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Ärger mit dem Establishment

Jean Ziegler, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, streitet hartnäckig für soziale Menschenrechte und macht sich die US-Regierung zum Feind
Thomas Wagner, junge Welt, 21.07.2006
http://www.jungewelt.de/2006/07-21/001.php

»Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.« 
(Jean Ziegler)

In den vergangenen Wochen sahen ihn viele auf der Kinoleinwand: Jean Ziegler, Jahrgang 1934, ehemals Professor für Soziologie an der Universität in Genf und an der Pariser Sorbonne, seit September 2000 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Der weltweit bekannte Sachbuchautor kommentiert die erschreckenden Bilder des erfolgreichen Dokumentarfilms »We Feed the World« über die üblen Wirkungen einer durch ungebremste Profitinteressen korrumpierten Nahrungsmittelindustrie. Der frankophile Deutsch-Schweizer nutzt jede Gelegenheit, um Armut und Hunger als menschengemachtes Resultat von kapitalistischer Welt-Unordnung und imperialistischer Militärexpansion mit angemessen drastischer Wortwahl an den Pranger zu stellen: als Vortragsreisender, gefragter Talkshowgast, als Mitglied der UN-Task-Force für humanitäre Hilfe im Irak, dann wieder als Autor populärer Sachbücher, die im Rezensionsteil der renommierten Neuen Zürcher Zeitung als »ambitionierte Arbeiterkampfprosa« geschmäht werden. Es muß daher nicht überraschen, daß sich Ziegler in diesen Tagen zum wiederholten Male einer rufschädigenden Kampagne ausgesetzt sieht, die ihn als lästigen Herrschaftskritiker mundtot machen soll.

Während seine sozialwissenschaftlichen Kollegen Robert Cooper und Herfried Münkler das Hohelied imperialer Herrschaft anstimmen, um sich den Regierenden als willige Kopflanger zu empfehlen, seziert Ziegler die brutale Weltherrschaft der Konzerne in seinem Buch »Imperium der Schande« (2005) und zieht damit den Zorn der weltweiten Kapitaloligarchie und ihrer dienstbaren Helfer in Washington auf sich. Ziegler versteht seine Bücher als Interventionen im Sinne der Aufklärung: »Informieren, die Praktiken der Herrscher transparent machen, das ist die erste Aufgabe des Intellektuellen.« (Imperium, S. 286) Darin folgt er der Auffassung seines Freundes und wichtigen Förderers aus Pariser Tagen: Jean Paul Sartre. Da er den hehren Worten entsprechende Taten folgen ließ, bekam Ziegler schon in seiner Zeit als Hochschullehrer und Parteipolitiker in der als behäbig geltenden Eidgenossenschaft mächtigen Ärger mit dem Establishment.

