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Abstimmung über Fortsetzung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr
Jenseits des Rechts
Bundesrichter Deiseroth zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr
Offener Brief an die Heidelberger Bundestagsabgeordneten
Heidelberg, den 1. Dezember 2009
Sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Sie müssen in Kürze erneut über eine Fortsetzung des Einsatzes der
Bundeswehr in Afghanistan entscheiden. Ich möchte Sie hiermit dringend
bitten, diesmal der Vernunft und dem Mehrheitswillen der Bevölkerung zu
folgen und mit Nein zu stimmen.
Auch Sie müssten doch – nach den Nachrichten der letzten Monate – daran
zweifeln, dass der Krieg in Afghanistan sinnvoll ist, selbst nach Ihren
eigenen Maßstäben.
Die ohne Vorwarnung erfolgte Bombardierung der im Kundus stecken
gebliebenen Tanklastzüge hat doch schlaglichtartig gezeigt, wie brutal
dieser Krieg auch von deutscher Seite geführt wird. Die folgende
Vertuschungsversuche von Armeeführung und Verteidigungsministerium
weisen zudem auf den immanenten Widerspruch von Krieg und Demokratie
hin: Krieg ließ sich noch nie führen, ohne die Bevölkerung über die
wahren Kriegsgründe und -ziele zu täuschen und die Folgen der
Kriegshandlungen zu verschleiern.
Die jüngste Wahlfarce in Afghanistan wiederum, mit der ein vom Westen
eingesetzter Präsident erneut im Amt bestätigt wurde, entlarvte, wie
dünn und brüchig die demokratische Fassade im Protektorat ist. Die
Weigerung von über 70% der Wahlberechtigten sich zu beteiligen, zeigt
deutlich, dass man der afghanischen Bevölkerung auch mit noch so vielen
Truppen, Panzern und Bombern kein pro-westliches Regime aufzwingen
kann. Und schließlich ist der jüngste Bericht von UNICEF, der
Afghanistan als schlimmsten Platz auf der Welt für Kinder ausweist, ein
weiterer Beweis dafür, dass auch von einem materiellen Wiederaufbau des
Landes keine Rede sein kann.
Der Krieg in Afghanistan ist jedoch nicht nur brutal und
kontraproduktiv, zumindest gemessen an den offiziellen Zielen: Der
Einsatz der Bundeswehr dort steht, wie Dieter Deiseroth, Richter am
Bundesverwaltungsgericht, schlüssig darlegt, auch außerhalb des
deutschen und internationalen Rechts.
Ich möchte Ihnen daher – bevor Sie aus Gründen der Staatsräson, der
Bündnistreue oder schlichter Parteidisziplin – trotz allem einer
Mandatsverlängerung zustimmen, dringend raten, den in der Frankfurter
Rundschau abgedruckten Beitrag Deiseroths aufmerksam zu studieren.
(Dieter Deiseroth, „Deutschlands
‚Kampfeinsatz‘ – Jenseits des Rechts“, Frankfurter Rundschau,
26.11.2009)
Deiseroth stellt zunächst fest, dass es völker- oder
verfassungsrechtlich ohne Bedeutung ist, wie die deutsche Regierung den
Einsatz in Afghanistan nennen möchte, ob „Stabilisierungseinsatz“ oder
„kriegsähnlich“ oder „Krieg“. Das sog. humanitäre Völkerrecht verwendet
bewusst nur den allgemeinen Begriff des „bewaffneten Konflikts“.
