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Über die Olympischen Spiele hinaus gedacht
Proteste und Separatismus in Tibet
Die jüngsten Proteste in Lhasa und anderen Regionen Tibets wurden
organisiert, um die chinesische Regierung im Vorfeld der Olympischen
Spiele in peinliche Bedrängnis zu bringen. Das betonte der Tibetische
Jugendkongress (Tibetan Youth Congress TYC), die bedeutendste
tibetische Exilorganisation, die die Unabhängigkeit für Tibet fordert
und sich zur Erreichung dieses Ziels für den Einsatz von Gewalt
ausgesprochen hat. Sein Vorsitzender, Tsewang Rigzin, erklärte in einem
Interview mit der Chicago Tribune am 15. März angesichts der
Wahrscheinlichkeit, dass chinesische Behörden die Proteste in Tibet
unterdrücken würden: "Wir wollen sie testen, während sie im Rampenlicht
der Olympischen Spiele stehen. Wir wollen, dass sie ihr wahres Gesicht
zeigen. Deshalb treiben wir die Angelegenheit voran." Auf der Konferenz
für ein Unabhängiges Tibet im Juni 2007, die in Indien von "Freunden
Tibets" organisiert wurde, wiesen Redner darauf hin, dass die
Olympischen Spiele eine einzigartige Gelegenheit für Proteste in Tibet
darstellen. Im Januar 2008 gründeten Exilanten in Indien eine
"Tibetische Volksaufstandsbewegung", um "im Geiste" des gewalttätigen
Aufstands gegen die chinesischen Regierungsbehörden von 1959 "zu
handeln" und sich auf die Olympischen Spiele zu konzentrieren.
Wer "protestiert" in Tibet?
Verschiedene Gruppen von Tibetern waren an den Protesten in Lhasa
beteiligt, einschließlich des Niederbrennens und Plünderns von
nicht-tibetischen Geschäften und Angriffen auf Migranten wie die Han
und Hui (muslimische Chinesen). Die großen Klöster sind schon seit
langem Zentren des Separatismus, aufgebaut durch den TYC und andere
Exilgruppen, von denen viele vom US-Außenministerium oder dem
Nationalen Finanzierungsfonds für Demokratie innerhalb des
US-Kongresses finanziert werden. Die Mönche sind eigens danach
ausgesucht, ob sie dem Dalai Lama ganz besonders ergeben sind. Wie sehr
auch immer er seine eigene Position so charakterisiert, nur größere
Autonomie für Tibet anzustreben, so wissen die Mönche, dass er nicht
willens ist zu erklären, dass Tibet ein von China nicht trennbarer Teil
ist, was jedoch für China die Vorbedingung für offizielle Verhandlungen
ist. Weil das Exilregime eine Trennung von Politik und Religion nicht
zulässt, halten viele Mönche das Festhalten am Standpunkt des Dalai
Lama, der Nichtanerkennung der Legitimität der chinesischen Regierung
in Tibet, für eine religiöse Verpflichtung.
Berichte über die Gewalt haben deutlich gezeigt, dass tibetische
Händler, die mit Han und Hui konkurrieren, der Anwesenheit von
Nicht-Tibetern besonders antagonistisch gegenüberstehen. Neben den
Mönchen waren die Händler die hartnäckigsten Akteure der Proteste in
Lhasa Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre. Auch dieses Mal
wieder wurden viele Geschäfte der Han und der Hui angezündet. Viele der
an Brandstiftung, Plünderung und dem Verprügeln von Menschen aus
ethnischen Gründen Beteiligten waren auch sehr wahrscheinlich junge
arbeitslose Männer. Die Städte haben viel mit der Landflucht von
Tibetern zu tun, die wenig Qualifikationen für städtische Arbeitsplätze
mitbringen. Videos aus Lhasa zeigten, dass die große Mehrheit der
Aufständischen junge Männer im Teenageralter waren oder zwischen Anfang
und Ende 20.
Die jüngsten Ereignisse in den tibetischen Regionen unterscheiden sich
von breiten Demonstrationen von "Volksbewegungen" in verschiedenen
Teilen der Welt in den letzten Jahrzehnten. Sie zeigen mitnichten einen
überwältigenden tibetischen anti-chinesischen Konsens, wie ihn die
internationalen Medien darstellen. Die höchste in den Medien geschätzte
Zahl von Tibetern, die sich an den Protesten beteiligten, stammt von
Steve Chao, dem Chef des Büros von Canadian Television News in Beijing.
