Waterberg 1904
Am 12. Januar vor hundert Jahren erhoben sich die Herero gegen die
deutsche Kolonialherrschaft
Von Claus Kristen, junge Welt, 12. /13. Januar 2004
Am 12. Januar vor hundert Jahren erhoben sich die Herero gegen die
deutsche Kolonialherrschaft. Der Aufstand wurde niedergeschlagen in
einem der blutigsten Kolonialkriege der Geschichte, dessen Auswirkungen
bis in die Gegenwart reichen.
Ausgerechnet Samuel Maharero, bislang einer der zuverlässigsten
Verbündeten unter den Einheimischen, äußert diese haßerfüllten Sätze:
"An alle Großleute meines Landes. Ich bin Samuel Maharero,
Oberhäuptling der Herero. Ich kämpfe, tötet alle Deutschen. Ich habe
einen Befehl an alle meine Leute angefertigt, daß sie nicht weiter ihre
Hände legen an folgende: Engländer, Bastards, Bergdamara, Nama, Buren.
Alle diese rühren wir nicht an. Tut dies nicht! Ich habe einen Eid
geschworen, daß dieser Beschluß nicht bekannt werden darf, auch nicht
den Missionaren. Genug!" Und die Herero lassen den Worten Taten folgen.
Am 12. Januar 1904 beginnt der Aufstand. In den nächsten Tagen werden
123 Deutsche getötet. Häufig werden deutsche Farmer nichtsahnend
herausgerufen, ihnen wird ein "guter Tag" gewünscht und anschließend
mit der Keule der Schädel eingeschlagen. Frauen und Kinder werden bis
auf wenige Ausnahmen verschont.
"Schutzverträge"
Das Deutsche Reich und Südwestafrika vor 100 Jahren - ein Gegensatz,
wie er größer nicht hätte sein können. Südwestafrika ein karges
Gebirgsplateau zwischen zwei fast wasserlosen Wüsten mit der Ausdehnung
des heutigen Deutschlands und Frankreichs und einer Einwohnerzahl von
nicht einmal 250 000 Menschen. Neben seit langem ansässigen Stämmen
waren die Nama ("Hottentotten") aus dem Süden, dem Kapland,
eingewandert, von burischen Kolonisten getrieben. Sie stießen auf die
von Norden kommenden Herero, die von den Portugiesen verdrängt worden
waren. Stammeskonflike waren eine nahezu zwangsläufige Folge des
europäischen Kolonialismus.
In einem amtlichen "Weißbuch", welches dem deutschen Reichstag 1895
vorgelegt wird, heißt es: "Ein Umstand, der Hottentotten und Herero so
hinderlich ist, sich europäischer Kultur einzuordnen, ist ihre
›Staatsverfassung‹. ... nicht allein die Männer, sondern häufig genug
auch die Weiber, selbst die Diener geben ihren Rath mit ab. So fühlt
sich eigentlich keiner so recht als Untertan, keiner hat so recht
gelernt, sich zu fügen."1) Über die Nama berichtet das "Weißbuch": "So
lange einer noch etwas hat, teilt er es redlich mit jedem des Weges
Kommenden ... und betrachtet das als etwas ganz Selbstverständliches
... Diese Eigenschaft ist aber einer wirtschaftlichen Entwicklung des
Volkes sehr hinderlich, denn sie führt zum ausgesprochenen Kommunismus
und großer Leichtlebigkeit."
Bezüglich der Herero erfahren wir: "Der Herero ist nur Viehzüchter,
alle andere Arbeit dünkt ihm des freien Kaffern unwürdig; nur was sich
auf die Großviehzucht bezieht, dünkt ihm der Beachtung wert. Für die
Rinder aber stellt er sich stundenlang hin, um Wasser zu schöpfen in
glühender Sonne." Tatsächlich waren die Herero ein Volk von
Viehzüchtern. Den Dreh- und Angelpunkt in ihrem Leben bildeten ihre
Rinderherden. Reichtum galt ihnen als Reichtum an Rindern. Weit
verstreut über das Land lebend, kannten sie keinen Privatbesitz an
Weideflächen; es galt: "Wo meine Rinder weiden, ist Hereroland." Hier
lag eine Wurzel des Konflikts zwischen ihnen und den Nama, die sich
häufig als Viehräuber betätigten.
Mit den Deutschen hatten die Einheimischen bereits seit Mitte des 19.
Jahrhunderts Bekanntschaft gemacht. Die "Rheinische
Missionsgesellschaft" betrieb neben ihrer Missionstätigkeit einen
schwunghaften Handel mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Werkzeug und
Waffen. Darüber hinaus lavierte sie in den Stammeskonflikten, wechselte
dabei die Seiten und forderte, als ihre Interessen ernsthaft bedroht
wurden, erst England und dann das Deutsche Reich auf, die Herrschaft
über das Land zu übernehmen.