Das Grundgesetz lässt, so Deiseroth weiter, durchaus eine Ausweitung
des Verteidigungsbegriffs über die pure Verteidigung der Landesgrenzen
zu, selbstverständlich aber nicht beliebig: Es „ist davon
auszugehen, dass ‘Verteidigung‘ im Sinne des Grundgesetzes alles das
umfasst, was nach dem geltenden Völkerrecht zum
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen
(UN-Charta) gehört ...“
Art. 51 UN-Charta begrenzt bekanntlich das Recht zur „individuellen“
und zur „kollektiven Selbstverteidigung“ auf einen „bewaffneten
Angriff“ und auch nur so lange, „bis der Sicherheitsrat (der UNO) die
zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“
„Der Einsatz der Bundeswehr ‚zur Verteidigung‘ ist mithin in diesen
Grenzen ausschließlich als Abwehr gegen einen ‚bewaffneten Angriff‘
erlaubt, jedoch nicht etwa zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung
ökonomischer, politischer oder geostrategischer Interessen“ so der
Bundesrichter weiter:
Ziele, wie zum Beispiel Behinderungen beim Zugang zu Bodenschätzen, zu Ölpipelines oder zu Absatzmärkten zu beseitigen oder gar politische und wirtschaftliche Einflusszonen zu schaffen und zu sichern, berechtigen ebenso wenig zu militärischer Gewaltanwendung in Gestalt individueller oder kollektiver Selbstverteidigung wie die Wahrnehmung der wichtigen Aufgabe der Bekämpfung von individueller, organisierter oder terroristischer Kriminalität.Für Deiseroth, wie für die meisten anderen unabhängigen Völkerrechtler, rechtfertigten die Anschläge vom 11.9. keinen militärischen Angriff:
Auch wenn es sehr mühsam und schwierig ist, terroristische, also kriminelle Täter zu ermitteln, vor Gericht zu stellen und den Nachweis ihrer individuellen Schuld zu führen, rechtfertigt dies nicht, diese Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, dass man stattdessen auf unilaterale militärische Schläge, auf die „gezielte Tötung“ ("targeted killing") von Tatverdächtigen oder gar auf militärische Vergeltungs- und Bestrafungsaktionen gegen Länder setzt, in denen sich Tatverdächtige aufhalten oder aus denen sie stammen.
Der nach dem 11. September 2001 von der US-Regierung unter Präsident Bush jun. und ihren Verbündeten begonnene und bis heute andauernde Krieg in Afghanistan ist dafür ein bedeutsames und folgenschweres Negativ-Beispiel.
Soweit man weitere Tatverdächtige oder Hintermänner in Afghanistan vermutete, hätte man – bei Vorliegen entsprechender konkreter Beweise – ihre Auslieferung betreiben müssen, um sie vor Gericht zu stellen.Die meisten überlebenden mutmaßlichen Mittäter wurden jedoch gar nicht in Afghanistan, sondern beispielsweise in Saudi Arabien oder Hamburg ausgemacht. Deiseroth weist daraufhin, dass das FBI z.B. keine stichhaltigen Beweise für die Beteiligung von Bin Laden an den Anschlägen vorliegen hatte. Die Authentizität der Bekenntnisse Bin Ladens in Video-Botschaften wiederum ist sehr umstritten ist.
Allerdings muss man feststellen und zur Kenntnis nehmen, dass das Petersberg-Abkommen, dessen Umsetzung die Isaf-Einsätze dienen sollten und sollen, in seiner demokratischen und völkerrechtlichen Legitimation sehr zweifelhaft ist. Das resultiert bereits aus der höchst einseitigen Festlegung des Teilnehmerkreises sowie aus den inhaltlichen Vorgaben dieses Abkommens und seiner tatsächlichen Umsetzung in Afghanistan.Deiseroth moniert die geringe Beteiligung der UNO an den Prozessen in Afghanistan sowie die Dominanz der Besatzungsmächte und der mit ihnen verbündeten Warlords aus der „Nordallianz“ durch die dem größten Teil der Bevölkerung die Mitsprache von Anfang an verwehrt wurde:
Die „handverlesenen“ afghanischen Teilnehmer der Petersberg-Konferenz wurden ungeachtet dessen von deren Organisatoren, insbesondere von der US-Administration und der deutschen Regierung, als „Verwalter“ der afghanischen Souveränität dargestellt und als berechtigt ausgegeben, ein völkerrechtliches Dokument („Petersberger Abkommen“) zu unterschreiben und außerdem eine Übergangsregierung zu schaffen, obwohl sie hierzu von der afghanischen Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt ermächtigt oder legitimiert worden waren.Den folgenden politischen Prozess überschreibt Deiseroth treffend mit „Demokratie als Farce“ und kommt schließlich zu folgendem Schluss:
Die Interimsregierung wurde dann auf Druck der USA und auch des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer von dem US-Wunschkandidaten, dem ehemaligen Mudschaheddin und Feudalherrn Hamid Karsai, gebildet.
[…] Das Ergebnis war, wie es der US-Wissenschaftler Barnet R. Rubin formulierte, eine afghanische Regierung, „kreiert in Bonn, die auf der Macht der Warlords beruhte.“
Fest steht jedoch eines: Um eine "Verteidigung" der Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch geht es dabei, allen anderslautenden Behauptungen zum Trotz, jedenfalls nicht. Eine grundlegende politische Neubewertung der andauernden ausländischen Militärintervention(en) in Afghanistan ist überfällig.Dem ist nichts hinzuzufügen.