben vom israelischen Gebiet, ohne eine Aussengrenze mit Jordanien oder Ägypten. Sharon hat daran seit Jahrzehnten gearbeitet, Dutzende von Siedlungen gemäss dieser Karte errichtet.

Der Wall wird diesem Zweck dienen. Er hat nichts mit Sicherheit zu tun, er wird gewiss keinen Frieden bringen. Er wird nur noch mehr Hass und Blutvergiessen erzeugen. Die blosse Idee, dass ein Hindernis aus Zement oder Stacheldraht den Hass beenden wird, ist lächerlich.

Die Arbeit der Bulldozer geht weiter - vom frühen Morgen bis in den späten Abend. Sharon redet über den «Fahrplan» (Road Map) und schafft unterdessen neue Fakten auf dem Boden.

Aber dieser Wall hat noch eine tiefere Bedeutung. Es ist kein Zufall, dass er so ungeheuer populär in Israel ist, von Sharon bis Mitzna und Beilin: Er befriedigt eine innere Notwendigkeit.

In seinem Buch «Der Judenstaat», dem Gründungsdokument des Zionismus, schrieb Theodor Herzl (1896) folgende Sätze: «Für Europa würden wir dort (in Palästina) ein Stück des Walles gegen Asien bilden. Wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.»

Diese Idee, dass wir der Vorposten Europas sind und einen hohen Wall zwischen uns und asiatischer Barbarei - das heisst den Arabern - benötigen, ist so in die ursprüngliche Vision eingebettet. Vielleicht hat es sogar noch tiefere Wurzeln. Als die Juden begannen, in Ghettos zu wohnen - bevor dies von aussen bestimmt wurde -, umgaben sie sich mit einer Mauer, um sich von der feindlichen Umwelt abzuschotten. Mauer und Trennung - als Garantie für Sicherheit - sind tief in das jüdisch kollektive Unterbewusstsein eingeprägt.

Aber wir als neue hebräische Gesellschaft in diesem Land wollen nicht in einem neuen jüdischen Ghetto leben. Wir suchen nicht Trennung, sondern das Gegenteil - Offenheit gegenüber der Region. Nicht «eine Villa im Dschungel», wie Ehud Barak es nannte, nicht einen europäischen Vorposten gegen asiatische Barbarei, wie Herzl es gesehen hat, sondern eine offene Gesellschaft, die in Frieden lebt und in Partnerschaft mit den Nationen der Region gedeiht.

Dieser üble Wall ist nicht nur ein Instrument, um Palästinenser zu enteignen, nicht nur ein Terrorinstrument, als Verteidigung gegen Terrorismus getarnt, nicht nur ein Instrument der Siedler, als Sicherheitsmassnahme vorgetäuscht. Es ist vor allem ein Hindernis für Israel, ein Wall, der unseren Weg in eine Zukunft des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands blockiert.

Quelle: www.zmag.de

(Übersetzung: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)


«Hinter der Mauer»

Menschenrechtsverletzungen durch Israels Trennungsmauer

von Rebecca Weiss, Schweiz

Das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten, Btselem, veröffentlichte im April 2003 einen 40seitigen detaillierten Bericht über Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern als Folge der israelischen Trennungsmauer. Anfang Mai ist auch ein umfangreicher internationaler Report der Uno und anderer Geldgeberländer über die Auswirkungen der West-Bank-Mauer auf die Palästinenser erschienen. Beide Untersuchungen stellten gravierende Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern fest.

Der erste Abschnitt der Trennungsmauer zwischen Israel und der West Bank, deren Errichtung Israel 2002 begonnen hatte, um Terror-Attacken von gewalttätigen palästinensischen Gruppen zu verhindern, wird bis Juli 2003 fertiggebaut sein. Dieser Teil der Mauer ist 145 Kilometer lang und schlängelt sich in Mäandern innerhalb der West Bank ungefähr dem Verlauf der «Grünen Linie» - der Grenze von 1967 - entlang. Dadurch werden die Menschenrechte von mehr als 210000 Palästinensern verletzt, die in 67 Dörfern und Städten leben. Der Internationale Report empfiehlt deshalb, dass die Donatoren den Mauerbau sowie seine Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung eng überwachen sollten und dass Geldgeber betroffene Gemeinden und Haushalte unterstützen sollten.

