Hat der Afghanistankrieg Gründe - oder ist Bush verrückt?

Gegenrede zu Joachim Bischoff und Bernhard Sander,

von Thomas Immanuel Steinberg, Sozialismus 1/2002

Warum führen die USA jetzt Krieg? Da gibt es viele Antworten, die viele Gründe und noch mehr Wechselwirkungen aufzählen. Aber das "Argument mit den Öl-Interessen als Schlüsselfaktor kann nicht überzeugen." Schreiben Joachim Bischoff und Bernhard Sander.(1)

Doch! Ich halte die Gas- und Ölvorkommen im Kaspischen Raum für einen wichtigen Kriegsgrund. Dafür sprechen die vorliegenden Fakten. Und wenn man sie zusammenpuzzelt, entsteht ein Bild davon, wie diese Weltmacht ihre Vorherrschaft sichert.

Fakten über Erdgas, Öl und Krieg

Bischoff und Sander behaupten, die Gas- und Ölmengen des Kaspischen Beckens seien so gering, daß sich ein Krieg darum nicht lohne.

Wieviel Gas und Öl lagern im Kaspischen Becken? Und wie wertvoll sind diese Ressourcen?

Die Autoren berufen sich auf eine Schätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. (2) Deren Angaben zufolge betrug das Erdöl-Gesamtpotential der Welt 1998 etwa 350 Milliarden Tonnen. Davon entfallen etwa 18 Milliarden Tonnen auf den Kaspischen Raum. (3) Das sind etwa 5er Weltreserven an Erdöl.

Wieviel ist das Öl wert? Bei dem zur Zeit niedrigen Rohölpreis von 22 $ je Barrel sind das - grob gerechnet - 2,8 Billionen $. (4)

Das ist nicht der Gewinn, sondern der Vermögenswert des kaspischen Öls. (5) Hinzu kommen der gleichen Quelle zufolge geschätzte 24 Billionen Kubikmeter Erdgas. Erdgaspreise steigen und fallen mit dem Erdöl. Der Heizwert von 1000 Kubikmetern Erdgas ist nun etwa so hoch wie der von einer Tonne Rohöl. Erdöl und Erdgas im Kaspischen Raum zusammen dürften demnach etwa 7 Billionen $, also etwa 15 Billionen DM wert sein.

Wieviel ist das? Gesetzt, ein bundesdeutsches Einfamilienhaus ist im Schnitt 300 000 DM wert. Dann haben kaspisches Öl und Gas den gleichen Wert wie 50 Millionen bundesdeutsche Einfamilienhäuser. Soviele Einfamilienhäuser, wie es in Deutschland gar nicht gibt.

Ein Blick nach Mazedonien

Nun wird selbst nach dem Afghanistankrieg nicht alles kaspische Öl und Gas der Carlyle Group (Bush), Chevron (Condoleeza Rice) und Halliburton (Dick Cheney) oder auch nur den US-amerikanischen Konzernen insgesamt gehören. Aber die Festungen in Afghanistan, in Usbekistan und in Kirgistan werden für Gas- und Öltransport vergleichbar viel Sicherheit bieten wie Camp Bondsteel in der amerikanischen Zone des Kosovo für den AMBO-Transportkorridor von Bulgarien über Mazedonien nach Albanien. Die britische Tochter von Cheneys Firma Halliburton namens Brown & Root Ltd. hat die Machbarkeitsstudie für den Korridor erstellt. Mit dem Bau wurde im Herbst 2001, also genau zu dem Zeitpunkt begonnen, als die amerikanisch finanzierte UÇK auch in Mazedonien die Waffen ruhen ließ. (6) Investiert werden in die Trasse selbst 1,13 Mrd. $. Einrichtungs- und Servicefirma für Camp Bondsteel ist ebenfalls Brown & Root.