Es war der Kaufmann Adolf Lüderitz aus Bremen, der hoffte, in diesem
Winkel der Erde Geschäfte machen zu können. Sein Interesse war die
Gewinnung von Kupfer, Gold und Diamanten, die in Südwestafrika vermutet
wurden. 1893 rüstete er eine Expedition aus, um Land zu kaufen.
Tatsächlich wurden Verträge geschlossen, mit denen er einen Streifen an
der Küste erwarb. Sein Vertragspartner, ein Nama-Häuptling, war der
Meinung, ein kleineres, wertloses Sandgebiet gegen 500 englische Pfund,
60 Gewehre und eine rote Husarenuniform getauscht zu haben, aber er
kannte nicht die Raffinesse der deutschen Kaufleute. Diese hatten
bewußt den Begriff "geographische Meile" statt der geläufigen
"englischen Meile" in die Verträge eingefügt. Die "geographische Meile"
allerdings war fast fünfmal größer als die "englische", und so wurde
die Landnahme in Südwestafrika mit einem Betrug eröffnet. Im Jahr
darauf erklärte das Deutsche Reich die "Schutzherrschaft" über die
Lüderitzschen Erwerbungen. Damit begann auch offiziell die deutsche
Kolonialpolitik.
Kolonialherrschaft etabliert
Das geschah im Deutschen Reich keineswegs reibungslos. Auf der einen
Seite hatte Friedrich Fabri, der Leiter der "Rheinischen Mission", sein
Pamphlet "Bedarf Deutschland der Colonien?" veröffentlicht, und der
"Deutsche Kolonialverein" rührte massiv die Werbetrommel für die
Eroberung von Kolonien, denn darin sei das Reich seit seiner Gründung
1871 leer ausgegangen. Auf der anderen Seite gab es einen gewichtigen
Gegenspieler: Reichskanzler Otto von Bismarck. Noch 1881 bemerkte er:
"So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik";
bekannt ist auch sein Ausspruch: "Meine Karte von Afrika liegt in
Europa." Die klassische Begründung von Kolonialpolitik - Gewinnung von
Rohstoffen und Schaffung von Absatzmärkten - überzeugte ihn nicht.
Warum leitete er dennoch die Geschichte der deutschen Kolonien ein,
indem er die Schutzherrschaft des Reichs über die von Lüderitz
erworbenen Gebiete anerkannte?
Zum einen diente Kolonialpolitik zur Ableitung innenpolitischer
Spannungen sowie als Propagandamittel anläßlich der Reichstagswahlen,
wie der Ausspruch Bismarcks bezeugt: "Die ganze Kolonialgeschichte ist
ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen." Zum anderen
verbesserte sie den herrschaftsfördernden Kontakt zu
konservativ-reaktionären Eliten, auf die sich der Reichskanzler
stützte. Zweifellos spielte auch die gerade ausgebrochene
Wirtschaftskrise eine Rolle, ebenso die Konkurrenz zum imperialen
Großbritannien und das weit verbreitete Gefühl, im Weltmaßstab eine zu
kurz gekommene Nation zu sein. Zudem übten die in Afrika tätigen
deutschen Handelsgesellschaften starken Druck auf die Reichsregierung
aus.
Ob widerstrebend oder nicht - Bismarck erklärte 1884 die ersten Teile
Südwestafrikas zum deutschen "Schutzgebiet" und entsandte als
Landeshauptmann Dr. Heinrich Ernst Göring, Vater des späteren
Faschisten und "Reichsmarschalls" Hermann Göring. Doch Heinrich Göring
agierte recht erfolglos. Entscheidend war seine unglückliche Figur im
Konflikt zwischen Herero und Nama, in dem er jegliches Vertrauen bei
den Einheimischen verspielte. Der Nachfolger Görings begriff die
Auseinandersetzungen zwischen Herero und Nama als Chance. Gegen die
Anerkennung von "Schutzverträgen" bot er den Herero Hilfe an;
schließlich wußten die Deutschen, mit welcher Strategie sie vorgehen
mußten: "Von großer Wichtigkeit war die Abgrenzung der Stämme und
Kapitänschaften, sowie die Zuweisung von Reservaten an die
Eingeborenen." 2)
Doch völlig unerwartet schlossen Herero und Nama Frieden miteinander.
Die Deutschen mußten jetzt befürchten, von beiden als Gegner angesehen
zu werden. Sie reagierten militärisch: mit einem Angriff auf die Nama,
die sie ebenfalls zu einem "Schutzvertrag" zwangen. Die Nama waren
damit zunächst ausgeschaltet. Als bester Verbündeter der Deutschen
entpuppte sich jetzt Samuel Maharero, Oberhäuptling der Herero.