Btselem hält fest:

Der Internationale Report stellt fest, dass die Mauer innerhalb der Westbank oft bis zu sechs Kilometer von der israelischen Grenze entfernt verläuft. Diese Menschen werden dann zwischen Israel und der Mauer eingeschlossen sein und von ihrem Land, ihrem Arbeitsplatz und der wesentlichen sozialen Infrastruktur, wie zum Beispiel Spitälern, abgeschnitten sein. Um das Land für die Mauer zu bekommen, konfisziert Israel mit Hilfe militärischer Order privates palästinensisches Eigentum. Alle Beschwerden von Landeigentümern an ein israelisches Militärgericht und dann an den Israelischen Hohen Gerichtshof sind abgewiesen worden. Israel argumentiert, es sei nur eine vorläufige Massnahme, doch die Ausdehnung der Mauer, ihre Kosten und vor allem ihr Standort innerhalb der West Bank lassen die Palästinenser vermuten, dass das Projekt auf Dauer angelegt ist.

Die israelischen Behörden haben versprochen, dass Übergänge durch die Mauer geschaffen werden. Einwohner, die durch die Errichtung der Mauer betroffen sind, sollen mit einer «Spezialerlaubnis» auf die andere Seite gehen können. So wird die palästinensische Bevölkerung von Israels «Sicherheits»massnahmen abhängig sein. Vergangene Erfahrungen zeigen, dass Israel daraus den Vorteil zieht, die palästinensische Bevölkerung in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Sie zeigen auch, dass die Motive nicht unbedingt mit Israels Sicherheit zu tun haben. Man kann davon ausgehen, dass Israel diese Massnahmen fortführen wird, so dass die Tore die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser nicht verhindern werden. Tausende von Palästinensern werden schwer davon betroffen sein, da sie nur unter Schwierigkeiten ihre Felder erreichen und ihre Produkte in anderen Gebieten der Westbank verkaufen können. Das Land, das mit der ersten Phase der Mauer enteignet wird, ist eines der fruchtbarsten der ganzen West Bank! Die Landwirtschaft ist eine der Haupteinnahmenquellen der Gemeinden, die vom Mauerbau betroffen sind. Der Schaden im Landwirtschaftssektor wird drastische wirtschaftliche Folgen für die Einwohner haben und wiederum viele Familien in Armut stürzen.

Weiter wird durch den Mauerbau der Zugang der Landbevölkerung zu den Spitälern in Tulkarem, Kalkilia und Ostjerusalem, die von der West Bank getrennt werden, drastisch eingeschränkt. Auch das Erziehungssystem ist betroffen, wohnen doch viele Lehrer nicht in den Gemeinden, in denen sie unterrichten. Dies ist vor allem in den Dörfern der Fall.

Indem die israelischen Behörden sich für den Bau einer Trennungsmauer entschieden haben, um Anschläge auf Israel zu verhindern, haben sie die extremste Lösung des Problems gewählt. Es ist diejenige, die der palästinensischen Bevölkerung den grössten Schaden zufügt. Israel hat diese Lösung gegenüber anderen Möglichkeiten bevorzugt, die einen geringeren Schaden für die Palästinenser verursacht hätten. Dadurch hat Israel seine Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht gebrochen.

Obwohl die meisten Palästinenser, die Anschläge auf Israel verübt haben, das Land durch die Checkpoints entlang der «Grünen Linie» betraten und nicht durch das offene Gelände dazwischen eingedrungen sind, beschloss Israel, die Mauer zu bauen, bevor es die Probleme gelöst hat, die durch die Checkpoints entstanden sind. Das israelische Militär unternahm auch keine einzige nennenswerte Aktion, die die Palästinenser am Eindringen gehindert hätte. Es mass diesem Ziel keine grosse Priorität zu im Vergleich zu anderen Zielen, wie zum Beispiel Angriffe auf die palästinensischen Behörden durchzuführen oder die Siedlungen zu schützen.

Sogar wenn wir die israelische Behauptung akzeptieren, die Errichtung einer Trennungsmauer sei die einzige Möglichkeit, Anschläge zu verhindern, muss von Israel verlangt werden, dass es die Route auswählt, die die kleinstmöglichen Menschenrechtsverletzungen zu Folge haben. Die geplante Route ignoriert fast gänzlich dieses Prinzip und basiert auf illegitimen Erwägungen. Eine der wichtigsten Erwägungen der Regierung war, dass so viele israelische Siedlungen wie möglich westlich der Mauer zu liegen kommen, um ihre Annexion wahrscheinlicher zu machen. Die Behörden legten den Weg der Mauer auch so an, dass die politischen Probleme, die durch die Anerkennung der «Grünen Linie» als israelische Grenze entstehen würden, vermieden werden.

