Das Genfer Abkommen - Chance oder Farce?

von Klaus Polkehn

junge Welt vom 04.11.2003

Ein Aufschrei von Zorn, Entsetzen, Entrüstung und Abscheu erhob sich zwischen Mittelmeer und Jordan, als am 12. Oktober am jordanischen Ufer des Toten Meeres von prominenten Palästinensern und Israelis ein Dokument verabschiedet wurde, das unter der Bezeichnung "Genfer Abkommen" rangiert (weil die Schweiz beim Zustandekommen mitwirkte). Am 4. November, dem Jahrestag der Ermordung des israelischen Regierungschefs Yitzchak Rabin, soll das Papier in Genf unterzeichnet werden.

Es war in der Tat ein illustrer Kreis, der sich zur Suche nach einem Ausweg aus der Sackgasse im Friedensprozeß zusammengetan hatte. Vor zwei Jahren hatten der ehemalige israelische Justizminister Jossi Beilin, einer der Architekten des Oslo-Abkommens von 1993, und der palästinensische Kultur- und Informationsminister Yasser Abed Rabbo erste Gespräche geführt. Zu ihnen gesellten sich nach und nach zahlreiche Politiker, darunter der sodann der frühere Vorsitzende der israelischen Arbeitspartei, Brigadegeneral Amran Mitzna, der ehemalige Knesset-Vorsitzende Avraham Burg, Ex-Generalstabschef Amnon Lipkin-Shahak, dazu mehrere israelische Parlaments-abgeordnete, sowie Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Amos Oz (aus dessen Betrachtungen zum Abkommen wir weiter unter zitieren) und David Grossman. Auf palästinensischer Seite verhandelte auch der die bisherige Minister für Gefangenenangelegenheiten, Hisham Abdel Razzak, dazu Abgeordnete des palästinensischen Legislativrats (PLC), Funktionäre aus al Fatah (darunter der Ex-Chef der palästinensischen "Preventiven Sicherheit" der Westbank, General Zuheir Manasra) und der mit Fatah verbundenen Tanzim-Organisation, darunter Kadoura Fares, der eng mit dem von Israel verschleppten Marwan Barghouti verbunden ist. Ihre Teilnahme, schrieb Ha'aretz (14. Oktober) sei "ein Zeichen, daß die Führer der Al-Aqsa-Intifada zu einer Regelung bereit sind". Barghouti sei in die Verhandlungen eingeweiht gewesen, heißt es, und auch Yasser Arafat habe man über das Vorhaben ständig auf dem laufenden gehalten. Und man suchte offenbar seit geraumer Zeit internationale Rückendeckung. So seien UN-Generalsekretär Annan, EU-Beauftragter Solana, BRD-Außenminister Fischer, der russische Außenminister Ivanov und US-Ex-Präsident Carter informiert gewesen.

Herausgekommen ist ein 50-Seiten-Papier, das sich vornehmlich die Aufgabe stellt, für die in Oslo bis zu einer ständigen Regelung des Konflikts ausgeklammerten Streitpunkte (Siedlungen, Jerusalem, Flüchtlingsfrage) Lösungsvorschläge zu machen. Es sind lediglich Vorschläge, denn die Verhandler beider Seiten verfügen über kein offzielles Mandat für den Abschluß gültiger Vereinbarungen.

Beim Lesen des ausufernden Entwurfs (veröffentlicht zumindest in den wesentlichen Teilen in Jerusalem Postund Ha'aretz, 20. Oktober) fällt zunächst die gute Absicht der Autoren ins Auge, den Teufelskreis zu durchbrechen und Kompromißmöglichkeiten anzubieten. Eingangs wird das Recht der Israelis und der Palästinenser auf ein Leben in Sicherheit und Frieden in souveränen gleichberechtigten Staaten betont. Die einzige gangbare Lösung sei "eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage der UN-Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338", die gegenseitige Anerkennung des Rechts der anderen Seite auf Staatlichkeit. Die Autoren berufen sich die relevanten Beschlüsse der Vereinten Nationen, aber auch auf Dokumente des Friedensprozesses (die Oslo-Abkommen, das Wye-River-Abkommen, das Sharm-el-Sheikh-Memorandum von 1999, auf den Camp-David-Gipfel vom Juli 2000, den Clinton-Vorschlag vom Dezember 2000 und die Taba-Gespräche vom Januar 2001).