Protegiert von den Deutschen schloß er mit ihnen Grenzverträge, zu
denen er gar nicht autorisiert war und leistete sogar Hilfe bei der
Bekämpfung von Aufständen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien die Kolonie Südwestafrika
weitgehend befriedet. Als einziges der deutschen "Schutzgebiete" galt
sie, besonders wegen ihrer klimatischen Bedingungen, als größere
Siedlungskolonie. Doch unter den Herero machte sich Unmut über die
Landverkäufe Samuel Mahareros und den Verlust ihres Stammesgebietes an
die Deutschen bemerkbar. Auch durch den Bau einer Eisenbahn wurden sie
vieler ihrer besten Weidegebiete enteignet. Dann geschahen in kürzester
Zeit mehrere Katastrophen: Die Rinderpest brach aus, unmittelbar darauf
eine Malariaepidemie, eine Heuschreckenplage und schließlich eine
Dürreperiode.
Die Rinderpest hatte katastrophale Auswirkungen für die Herero, fast 70
Prozent ihrer Tierbestände wurden vernichtet. Ein forcierter Prozeß der
Verarmung und Verelendung trat ein. Zwar schien es vorübergehend, als
wüchsen die Herden durch geschickte Züchtung wieder an, doch machten
sich nun weitere Probleme bemerkbar: Die Deutschen hatten in Form von
Siedlern, Land- und Minengesellschaften große Teile des Weidelandes
aufgekauft. Dazu kam die Herrenmenschen-Attitüde vieler Siedler, die in
jeglicher Hinsicht massive Diskriminierung der Einheimischen, die auf
der Tagesordnung stehende körperliche "Züchtigung" durch die
"Schambock" genannte Nilpferdpeitsche und häufige sexuelle Übergriffe
gegenüber einheimischen Frauen.
Dennoch schien, oberflächlich betrachtet, die Kolonie fest in deutscher
Hand. Lediglich kleinere Erhebungen waren zu verzeichnen. So auch im
Oktober 1903, als die Bondelzwarts mit 300 Kriegern im Süden einen
Aufstand begannen. Der inzwischen zum Gouverneur des "Schutzgebietes"
und Kommandeur der "Schutztruppe" avancierte Major Leutwein eilte an
den Ort des Geschehens, um die Angelegenheit möglichst schnell zu
beenden. Dabei nahm er fast die gesamte "Schutztruppe" mit, die
inzwischen aus 800 Mann bestand.
Der Vernichtungskrieg
Es gab durchaus Vorzeichen des Herero-Aufstandes. Meldungen über
größere Zusammenkünfte von Häuptlingen wurden bekannt. Auch häuften
sich gegen Ende des Jahres Viehdiebstähle, Widersetzlichkeiten und
"freches Benehmen" der Herero, eine ungewöhnliche "Kaufwut" ohne
Rücksicht auf Preise trat auf.
Vom 12. Januar 1904 an schlug die Empörung der Herero in Gegengewalt
um. Völlig überraschend für die Deutschen stand an der Spitze des
Aufstands Samuel Maharero. Er unternahm auch den Versuch, die Erhebung
auf andere Stämme auszuweiten. In einem Brief an den "Kapitän"
(Häuptling) der Nama, Hendrik Witbooi, seinen einstmals größten
Widersacher, schrieb er: "Laß uns lieber zusammen sterben und nicht
sterben durch Mißhandlung, Gefängnis oder auf allerlei andere Weise
...", und in einem anderen Brief: "Weiter will ich dich, Kapitän,
benachrichtigen, daß mein Wunsch der ist, daß wir schwachen Nationen
aufstehen gegen die Deutschen ..."
Bemerkenswert ist hierbei, daß Samuel Maharero das tribalistische
Denken überwand. Während anfangs die europäischen Kolonisten als ein
neuer Stamm unter anderen Stämmen betrachtet wurden, waren sie jetzt
als Kolonialherrscher erkannt, gegen die nur mit vereintem Handeln
Widerstand möglich war. Tatsächlich weiteten sich die
Auseinandersetzungen bis in das bislang relativ autonome Ovamboland im
Norden aus. Auf der anderen Seite unterstützten auch Einheimische die
Deutschen militärisch. Ein gleichzeitiger und koordinierter Aufstand,
dem die Kolonialherren nicht gewachsen gewesen wären, fand nicht statt.
Die Siedler waren entsetzt. Ein Teil war völlig unvorbereitet, ein
anderer Teil erst am Tage vorher gewarnt worden. Wer nicht den Herero
zum Opfer fiel, verschanzte sich in Festungen. Major Leutwein und der
größte Teil der Schutztruppe befanden sich noch im Süden des Landes.
Die Stimmung unter den Siedlern beschreibt ein Missionar: "Die
Deutschen sind erfüllt von einem furchtbaren Haß und schrecklichem
Rachedurst, ja, ich möchte sagen Blutdurst gegen die Hereros. Man hört
in dieser Beziehung nichts als: ›aufräumen, aufhängen, niederknallen
bis auf den letzten Mann, kein Pardon‹ etc. Mir graut, wenn ich an die
nächsten Monate denke. Die Deutschen werden ohne Frage schreckliche
Rache nehmen."3)
Zu Beginn plünderten die Herero Farmen und Vieh, beschädigten
Eisenbahnlinien und Telegraphenleitungen und belagerten die
verschanzten Deutschen, griffen diese aber nicht direkt an. Major
Leutwein beantragte Verstärkung in Berlin, die er umgehend erhielt.