Unter dem Druck einiger israelischer Einwohner der Stadt Matan wurde die Route der Mauer abgeändert. Sie forderten eine Trennung zwischen Kalkilia und Habla, einem Dorf südlich von Kalkilia, weil sie die «Qualität ihres Lebens» erhalten wollten! In anderen Gebieten wurde beschlossen, die Mauer weiter nach Osten zu verschieben, um Zerstörungen an antiken Stätten zuvorzukommen. In Bethlehem errichteten die Behörden die Mauer mitten durch die Stadt, damit die jüdischen Gläubigen freien Zugang zu Rachels Grab erhielten (siehe Zeit-Fragen vom 17.3.2003).

Insgesamt lassen die Merkmale dieses Trennungsmauerprojekts den Eindruck entstehen, dass Israel sich einmal mehr auf Sicherheitsargumente beruft, um einseitig vollendete Tatsachen zu schaffen, die jedes zukünftige Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern beeinflussen werden. In der Vergangenheit benutzte Israel «unabdingbare militärische Erfordernisse», um die Enteignung von Land für den Bau von Siedlungen zu rechtfertigen, und argumentierte jeweils, dass die Aktion nur vorläufig sei. Die Siedlungen sind schon seit einiger Zeit vollendete Tatsachen, und Israel verlangt nun, einige von ihnen zu annektieren. Die Annahme drängt sich auf, dass die Mauer - wie im Fall der Siedlungen - zu einer permanenten Tatsache wird, um Israels zukünftigen Anspruch, Territorium zu annektieren, zu unterstützen.

Aus diesen Gründen verlangt Btselem von der israelischen Regierung,

Quelle: Btselem-Report und Untersuchung der Mission to the Humanitarian and Emergency Policy Group (HEPG) of the Local Aid Coordination Committe (LACC)


zf. Der Begriff Bantustan gehört in die Zeit des rassistischen Apartheidregimes in Südafrika. Man pferchte die schwarzen Bewohner Südafrikas in Ghettos und gab diesen den Namen Homelands oder Bantustans. Die Apartheidregierung gewährte den Menschen in diesen Verwaltungseinheiten minimale Autonomie und setzte von ihnen ausgewählte Schwarze als Verwalter dieser Ghettos ein. Diese Bantustans waren von südafrikanischem Land umgeben, so dass ein Austausch mit anderen Bantustans oder anderen Nationen nicht möglich war und die Schwarzen immer unter der Kontrolle des Apartheidregimes standen. Insgesamt existierten 10 dieser Bantustans, in denen die schwarze Bevölkerung unter unwürdigsten Bedingungen leben musste. Dass Israel sich an diesem rassistischen, zum Glück heute überwundenen Vorbild orientiert, ist erschreckend, aber auch nichts Neues. Bis zum Ende des Apartheidregimes im Jahre 1994 bestand eine enge Zusammenarbeit zwischen Israel und dem südafrikanischen Apartheidregimen in der Entwicklung von speziellen Waffen, die auf genetische Besonderheiten reagieren. Südafrika und Israel wollten eine Waffe kreieren, die auf die genetische Disposition der schwarzen bzw. der palästinensischen Bevölkerung reagieren würde, damit das Militär bei einem möglichen Einsatz dieser Waffen die eigene Bevölkerung schützen könnte. Nur haben Palästinenser und ein grosser Teil der Israeli eine identische genetische Disposition. Nach dem Zusammenbruch des Apartheidregimes war diese Zusammenarbeit zwangsläufig beendet.


«So ist eine friedliche faire Lösung des Palästina-Problems unmöglich»

Grusswort von Dr. Majed Nassar, Katholisch-medizinisches Zentrum, Beit Sahour, Palästina, vorgetragen am IPPNW-Kongress in Berlin

«Liebe Freunde

Ich möchte mich bei Euch allen für die Einladung nach Berlin bedanken. Ich kann leider nicht bei euch sein, da die israelische Regierung mir - schon wieder verboten hat, das Land zu verlassen. Am Sonntag habe ich den endgültigen Bescheid bekommen, dass ich nicht ausreisen darf. Obwohl kein Grund genannt wurde, kenne ich den Scheingrund: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, wie der israelische Generalstaatsanwalt meiner Anwältin vor einem Jahr mitteilte. Ich würde «eine Gefahr für die Region» darstellen, wenn man mir erlaubte, das Land zu verlassen.