Es sei, so betonten die israelischen Teilnehmer der Gespräche, seinerzeit ein Fehler der Oslo-Abmachungen gewesen, die eigentlichen Streitpunkte auszuklammern und ihre Debatte auf einen sehr späten Zeitpunkt zu verschieben. Eine Lösung sei aber nur möglich, wenn diese Konfliktpunkte bereinigt würden, also die Fragen der Zukunft Jerusalems, der israelischen Siedlungen, und des Heimatrechts der palästinensischen Flüchtlinge. Das Resultat ist seit dem 12. Oktober zu besichtigen. Kaum war der umfangreiche Text gedruckt (es fehlen bisher noch die offenbar sehr umfangreichen Anlagen zum Generaltext), erweisen die Interpretationen jedoch große Unterschiede bei der Auslegung dessen, worauf man sich geeinigt hat.

"Das sogenannte Genfer Papier friedenswilliger Aktivisten mag manchem hartgesottenen Kenner und Beobachter des heillos verfahrenen israelisch-palästinensischen Konflikts naiv erscheinen," schrieb die Neue Zürcher Zeitung (23. Oktober). "Doch bevor man so urteilt, müßten zumindest die detaillierten Lösungsvorschläge aufmerk-sam zur Kenntnis genommen werden, auf die sich die Verhandlungsteilnehmer verständigt haben. Für so außerordentlich schwierige und emotional befrachtete Fragen wie das sogenannte Rückkehrrecht der Palästinenser oder die Zugehörigkeit Jerusalems werden nicht ideologisch-absolute, sondern pragmatische Kompromißlösungen angeboten. Wer diese pauschal und diskussionslos ablehnt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er Kompromißlösungen gar nicht anstrebt."

Doch wie stets steckt der Teufel im Detail. Wie anders sind solche Kommentare zu erklären? Ein erster Blick "deutete an, daß die Palästinenser das Recht auf Rückkehr aufgegeben haben. Eine genauere Untersuchung zeigt, daß das genau nicht der Fall ist." (Ha'aretz, 14. Oktober). Na was denn nun? Ex-General Amram Mitzna interpretierte die Vereinbarungen so: "Zum ersten Mal in der Geschichte erkannten die Palästinenser explizit und offiziell den Staat Israel für immer als Staat des jüdischen Volkes an. Sie gaben das Recht auf Rückkehr in den Staat Israel auf und damit wird eine solide, stabile jüdische Mehrheit [in Israel] garantiert. Die Klagemauer, das jüdische Viertel [der Altstadt von Jerusalem] und der Davidsturm [ die Zitadelle am Jaffator der Altstadt] werden danach in unseren Händen bleiben. Der erstickende Ring wurde von Jerusalem genommen und der ganze Kranz von Siedlungen darum - Givat Ze'ev alt und neu, Givon, Ma'aleh Adumim, Neve Ya'acov, Pisgat Ze'ev, French Hill, Ramot und Arnon Hanatziv - werden für immer Teil der erweiterten Stadt sein. Kein Siedler in diesen Gebieten muß sein Heim verlassen." (Ha'aretz, 16. Oktober). Also nachträgliche Bestätigung von Eroberungen im Junikrieg von 1967?