Rund 8 000 Herero-Soldaten standen jetzt 2 000 waffentechnisch
überlegene deutsche Soldaten gegenüber. Bis April war die militärische
Lage durchaus ausgeglichen. Leutwein beabsichtigte eine
Verhandlungslösung oder eine Entscheidungsschlacht, in der die Herero
kapitulieren sollten. Seine größte Befürchtung war der Abzug der Gegner
in das britische Betschuanaland. Neben dem Verlust der Herero als
Arbeitskräfte hätte dies auch den Verlust riesiger Rinderherden
bedeutet - eine enorme wirtschaftliche Gefahr für die Siedler. Nach
einer weiteren Verstärkung mit 1 200 Soldaten plante er die
Entscheidung am Waterberg. Dort, in einem wasser- und weidereichen
Gebiet, befand sich die Hauptgruppe der Herero.
In Berlin war man in höchstem Grade beunruhigt. Dieser Konflikt kam
völlig unerwartet; er sollte schnellstmöglich beendet werden. Die
Leitung der Operationen erhielt der Chef des Generalstabs des Heeres,
Graf Schlieffen. Von der Reichshauptstadt aus entmachtete er Major
Leutwein, der in den Augen vieler Siedler als "Kaffernfreund" galt -
man sprach vom "System Leutwein" - und schickte als dessen Nachfolger
General von Trotha nach Afrika. Von Trotha hatte sich bereits bei der
Niederschlagung von Aufständen in Ostafrika und China hervorgetan.
Seine Einschätzung: "Dieser Aufstand ist und bleibt der Anfang eines
Rassenkampfes." Seine Strategie: "Ich kenne genug Stämme in Afrika. Sie
gleichen sich alle in dem Gedankengang, daß sie nur der Gewalt weichen.
Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit
auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen
Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld." Trotha erklärte
sofort den Kriegszustand über die gesamte Kolonie.
Die Kriegführung gestaltete sich für die deutschen Soldaten alles
andere als einfach. Nachts in klirrender Kälte, tagsüber unter
sengender Sonne schleppten sie sich mit ihren Zugtieren häufig am Rande
des Verdurstens durch eine fast wasserlose Wüste: "Wie kraftlose
Gerippe schlichen die Soldaten schließlich durch den tiefen Sand, in
zerrissenen Stiefeln, mit zerlumpten Uniformen, entsetzlich schmierig
dazu, die Hände voll Eiterbeulen von Dornenritzen und
Insektenstichen."4) War eine Wasserstelle erreicht, fielen Mensch und
Tier darüber her. Doch viele Wasserstellen waren verseucht mit der
Folge von Typhuserkrankung und Brechdurchfall.
Auch kämpfte der Gegner mit Raffinesse. Hinter den ewigen
Dornenbüschen, die bei vielen Soldaten Traumata auslösten, hörten sie
häufig Rufe wie: "Nicht schießen, wir sind es!" oder: "Artillerie
kommt!" oder: "Viktoria!", und hervor traten Menschen in deutschen
Uniformen oder gar europäischen Sommeranzügen - Krieger der Herero.
Entnervend für die deutschen Soldaten auch die hinter den kämpfenden
Reihen stehenden Hererofrauen und ihr rhythmischer Sprechgesang: "Wem
gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland!" Allein die Tatsache, daß die
Frauen mit in den Krieg zogen, wirkte stark irritierend.
So sah es ein Hauptmann der 1. Feldkompanie: "... ein heftiges
Gewehrfeuer schlug der kleinen Abteilung entgegen ... Gleichzeitig
brachen die Hereros schon hervor ... mit großer Geschicklichkeit und
unter Ausnutzung jeder Deckung. Schließlich stürmten sie mit Hurrah,
voran ein Herero mit gezogenem Degen und in deutscher Offiziersuniform
... Hinter der Schützenlinie schrien und tanzten die Hereroweiber und
feuerten die Krieger zum Kampfe an."
Aber die Herero hatten keine Chance mehr. Von Trotha plante, sie am
Waterberg zu umzingeln und militärisch zu vernichten. Dazu hatte er
inzwischen 4 000 Soldaten, 30 Geschütze und zwölf Maschinengewehre zur
Verfügung. Obwohl sein Plan der militärischen Vernichtung scheiterte,
war für die Alternative gesorgt. Zwar gelang es den Herero, am
schwächsten Punkt die Umzingelung zu durchbrechen. Dieser führte sie
allerdings in die wasserlose Wüste Omaheke, das "Sandfeld". Im
"Generalstabsbericht" des deutschen Großen Generalstabes heißt es
hierzu: "Sollten die Hereros indessen doch versuchen, hier
durchzubrechen, so mußte ein solcher Ausgang der deutschen Führung um
so erwünschter sein, als der Feind dann freiwillig in sein Verderben
rannte. Denn in dem wasserlosen Sandfelde mußte er verdursten."5)
Die Verfolgung der Herero beurteilt der offizielle Militärbericht
folgendermaßen: "Diese kühne Unternehmung zeigt die rücksichtslose
Energie der deutschen Führung bei der Verfolgung des geschlagenen
Feindes in glänzendem Lichte. Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden
gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu
rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu
Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich, willenlos, ein Opfer der
Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte
vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung
des Hererovolkes."
