Sie wollen Sicherheit? Beenden Sie die Besatzung!

Von Marwan Barghouti

Washington Post, Mittwoch, 16. Januar 2002;

RAMALLAH - Israels Attentat auf den Aktivisten der Fatah, Raed Karmi am Montag war vorhersehbar. Obwohl Israel mehr als 18 Palästinenser seit Präsident Yasser Arafats Aufruf zur Feuereinstellung am 18. Dezember getötet hat, hat es während dieser Zeit keine israelischen Zivilopfer gegeben. Dadurch entstand laut internationaler Gemeinschaft und der internationalen Presse eine "Pause in Gewalt." Aber eine Pause in der Gewalt ist genau das, was der Israelische Premierminister, Ariel Sharon, sich nicht leisten kann. Er wurde in einer Zeit der Krise gewählt und weiß, daß seine Herrschaft nur in einer Zeit der Krise aufrecht zu erhalten ist. Für sein eigenes politisches Überleben wird er sein möglichstes tun und jede Rechtfertigung benutzen, um die Flammen der Unruhe zu schüren, statt zu Friedenverhandlungen zurückzukehren.
Daher wurden mehr als 600 Palästinenser, die schon Flüchtlinge waren, vor kurzem erneut zu Flüchtlingen gemacht, als Sharons Planierraupen ihre Häuser in Gaza zerstörten. Einen Tag später wurden palästinensische Häuser im besetzten Ostjerusalem zerstört. Und dann, um ganz sicherzu- stellen, daß die Palästinenser ausreichend provoziert sind und der Zyklus der Gewalt wieder beginnen kann, ermordete Israel Karmi.

Sharon rechtfertigt solche grausamen und illegalen Maßnahmen im Namen der "Sicherheit". Aber so wie man mich selbst oft als Kandidat für ein israelisches Attentat vorsah, kann ich dem Israelischen Volk versichern, daß weder ein Attentat auf mich noch irgendwelche der anderen 82 Attentate während der letzten 15 Monate sie jener Sicherheit, die sie suchen und benötigen, näher bringen werden.
Der einzige Weg zu Israels Sicherheit ist ganz einfach, die 35-jährige Besatzung palästinensischer Gebiete zu beenden. Israel muß den Mythos überwinden, daß es möglich sei, Frieden und Besatzung zugleich zu haben, daß ein friedliche Koexistenz zwischen Sklaven und Herren möglich sei. Der Mangel an israelischer Sicherheit beruht auf dem Mangel an palästinensischer Freiheit. Israel wird Sicherheit nur nach dem Ende der Besatzung haben, nicht vorher.

Wenn Israel und der Rest der Welt diese Grundwahrheit erst einmal verstehen, wird der Weg vorwärts klar: Beenden Sie die Besatzung, erlauben Sie den Palästinensern in Freiheit zu leben, und lassen Sie die unabhängigen und gleichen Nachbarn Israel und Palästina eine friedliche Zukunft mit engen ökonomischen und kulturellen Bindungen aushandeln.
Lassen Sie uns nicht vergessen, wir Palästinenser haben Israel 78 Prozent des historischen Palästinas zuerkannt. Es ist Israel, das sich weigert, Palästinas Recht, auf den übrigen 22 Prozent des 1967 eingenommenen Landes zu existieren, anzuerkennen. Und dennoch wird den Palästinenser vorgeworfen, keine Kompromisse zu schließen und die Chancen zu vertun. Offen gesagt sind wir es müde, die Schuld für die israelische Unnachgiebigkeit immer auf uns zu nehmen, wenn alles, was wir wollen, die Umsetzung internationalen Rechts ist.