So kommen wir also dem wahren Grund meines Reiseverbots näher. Ich soll hier vor Euch nicht reden. Ich soll Euch nicht erzählen, wie es bei uns in Palästina aussieht. Ihr sollt nicht erfahren, wie Israel sich als Besatzungsmacht aufführt. Ihr sollt nicht hören, dass Landenteignung, Hauszerstörungen, Attentate, Siedlungsbau und Ausgangssperren in einem Masse fortgesetzt werden, das eine Lösung des Konflikts in weite Ferne rücken lässt. Ich soll Euch nicht erzählen, was ich der ganzen Welt sagen muss, dass die rassistische, kolonialistische Besatzungsmacht alles daran setzt, um eine friedliche, faire Lösung des Palästinaproblems unmöglich zu machen.

Die Medien sollen auch nicht darüber berichten. Die Menschen, die ihre Stimme erheben, sollen tot oder mundtot gemacht werden. Niemand soll das hässliche Gesicht der Besatzungsmacht enthüllen. Wie schnell wird auch im Westen ein Mensch, der es wagt, Kritik an den israelischen Massnahmen gegen das palästinensische Volk zu äussern, als Antisemit abgestempelt!

Genauso wird auch alles darangesetzt, um die internationale Solidaritätsbewegung fernzuhalten. Israel schreckt nicht davor zurück, eine internationale Friedensaktivistin wie Rachel Corrie, die mit ihrem Körper das Haus eines Arztes in Gaza vor der Zerstörung schützen wollte, mit einem Bulldozer niederzurollen. Das ist auch kein Einzelfall: Zwei weitere Mitglieder internationaler Organisationen wurden von israelischen Scharfschützen in den letzten Wochen lebensgefährlich verletzt - einer ist bereits klinisch tot.

Israel benimmt sich wie ein verwöhntes Kind, das weiss, dass seine Eltern, die USA und Europa, es immer nachsichtig behandeln werden - egal, was es anstellt: Es ist ja deren Liebling! Israel machte fünf Millionen Menschen zu rechtlosen Flüchtlingen ... Das macht ja nichts, sie können woanders hingehen ... Israel enteignet grosse Flächen des verbliebenen Landes ... Das macht ja nichts, es sind keine Menschen, die Land und Zukunft brauchen! Israel tötet uns und sperrt uns ein ... Das macht ja nichts, wir sind bloss Terroristen! Je mehr wir uns wehren, umso mehr werden wir bestraft.

Ja, wir sollen uns nicht wehren: Wir sollen keinen Widerstand leisten. Widerstand ist ein Wort, das nur den Franzosen gegen die Nazis galt. Oder den Amerikanern gegen die Briten vor 200 Jahren. Die Afghanis durften das Wort gegen die Sowjetunion in Anspruch nehmen, jetzt nicht mehr. Die Palästinenser sollen das Wort gar nicht in den Mund nehmen. Das Wort «Widerstand» soll demnächst aus dem arabischen Vokabular verbannt werden. Wir sollen zu allem, was Amerika und Israel wollen, Ja und Amen sagen.

Die Palästinenser leisten Widerstand, weil sie wie andere Völker leben wollen. Sie leisten Widerstand, weil sie eine bessere Zukunft für sich, ihre Kinder und die anderen ersehnen. Sie leisten Widerstand, weil das tägliche Leben unerträglich ist. Sie leisten Widerstand, weil sie ihre Würde suchen. Sie leisten Widerstand, weil sie Menschen sind, die ihre Menschlichkeit nicht verlieren wollen.

Die Palästinenser warten jetzt auf die «Roadmap». Zuerst musste Arafat ersetzt werden. Dann sollte eine für Israel und Amerika (nicht unbedingt aber für die Palästinenser) akzeptable Regierung gebildet werden. Dann sollten alle politische Parteien, die Widerstand leisten, verboten werden. Dann sollten die Widerstandskämpfer verhaftet oder getötet werden. Dann sollte auf das Rückkehrrecht verzichtet werden. Dann sollten die Palästinenser Jerusalem aufgeben. Israel darf aber währenddessen weiterhin ungehemmt Land beschlagnahmen und Siedlungen bauen. Israel darf dreieinhalb Millionen Menschen in einem grossen Gefängnis gegen ihren Willen festhalten. Menschen werden gejagt wie Tiere und mit Raketen von F.16 und Kampfhubschraubern erschossen. Tausende von Palästinensern sitzen in Gefängnissen ohne Gerichtsverhandlung. Tausende von Menschen werden obdachlos, weil ihre Häuser als Kollektivstrafe in die Luft gesprengt wurden. Das alles kann nur geschehen, weil die Regierungen der USA und Europas es erlauben.

Artikel 1: Zeit-Fragen Nr.17 vom 12. 5. 2003, letzte Änderung am 12. 5. 2003

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