Keinerlei Entschädigung
Wie wurde mit den überlebenden Herero verfahren? An den
politisch-strategischen Überlegungen des Generals von Trotha läßt der
deutsche Generalstab keine Zweifel: Trotha "hielt die Annahme einer
mehr oder minder freiwilligen Unterwerfung, die die Möglichkeit eines
Wiederaufbaus der alten Stammesorganisation geboten hätte, für den
größten politischen Fehler, der sich über kurz oder lang wieder blutig
rächen würde. Er sah in der ganzen Aufstandsbewegung im deutschen
Schutzgebiet das erste Anzeichen eines Rassenkampfes, mit dem alle am
afrikanischen Kolonialbesitz beteiligten europäischen Mächte zu rechnen
hätten. Bei dieser Sachlage mußte jede Nachgiebigkeit auf deutscher
Seite dem Gedanken, daß Afrika seinen Bewohnern allein gehöre..., neue
Anhänger zuführen. Der Kampf mußte also weitergeführt werden, solange
überhaupt die Möglichkeit eines Wiederauflebens der Widerstandskraft
der Herero vorhanden war."6)
Die Herero kannten den Weg durch die Omaheke in das britische
Betschuanaland. Vernichtet wurden sie, indem die deutschen Truppen die
Wasserstellen besetzten und die auftauchenden Herero in die Wüste
zurücktrieben.
Im Oktober 1904 erläßt von Trotha folgende berüchtigte, im
Militärbericht unerwähnt gebliebene Proklamation, den sogenannten
"Vernichtungsbefehl":
"2.
Oktober 1904. Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende
diesen Brief an das Volk der Herero: Die Herero sind nicht mehr
deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten
Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und
wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder,
der einen der Kapitäne an einer meiner Stationen als Gefangenen
abliefert, erhält 1 000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5 000
Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk
dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot-Rohr (Geschütz, C. K.)
dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und
ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder
Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie
schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große
General des mächtigen Kaisers, von Trotha."7)
Kaum deutlicher könnte sein Vernichtungswille ausgedrückt werden, und
wie zur Bestätigung erklärt Trotha kurz darauf: "Die Absperrung der
Ostgrenze der Kolonie und die Ausübung des Terrorismus gegen jeden sich
zeigenden Herero bleibt, solange ich im Lande bin, bestehen. Die Nation
muß untergehen. Wenn es mir nicht gelang, sie durch die Geschütze zu
vernichten, so muß es auf diese Weise geschehen."8)
Der Aufstand der Nama
Von 80 000 Herero überlebten 15 000. Der Zustand der Überlebenden war
katastrophal. Skeletten gleichend schwankten sie in verzerrten
Körperhaltungen wie Gespenster aus dem Wüstensand den Deutschen
entgegen.
Doch bereits vor dem Ende des Herero-Feldzugs erhoben sich die Nama im
Süden des Landes unter ihren legendären Führern Hendrik Witbooi und
Jakob Marengo. Sie verfolgten nicht die Strategie offener
Feldschlachten, sondern eines ausgesprochenen Guerillakrieges, in dem
zum Schluß die auf 15 000 Personen angewachsene Schutztruppe 260
Aufständischen gegenüberstand. Eine Schlappe für das Deutsche Reich,
wie sie größer nicht sein konnte. Sogar der Reichstag wurde aufgelöst,
als die Sozialdemokraten und das katholische Zentrum einen
Nachtragshaushalt für diesen Krieg blockierten; die Wahlen zum neuen
Reichstag im Jahre 1907 werden als "Hottentottenwahlen" bezeichnet. Sie
brachten einen massiven Gewinn für die Befürworter der Kolonialpolitik.
In den Kriegen in Südwestafrika starben 80 Prozent der Herero, 50
Prozent der Nama und ein Drittel der Bergdamara, die zwar mit den
Kampfhandlungen eigentlich nichts zu tun hatten, aber von den Deutschen
nicht von den Herero unterschieden wurden. Ab 1905 begannen die
Deutschen, überlebende Nama und Herero in Konzentrationslager zu
sperren. Aufgrund der dort herrschenden Zustände starben nochmals
Tausende, insgesamt 45 Prozent der Gefangenen. Dies ging den
Missionaren und selbst einigen Militärs zu weit, wie Major v. Estorff,
der nach Berlin telegraphierte, es seien von den überlebenden Männern
"nur periodisch 25 arbeitsfähig, alle übrigen sich nur noch an Stöcken
fortbewegen, so daß weiterer Verbleib auf Haifisch-Insel Hottentotten
einem langsamen und sicheren Tode entgegenführt. Von September 1906
sind von 1 795 Eingeborenen 1 032 auf Haifisch-Insel gestorben. Für
solche Henkersdienste ... übernehme ich keine Verantwortung ..."9)
Frauen mußten in den Lagern die Köpfe ihrer Toten mit Glasscherben
säubern, bevor diese an wissenschaftliche Sammlungen und Universitäten
in Deutschland verschickt wurden. Hartnäckig hielt sich das Gerücht -
was lag auch näher? -, die Deutschen seien Kannibalen.