Sie liegt bei 20 000, d. h. nur jeder dreihundertste Tibeter ist
beteiligt. Vergleichen Sie das mit den Protesten von 1986 gegen die
Marcos-Diktatur von etwa drei Millionen, d. h. jedem neunzehnten
Philipino.
Sozio-ökonomische Gründe für Protest
Tibeter haben berechtigte Beschwerden darüber, dass ihnen im Wettbewerb
mit Migranten um Arbeit und im Geschäftsleben nicht ausreichend
geholfen wird. Es gibt auch Diskriminierungen bei der Arbeitsplatzsuche
durch Han, die Arbeitsplätze vorwiegend an Familienmitglieder oder an
Leute vergeben, die aus ihren Heimatorten kommen. Die Kluft bei Bildung
und Lebensstandard zwischen Tibetern und Han ist beträchtlich und wird
zu langsam verringert. Die schwierigen Bedingungen dauern schon lange
an. Die Proteste und Plünderungen fanden aber dieses Jahr statt, weil
die Olympischen Spiele für die Separatisten eine gute Gelegenheit sind,
ihr Vorhaben voranzutreiben.
In der Tat gab es eine grundlegende Diskrepanz zwischen den
sozio-ökonomischen Problemen und den Slogans, die die Proteste
begleiteten, wie zum Beispiel "Völlige Unabhängigkeit für Tibet" und
"Mögen die Exilanten und Tibeter innerhalb Tibets wiedervereinigt
werden", Slogans, die nicht zufällig lauten wie diejenigen, die von den
Exil-Tibetern benutzt werden.
Während Separatisten keinen Erfolg damit haben werden, Tibet durch
einen Aufstand von China abzutrennen, glauben sie, dass China am Ende
zusammenbricht wie die ehemalige Sowjetunion und Jugoslawien. Und sie
streben danach, ihren Anspruch auf die Herrschaft anzumelden, bevor
dies geschieht. Alternativ denken sie, dass die Vereinigten Staaten
intervenieren könnten, wie sie das überall sonst getan haben, um das
Wegbrechen von Regionen in Ländern zu fördern, denen die Vereinigten
Staaten feindlich gegenüberstehen, z. B. das Kosovo und der Südsudan.
Die chinesische Regierung befürchtet auch solche möglichen
Entwicklungen, wie unwahrscheinlich sie auch sein mögen.
Dementsprechend handelt das Land, um Separatismus zu unterdrücken, eine
Herangehensweise, die mit seinen Rechten im Rahmen des Völkerrechts
vereinbar ist.
Separatisten in der Gunst des Westens
Die Separatisten wissen, dass sie auf die automatische Sympathie
westlicher Politiker und Medien vertrauen können, die China als
strategischen, wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten
betrachten. Westliche Eliten haben China daher in breiter
Übereinstimmung dafür verurteilt, dass es die Unruhen unterdrückt, die
diese Eliten in ihren eigenen Ländern niemals zugelassen hätten. Sie
fordern, dass China in seiner Reaktion eingeschränkt werden solle.
Während der Unruhen oder des Aufstands von Los Angeles im Jahre 1992 -
die sich auf eine Menge andere große Städte ausweiteten - erklärte
Präsident George W. Bush, als er Tausende von Soldaten dorthin
schickte: "Es kann keine Entschuldigung für Mord, Brandstiftung,
Diebstahl oder Vandalismus geben, die die Menschen von Los Angeles
terrorisierten. ... Lassen Sie mich versichern, dass ich alle
notwendige Gewalt anwenden werde, um die Ordnung wiederherzustellen."
Weder westliche Politiker noch die bürgerliche Presse haben ihn in
dieser Haltung angegriffen, während weder westliche Staats- und
Regierungschefs noch der Dalai Lama diejenigen Tibeter kritisiert
haben, die an den jüngsten ethnisch motivierten Angriffen und
Brandstiftungen beteiligt waren.
"Kultureller Völkermord"?
Westliche Eliten geben der chinesischen Regierung keine Anerkennung
für wesentliche Verbesserungen im Leben der Tibeter als Folge von
Subventionen durch die chinesische Zentralregierung und Provinzen,
Verbesserungen, die der Dalai Lama selbst zugegeben hat. Westliche
Politiker und Medien unterstützen auch beständig die Behauptung des
Dalai Lama, dass es in Tibet einen "kulturellen Völkermord" gebe,
obwohl die Exilanten und ihre Unterstützer keine glaubwürdigen Beweise
dafür vorlegen können, dass der Gebrauch der tibetischen Sprache, die
Ausübung der Religion oder Kunst verboten und zerstört werden.