Geraubter Reichtum

Vor gut zehn Jahren war Ziegler, der für die Schweizer Sozialdemokraten (SP) lange Jahre – von 1967 bis 1983 und dann wieder von 1987 bis 1999 – als Genfer Abgeordneter im Nationalrat saß, schon einmal schweren Angriffen ausgesetzt gewesen. Zwar galt er bereits zu dieser Zeit nach verschiedenen Buchveröffentlichungen und aufsehenerregenden Äußerungen längst als Provokateur ersten Ranges. Doch erwarb sich der zuweilen als Revolutionsromantiker bespöttelte Gesellschaftskritiker erst 1997 bei einer großen Anzahl seiner Landsleute endgültig den zweifelhaften Ruf, ein »Nestbeschmutzer« zu sein. Was war geschehen? Ziegler beschränkte sich damals nicht mehr darauf, seine Mitparlamentarier daheim als »Höhlenbewohner im Solde der Wirtschaft« zu beschimpfen. Vielmehr machte er nun die äußerst lukrative Kumpanei der Schweizer Banken mit Nazideutschland weltweit publik und stützte dadurch in Milliardenhöhe Entschädigungsforderungen von Holocaust-Opfern. Was vielen Schweizern als Vaterlandsverrat erschien, war in Wahrheit ein Ausdruck von Zieglers kritischem Patriotismus. Selbst in seinem Enthüllungsbuch »Die Schweiz, das Gold und die Toten« (1997) malte der vielgereiste Entwicklungssoziologe die multikulturellen Traditionen seiner Heimatrepublik noch in den schönsten Farben: »Die Schweiz ist das vielhundertjährige Produkt einer großartigen Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Völkern, Kulturen, Religionen und Sprachen. Eine auf dem europäischen Kontinent einzigartige Föderation.« (Die Schweiz..., S. 295f) Während Banken, Regierung, Parlament und große Zeitungen jedoch beinahe einmütig den populären Nationalmythos verteidigten, die wehrhafte Schweizer Armee habe Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg von einem Angriff auf die Alpenrepublik abgeschreckt, bezeichnete Ziegler die Oberen von Nationalbank und privaten Großbanken in Zürich, Bern und Basel als nur allzu willige »Hehler und Kreditherren Hitlers« (ebd., S. 25): »Die Schweiz ist dem Zweiten Weltkrieg entgangen dank energischer, schlauer, organisierter Komplizenschaft mit dem Dritten Reich. Von 1940 bis 1945 war die Schweizer Wirtschaft weitgehend in den großdeutschen Wirtschaftsraum integriert.« (ebd.) »Ohne sie wäre der Zweite Weltkrieg früher zu Ende gegangen, und Hunderttausende von Menschen wären am Leben geblieben.« (ebd., S. 291) In einem Fernsehinterview mit dem Bayerischen Rundfunk1 ergänzte Ziegler: »In diesem Buch zeige ich auf, woher der Schweizer Reichtum kommt. (...) Hitler, dieses fürchterliche Ungeheuer, war auch auf dem Höhepunkt seiner Macht weltmarktabhängig, denn er mußte auf dem Weltmarkt für sein Militär die Rohstoffe kaufen: Diamanten, Chrom, Eisenerz usw. Die Reichsmark war aber nicht konvertibel. Alles, was Hitler hatte, war gestohlenes Gold: gestohlen in den Konzentrationslagern, in den Zentralbanken der elf besetzten Länder. Keiner wollte dieses Raubgold ha-ben – außer den Schweizer Bankiers. Sie haben das angenommen: Jede Woche fuhren die SS-Lastwagenzüge bei Basel über die Grenze in Richtung Bern. Das Raubgold wurde in den Nationalbankkeller abgeladen, und die Schweizer Bankiers haben dafür jeden Monat den Massenmördern nach Berlin Millionen an konvertiblen Schweizer Franken geschickt.« (BR, 1.4.99) Der Vorwurf des Landesverrats, den Ziegler zufolge »die Neue Zürcher Zeitung oder auch andere distinguierte Blätter« (ebd.) daraufhin erhoben, stellte eine ernste existentielle Bedrohung dar, als er auch juristisch des Landesverrats angeklagt wurde: »Die Bundesanwältin Carla del Ponte hat eine Klage von 21 Großaktionären der UBS, der größten europäischen Bank, entgegengenommen, weil ich den jüdischen Organisationen angeblich die Argumente für die New Yorker Konvention geliefert habe. Die Schweizer Banken müssen jetzt den jüdischen Organisationen, den Holocaust-Überlebenden, 1,2 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen. Deswegen habe ich nun eine Landesverratsklage am Hals: Das ist sehr gefährlich, denn nachher kommen die Schadensersatzklagen, und ich bin finanziell erledigt.« (ebd.)

Soziale Menschenrechte

Nachdem er die juristischen Angriffe unbeschadet überstanden hatte, agierte Ziegler aber keineswegs eingeschüchtert. Im Gegenteil. Als er im September 2000 die Gelegenheit bekam, als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, als Lobbyist für die Ärmsten der Armen zu wirken, versteht er diese Aufgabe als politisches Mandat für die Unterdrückten und spricht sich seitdem mit deutlichen Worten gegen die von den USA, der Welthandelsorganisation (WTO) und der Weltbank forcierte Herrschaftsdoktrin des sogenannten Freihandels aus: »Wenn Benin oder Mali gegen Deutschland oder Japan auf dem Weltmarkt zum Wettbewerb antreten, haben sie nicht die geringste Chance. Das ist genauso, als würde der Schwergewichtsweltmeister Mike Tyson gegen einen halbverhungerten Arbeitslosen aus Nordostbrasilien in den Boxring steigen. Da sagt die WTO, der Ring ist für euch alle derselbe, der Gong schlägt für alle, die Regeln sind für euch beide dieselben, und jetzt liefert euch diesen Kampf des Wettbewerbes. Was herauskommt, ist die Zugrunderichtung des Armen.«2 Ziegler fordert daher die internationale Etablierung sozialer, ökonomischer und kultureller Menschenrechte. Demokratie und politische Menschenrechte allein seien »vollkommen ungenügend« (ND, 15.10.2005). »Wer seine Familie an Krankheit oder Elend verenden sieht, wird sich wohl kaum über Gedankenfreiheit und Versammlungsfreiheit Sorgen machen. Ohne soziale Gerechtigkeit ist die Republik wertlos.« (Imperium, S. 23)