Schließlich erreichten massive Proteste im Deutschen Reich und dem
Ausland die Entlassung v. Trothas und die Auflösung der
Konzentrationslager. Für die überlebenden Herero und Nama folgten
allerdings die Enteignung von Vieh und Land, Verbot von Ansiedlungen
von mehr als zehn Familien, Arbeitszwang und Einführung einer
Paßpflicht mit sichtbarem Tragen einer Paßmarke und eines Dienstbuches.
Die Weißen hatten nun mehr als genug Land. Forciert durch die
Entdeckung von Kupfervorräten und Diamanten kamen immer mehr Deutsche:
1907 waren es 7 000, 1913 bereits 14 000. Die Ausbeutung des Landes lag
in der Hand verschiedener Gesellschaften wie der "Deutschen
Kolonialgesellschaft für Südwestafrika" (bestehend aus sieben
Großbanken), der "Diamanten-Regie" (18 Großbanken), dem
"Südwestafrikanischen Minensyndikat" (gegründet von 32 Bankhäusern),
der "Diamanten-Pachtgesellschaft" oder der "Kolonialen
Bergbau-Gesellschaft". Die Dividenden schossen in die Höhe.
Der Erste Weltkrieg bereitete der deutschen Kolonialherrschaft ein
Ende. Südwestafrika gelangte durch ein Mandat des Völkerbundes in die
Hände des Apartheidstaates Südafrika. Es dauerte weitere 75 Jahre, bis
es als Namibia im Jahr 1990 seine Unabhängigkeit erlangte.
Entschädigung gefordert
Im Sommer des Jahres 2001 gingen im Zusammenhang mit einer
Antirassismuskonferenz der UNO folgende Meldungen durch die Presse:
"Häuptling fordert Entschädigung - Namibischer Herero-Stamm strengt in
den USA Verfahren gegen Deutschland an." (Braunschweiger Zeitung,
29.8.2001)
Die Herero-Forderung wird mitunter als ein Trittbrettfahren im
Zusammenhang mit der Entschädigung für Zwangsarbeit in der deutschen
Industrie im Zweiten Weltkrieg betrachtet. Aber bereits 1989, also ein
Jahr vor der Unabhängigkeit Namibias, hatte Oberhäuptling Kuaima
Riruako einen unbeantwortet gebliebenen Brief an Bundeskanzler Helmut
Kohl mit der Forderung nach Wiedergutmachung geschickt. Als Helmut Kohl
1995 Namibia besuchte, lehnte er ein Treffen mit einer
Herero-Delegation ab und unterhielt sich statt dessen mit seinen
"lieben Landsleuten" in Windhoek und Swakopmund. 1998 führte ein Besuch
des Bundespräsidenten Roman Herzog immerhin zu einer kurzen Unterredung
mit den Herero, in der Herzog äußerte: "Wir sind uns natürlich bewußt,
daß die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialverwaltung
und den Herero nicht in Ordnung war." Dies könne aber nicht zu
finanziellen Forderungen führen. Auf der Antirassismuskonferenz der UNO
im September 2001 sprach Außenminister Fischer von "Schuld",
"Verantwortung" und "historischer Verpflichtung", ohne die deutsche
Kolonialherrschaft auch nur ansatzweise zu erwähnen.
Die Forderung der Herero beläuft sich auf vier Milliarden US-Dollar.
Sie seien in Namibia marginalisiert, kaum in der Regierung vertreten
und beanspruchen die Entschädigung nicht als individuelle Kompensation,
sondern für Land- und Farmkäufe. Verklagt auf zwei Milliarden US-Dollar
wurden zunächst die Deutsche Bank, die Reederei Woermann (heute
"Deutsche Afrika-Linien") und die US-amerikanische Firma Terex. Die
Deutsche Bank ist Eigentümerin der Disconto-Gesellschaft, die fast
sämtliche Finanz- und Bankaktionen in Südwestafrika kontrollierte und
somit an den Kolonialgeschäften verdiente. Die Reederei Woermann
bereicherte sich an Handel und Transport. Terex ist die Nachfolgefirma
der Eisenbahnbau und Landenteignung betreibenden Firma Koppel. Die
Klage gegen Terex wurde vorläufig zurückgenommen, dafür eine neue gegen
die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen
Reichs ebenfalls in der Höhe von zwei Milliarden US-Dollar eingereicht.
Juristisch ergeben sich einige Spitzfindigkeiten. Der Internationale
Gerichtshof in Den Haag lehnte die Klage ab, da nur Staaten zu ihrer
Einreichung berechtigt seien.
