Harry Siegert (DGB), Ansprache am 22.03.2003 auf der Friedenskundgebung in Heidelberg :
Wir sind heute und hier zusammen gekommen, weil wir mit Trauer und auch Zorn feststellen müssen, dass das Regime der USA mit seinen Komplicen, spätestens vor drei Tagen,jegliches Recht, alle Werte einer zivilisierten Welt, und nicht zuletzt alle Moral und ethischen Wertmaßstäbe außer Kraft gesetzt hat.
Wir verspüren Zorn und Trauer, weil wir wissen, dass zur Durchsetzung machtpolitischer und ökonomischer Ziele, in den vergangenen Nächten und diesen Stunden unschuldigen Menschen im Bombenhagel von Bagdad und Basrah und an den Fronten ermordet werden.
Wir verspüren Zorn und Trauer, weil uns in diesen Tagen eine wahrhaft finstere Perspektive aufgezwungen wird, nämlich der Triumph über jegliche Vernunft und Humanität während sich die wahren Feiglinge, arrogant und anmaßend in ihren Hauptquartieren in Washington, London und Madrid verschanzen. Denn nicht jene, die für friedliche Lösungen eintreten sind die Feiglinge, sondern diejenigen die ein fast wehrloses Volk überfallen !
Wir verspüren Zorn und Trauer, weil die Sprecherin der Grünen Angelika Beer, gestern ihre Unterstützung für die Nutzung der deutschen US- Stützpunkte für den Angriffskrieg durch die USA bekräftigt hat. Die grüne Angelika Beer sagte im ZDF: "Wir müssen uns heute politisch verantwortlich verhalten, denn die Überflugrechte bedeuten die Sicherstellung der Versorgung der Truppen", und in bedauernswerter Naivität oder gefährlicher Dummheit fügte sie hinzu, "und für Hilfsflüge für Flüchtlinge aus dem Irak".
Wir sagen aber nach wie vor: Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen ! Auch kein Krieg auswärtiger Mächte ! Deshalb muss jetzt endlich auch die Frage aufgeworfen werden, was die US – amerikanischen Truppen in unserem Land eigentlich noch zu suchen haben ? Viele Menschen in diesem Land, so auch ich, fühlen sich durch die Militärpräsenz der USA zunehmend bedroht.
Wir verspüren Zorn und Trauer, weil die andere mit dem engelsgleichen Namen, Angela Merkel, dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten in den Rücken fällt, um die "Arroganz der Macht" anzubeten, anstatt sich auf das "C" im Namen ihrer Partei zu entsinnen und dem Papst Johannes Paul II. in Rom, sowie der katholischen und evangelische Kirche zu folgen. Wir stimmen dem Botschafter des Vatikans bei den Vereinten Nationen, Erzbischof Diarmuid Martin voll und ganz zu, der laut der heutigen Ausgabe der katholischen Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" sagte: "Wenn man Demokratie und Menschenrechte in ein Land bringen will, dann darf man das nicht auf undemokratische und unmenschliche Weise tun."
Wir verspüren Zorn und Trauer, weil in der aktuellen Kriegsberichterstattung der Fernsehanstalten von senilen Generälen und alternden Stabsoffizieren in Zivil über die Strategie des Angriffskrieges und die Technik von Tötungsmaschinen schwadroniert wird, aber Vertreterinnen der Friedensbewegung so gut wie nicht zu Wort kommen.
Ein adretter Journalist hat am heutigen Morgen in der ARD, zu meinem Entsetzen, angesichts der Feuerhölle von Bagdad, wieder das unsägliche Wort: "Kollateralschäden" gebraucht. Wir werden schon wieder, wie im Krieg gegen Jugoslawien, betrogen und belogen.
Wir empfinden unendliche Trauer und unbändigen Zorn, weil dort eine von Menschen bewohnte Stadt mit Kindern, Frauen und Männern in ein flammendes Inferno verwandelt wird! Heute sind allein in Bagdad (wie vorhin Al Jazeera meldete) durch USA – Bomben 207 zivile Einwohnerinnen getötet worden. Man kann sich die Anzahl der Verletzten und der jetzt mit dem Tode ringenden Kinder, Frauen und Männer nur mit Grauen vorstellen.
Ich stimme voll und ganz Walter Jens zu, der dieser Tage gesagt hat: "Wer so handelt, wie es die von keinerlei Mitleid berührten Politiker jetzt tun, muss, mag er sich drehen oder wenden, wie er will, Mordgeselle genannt werden". Ich füge hinzu: Wer diesen Mordgesellen das Wort redet und sie unterstützt, begibt sich in ihre Gesellschaft ! Und Mordgesellen gehören vor Gericht und verurteilt.
Dieser Zorn und diese Trauer machen aber auch stark, uns weiter für den Frieden, für Gerechtigkeit und die wahren Menschenrechte einzusetzen. Trauer und Wut stärkt uns gegen die Tragödie aus Gewalt und Tyrannei aufzustehen. Es ist aber auch, trotz der Trauer und Wut, ein festigendes Gefühl und eine Genugtuung, das so viele Schülerinnen und Schüler, das junge Menschen in aller Welt der Gewalt und des Kriegsterrors eine Absage erteilen. Gestern Nachmittag bin ich von einer Reise durch die Türkei zurück gekommen, und ich sage euch, im Gegensatz zur dortigen Regierung, habe ich in zehn Tagen niemanden angetroffen, weder einen Bauern noch Gewerkschafter, weder einen Geschäftsmann noch eine Studentin, weder einen Schuhputzer noch einen Taxifahrer, der für diesen Krieg gesprochen hätte. In Griechenland, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen, gab es gestern eine vierstündigen Generalstreik.
Wir, die wir uns hier auf dem Bismarckplatz versammelt haben, sind also in guter Gesellschaft. Deshalb grüßen wir an dieser Stelle auch die "anderen" Vereinigten Staaten von Amerika, und erklären uns mit der Friedensbewegung in den USA, in Großbritannien und in Madrid, wo Frau Merkels Freund Aznar gestern Friedensdemonstranten zusammenknüppeln liess solidarisch.
Ja, die Welt wird nach diesem Krieg anders als vorher sein. Nutzen wir unsere Trauer und unseren Zorn, eine gerechte Welt ohne Krieg und Terror zu bauen und rufen laut und überall vernehmbar:
NEIN zu diesem und jeden anderen Krieg !