Schauen wir an einigen Stellen etwas genauer hin. Artikel 1 erklärt, mit diesem Abkommen seien alle Ansprüche ein für allemal erledigt. In Artikel 2 heißt es u.a. Israel werde sodann den Staat Palästina anerkennen und dieser Staat "soll der Nachfolger der PLO mit all ihren Rechten und Verpflichtungen sein." Erster Pferdefuß: Die PLO ist UN-Beschlüssen zufolge der einzige legitime Vertreter des palästinensischen Volkes - bisher, dann nicht mehr. Soll das bedeuten, daß dann der Staat Palästina auch die Vertretung der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon oder in Jordanien ist? Ebenfalls in Artikel 2 findet sich die Vereinbarung, daß die Vertragsparteien Palästina und Israel "als die Heimatländer ihrer jeweiligen Völker anerkennen." - Ist es das, was Mitzna meinte, als er von der Anerkennung Israels "für immer als Staat des jüdischen Volkes" sprach? Wenn ja, was bedeutet das? Es wäre die vertragliche Akzeptanz der zionistischen These, die dem israelischen "Law of Return", dem "Rückkehrgesetz", zugrunde liegt, wonach jeder Jude auf der Welt automatisch das Recht auf israelische Staatsbürgerschaft, auf Wohnrecht in Israel (und bislang auch in den palästinensischen Gebieten!) hat. Gleichfalls enthält Artikel 2 Regelungen hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Sicherheitskooperation, sowie der Einführung "robuster Modalitäten" gegen Terrorismus und Gewalt

Artikel 3 regelt bis ins Detail die Bildung einer Gruppe für Durchführung und Überprüfung (Implemantation and Verification Group - IVG), darunter auch die Bildung einer Multilateralen Sicherheitsstreitmacht.

Artikel 4 trägt die Überschrift "Territorium". Was also wird der Staat Palästina sein? Das Abkommen benennt die "Grüne Linie" vom Juni 1967 als endgültige Grenze, bei geringfügigen Abweichungen, die auf der Basis 1:1 ausgeglichen werden sollen. Israel solle Siedlungen räumen - mit Ausnahmen. Im Generaltext sind diese Details nicht aufgeführt. Räumen sollte die Siedler den Vereinbarungen zufolge u.a. Ariel, unter israelischer Verwaltung sollten hingegen die Siedlungen Ma'ale Adumim (bei Jerusalem) und Efrat verbleiben. Ha'aretz (16. Oktober) benannte als einen der "Erfolge" des israelischen Verhandlungsteams "die Anerkennung des Rechts von mehr als 200 000 Israelis jenseits der 'Grünen Linie' zu leben". Am Ende soll der Palästina-Staat mit 97,5 Prozent der Westbank und dem gesamten Gaza-Streifen weniger als 22 Prozent des historischen Palästina von 1947 umfassen.

Artikel 5 soll Sicherheitsfragen regeln - wobei Palästina als "nicht-militarisierter Staat mit einer starken Sicherheitsstreitmacht" definiert wird. Ein "Trilaterales Sicherheitskomitee" aus Vertretern Israels, Palästinas und den USA soll gebildet werden und eine Multilaterale Streitkraft zur Durchführung des Abkommens und der Garantie der Sicherheit der Betroffenen stationiert werden - aber nur in den palästinensischen Gebieten. Beobachter sollen tätig werden: Israel kann im nördlichen und im zentralen Teil der Westbank "Frühwarnstationen" einrichten, die israelische Luftwaffe darf weiterhin den Luftraum Palästinas benutzen. Überhaupt entdeckt man in diesem Artikel einige Einschränkungen der Souveränität des Palästina-Staates. So werden alle Grenzübergänge Palästinas gemeinsam von palästinensischen Sicherheitskräften und Mulitinationalen Sicherheitskräften überwacht, außerdem wird Israel bei der Paßkontrolle zumindest für dreißig Monate "unsichtbar anwesend" sein, also überwachen, wer aus- und einreist und gegebenenfalls einschreiten.

Die Vereinbarungen über Jerusalem (Artikel 6) erweisen sich als ein äußerst komplexes und kompliziertes Gewirr von Regelungen über Zugangsrechte zu Stadtteilen und Heiligen Stätten, über die Organisation verschiedener Polizeieinheiten, über die für Palästinenser, Israelis und ausländische Touristen nötigen Visa zum Betreten der Altstadt, hinsichtlich der die Oberaufsicht über Tempelberg und Klagemauer. Einigkeit herrscht über das Prinzip, Jerusalem werde für beide Staaten die Hauptstadt sein.

