[home]

 

Unilateral geht nicht mehr

Widerstand gegen US-Außenpolitik wächst: Peking und Moskau zeigen sich zunehmend selbstbewußt. Globales Kräfteverhältnis verschiebt sich – zuungunsten Washingtons
Von Rainer Rupp
junge Welt, 01.06.2006 / Ausland / Seite 3
http://www.jungewelt.de/2006/06-01/001.php
 
Noch vor wenigen Jahren wären internationale Schlagzeilen wie die aus den vergangenen Wochen undenkbar gewesen. Innerhalb weniger Tage sah sich die US-Regierung gezwungen, bei gleich zwei ihr außenpolitisch zentralen Fragen klein beizugeben: Erstens gelang es dem »Nahost-Quartett«, dem neben den USA Rußland, die EU und die UNO angehören, die Bemühungen Washingtons zu stoppen, der palästinensischen Autonomiebehörde den Geldhahn komplett abzudrehen. In der Iran-Frage schließlich manövrierte sich die Bush-Administration im UN-Sicherheitsrat vollkommen ins Abseits, China und Rußland stellten sich quer. Unfähig, wie gewohnt unilateral zu handeln, ließ sich Washington daraufhin von seinen europäischen Verbündeten widerwillig »überzeugen«, sich erneut mit Sanktionen oder gar mit Militärschlägen gegen den Iran zurückzuhalten und statt dessen auf den Ausgang der nächsten Verhandlungsrunde zwischen Teheran und dem EU-Trio Frankreich, Deutschland und Großbritannien zu warten.

Moskau reserviert

In Rußland hat Präsident Wladimir Putin derweil souverän auf die Attacken Dick Cheney reagiert. Vor Regierungschefs des »neuen« Europa warf der US-Vizepräsident Anfang Mai in Litauen der Putin-Regierung vor, als »Gegner von Reformen zu versuchen, die Fortschritte des letzten Jahrzehnts zurückzudrehen« und »die Rechte des Volkes auf unlautere und unsaubere Weise zu beschneiden«. Den russischen Staatschef selbst beschuldigte er, seine Nachbarn zu erpressen und einzuschüchtern. Putin ließ sich jedoch von Cheneys Rundumschlag keineswegs beeindrucken. In seiner Rede zur Lage der russischen Nation bemerkte er Mitte Mai statt dessen, daß »das Gerede vom Ende des Rüstungswettlaufs verfrüht« sei. Es ist offensichtlich: Das Verhältnis zwischen Washington und Moskau ist wieder frostiger geworden, weshalb zur neuen Agenda Moskaus neben der Stärkung der russischen Streitkräfte u.a. die Intensivierung der russisch-kubanischen Beziehungen gehört.

Peking punktet

Die Reihe dümmlicher Kränkungen des chinesischen Präsidenten Hu Jintao durch die Bush-Administration während des Staatsbesuchs in Washington Ende April schließlich haben in Peking all jene Kräfte bestärkt, die sich über den Charakter und das Ziel der US-Supermachtpolitik keine Illusionen machen. Ohne daß Washington reagieren könnte, weitet Peking derweil seine diplomatischen Beziehungen zu immer mehr Ländern aus, die sich traditionell im Fahrwasser der USA befanden, wie z.B. Saudi Arabien. Dort hatte Staatspräsident Hu Jintao nach seinem Besuch in Washington unter Applaus verkündet, Peking wolle in Zukunft im Nahen und Mittleren Osten »zur Sicherung von Frieden und Wachstum eine größere Rolle spielen« und »eng mit arabischen Regierungen zusammenarbeiten«.

Selbst die Türkei, die lange Zeit als einer der engsten Verbündeten Washingtons galt, ist inzwischen zunehmend auf Distanz gegangen. Das Vorgehen der USA im Nahen Osten, insbesondere gegen den Irak, ohne Rücksicht auf strategische Interessen Ankaras, hat dort die Alarmglocken schrillen lassen, zumal ein US-Angriff auf Iran noch fatalere Folgen für die Türkei hätte. Vorsorglich hatte Außenminister Abdullah Gül Anfang Mai die Nutzung von US-Basen in der Türkei für Angriffe gegen Iran untersagt. Vergeblich hatte Washington die Türken mit dem Bau eines Atomkraftwerkes zu locken versucht.

Strategische Perspektive

Eine Reaktion der Völkergemeinschaft auf die Willkür der ungezügelten Machtausübung durch die einzige Supermacht USA konnte nicht ausbleiben, und zunehmend wird deutlich, daß dem Widerstand gegen Washingtons Iran-Politik eine breitere, strategische Perspektive zugrunde liegt. So unterstützt Peking bei den Vorbereitungen für das Außenministertreffen der Schanghai-Kooperationsorganisation (SCO) im Juni die Bemühungen Moskaus, Iran als Mitglied aufzunehmen. Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan gehören bereits zu der von Rußland und China in Leben gerufenen SCO, die die Expansion der USA in Zentralasien zurückdrängen soll. Die Schließung der US-Basen in Usbekistan im November 2005 und die drohende Aufkündigung der US-Stützpunkte in Kirgisien sind erste Erfolge dieser Politik.

Lateinamerika in Aufruhr

Sogar in Lateinamerika, das bis vor kurzem noch unbestritten als US-amerikanischer Hinterhof galt, schwingt das politische Pendel gegen Washington. Nach über einem Jahrzehnt der von Washington gepuschten neoliberalen Wirtschaftspolitik ist die Region als Ganzes so arm wie zuvor, nur daß die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher geworden sind. Die wichtigsten politischen Entwicklungen spielen sich inzwischen außerhalb des direkten Einflußbereichs Washingtons ab. Boliviens Präsident Evo Morales schreckt nicht vor den im Westen verteufelten Verstaatlichungen zurück. Und Argentinien demonstriert, daß der Himmel nicht einstürzt, wenn man trotz schwerer Wirtschaftsprobleme den Anweisungen des Internationalen Währungsfonds in Washington nicht Folge leistet.

Für die US-Regierung sind dies Provokationen, die sie noch vor wenigen Jahren nicht hingenommen hätte. Jetzt scheint ihr Dank der Lage im Irak und ihres leichtfertig verspielten internationalen Ansehens nichts anderes übrig zu bleiben, als dem Treiben zuzusehen. Besonders bekümmert Wa­shington die Tatsache, daß China für die Länder Lateinamerikas ein zunehmend wichtiger Handelspartner geworden ist, der mittlerweile auch damit begonnen hat, die Rolle, die traditionell den USA vorbehalten war, zu übernehmen, nämlich das lokale Militär auszubilden (siehe unten). All das spricht für die grundlegende Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses zuungunsten der USA.