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Jochen Scholz
Geheime Krieger
Verdeckte Operationen in rechtsfreien Räumen - Das "Kommando
Spezialkräfte"(KSK) reflektiert das gestörte Verhältnis der deutschen
Außenpolitik zu Völkerrecht und Verfassung
FREITAG, 27.10.2006
http://www.freitag.de/2006/43/06430201.php
Vor viereinhalb Jahren wurde in dieser Zeitung prognostiziert, dass
sich die rot-grüne Bundesregierung durch den verdeckten Einsatz des
"Kommandos Spezialkräfte" (KSK) der Bundeswehr in Afghanistan eine
Eiterbeule einhandeln werde. Nun könnte sie platzen und mit ihrem
septischen Inhalt sowohl noch im Amt befindliche als auch
Entscheidungsträger infizieren, die glauben, sich mit dem Rückzug aus
der Politik ihrer Verantwortung entziehen zu können.
Mit dem Trick, dass sich der Verteidigungsausschuss als
nicht-öffentliches Untersuchungsgremium konstituiert - der einzige
Ausschuss des Bundestages, dem das Grundgesetz dies auf Begehren eines
Viertels seiner Mitglieder gestattet - und dem
BND-Untersuchungsausschuss den Fall Murat Kurnaz entzieht, wird die
große Koalition allenfalls Zeit gewinnen und die Politikverdrossenheit
steigern. Sobald Strafanzeige gestellt wird, dürfte es mit der
Geheimniskrämerei ohnehin vorbei sein.
Zu warnen wäre freilich vor der Methode "Haltet den Dieb!". Das
Fehlverhalten von Soldaten des KSK ist dem Auftrag und Geist dieser
Formation immanent. Ausgebildet wird das Kommando seit Jahren zusammen
mit ähnlichen Einheiten der NATO-Verbündeten, die von ihren Regierungen
einen Blankoscheck für das häufig völkerrechtswidrige Verhalten im
Einsatz erhalten - aufgestellt wurde das KSK einst von Reinhard Günzel
und damit jenem General, der seine reaktionäre Gesinnung im Fall des
einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann allzu öffentlich machte
und deshalb vom damaligen Verteidigungsminister Struck entlassen wurde.
Günzel hat soeben zusammen mit Ulrich Wegener, dem ehemaligen Chef der
GSG 9, und Wilhelm Walther, dem letzten Kommandeur der Brandenburger
(einer Hitlers Abwehrchef Canaris unterstehenden Geheimtruppe der
Wehrmacht), das Buch Geheime Krieger herausgegeben. Günzel bekennt
darin "freimütig", die Brandenburger seien für ihn ein Vorbild. Was die
Oktoberausgabe der Zeitung des Bundeswehrverbandes nicht daran hindert,
das Werk freundlich und völlig kritiklos zu besprechen.
Zum geistigen Umfeld der KSK gehört auch ein Inspekteur des Heeres, der
den einstigen "Staatsbürger in Uniform", das behauptete Markenzeichen
der Bundeswehr bis 1990, durch den "archaischen Kämpfer und
High-Tech-Krieger" ersetzen will, ohne dass hierzu bisher eine einzige
Reaktion der Politik zu vernehmen war. Schließlich hat auch das
Parlament vor der Exekutive kapituliert und dem KSK quasi erlaubt, bei
der Erprobung seiner Feldtauglichkeit in Afghanistan ohne wirksame
Kontrolle zu bleiben. Ein Versäumnis, das geradezu zwangsläufig in
rechtliche Grauzonen führen muss.
Völlig verfehlt wäre daher eine Debatte, die sich des Verhaltens
einzelner KSK-Angehöriger annimmt. Soweit sie gegen das allgemein
gültige Soldatengesetz mit seinen glasklaren, an Grundgesetz und
Völkerrecht ausgerichteten Bestimmungen für Befehlsausgabe und Gehorsam
verstoßen haben, ist dem Recht Genüge zu tun. Doch mag - wer über
individuelle Schuld urteilt - auch bedenken, dass der Fisch am Kopf zu
stinken beginnt. Die Frage ist doch: Darf sich die Öffentlichkeit
ernsthaft über eine Erosion der Rechtstreue bei einzelnen Staatsbürgern
empören, wenn Bundesregierungen seit Jahr und Tag das Grundgesetz
missachten und weisungsgebundene Generalbundesanwälte ihnen dabei
strafrechtlich den Rücken freihalten? Hat die rot-grüne Bundesregierung
1998/99 etwa wahrheitsgemäß über die wirkliche Lage im Kosovo
informiert, wie sie von den Nachrichten-Fachleuten des
Verteidigungsministeriums analysiert und dargelegt wurde? Hat sie nicht
vielmehr mit nicht existenten "Hufeisenplänen" hantiert? Und hat nicht
die Regierung Schröder wahrheitswidrig behauptet, sie sei wegen der
Bündnistreue innerhalb der NATO rechtlich verpflichtet, den USA eigenes
Territorium und eigenen Luftraum für die Aggression gegen den Irak zu
überlassen? Hat ihr nicht das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil
vom Juni 2005 in der Sache des Majors Florian Pfaff hierzu eine
schallende Ohrfeige erteilt? Hat der frühere Verteidigungsminister
Scharping in einem WDR-Interview nicht gar die Gesetze der Chemie auf
den Kopf gestellt, als er zu beweisen trachtete, serbische Soldaten
hätten mit in Kellern geöffneten Gasflaschen die Dächer albanischer
Häuser weg gesprengt?
Niemand sollte glauben, solche hanebüchenen Lügen gingen spurlos an der
Gesellschaft vorbei. Die aus dem Dunst von Geheimoperationen an die
Oberfläche geratenen Skandale sind größtenteils den Brüchen der Außen-
und Sicherheitspolitik während des vergangenen Jahrzehnts geschuldet.
Schritt für Schritt hat sich die politische Klasse von dem
verabschiedet, was einmal als Handlungsmaxime galt: Machtpolitische
Zurückhaltung, Militär zur Kriegsverhinderung, Gewaltverzicht,
friedliche Konfliktbeilegung.
Die Bundeswehr wird längst zu einer weltweit einsetzbaren
Interventionsarmee umgebaut, auch wenn das in der Bevölkerung
mehrheitlich abgelehnt wird. Folglich agiert sie nicht offen, sondern
bedient sich einer Orwellschen Sprache, um von Friedenseinsätzen reden
zu können, wenn es tatsächlich um getarnte Unternehmen im Dienste der
US-Operation Enduring Freedom geht.
Der Autor ist ehemaliger Oberstleutnant der Bundesluftwaffe