Die Kritik von palästinensischer Seite - es gibt ein breites Spektrum der Ablehnung von den islamistischen Organisationen bis hin zur Linken - entzündete sich jedoch vor allem an Artikel 7, den Vereinbarungen zur Flüchtlingsfrage. "Verquast und fast nicht zu begreifen, ist die Formulierung zur Frage des Rückkehrrechtes der palästinensischen Flüchtlinge," hieß es sogar in der Jüdischen Allgemeinen (25. Oktober): "Ob der rhetorische Eiertanz jedoch wirklich keine Möglichkeit zu einer Rückkehr durch die Hintertür läßt, darüber streiten die Fachleute noch."

Die Regelung der Flüchtlingsfrage sei für einen gerechten dauerhaften Frieden unerläßlich, wird im Genfer Abkommen anerkannt. Man bezieht sich auf die UN-Resolution 194 von 1948 und die Sicherheitsratsresolution 242 von 1967. Ohne es ausdrücklich zu formulieren bedeutet das Genfer Abkommen allerdings de facto den Verzicht der Palästinenser auf das "Recht auf Rückkehr", denn es ist in der Vereinbarung davon keine Rede mehr davon. Stattdessen sollen die Betroffenen zwischen fünf Optionen wählen wie etwa Kompensation, Integration in den Exilstaaten, Auswanderung in Drittländer oder eben ins neue Palästina. "Darin liegt das eigentliche Novum. Erstmals erkennen Autonomiepolitiker schriftlich das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat an, was eine massenweise Aufnahme von vier Millionen Flüchtlingen ausschließt." (Berliner Zeitung, 15. Oktober) Die Flüchtlinge könnten also wählen: Ansiedlung auf dem Territorium des Palästina-Staates oder in dem Land, in dem sie sich aufhalten, und wo ihnen die Staatsbürgerschaft angeboten werden sollte (in Kommentaren wurden Jordanien, Libanon, Großbritannien, Deutschland und die USA genannt). Die Flüchtlinge sollten Entschädigungen für verlorenes Eigentum erhalten - das Abkommen geht hinsichtlich der Ermittlung des Wertes der Verluste in die Details. Zahlen würde die Entschädigungen nicht Israel sondern die Internationale Gemeinschaft. Schließlich solle Flüchtlingen die Rückkehr auf das Territorium des Staates Israel ermöglicht werden "in Übereinstimmung mit der Zahl, die Israel der (zu bildenden] Internationalen Kommission übermittelt. Diese Zahl soll die die vollständige / abschließende Zahl der palästinensischen Flüchtlinge sein, die Israel akzeptieren muß." Damit dann endet der individuelle Flüchtlingsstatus der Betroffenen und dies sei dann auch das Ende aller Forderungen. Prof. Ruth Lapidot, Rechtsberaterin des israelischen Außenministerium, meinte, nach ihrer Interpretation gebe "keine weitere Lücke für palästinensische Forderungen nach einer Rückkehr der Flüchtlinge nach Israel auf der Basis des Rückehrrechts". (Ha'aretz 16. Oktober)

