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Jürgen Rose
Staatsbürger in Uniform
Archaische Kämpfer am Hindukusch *Nur noch Zentimeter von Abu
Ghraib entfernt
FREITAG, 03.11.2006
http://www.freitag.de/2006/44/06440101.php
Gemeinhin sind eher die treuen vierbeinigen Kameraden des Menschen
dafür bekannt, mit Knochen zu spielen. Nun durfte die Welt erfahren,
dass solcherart Verhalten auch unter zweibeinigen Kameraden in den
Reihen der Bundeswehr Usus ist. Die Hunde des Krieges, so hatte
Frederick Forsyth, vormals jüngster Jet-Pilot der Royal Air Force und
später weltbekannter Autor diverser Thriller, eines seiner Werke
betitelt. Er schildert darin die Unmenschlichkeit weißer Söldner
inmitten eines afrikanischen Bürgerkrieges.
Dass Schützengräben und Schlachtfelder oft früher als später den
hauchdünnen Firnis der Zivilisation abbeizen, der den modernen Menschen
im Frieden überzieht, erschreckt zwar stets aufs Neue. Hartgesottenen
Handwerkern des Krieges hingegen entlockt dies lediglich einen
trockenen Kommentar. "Gar keine Frage: Der Zivilisierungsmöglichkeit
einer Armee, die einsatzfähig sein soll, sind verhältnismäßig enge
Grenzen gesetzt", konstatierte Generalmajor Johann Adolf Graf von
Kielmansegg schon 1991 in der Offizierzeitschrift Truppenpraxis. Und
erhob daraufhin die wahrlich zukunftsweisende Forderung: "Auf die
Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr hin ist also alles auszurichten,
Ausbildung, Ausrüstung und Struktur."
Derartige Eingebungen von höchster Stelle erweisen sich in doppelter
Hinsicht als bedeutsam. Zum einen bezeugt die seit Jahren in der
Bundeswehr fortgeschriebene Serie skandalträchtiger "Einzelfälle", die
neben Misshandlungen, sexuellen Perversionen jetzt auch die Schändung
von Toten umfasst, eine tatsächlich prophetische Gabe des Generals. Zum
anderen wird die Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges - das soeben
veröffentlichte "Weißbuch der Bundesregierung" dokumentiert es Schwarz
auf Weiß - von einer Armee, deren Auftrag ursprünglich auf Abschreckung
und Verteidigung lautete, zu einer weltweit kämpfenden
Interventionstruppe "transformiert", die sich notfalls auch an
völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt. Der vormals hoch
gelobte "Staatsbürger in Uniform" gerät unter diesen Umständen zum
hinderlichen Anachronismus.
Exemplarisch brachte dies ein Heeresinspekteur wie Generalleutnant
Hans-Otto Budde auf den Punkt, als er unumwunden für den Typ des
"archaischen Kämpfers" warb, den "wir uns wohl vorstellen müssen als
einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in
Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln." Wie jene Kämpfer und
Krieger sich in der Realität darstellen, offenbaren die Fotostrecken
aus Afghanistan. Gleichwohl besteht der eigentliche Skandal darin, dass
in der Armee Platz ist für die zitierte Spezies im Generalsrock,
weniger darin, dass einige Landser deren Latrinenparolen allzu wörtlich
genommen haben.
Verantwortung für die deutlich zutage tretenden sittlichen
Entgleisungen in den Streitkräften trägt freilich auch deren
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Der hatte schon zu Zeiten des
Irak-Krieges im Frühjahr 2003 die strategische Zielsetzung der so
genannten "Transformation der Bundeswehr" in die Worte gefasst: "Wir
müssen so etwas anbieten, was die Briten mit den USA im Irak gemacht
haben." Im Klartext: Die deutsche Armee müsse bereit und fähig sein,
den Vereinigten Staaten auch dann beizustehen, wenn deren imperiale
Hybris in Verbrechen gegen das Völkerrecht mündet. Damit zeigte sich
Schneiderhan jener rot-grünen Bundesregierung verbunden, die den
US-Streitkräften die erbetene Unterstützung für ihre Aggression gegen
Bagdad vorbehaltlos gewährt hatte. Das Bundesverwaltungsgericht in
Leipzig fällte später ein so eindeutiges wie vernichtendes Urteil über
diese Politik des Völkerrechtsbruchs: "Die Beteiligung an einem
völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt", hieß
es da.
Wenn allerdings von den politischen Eliten dieser Republik fundamentale
Normen des Völkerrechts und der Verfassung gebrochen werden und eine
bedenkenlos gefolgsbereite Bundeswehrgeneralität demonstriert, dass für
die Befehlsgewalt in den Streitkräften geltendes Recht nicht mehr der
alleinige Maßstab ist, darf man sich nicht wundern, wenn auch bei
einigen unteren Rängen der Militärhierarchie die Dämme brechen.
Wie das angesichts der perversen Selbstinszenierungen seiner
Afghanistan-Soldaten medienwirksam vorgetragene Lamento des
Generalinspekteurs zu bewerten ist, erschließt ein Blick in die
"Weisung für die Ausbildung", die er selbst erst im August erlassen
hat. Über die jetzt in aller Munde geführten Themen "Politische
Bildung" sowie "Ethisch-moralische Unterrichtung" wird in der
brandneuen Ausbildungsweisung kein Wort verloren. Statt dessen legt
General Schneiderhan besonderen Wert auf die "körperliche
Leistungsfähigkeit" seiner Kämpfer im Flecktarndress - eine Truppe mit
gestählten Muskeln, aber ohne Hirn und Herz? Jenem so archaischen wie
antiquierten Kämpferkult, der immer mehr um sich zu greifen scheint,
hatte einst Wolf Graf von Baudissin ein Konzept der Inneren Führung mit
dem Leitbild des demokratischen Staatsbürgers in Uniform
entgegengesetzt. Erneut zeigt sich heute, wie Recht er hatte, auf einer
"Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses" - sprich:
einer Zivilisierung des Militärs - zu bestehen. Völlig unbeeindruckt
hiervon haben dieselben Politiker und Generäle, die sich nun
scheinheilig über den moralisch entgleisten Landser aus der
militärischen Unterschicht erregen, die Armee an jenen Ort geführt, wo
sie heute steht: Nur noch Zentimeter entfernt von Abu Ghraib.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er
vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.