All die Blauäugigen, die meinten ein Flugverbot wäre ein Art Stop-Schild, das
in die Luft gehalten wird, sahen sich schnell getäuscht. Neben
Abwehrstellungen, die i.d.R. in den Städten stehen, die sie schützen sollen
wurden auch viele zivile Einrichtungen getroffen, darunter auch eine Klinik in
Tripoli. Auch zahlreiche Fahrzeuge wurden angegriffen. Bilder der dabei
angerichteten Verwüstungen zeigen vor allem Dutzende von ausgebrannten zivile
Fahrzeuge.
Es ist kein „Krieg gegen Gaddafi“ wie heute viele Schlagzeilen lauten, sondern
wie immer ein Krieg gegen das ganze Land. Neueste Meldungen gehen bereits von
über 90 Opfern und Hunderten von Verwundeten aus.
Es war vor allem auch ein Krieg auf den gezielt hingearbeitet wurde. Allem
Geschwätz vom Schutz der Zivilbevölkerung zum Trotz haben die Nato-Länder
konsequent jegliche Vermittlungsinitiative torpediert und die Aufständischen
dazu angehalten, auf keinen Fall sich auf irgendwelche Verhandlungen und
Kompromisse einzulassen.
Nach zweimal Irak, Jugoslawien, Somalia und Afghanistan begann somit der
sechste Krieg von Nato-Staaten seit Beginn der sog. „Neuen Weltordnung“ die
US-Präsident George Bush sen. 1991 verkündete. Der Kriegsbeginn fällt
traditionsbewusst fast genau auf die Jahrestage zweier dieser Kriege dem gegen
Jugoslawien von 1999 und dem zweiten Irakkriegs von 2003. Letzterer
beinhaltete im Übrigen auch schon die Warnung an Tripoli, dass das gleichfalls
ölreiche Libyen eines der nächsten Ziele sein könnte.
Deutschland hat dem Krieg nicht zugestimmt, das war löblich, sie tut jedoch
auch nichts dagegen. So werden die Angriffe gegen Libyen von Möhringen bei
Stuttgart aus koordiniert, wo das US-Kommando für Afrika (AFRICOM) seinen Sitz
hat. Wir fordern daher erneut, endlich alle US-Basen im Land zu schließen.
Viele befürworteten ein Eingreifen der Nato aus Sympathie für die libyschen
Freiheitskämpfer und weil sie meinen, man müsse verhindern, dass Gaddafi mit
Luftangriffen „sein eigenes Volk abschlachtet“.
Doch wie vorgestern auch DPA meldete, gibt es erhebliche Zweifel daran, dass
es solche Luftangriffe auf Zivilisten gab. Selbst US-Verteidigungsminister
Robert Gates gab an, bisher keine Beweise dafür gesehen zu haben. Russische
Stellen schließen dies auf Basis ihrer Satellitenaufnahmen aus.
Zweifelsohne gab es brutale Einsätze gegen Demonstranten, doch so sehr wir
das, wie überall verurteilen, es ist kein Grund für einen Krieg.
Selbstverständlich haben wir Sympathie für die Protestbewegungen, die für mehr
Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen – in Libyen wie anderswo. Nur
darum geht es im Moment in Libyen offensichtlich nicht, sondern um eine
militärische Intervention in einen Bürgerkrieg auf der Seite bewaffneter
Aufständischen.
Die Ereignisse in Libyen unterscheiden sich in vieler Hinsicht von den
Protestbewegungen in den anderen arabischen Ländern. In Tunesien und Ägypten
war es eine zivile Oppositionsbewegung, die von Woche zu Woche wuchs und es
war die allein die große Menge von Leuten, die in Massendemonstrationen der
Brutalität der Regierungskräfte trotzen, die die Machthaber in Bedrängnis
brachten, den Regimen weitreichende Zugeständnisse abrang und schließlich ihre
Symbolfiguren stürzten.
Auch in Libyen gingen junge Leute mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr
Demokratie auf die Straße. Sie bilden jedoch eher die Kulisse, als dass sie
nennenswerten Einfluss auf die Ereignisse nehmen konnten. Fast von Beginn an
dominierten bewaffnete Rebellen.
Der zivile Teil der Protestbewegung, der den Bewegungen in anderen arabischen
Ländern gleicht, sprach sich recht deutlich gegen jegliche äußere Einmischung
aus. Umso lauter schrien die im sog. „Libyschen Nationalrat“ vereinten,
bewaffnet kämpfenden Gaddafi-Gegner nach militärischer Unterstützung der Nato.
Nur diese wurden in westlichen Medien als Repräsentanten der libyschen
Opposition, wenn nicht „des Volkes“ präsentiert.
Über diese Aufständischen weiß man wenig. Einige Gruppen haben seit Jahren
gute Verbindungen zu den USA oder Frankreich. Bei anderen geht es um
Stammesrivalitäten oder Rivalitäten innerhalb der libyschen Führungs-Cliquen.
Andere haben sich spontan angeschlossen.