Ideologischer Kurzschluß

Sein Engagement für eine Welt ohne Hunger und Gewalt führt Ziegler auf ein im schrecklich-buchstäblichen Sinne traumatisches Erlebnis zurück, das er vor vielen Jahren als Angestellter der UNO-Behörde in Zaire, dem heutigen Kongo, hatte. Während in Kinshasas Hotel Royal ein Empfang für irgendeinen Geschäftsmann stattfand, nahm der junge Ziegler, aus dem Fenster schauend, eine andere Realität war. Vor seinen Augen starben hungernde Kinder, die versuchten, die zwischen ihnen und dem Hotel errichteten Barrikaden mit letzter Kraft zu überwinden. »Die unerschütterlichen Gurkhas, die mit dem Rücken zum Gebäude standen, beschränkten sich darauf, den kleinen Köpfen, die in gewissen zeitlichen Abständen und mit einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung über den Barrikaden auftauchten, mit dem Gewehrkolben einen Schlag zu versetzen. Andere Soldaten, die nur mit einem Dolch ausgerüstet waren, befreiten die sterbenden Kinder aus dem Stacheldraht, in den sie sich verheddert hatten, indem sie ihre Finger mit der Messerklinge lösten. Anschließend warfen sie die leblosen Körper auf die Straße. In diesem Augenblick habe ich mir geschworen, nie mehr – auch nicht zufällig – auf der Seite der Henker zu stehen.« (ND, 15.10.2005) Die persönliche Erfahrung des menschengemachten Elends, das Grauen vor dem Kindersterben scheint letztlich auch hinter Zieglers kurzschlüssiger Befürwortung des aktuellen Einsatzes von EU-Truppen im Kongo zu stehen: »Wo diese Truppen sind, da gibt es zu essen, da gibt es Lazarette, Abwassersysteme, Impfkampagnen. Allein dadurch hätten Tausende eine Chance zu überleben.« (Cicero, Mai 2006, S. 38) Überraschenderweise verzichtet Ziegler an dieser Stelle auf die notwendige Analyse der europäischen Herrschaftsinteressen an den reichen Bodenschätzen in der Region und ihre künftigen Folgen für die Bevölkerung des afrikanischen Staats.

Wenn der linksbürgerliche Moralist im staatstragenden Magazin Cicero für die Intervention europäischer Truppen wirbt und dadurch objektiv die imperiale Strategie der mächtigsten kapitalistischen Staaten legitimiert, mag dem ein starker subjektiver Impuls zugrunde liegen, dem horizontalen Gebot gegenseitiger Hilfe zu folgen und die zum Himmel schreiende Not unmittelbar zu lindern. Doch liefert Zieglers kurzsichtige Argumentation ein weiteres Beispiel dafür, wie auch ein ehrlich gemeintes humanistisches Engagement unter den Bedingungen weltweit vorherrschender vertikaler Gewaltverhältnisse wenig dagegen gefeit ist, in ein höchst wirksames rhetorisches Mittel zur Rechtfertigung neuer imperialistischer Kriege »ideologieförmig umorganisiert«3 zu werden.