Dazu eine Anmerkung: Umstritten ist allgemein, ab alle Palästinenser mit Flüchtlingsstatus überhaupt den Wunsch oder die Absicht haben, vom Recht auf Rückkehr Gebrauch zu machen. Ein Umfrage des palästinensischen Soziologen Khalil Shikaki vom Juli 2003 ergab, nur ein Zehntel wolle tatsächlich in ihre verlorene Heimat zurück, die heute in Israel liegt. Der größte Teil (54 Prozent) möchte lieber als palästinensischer Staatsbürger in Westbank oder Gaza leben und finanzielle Entschädigung erhalten. Das Ergebnis der repräsentativen Untersuchung unter den Lagerbewohnern in Gaza, Westbank, Libanon und Jordanien sei keinesfalls Ausdruck des Verzichts, schrieb die Berliner Zeitung (15. Juli 2003). "Schließlich betonten mehr als 95 Prozent aller Befragten, daß Israel erst die von der UN-Resolution 194 reklamierten Rechte prinzipiell anerkennen müsse. Auf dieser Grundlage sei man bereit, unter diversen Angeboten das persönlich bevorzugte zu wählen." - Dies dürfte in der Tat ein wichtiger Punkt sein. Ha'aretz (16. Oktober) unterstrich in einem Kommentar, daß Israel "keine Verantwortung für das Entstehen des Flüchtlingsproblems anerkennt". Der Autor forderte, "daß die UN das Dokument voll und ganz akzeptieren und eine spezielle Resolution beschließen sollte, die frühere Resolutionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt ersetzt und annulliert. Auf diese Weise würde sie auch die Resolution 194 der Generalversammlung über die Flüchtlinge annullieren."

Schließlich regelt Artikel 8 des Genfer Abkommens die Bildung eines Israelisch-Palästinensschen Kooperationskomitees, Artikel 9 die Straßenbenutzung durch israelische Zivilpersonen in Palästina, Artikel 10 den Zugang und die Verwaltung religiöser Stätten. Abschließend wird festgestellt, was alles noch nicht geregelt wurde: Wasserprobleme(!), Wirtschaftsbeziehungen, Rechts-Kooperation und die Frage der palästinensischen Gefangenen. Gerade aber Letzteres dürfte die Ablehnung des Abkommens durch zahlreiche Palästinenser erklären - für sie handelt es sich um eine Schlüsselfrage, und die ist erst mal aufgeschoben.

Von Scharon bis zum rechten Rand des israelischen Politik-Spektrums wurde das Genfer Abkommen zurückgewiesen. "Ministerpräsident Scharon sprach abwertend von einem 'intellektuellen Experiment', dessen Autoren keine Autorität hätten, das Abkommen umzusetzen. Außenminister Shalom sagte, die Verhandlungen seien illegal hinter dem Rücken der Regierung geführt worden. Als schärfster Kritiker aus den Reihen der Arbeitspartei monierte der ehemalige Ministerpräsident Barak, in einem demokratischen System dürften Verhandlungen mit politischen Rivalen ausschließlich von der gewählten Regierung geführt werden. Auch ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums in Washington degradierte das Abkommen auf den Status einer privaten Initiative." (Neue Zürcher Zeitung, 10. Oktober). Knesset-Abgeordnete forderten, die Unterzeichner vor Gericht zu stellen. Der israelische Minister für Jerusalem und Diaspora-Angelegenheiten, Nathan Scharansky (seinerzeit in der Sowjetunion ein vom Westen gehätschelter Dissident, ein sogenannter "Gefangener Zions", Anfang der 80er auf der Glienicker Brücke in Berlin Beteiligter eines großen Gefangenenaustausches, dann in Israel Gründer einer Partei der russischen Einwanderer) bezeichnete die israelischen Verhandler als "Gang", die noch nicht begriffen habe, "daß, so sehr wir für den Frieden sind und auf ihn hoffen, er doch keine Wert an sich ist... Nicht um des Friedens Willen wurde der Staat Israel geschaffen und es war nicht um des Friedens willen, daß sich Millionen von Juden hier sammelten. Nicht für den Frieden betete das jüdische Volk tausende Jahre lang. Das jüdische Volk betete für Jerusalem." (Ha'aretz, 16. Oktober).

Scharfe Zurückweisung erfuhr das Dokument durch Sprecher von Hamas aber auch von Fatah-Funktionären, beispielsweise bei einer Protestkundgebung im Flüchtlingslager Balata bei Nablus. Die palästinensischen Verhandler wurden als "Verräter und Kollaborateure" bezeichnet. Proteste gab es in Ramallah und Gaza, in Flüchtlingslagern im Libanon und in Syrien. Eine Tagung des PLO-Aktionskomitees kritisierte bereits am 11. Oktober die Art der Verhandlungsführung und bezweifelte die Autorität der palästinensischen Delegation. Es wurde beanstandet, daß die PLO nicht adäquat informiert worden sei.

