Noch vor wenigen Jahren wären internationale Schlagzeilen wie die aus
den vergangenen Wochen undenkbar gewesen. Innerhalb weniger Tage sah
sich die US-Regierung gezwungen, bei gleich zwei ihr außenpolitisch
zentralen Fragen klein beizugeben: Erstens gelang es dem
»Nahost-Quartett«, dem neben den USA Rußland, die EU und die UNO
angehören, die Bemühungen Washingtons zu stoppen, der palästinensischen
Autonomiebehörde den Geldhahn komplett abzudrehen. In der
Iran-Frage
schließlich manövrierte sich die Bush-Administration im
UN-Sicherheitsrat vollkommen ins Abseits, China und Rußland stellten
sich quer. Unfähig, wie gewohnt unilateral zu handeln, ließ sich
Washington daraufhin von seinen europäischen Verbündeten widerwillig
»überzeugen«, sich erneut mit Sanktionen oder gar mit Militärschlägen
gegen den
Iran zurückzuhalten und statt
dessen auf den Ausgang der nächsten Verhandlungsrunde zwischen Teheran
und dem EU-Trio Frankreich, Deutschland und Großbritannien zu warten.
Moskau reserviert
In Rußland hat Präsident Wladimir Putin
derweil souverän auf die Attacken Dick Cheney reagiert. Vor
Regierungschefs des »neuen« Europa warf der US-Vizepräsident Anfang Mai
in Litauen der Putin-Regierung vor, als »Gegner von Reformen zu
versuchen, die Fortschritte des letzten Jahrzehnts zurückzudrehen« und
»die Rechte des Volkes auf unlautere und unsaubere Weise zu
beschneiden«. Den russischen Staatschef selbst beschuldigte er, seine
Nachbarn zu erpressen und einzuschüchtern. Putin ließ sich jedoch von
Cheneys Rundumschlag keineswegs beeindrucken. In seiner Rede zur Lage
der russischen Nation bemerkte er Mitte Mai statt dessen, daß »das
Gerede vom Ende des Rüstungswettlaufs verfrüht« sei. Es ist
offensichtlich: Das Verhältnis zwischen Washington und Moskau ist
wieder frostiger geworden, weshalb zur neuen Agenda Moskaus neben der
Stärkung der russischen Streitkräfte u.a. die Intensivierung der
russisch-kubanischen Beziehungen gehört.
Peking punktet
Die Reihe dümmlicher Kränkungen des
chinesischen Präsidenten Hu Jintao durch die Bush-Administration
während des Staatsbesuchs in Washington Ende April schließlich haben in
Peking all jene Kräfte bestärkt, die sich über den Charakter und das
Ziel der US-Supermachtpolitik keine Illusionen machen. Ohne daß
Washington reagieren könnte, weitet Peking derweil seine diplomatischen
Beziehungen zu immer mehr Ländern aus, die sich traditionell im
Fahrwasser der USA befanden, wie z.B. Saudi Arabien. Dort hatte
Staatspräsident Hu Jintao nach seinem Besuch in Washington unter
Applaus verkündet, Peking wolle in Zukunft im Nahen und Mittleren Osten
»zur Sicherung von Frieden und Wachstum eine größere Rolle spielen« und
»eng mit arabischen Regierungen zusammenarbeiten«.
Selbst
die Türkei, die lange Zeit als einer der engsten Verbündeten
Washingtons galt, ist inzwischen zunehmend auf Distanz gegangen. Das
Vorgehen der USA im Nahen Osten, insbesondere gegen den Irak, ohne
Rücksicht auf strategische Interessen Ankaras, hat dort die
Alarmglocken schrillen lassen, zumal ein US-Angriff auf
Iran
noch fatalere Folgen für die Türkei hätte. Vorsorglich hatte
Außenminister Abdullah Gül Anfang Mai die Nutzung von US-Basen in der
Türkei für Angriffe gegen
Iran untersagt.
Vergeblich hatte Washington die Türken mit dem Bau eines
Atomkraftwerkes zu locken versucht.
Strategische Perspektive
Eine Reaktion der Völkergemeinschaft auf die Willkür der ungezügelten
Machtausübung durch die einzige Supermacht USA konnte nicht ausbleiben,
und zunehmend wird deutlich, daß dem Widerstand gegen Washingtons
Iran-Politik
eine breitere, strategische Perspektive zugrunde liegt. So unterstützt
Peking bei den Vorbereitungen für das Außenministertreffen der
Schanghai-Kooperationsorganisation (SCO) im Juni die Bemühungen
Moskaus,
Iran als Mitglied aufzunehmen.
Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan gehören bereits zu
der von Rußland und China in Leben gerufenen SCO, die die Expansion der
USA in Zentralasien zurückdrängen soll. Die Schließung der US-Basen in
Usbekistan im November 2005 und die drohende Aufkündigung der
US-Stützpunkte in Kirgisien sind erste Erfolge dieser Politik.
Lateinamerika in Aufruhr
Sogar in Lateinamerika, das bis vor
kurzem noch unbestritten als US-amerikanischer Hinterhof galt, schwingt
das politische Pendel gegen Washington. Nach über einem Jahrzehnt der
von Washington gepuschten neoliberalen Wirtschaftspolitik ist die
Region als Ganzes so arm wie zuvor, nur daß die Armen noch ärmer und
die Reichen noch reicher geworden sind. Die wichtigsten politischen
Entwicklungen spielen sich inzwischen außerhalb des direkten
Einflußbereichs Washingtons ab. Boliviens Präsident Evo Morales
schreckt nicht vor den im Westen verteufelten Verstaatlichungen zurück.
Und Argentinien demonstriert, daß der Himmel nicht einstürzt, wenn man
trotz schwerer Wirtschaftsprobleme den Anweisungen des Internationalen
Währungsfonds in Washington nicht Folge leistet.
Für
die US-Regierung sind dies Provokationen, die sie noch vor wenigen
Jahren nicht hingenommen hätte. Jetzt scheint ihr Dank der Lage im Irak
und ihres leichtfertig verspielten internationalen Ansehens nichts
anderes übrig zu bleiben, als dem Treiben zuzusehen. Besonders
bekümmert Washington die Tatsache, daß China für die Länder
Lateinamerikas ein zunehmend wichtiger Handelspartner geworden ist, der
mittlerweile auch damit begonnen hat, die Rolle, die traditionell den
USA vorbehalten war, zu übernehmen, nämlich das lokale Militär
auszubilden (siehe unten). All das spricht für die grundlegende
Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses zuungunsten der USA.