Im Visier des Weißen Hauses

Überzeugender ist Ziegler, wenn er als Sozialwissenschaftler den Glauben an die schicksalhafte Notwendigkeit des Hungers zurückweist. Wenn die globale Landwirtschaft heute zwölf Milliarden problemlos ernähren kann, zeigt sich die »Weltordnung des globalisierten Raubtierkapitalismus« (ND, 15.10.2005) als grausame Absurdität. »Sie tötet, aber sie tötet ohne Notwendigkeit.« (ebd.) Der Fürsprecher einer globalen Verantwortungsethik zieht daraus den Schluß: »Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.« (ebd.) Wer sich jedoch nicht als Kopflanger der Herrschenden verdingen will, darf sich gerade als UN-Mitarbeiter gewiß sein, daß seine Aktivitäten, insbesondere wenn sie irgendeine Kritik am sogenannten Krieg gegen den Terrorismus, die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Weltsystems oder die Verletzung des internationalen Rechts durch das US-Militär betreffen, ständig beobachtet und entsprechend sanktioniert werden. »Im Kellergeschoß des Weißen Hauses gibt es ein spezielles Team von hohen Beamten und Diplomaten. Es ist damit beauftragt, das Tun und Treiben einer jeden der wichtigsten Führungskräfte der Vereinten Nationen und ihrer Spezialorganisationen zu überwachen.« (Imperium, S. 58)

Ziegler machte im UN-Apparat die Beobachtung, daß die meisten Regierungen der EU sich kaum um die Einstellung und Beförderung ihrer Leute kümmern. Auf der anderen Seite erhalte praktisch kein höherer Beamter, »gleichgültig, an welcher Stelle er sich im verzweigten und vielschichtigen System der Vereinten Nationen befindet, und unbeschadet seiner Herkunftsstaatsbürgerschaft – auch die geringste Beförderung ohne ausdrückliche Zustimmung des Weißen Hauses« (ebd., S. 57). Auch dem UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung machen die USA seine Aufgabe so schwer wie möglich. Das liberale Schweizer Wochenmagazin Weltwoche berichtete, wie dies im Jahr 2002 im Umfeld des alljährlichen Welternährungstags am 16. Oktober geschah. »Eine junge afrikanische Journalistin fragte an der Pressekonferenz: ›Was halten Sie vom sambischen Staatspräsidenten, der sich weigert, weiterhin gentechnisch verändertes Getreide anzubauen?‹ Jean Zieglers Antwort: ›Nicht nur Europa, auch Afrika hat das Recht, an der Gentechnik zu zweifeln.‹ Eine Woche später stand in sambischen Zeitungen: ›Sogar die Vereinten Nationen sagen, gentechnisches Getreide sei vergiftet.‹ An der nächsten UNO-Generalversammlung schäumte Amerika und beschuldigte Ziegler des schlimmsten Verbrechens, das man in der UNO begehen kann: ›Überschreitung des Mandats‹. Ziegler war somit nicht nur mitverantwortlich für die Hungertoten in Afrika, sondern auch ein ›Zweifler an der Großzügigkeit des amerikanischen Volkes‹! Letztere besteht darin, sagt Ziegler, ›daß die Bauern nun für jede Aussaat Patentgebühren an die Firma Monsanto bezahlen müssen‹.« (Weltwoche 14/03)

Obwohl Ziegler am 1. November 2002 vor der Generalversammlung in New York vom US-amerikanischen Botschafter Sichan Siv scharf angegriffen wurde, nahmen die Vereinten Nationen den Report ihres Sonderberichterstatters mit einer großen Mehrheit an, und die damalige Menschenrechtskommission erneuerte wenige Monate später sein Mandat gegen die Stimme der USA (siehe Imperium, S. 246). Im Jahr 2004 warfen die Vereinigten Staaten Ziegler erneut den Mißbrauch seines Mandats vor und baten die damalige UNO-Menschenrechtskommission, ihn für seine »unverantwortlichen und unbegründeten Behauptungen« sowie »irreführenden Polemiken über Sachverhalte jenseits seiner Kompetenz und seines Sachverstands« zu rügen.4 Davon wenig beeindruckt, kritisiert Ziegler nach wie vor die Terrorbombardements der USA auf Afghanistan, die Verstrickung der führenden US-Politiker Dick Cheney, Condoleezza Rice, Donald Rumsfeld und Präsident George W. Bush in die Machenschaften der Ölindustrie und den »amerikanischen Überfall auf die irakischen Ölfelder« (Imperium, S. 46). Immer beobachtet von UN Watch, einer dem Jewish Committee angeschlossenen Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Genf.