Tatsächlich sprechen mehr als 90 Prozent der Tibeter Tibetisch als ihre
Muttersprache. Tibet hat etwa 150 000 Mönche und Nonnen, die höchste
Konzentration von Vollzeit-"Geistlichen" in der buddhistischen Welt.
Westliche Gelehrte der tibetischen Literatur und Kunstformen haben
bestätigt, dass sie aufblüht.
Ethnische Gegensätze in Tibet rühren von der Demographie, Wirtschaft
und Politik der tibetischen Gebiete her. Separatisten und ihre
Unterstützer behaupten, dass die Han-Chinesen Tibet seit langem
"überfluten" und die Tibeter demographisch "versumpfen". Tatsächlich
aber stieg zwischen dem Zensus von 1990 und 2000 (der alle Menschen
berücksichtigt, die in einem Gebiet sechs Monate oder mehr gewohnt hat)
der Prozentsatz der Tibeter in den tibetischen Gebieten insgesamt
leicht und Han machten etwa ein Fünftel der Bevölkerung aus. Eine
vorläufige Analyse des Mikrozensus von 2005 zeigt, dass es von 2000 bis
2005 eine leichte Erhöhung des Anteils von Han in Teilen des mittleren
Westens von Tibet (die Tibetische Autonome Region/TAR) gab und wenig
Veränderung im Osten von Tibet. Kräfte, die die Unabhängigkeit Tibets
fordern, wollen, dass die tibetischen Gebiete von Han gesäubert werden
(wie es 1912 and 1949 geschah). Der Dalai Lama hat gesagt, er wird ein
Verhältnis von drei Tibetern zu einem Nicht-Tibeter akzeptieren, aber
er stellt ständig die gegenwärtige Situation falsch dar, indem er von
einer Mehrheit der Han spricht. Da er nicht nur den Status des obersten
buddhistischen religiösen Führers hat, sondern als Verkörperung Buddhas
gilt, würdigen die meisten Tibeter, was immer er zu diesem oder anderen
Themen sagt.
Die ländlichen Gegenden Tibets, wo drei Viertel der Bevölkerung wohnen,
haben nur sehr wenige Nicht-Tibeter. Die große Mehrheit der
Han-Migranten in tibetischen Städten ist arm oder am Rande der Armut.
Sie werden nicht direkt vom Staat subventioniert; jedoch werden sie wie
die Tibeter indirekt subventioniert durch eine Entwicklung der
Infrastruktur, die die Städte begünstigt. Etwa 85 Prozent der Han, die
nach Tibet gehen, um dort Geschäfte zu eröffnen, scheitern; im
Allgemeinen verlassen sie Tibet innerhalb von zwei oder drei Jahren.
Diejenigen, die wirtschaftlich überleben, stellen für die tibetischen
Geschäftsleute vor Ort eine Konkurrenz dar, aber eine umfassende Studie
in Lhasa hat gezeigt, dass Nicht-Tibeter Pioniere im Bereich kleiner
und mittelgroßer Unternehmensfelder waren, in die einige Tibeter dann
später eingestiegen sind, wo sie ihre Kenntnisse der Gegebenheiten vor
Ort nutzten, um zu prosperieren.
Tibeter sind nicht einfach eine Unterklasse; es gibt eine recht große
tibetische Mittelschicht, die man in den Bereichen Regierungsapparat,
Tourismus, Handel und kleine herstellende Betriebe und
Transportunternehmen findet. Es gibt auch viele arbeitslose oder
unterbeschäftigte Tibeter, aber fast keine arbeitslosen oder
unterbeschäftigten Han, weil diejenigen, die keine Arbeit finden,
wieder weggehen. Viele Han-Migranten haben eine rassistische
Einstellung zu den Tibetern, meist ausgehend von der Meinung, dass
Tibeter faul, schmutzig und religionsbesessen seien. Viele Tibeter
erwidern dies, indem sie die Han als reich, geldbesessen und
eingeschworen darauf darstellen, die Tibeter auszubeuten. Tibeter, die
schon lange in den Städten wohnen, übernehmen Teile der Han-Kultur in
sehr ähnlicher Weise, in der dies ethnische Minderheiten mit der Kultur
ethnischer Mehrheiten weltweit tun. Tibeter werden jedoch nicht
zwangsweise "sinisiert". Die meisten Tibeter sprechen wenig oder gar
kein Chinesisch. Sie beginnen die Sprache in den höheren
Grundschulklassen zu lernen und müssen in vielen Gebieten Tibets in
dieser Sprache studieren, wenn sie weiterführende Schulen besuchen.