Und wir haben kein Vertrauen zu den Vereinigten Staaten, den Gebern jährlicher Milliarden Dollarhilfe, um Israels Expansion illegaler Kolonien zu finanzieren, den "Bekämpfern des Terrorismus", die Israel mit F-16ern und waffenstarrenden Hubschraubern zur Verwendung gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung beliefern, den "Verteidigern der Freiheit und der Unterdrückten", die Sharon verwöhnen, sogar als er mit seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen, dem Massaker von 1982 an Palästinensischen Flüchtlingen, konfrontiert wurde. Die Rolle der einzigen Super- macht der Welt ist auf die eines bloßen Zuschauers reduziert worden, der nichts als einen ermüdenden Refrain "stoppt die Gewalt" anzubieten hat und nichts tut, um die eigentlichen Gründe der Gewalt zu benennen: die Ablehnung der palästinensischen Freiheit .
Sehen sie, wie der glücklose Anthony Zinni seine Bemühungen auf die "Gewalt" konzentriert, während jüdische Siedler internationales Gesetz und sogar Amerikanische Politik verletzen, indem sie eine neue illegale Kolonie im besetzten Ostjerusalem beziehen. Wir Palästinenser sind nicht beeindruckt.

Die letzten 15 Monate hat Israel mehr als 900 palästinensische Zivilisten getötet, davon ein Viertel unter 18 Jahren. Und dennoch haben die USA die Kühnheit, ein Veto gegen einen U.N. Plan für eine internationale Schutztruppe einzulegen, um die heftigen Angriff zu stoppen.

Deshalb schützen wir uns selbst. Wenn Israel sich das Recht vorbehält, uns mit F -16 und Hubschraubern zu bombardieren, sollte es nicht überrascht sein, wenn sich Palästinenser defensive Waffen beschaffen, um die Flugzeuge herunterzuholen. Und während ich und die Fatah-Bewegung, der ich angehöre, Angriffe auf zivile Ziele in Israel, unsere künftigen Nachbarn, unbedingt ablehnen, behalten ich mir das Recht vor, mich zu schützen, der israelischen Besatzung meines Landes Widerstand zu leisten und für meine Freiheit zu kämpfen. Wenn von Palästinensern erwartet wird unter Besatzung zu verhandeln, muß Israel davon ausgehen, zu verhandeln, während wir gegen die Besatzung Widerstand leisten.
Ich bin kein Terrorist, aber auch kein Pazifist. Ich bin einfach ein durchschnittlicher Mensch von der palästinensischen Straße, der nur verlangt, was jeder andere unterdrückte Mensch verlangt - das Recht, mir mangels Unterstützung irgendwo anders Hilfe zu suchen.

Dieses Prinzip kann leicht zu einem Attentat auf mich führen. Deshalb lassen Sie mich meine Position deutlich machen, damit mein Tod von der Welt nicht einfach abgehakt wird als ein weiterer statistischer Fall in Israels "Krieg gegen Terrorismus". Sechs Jahre habe ich als politischer Gefangener in einem israelischen Gefängnis geschmachtet, wo ich gefoltert wurde, ich hing mit verbundenen Augen, als ein Israeli mit einem Stock auf meine Genitalien schlug. Aber seit 1994, als ich glaubte, Israel wolle ernstlich die Besatzung beenden, war ich ein unermüdlicher Befürworter des Friedens auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Gleichheit. Ich führte Delegationen von Palästinensern bei Besprechungen mit Israelischen Parlamentariern, um gegenseitiges Verständnis und Kooperation zu fördern. Ich suche immer noch die friedliche Koexistenz zwischen den gleichen und unabhängigen Ländern Israel und Palästina, basierend auf dem vollständigen Rückzug aus den 1967 besetzten Palästinensischen Gebieten und einer gerechten Lösung der Notlage der Palästinensische Flüchtlinge entsprechend den U.N. Resolutionen. Ich will Israel nicht zerstören, sondern nur seine Besatzung meines Landes beenden.

Marwan Barghouti ist Generalsekretär der Fatah in der Westbank und wurde in den palästinensischen gesetzgebenden Rat gewählt.

Übersetzung: Herrmann Cropp

[Der Artikel steht auf der Washington-Post-Web-Site: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A51887-2002Jan15.html]