Neue Angriffe

Die jüngste Kampagne gegen Ziegler ist von UN Watch initiiert. Diesmal stehen seine seit Jahrzehnten wohlbekannten Kontakte zur libyschen Regierung im Vordergrund. Unter der Überschrift »Zieglers Libyen-Connection« machte sich die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag bereits Ende Juni dieses Jahres zum Sprachrohr von UN-Watch-Geschäftsführer Hillel Neuer, der Ziegler aus seinen Kontakten zur libyschen Staatsführung einen Strick zu drehen versucht (25.6.06). Da bisher ungeklärt ist, welche konkreten Formen diese Beziehungen in den vergangenen Jahrzehnten wirklich angenommen haben, bemüht NZZ die ebenso vorsichtige wie undurchsichtige Sprachregelung: Ziegler sei »beteiligt am ›Muammar-Ghaddhafi-Preis für Menschenrechte‹« (ebd.). Glasklar wird das Schweizer Renommierblatt jedoch dann, wenn es Neuers Rücktrittsforderung zitiert: Zieglers Beziehungen zu »einer der schlimmsten Diktaturen« (ebd.) machten ihn »völlig ungeeignet, für die UNO tätig zu sein.« (ebd.) Wenige Tage später echote das Schweizer Wochenmagazin tachles (Nr. 26, 30.6.06; S. 7), daß dadurch der gerade neu gegründete UNO-Menschenrechtsrat schon während seiner konstituierenden Sitzung »in ein schlechtes Licht gerückt« werde. Ziegler wiederum erklärte, den von Libyen gestifteten Preis damals »als Schritt der Öffnung« unterstützt, der Jury jedoch »nie angehört« zu haben (NZZ 25.6.06).

Fragen zu Ungereimtheiten in Zieglers Beziehungen zu Libyens Staatschef mögen berechtigt erscheinen. Doch um Aufklärung geht es gerade den besonders exponierten Ziegler-Kritikern allenfalls am Rande. Man muß gar nicht tief bohren, um auf ihr Hauptanliegen zu stoßen: Sie wollen einen prominenten US-Kritiker ausschalten. Schon der Titel des im Oktober 2005 von UN Watch veröffentlichten Berichts über Zieglers Aktivitäten spricht Bände: »Jean Zieglers Kampagne gegen Amerika. Eine Untersuchung zur antiamerikanischen Voreingenommenheit des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung«5 Der Hauptvorwurf lautet also einmal mehr: Ziegler mißbrauche sein Mandat für eine einseitige und extreme anti-amerikanische Propaganda.6 Etwa dann, wenn er als Bewunderer Kubas den ökonomischen Boykott der Insel durch die USA immer wieder »als »offenkundigen« Verstoß gegen das Recht auf Nahrung und das internationale Recht«7 an den Pranger stellt. Während der ersten vier Jahre seines Mandats soll Ziegler die USA allein 34mal wegen ihrer kriegerischen Aktivitäten im Irak und in Afghanistan sowie ihrer Politik gegen Kuba kritisiert haben. Dabei schätzt er die US-amerikanische Widerstandsbewegung gegen Rassengesetze und Vietnamkrieg als »Sternstunden der Menschheit« (Ossietzky 10/2002). In diese amerikanische Protesttradition reihte sich Ziegler ein, als er in seinem Buch »Wie kommt der Hunger in die Welt?« (2002) in beeindruckender Deutlichkeit formulierte: »Die mörderische Ordnung der Welt muß umgestürzt werden.«

1 Gespräch mit J.Kölsch; 1.4.99, 20.15 Uhr, www.br- online.de/alpha/forum/vor9904/19990401_i.shtml
2 www.spoe.at/www/page_5964.html
3 Haug, Wolfgang Fritz: Elemente einer Theorie des Ideologischen. Hamburg 1993, S. 52
4 www.unwatch.org/site/apps/nl/content3.asp?c=bdKKISNqEmG&b=1746395&ct=1760293
5 »Jean Ziegler´s Campaign against America: A Study of the Anti-American Bias of the UN Special Rapporteur on the Rights to Food”
6 Tatsächlich kritisiert Ziegler eine ganze Reihe von Staaten wegen schwerwiegender Verstöße gegen das Recht auf Nahrung. Neben anderen: Nordkorea, Liberia, Guinea, Chile, Indien, Brasilien, Niger, Sudan
7 www.unwatch.org/site/apps/nl/content3.asp?c=bdKKISNqEmG&b=1746395&ct=1760293