Chinesisch ist jedoch eine der wichtigsten Sprachen der Welt, und wer
die Sprache lernt, hat dadurch beträchtliche Vorteile, genauso wie das
bei Menschen ist, die Englisch nicht als Muttersprache sprechen. ...
Auswirkungen der "Marktwirtschaft"
Die Entwicklung der "Marktwirtschaft" hatte in den tibetischen
Gebieten so ziemlich den gleichen Effekt wie im übrigen China, d. h.
eine Zunahme der Ausbeutung, eine Verschlechterung der Einkommen und
Wohlstandsunterschiede sowie eine rasante Zunahme der Korruption. Das
Maß, nach dem dies eine "ethnische Arbeitsteilung" beinhalte, die die
Tibeter benachteiligt, wird jedoch von den Separatisten übertrieben, um
eine ethnische Feindseligkeit zu fördern. Zum Beispiel ist Tibet nicht
das ärmste Gebiet Chinas, wie oft behauptet wird. Es steht besser da
als mehrere andere Gebiete mit ethnischen Minderheiten und selbst als
manche Han-Gebiete, und das größtenteils aufgrund starker staatlicher
Subventionen. Ländliche Tibeter bekommen auch mehr staatliche
Subventionen als andere Minderheiten. Die Führer im Exil benutzen
Übertreibungen und zwar nicht nur bezüglich des Ausmaßes der empirisch
festgestellten Unterschiede, sondern auch hinsichtlich der eher
grundsätzlichen ethnischen Beziehungen in Tibet: Im Gegensatz zu, sagen
wir, Israel/Palästina haben Tibeter dieselben Rechte wie Han, sie
genießen eine gewisse Vorzugsbehandlung in der Wirtschaft- und
Sozialpolitik, und etwa die Hälfte der obersten Parteiführer in der TAR
sind ethnische Tibeter gewesen.
Tibet hat keine Merkmale einer Kolonie oder eines besetzten
Territoriums und hat so keinen Bezug zur Selbstbestimmung, einem
Konzept, das in den letzten Jahrzehnten oft missbraucht wurde,
besonders von den USA, um das Aufbrechen von Staaten und das darauf
folgende Auseinanderdriften ihrer Bevölkerung zu fördern. Eine Einigung
zwischen der chinesischen Regierung und den tibetischen Exileliten ist
eine Voraussetzung für die Beseitigung der Schwierigkeiten und Probleme
der Tibeter. Ohne eine Einigung wird die ethnische Politik sich
weiterhin jedes andere Thema in Tibet unterordnen, so wie das zum
Beispiel der Fall ist bei Taiwan und dem Kosovo, wo ethnische
Unterschiede konstruiert werden durch "ethnische politische
Unternehmer", die danach streben sich gegenseitig zu überbieten, um
Unterstützung zu bekommen.
Die Unruhen in Tibet haben nichts dazu beigetragen, die Diskussionen um
eine politische Einigung zwischen der chinesischen Regierung und den
Exilanten zu erreichen. Dennoch ist eine Einigung notwendig, um
wesentliche Erleichterung der Lebensumstände der Tibeter zu erwirken.
Für die tibetischen Kräfte, die eine Unabhängigkeit fordern, ist ein
Rückschlag solcher Bemühungen vielleicht genau der Zweck, den sie mit
der Förderung der Unruhen verfolgten. Tibetische Kräfte, die die
Unabhängigkeit vorantreiben, streben wie Separatisten überall danach,
jede Sichtweise der Welt, die nicht auf ethnischen Zugehörigkeiten
basiert, zu behindern. Und alle Bemühungen, ethnische Widersprüche
aufzulösen, sind zu vereiteln, um die Mobilisierung anzukurbeln, die
nötig ist, um ihre ethnisch-nationalistischen Projekte umzusetzen. Sie
haben behauptet, dass China bald zusammenbrechen wird, und dass die USA
anschließend ihre Schirmherrschaft über eine tibetische Staatselite zum
Wohle der einfachen Tibeter verstärken werden. Man muss sich nur die
vielen humanitären Katastrophen in der Welt ansehen, die aus einer
solchen Denkart hervorgegangen sind, um die Folgen vorherzusehen, die
die einfachen Tibeter wahrscheinlich zu tragen hätten, wenn sich die
separatistischen Fantasien erfüllen sollten.
Quelle: www.Chinastudygroup.net
Übersetzung aus dem Englischen Vera Glitscher
Redaktion Lothar Geisler