Markt und Macht

An Gas und Öl läßt sich also mehr verdienen als an seinem bloßen Verkauf. Weiters aber liegt Afghanistan neben dem Iran - einem Land, das allein vermutlich 9 Prozent der Weltölreserven birgt (7). Daher hat Afghanistan auch eine militärische Bedeutung für die USA. Und Afghanistan liegt relativ nahe an den Ländern, die in Zukunft das meiste zusätzliche Öl und Gas zu kaufen bereit und in der Lage sein werden: Pakistan, Indien und ganz Ostasien. Nach Osten kann der Iran seine Reichtümer am besten per Pipeline verkaufen: und die führt dann durch Afghanistan.

Bischoff und Sander bezweifeln recht aufwendig, daß die USA zusätzliches Öl brauchen, und daß Öl auf der Welt knapp sei. Sie mögen damit Recht haben. Aber: Rockefeller hat mit Öl, genauer, mit dem Transportmittel für Öl, der Eisenbahn, Profit gemacht, als sein Land im Öl schwamm. Die Verfechter der These, die Transportkorridore insbesondere für Brennstoffe seien ein wichtiger Kriegsgrund, behaupten also nicht, die Güter oder ihre angebliche Knappheit lösten den Krieg aus. (8) Es geht um die Beschaffung der Rohstoffe, die Erschließung der Transportwege und die Erschließung neuer Absatzmärkte für Gas und Öl, für energieverzehrende Maschinen, Autos und Erdölprodukte. Also: Die Warenbeziehung, der Zwang zur Verwertung des Wertes treibt zum Krieg. In Mittelasien winkt den US-Konzernen der große Profit, wenn nur die Produktionsstätten und Absatzmärkte erst geschaffen sind, die den Sog erzeugen für Gas und Öl. Diesem Ziel dient die Politik der USA.

Selbst wenn kaspisches Öl von US-amerkanischen Konzernen vorläufig nur in einem, nämlich dem kasachischen Tengis-Gebiet abgebaut werden kann; und selbst wenn vorläufig die kasachisch-russischen Konkurrenten dort weiter mit dem Transport ihre eigenen Profite einfahren und die US-Konzerne ihre Vorteile noch nicht unmittelbar realisieren können, gilt: Die US-Amerikaner haben mit dem Afghanistankrieg und der Errichtung der Festungen in Mittelasien die Region strategisch gesichert, so daß jedenfalls kein Konkurrent das Gas aus Turkmenistan zur arabischen See pumpen kann. Geschweige denn Öl aus den übrigen Gebieten. Die Vereinigten Staaten haben also mit dem Krieg bereits jetzt einen geradezu klassisch anmutenden geostrategischen Vorteil erlangt.

Herrschaft und Profit auf den Begriff bringen

Von Gas und Öl kann gewiß nur profitieren, wer das Eigentum daran auch sichern oder sichern lassen kann. Umgekehrt bedarf selbstverständlich die Eigentumssicherung gewaltiger Energiemengen, z.B. aus Gas und Öl; oder der Einnahmen aus Gas und Öl zum Kauf der Sicherheit. Wer profitieren will, kann kaum besser fahren als mit der Erkämpfung von kampfentscheidenden Ressourcen und Transportwegen. Die Kampfmittel nähren den Kampf, der siegreiche Kämpfer erobert neue Kampfmittel. Lediglich insofern, als ja irgendwie alles mit allem zusammenhängt, sind Energieressourcen "nur ein" Beitrag zu Profit und Herrschaft, also "nur ein" Kriegsgrund von vielen.

Bischoff und Sander vermuten einen zweiten Kriegsgrund darin, daß die Taliban den Mohnanbau zerstört hätten. Das mag durchaus stimmen.

Im übrigen aber verweisen die Autoren auf die allgemeine kapitalistische Krise. Die aber währt, seit es den Kapitalismus gibt, und sie vermag zwar allgemein jeden, aber nicht einen speziellen Krieg zu erklären: Denn egal, wo es gegen wen geht, die Waffenproduktion kurbelt die Konjunktur an; der Krieg schweißt die Leute zusammen; die Rüstungswerte hüpfen mit der Kriegsvorbereitung nach oben. Ebenso gut hätten also die kapitalistischen Länder irgendeinen und nicht gerade diesen Krieg anfangen können.