Nach
der Konvention über Völkermord von 1948 ist Völkermord - um den es sich
im Falle der Herero nach Ansicht vieler Historiker handelt - zwar von
Verjährung ausgenommen. Doch das Völkerrecht besagt wiederum, daß
geltendes Recht nur angewandt werden darf, wenn es bereits zum
Zeitpunkt der Tat galt.
Darauf reichte die "Herero People's Reparation Corporation" die Klage
an einem Bezirksgericht in Washington, D.C., ein. Nach
US-amerikanischem Strafrecht können an den dortigen Gerichten auch
ausländische Konzerne, Institutionen und Personen belangt werden, die
internationales Recht verletzt haben. Die juristische Konstruktion
hierfür nennt sich "Alien Tort Claims Act" und stammt aus dem Jahr
1789. Aktuelle Bedeutung erhielt dieses Gesetz durch die
Entschädigungsforderungen von Zwangsarbeitern und
Reparationsforderungen südafrikanischer Apartheidopfer (siehe jW,
26./27.7.2003, Geschichtsseite 15: "Letzte Hoffnung USA").
Doch auch das Bezirksgericht in Washington hielt sich für das Verfahren
nicht für kompetent, so daß die Klage inzwischen am Bundesgericht in
New York gelandet ist. Da dieses bereits erfolgreich
Entschädigungsfälle für Juden behandelt hat, erhofft sich die "Herero
People's Reparation Corporation" hier größere Chancen.
Auf eine Anfrage teilte mir das Auswärtige Amt im Jahre 2002 mit: "Ein
völkerrechtlicher Anspruch der Volksgruppe der Herero auf finanzielle
Wiedergutmachung gegen die Bundesrepublik Deutschland kann nicht
anerkannt werden. Nach dem seinerzeit geltenden Völkerrecht konnte der
Stamm der Herero keine Wiedergutmachungsansprüche an das Deutsche Reich
erwerben, völkerrechtliche Normen zum Schutz von Aufständischen und der
Zivilbevölkerung wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt ...
Der damalige Bundespräsident Prof. Herzog hat während seines
Staatsbesuches in Namibia 1998 Gespräche mit einer Herero-Delegation
geführt und mehrfach öffentlich sein tiefes Bedauern über das Schicksal
der Herero unter der deutschen Kolonialherrschaft ausgedrückt. Die
Bundesregierung wird ihrer besonderen Verantwortung gegenüber Namibia
insbesondere durch außergewöhnlich intensive entwicklungspolitische
Zusammenarbeit gerecht ..."
Die 100 Jahre zurückliegenden Ereignisse und Entwicklungen - in deren
Zusammenhang der Begriff des "kolonialen Präfaschismus" entstand -
prägen noch immer die Situation der Herero, Nama und anderer
Bevölkerungsgruppen in Namibia. Demgegenüber erscheinen die
Stellungnahmen deutscher Regierungsorgane wie willentliches
Verschweigen.
Der
Umgang mit dem deutschen kolonialen Erbe zeigt sich in der Benennung
von Kasernen und Straßen nach deutschen Kolonialherren sowie in der
Errichtung von Kolonialdenkmälern. Die Namen von Trotha, Leutwein oder
Lüderitz sind nicht unbekannt - im Gegensatz zu denen von Samuel
Maharero, Hendrik Witbooi oder Jacob Marengo. Verbirgt sich hinter dem
idyllischen Straßennamen "Vogelsang" vielleicht gar kein singender
Vogel, sondern jener Heinrich Vogelsang, der im Namen des Adolf
Lüderitz die ersten betrügerischen Landverträge an der Küste
Südwestafrikas abschloß?
"Bettler haben keine Wahl"
Der "Ausflug" in die Geschichte des Hererokrieges hat exemplarischen
Charakter. Denn überall, wo der deutsche Kolonialismus auftauchte, gab
es Aufstände und kriegerische Handlungen: in Südwestafrika (heute
Namibia), Ostafrika (heute Tansania, Ruanda und Burundi), Kamerun,
Togo, dem Kiautschou-Gebiet in der chinesischen Provinz Schantung und
in der Südsee, einem Teil Neuguineas, einem Teil Samoas, auf der Insel
Nauru, den Karolinen-, Palau-, Marianen- und Marshall-Inseln. Und noch
im April 1917 - die deutschen Kolonien waren bereits "verloren" -
wurden als Kriegsziele des Deutschen Reichs neben dem früheren
Kolonialbesitz allein in Afrika projektiert: Nigeria, Guinea, Angola,
Dahomey, Französisch-Äquatorialafrika, Obervolta, Belgisch-Kongo,
Uganda, Britisch Somaliland, Kenia, Nordrhodesien, Nordmoçambique und
Madagaskar.