1999 nannte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA in Jordanien, auf der Westbank, im Gaza-Streifen, im Libanon und Syrien die zahl von 3,7 Millionen palästinensischer Flüchtlinge. Dazu wäre die palästinensische Diaspora in anderen Ländern zu zählen, nicht eingerechnet die palästinensische Minderheit in Israel. Weltweit wird die Zahl der Palästinenser auf 5,5 bis 7 Millionen Menschen geschätzt. Davon aber werden bestenfalls die 2 Millionen auf Westbank und in Gaza von der palästinensische Nationalbehörde vertreten. Allein deshalb bestreiten die Kritiker des Genfer Abkommens der PNA die Berechtigung, ein so weitreichendes Abkommen abzuschließen. Dazu sei allein die PLO befugt, die von der UNO als einzig legitimer Vertreter des palästinensischen Volks anerkannt worden sei - was nun aber zusammen mit anderen UN-Beschlüssen annuliert werden soll.

Die erste Erregung über das Abkommen ist verraucht. Zwischen Mittelmeer und Jordan herrscht wieder "Normalität": Luftangriffe auf Gaza; die bislang "illegalen" Siedlungs-"Outposts" werden legalisiert...

Der palästinensische Journalist Ali Abunimah formuliert eine weit verbreitete Sicht auf die Dinge so: "Daß die Genfer 'Verhandler', befreit von jeder Verantwortung, nicht mit etwas besserem herauskommen konnten, ... unterstreicht den endgültigen Bankrott der eiszeitlichen 'Schritt-für-Schritt"-Annäherung an eine Zweistaatenlösung, während diese Zweistaatenlösung wegen der israelischen Kolonisation davongaloppiert ist. Die Autoren scheinen zu glauben, daß das palästinensische Volk wie ein Esel ist, der für immer nach der Mohrrübe schnappt, die von einem auf seinem Kopf angebrachten Stock herabhängt. Sie versäumen, zu begreifen, daß die Intifada vor allem eine Zurückweisung einer solchen Manipulation war." (...) Wenn die Genfer Autoren es mit einer Zweistaatenlösung ernst meinten, würden sie anerkennen, daß es noch eine schwache Chance gibt, das wäre dann, wenn Israel eine minimale Bereitschaft zeigte, jeden Soldaten und jeden Siedler hinter die Linien vom 4. Juni 1967 einschließlich in Jerusalem zurückzuziehen, und den Palästinensern erlaubte, einen Staaten zu gründen, nicht weniger unabhängig und souverän als Israel. Wie das Genfer Dokument demonstriert, sind nicht einmal Israels entschiedenste 'Tauben' willens, das zu erwägen. So schieben sie stattdessen eine hoffnungslose und ungerechte Formel an, und behaupten, dies sei die 'einzige Alternative' zum blutdürstigen Weg Scharons, und erheben den Anspruch, daß das palästinensische Volk damit einverstanden sei." (The Electronic Intifada, 28 Oktober). Meron Benvenisti , ehemaliger Bürgermeister von Jerusalem, schrieb: "In der gleichen Woche, als jedermann das Genfer Einvernehmen diskutierte, wurde das System des stillen Transfers an der Nahtlinie des Trennungszauns institutionalisiert. Wie viele von denen, die auf den Wagemut der Autoren des 'Einvernehmens' stolz sind, nahmen die Lücke zwischen dem Umgang mit dem Dokument und der Realität wahr, die nach Taten schreit? Nur die Palästinenser zeigten Gleichmut angesichts der Aufregung über das Dokument, sie haben die Schnauze voll von virtuellen Friedensplänen." (Ha'aretz, 23. Oktober)

Und Yasser Arafat schweigt...

Erschien zuerst in Palästina Nachrichten Nr. 61 / 02. Nov 2003:
(http://www.freunde-palaestinas.de/fp/page/pn/61/inhalt61.html)