Den Krieg gegen Afghanistan führt eine Clique aus der Ölbranche. Sie führt den Krieg in der Region, deren Gas- und Ölressourcen nicht mehr und noch nicht wieder in sicherer Hand sind. Sie hat ihn selbst ausführlich angekündigt. Unter vielem anderen hat das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten in seinem neuesten, alle vier Jahre erscheinenden Statusbericht die Strategie entworfen: weltweit den Zugang vor allem zu den Energieressourcen zu sichern; keine auch nur lokale Dominanz in Mittelasien zuzulassen; und drohender Dominanz militärisch zuvorzukommen. (9)

Bischoff und Sander empfehlen in ihrem Beitrag den Rückzug:

"Eine rationale Politik, die das Interesse einer besonders aggressiven Kapitalfraktion exekutiert, sollte man (im Afghanistankrieg) nicht suchen."

Ich dagegen meine: Wir sollten weiter bohren. Und wir können fündig werden!

Erst wenn wir uns Bushs Verhalten überhaupt nicht mehr erklären können, erst dann dürfen wir alle Erklärungsversuche aufgeben und sagen, was einem in solcher Hilflosigkeit dann noch zu sagen bleibt: Der macht keine rationale Politik, der verfolgt kein Interesse - der ist verrückt. Aber dann ist er auch nicht mehr Präsident der USA.

Anmerkungen:

(1) Bischoff, Joachim und Bernhard Sander: Triebfeder des Afghanistankrieges: Öl? Sozialismus 12/2001, S. 14-18

(2) Kehrer, P (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover).: Das Erdöl im 21. Jahrhundert - Mangel oder Überfluß? Vortrag im Erdölmuseum Wietze, 10. März 2000 http://www.bgr.de/b11/erdoel_keh.htm

(3) Rempel, H. (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover): Ressourcen im Kaukasus. Vortrag auf der Internationalen Tagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik "Der Kaukasus: eine strategische Region im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen" in Berlin am 23.02.2000 http://www.bgr.de/b123/kaukasien/kaukasus.htm Angaben zum Kaspischen Raum jeweils ohne den Iran.

(4) Das Barrel ist ein Hohlmaß für 159 Liter, die Tonne jedoch ein Gewicht von 1000 kg. Bei einer angenommenen mittleren Dichte für Rohöl von 0,875 (DEA Mineraloel AG, Hamburg, http://www.dea.de/1164.htm ) sind 18 Milliarden Tonnen kaspische Reserve also 18 Milliarden : 0,159 : 0,875 x 22 $ = 2,8 Billionen $.

(5) genau genommen: erst am Ort der Raffinierung. Das vernachlässige ich hier, weil ich nur einen Begriff von der Größenordnung geben will, nicht einen Kostenvoranschlag erstellen.

(6) Vgl. Monbiot, George: A discreet deal in the pipeline. Nato mocked those who claimed there was a plan for Caspian oil. In Guardian 15. Februar 2001, http://www.guardian.co.uk/comment/story/0,3604,438134,00.html , der vermutet, die USA hätten die Zustimmung der Kosovo-Albaner zum AMBO-Bau dadurch erlangt, daß sie sich im jugoslawischen Bürgerkrieg auf ihre Seite gestellt hätten.

(7) US Government, Department of Energy: Country Analysis Briefs - Iran. October 2001 http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/iran.html

(8) Bedarf und Knappheit schaffen und bedingen sich gegenseitig, also begriffslogisch. Knappheit oder Bedarf gibt es nicht ansich.

(9) Department of Defense: Quadrennial Defense Review Report http://www.defenselink.mil/pubs/qdr2001.pdf Washington, 30. September 2001. Mittelasien und der Festungsbau sind Kernpunkte des Reports. Laut Vorwort von Verteidigungsminister Rumsfeld würden die Terrorangriffe (erst später nannte man sie Krieg) in wichtigen Punkten die strategische Richtung und die Planungsprinzipien bestätigen, die aus der Review hervorgingen. Nur müsse nun schneller in der eingeschlagenen Richtung vorangeschritten werden. (pdf-Datei, 76 Seiten) Im Vorwort betont Donald Rumsfeld, der Bericht sei weitgehend vor dem 11. September 2001 fertiggestellt worden.

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