Zwar war es tatsächlich mit deutschen Kolonien nach dem Ersten
Weltkrieg vorbei. Doch bis dahin hatten die Deutschen viele der
Ursachen geschaffen, die zu den heutigen Verhältnissen in Afrika
beitragen. Z. B. existiert bisher kaum eine Auseinandersetzung darüber,
inwieweit deutsche Forscher mit der sogenannten - obskuren -
"hamitischen Hypothese", welche sich auf Ham (Cham), einen Sohn des
biblischen Noah bezieht und die Ethnisierung sozialer Gruppen im
Kolonialgebiet Ostafrika bewirkte, eine der Grundlagen für die
Entwicklung schufen, die 1994 in Ruanda zum Massenmord mit bis zu einer
Million Toten zwischen Hutu und Tutsi führte. War es nicht deutsche
Strategie, die zusammenwachsenden Stämme unter dem Motto "teile und
herrsche" gegeneinander aufzubringen? Im Originalton des
"Generalstabsberichts": "Man mußte paktieren und dadurch, daß bei
beginnenden Unruhen die früheren Zwistigkeiten der eingeborenen Stämme
wieder angefacht wurden, diese gegeneinander auszuspielen suchen."10)
Daneben gibt es eine in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene
historische Parallele: Vor fast genau 100 Jahren errichtete die
deutsche Marine im Namen des Kampfes gegen die Sklaverei eine
Seeblockade an der ostafrikanischen Küste. Eben dort hält sie sich
heute wieder auf - nun im Namen der Menschenrechte und des Kampfes
gegen den Terror. Dabei dient sie unter anderem als Geleitschutz für
den Aufmarsch der US-Streitkräfte am Persischen Golf.
Doch statt nach historischen Konstitutionsbedingungen zu fragen und
daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen ist es viel einfacher, sich
große Teile des afrikanischen Kontinents als von marodierenden,
verrückt gewordenen Söldnerheeren und Warlords geknechtet vorzustellen,
wobei es sich häufig um nichts anderes als um "Stellvertreterkriege"
für "entwickelte" Staaten oder Wirtschaftsunternehmen handelt.
Eigenständige gesellschaftliche Strukturen in Afrika wurden vor 100
Jahren, zum Teil bereits lange zuvor, zerschlagen. Der Krieg des
Deutschen Reichs gegen die Herero und Nama, einhergehend mit einer
ausdrücklichen Absicht zur Vernichtung, bildet ein markantes Beispiel.
Trotz formeller Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten stellt sich
die Frage, ob sich die grundlegenden Machtverhältnisse heute wirklich
verändert haben.
So herrscht im Süden Afrikas zur Zeit eine Hungersnot, bei der mit 20
Millionen Hungertoten gerechnet wird. Hungersnöte sind heutzutage nicht
mehr primär Naturkatastrophen, sondern politische Ereignisse. In der
Zeit ökonomischer wie ökologischer Globalisierung können sie sowohl
verursacht wie verhindert werden. Die USA etwa erklären als ihren
Beitrag zur Verhinderung der Katastrophe, genmanipulierten Mais liefern
zu wollen. Problemlos könnten sie statt dessen herkömmlichen Mais zur
Verfügung stellen. Das allerdings brächte keinen Akzeptanzschub für
genmanipulierte Lebensmittel und Afrika als großes Experimentierfeld,
was die USA-Agrarindustrie fordert. Selbst begünstigte afrikanische
Länder protestieren. Doch wie ein Sprecher der US-Regierung dazu
äußert: "Beggars can't be choosers" - Bettler können nicht wählen.
Oder, wie sich der englische Schriftsteller Hilaire Belloc einstmals
ausdrückte, wobei die neuere Entwicklung der Waffentechnik zu
berücksichtigen wäre: "Whatever happens we have got / the maxim-gun and
they have not" - Was immer geschieht - wir haben die Maschinengewehre
und sie nicht.
Fußnoten:
1 Weißbuch. Vorgelegt dem Reichstage in der 3. Session der 9.
Legislatur-Periode. Vierzehnter Theil. Berlin 1895, S. 175
2 Weißbuch. Vorgelegt dem Reichstage in der 4. Session der 9.
Legislatur-Periode. Sechzehnter Theil. Berlin 1896, S. 164
3 Helga und Ludwig Helbig: Namibia und die Deutschen In: Mythos
Deutsch-Südwest. Weinheim/Basel 1983, S. 149
4 Walter Nuhn: Sturm über Südwest. Koblenz 1989, S. 141
5 Kriegsgeschichtliche Abteilung I des Großen Generalstabes: Die Kämpfe
der deutschen Truppen in Südwestafrika. Erster Band. Der Feldzug gegen
die Hereros. Berlin 1906, S. 132
6) Kriegsgeschichtliche Abteilung I des Großen Generalstabes:
Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika. Erster Band. Der
Feldzug gegen die Hereros, Berlin 1906, S. 208.
7) zitiert nach Walter Nuhn: Sturm über Südwest. Koblenz 1989, S. 282 f.
8) ebenda, S. 285
9) zitiert nach Helga und Ludwig Helbig: Mythos Deutsch-Südwest.
Weinheim/Basel 1983, S. 72
10) Kriegsgeschichtliche Abteilung I ..., S. 5