Doch auch wenn man wenig Genaues sagen kann, so sollte schon die
Zusammensetzung der Kräfte stutzig machen, die ihnen nun mit aller Macht zum
Sieg verhelfen wollen.
Die energischsten Unterstützer sind genau die Kräfte, die zuvor noch lange
danach trachteten, die Machthaber in Tunesien und Ägypten an der Macht zu
halten. So hat die französische Regierung, die Ben Ali sogar praktische
Unterstützung bei der Niederschlagung der tunesischen Opposition anbot, als
erste den „Libyschen Nationalrat“ als neue legitime Vertretung Libyens
anerkannt. Der Schmalspur-Napoleon Sarkozy ließ auch die französische
Luftwaffe am Samstag als erstes an ihrer Seite in den Bürgerkrieg eingreifen.
Hinzu kommen die Feudalherren vom Golf, die auch bis zuletzt an Mubarak und
Ben Ali festhielten, die in ihren Ländern ebenfalls die demokratische
Oppositionsbewegung brutal bekämpfen und die vor ein paar Tagen in Bahrain
einmarschierten, um die dortigen Proteste gewaltsam zu ersticken.
Und schließlich nicht zuletzt die USA und GB, die vor 8 Jahren unter
fadenscheinigen Vorwänden den Irak überfielen, zerstörten und seither mit
Unterstützung der vormaligen irakischen Opposition besetzt halten.
Wenn die Nato-Länder tatsächlich irgendwo eine Zivilbevölkerung schützen
wollen – in Afghanistan und Pakistan könnten sie dies auf einfachste Weise tun
– durch ihren Rückzug.
Während SPD, Grüne – gemäß ihrem neuen Motto „Nie wieder Krieg ohne uns“ für
ein militärisches Eingreifen in Libyen trommeln, töten Nato-Truppen am
Hindukusch Woche für Woche Dutzende Menschen. Zur selben Zeit, als die
UN-Resolution 1973 verabschiedet wurde, ermordeten die USA über 40 Menschen
durch Drohnenangriffe auf eine Stammesversammlung in Pakistan.
Kommentatoren wundern sich über die Haltung Sarkozys, die sie als erstaunliche
Kehrtwendung betrachten. Dabei ist es viel naheliegender, dass er und die
arabischen Feudalherrscher sich von den, von ihnen unterstützten Teilen der
Gaddafi-Gegner genau das erwarten, was sie auch an Mubarak und Ben Ali so
schätzten: Die Beseitigung von allem basisdemokratischen und sozialistischen
Schnickschnack, so völlig unvollkommen dieser auch ist und die Durchsetzung
einer autoritären, konsequent marktliberalen Herrschaft, die sowohl
pro-westlich als auch zutiefst religiös-islamisch ist.
Das militärische Eingreifen in Libyen, die Internationalisierung des
Bürgerkriegs könnte sich zudem auch als hilfreich bei der Eindämmung der
Protestbewegungen in den anderen Ländern erweisen. Diese scheinen bereits tief
gespalten in Befürworter dessen, was sie als Unterstützung eines
Befreiungskampfes durch die Nato ansehen und denen die eine westliche
Intervention in einem arabischen Land ablehnen, die klar vor Augen haben, was
die USA und GB im Irak angerichtet haben und wer die jüngsten Überfälle
Israels gegen den Libanon und den Gazastreifen deckte.
Natürlich darf man auch nicht vergessen, dass in Libyen enorme Ölreserven
liegen, die größten in Afrika und sich die meisten Ölfelder genau dort
befinden, wo die Aufständischen ihre Hochburgen haben.
In Libyen scheint „der „Grad der Unterdrückung“ nicht „durchdringender und
schwerer zu sein“ als in anderen autoritär regierten Ländern, schreibt der
international bekannte Völkerrechtsexperte und UN-Sonderberichterstatters für
die Menschenrechte in Palästina, Richard Falk.
„Andere Gesichtspunkte geben eine bessere Erklärung: Zugriff auf und die
Preisgestaltung beim Öl, Rüstungsexport, Sicherheit von Israel und der Bezug
zur neoliberalen Weltwirtschaft.“
Nichts habe man aus den Kriegen in Vietnam, Afghanistan gelernt, so Falk mit
Blick auf selbsterklärte Menschenrechtsverteidiger wie die Grünen, weiter. Man
fahre stattdessen mit drei eklatanten Fehlern fort:
- die Missachtung des internationalen Rechts
- fehlender Respekt für die Dynamik der Selbstbestimmung in Gesellschaften
des Südens
- die Weigerung eine für eine post-koloniale Welt angemessene Moral und
Politik zu verfolgen
Wir fordern:
- Sofortige Einstellung der Luftangriffe auf Libyen
- Beendigung jeglicher deutscher Kriegsunterstützung
- Unterstützung der Initiativen der Afrikanischen Union und Venezuelas zur
Beendigung des Bürgerkriegs
- Druck auf beide Seiten, die Kampfhandlungen einzustellen
- eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Libyen