Interview
* Haiti Progres erscheint seit 1984 auf französisch, englisch und kreolisch. Die Redaktion unterstützt die Regierung Aristide.
F: In einem Leitartikel des Haiti Progres wurde die derzeitige Situation Haitis mit der Lage im Kongo 1960 kurz vor der Ermordung Patrice Lumumbas verglichen. Wo sehen Sie die Parallelen?
In beiden Fällen präsentieren sich ausländische Regierungen als Retter in einer Notlage, während gerade sie über Jahre hinweg die Opposition gegen eine legitime Regierung befürwortet, finanziert und mit Waffen versorgt haben. Die bewaffnete Oppositionsbewegung arbeitete lange Zeit von der Dominikanischen Republik aus. Nachgewiesen ist, daß Louis Jodel Chamblain, der militärische Anführer der sogenannten Opposition, von der CIA geschult und ausgerüstet wurde, als er die FRAPH-Todesschwadrone der Duvalier-Diktatur aufbaute. Nach einer kürzlichen Aussage Chamblains ist die FRAPH-Struktur nach wie vor funktionstüchtig – neun Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung. Auch beim zweiten Anführer der Opposition, Guy Philippe, lassen sich direkte Verbindungen zu den USA nachweisen: Er wurde vor 1994 von US-Militärs in Ecuador trainiert, um ihn nach der US-geführten Intervention in jenem Jahr in den Polizeiapparat Haitis einzusetzen. In dieser Funktion war er im Jahr 2000 an einem Putschversuch beteiligt. Das beweist deutlich, daß es sich bei den derzeitigen Ereignissen nicht um eine Bewegung gegen Aristide, sondern gegen die Demokratie handelt.
F: Was aber sind die konkreten Konfliktlinien?
Mit dem ersten Machtantritt von Jean-Bertrand Aristide wurde Anfang der neunziger Jahre eine jahrhundertelange Tradition serviler Regime gebrochen, die mit den einstigen Kolonialmächten kollaborierten. Politisch betrachtet, verloren die ländliche Oligarchie und die städtische Bourgeoisie mit der Wahl Aristides ihren Zugang zum Machtapparat. Dieser Umstand hat von Beginn an die Opposition gegen den amtierenden Präsidenten genährt. Die USA haben lange Zeit eine Doppelstrategie gefahren, die mit der Unterstützung der Opposition nun beendet scheint.
F: Seit Beginn der Revolte hat Präsident Aristide mehrfach um internationale Hilfe gebeten. Weshalb blieb die bislang aus?
Weil sie von den imperialistischen Mächten, vor allem den USA und Frankreich, die sich in diesem Fall wieder sehr gut verstehen, an Konditionen geknüpft wird. Am Freitag konnten wir das hier in der New York Times lesen: Der französische Außenminister forderte erneut eine UN-Intervention, um im gleichen Atemzug den Rücktritt von Präsident Aristide zu verlangen. Sollte die Intervention einer Schutztruppe aber nicht gerade zum Schutz einer demokratisch gewählten Regierung stattfinden?
F: Wird Aristide diese Krise also überstehen?
Das wird nur schwer möglich sein. 1991 wurde er ja schon einmal durch einen Staatsstreich aus der Regierung entfernt. Daß er drei Jahre später wieder nach Port-au-Prince zurückkehrte, war dem Umstand geschuldet, daß er seine Legitimität nie verloren hat. Der Widerstand gegen die damalige Diktatur blieb über Jahre hinweg bestehen. Aktuell wurde die Lage unter internationaler Verantwortung nun so weit zur Eskalation gebracht, daß das Land in einem kriegsähnlichen Zustand versinkt. In dieser Situation stellen die imperialistischen Mächte Aristide jetzt vor die Wahl zwischen dem Stift für die Unterschrift unter die Rücktrittserklärung oder dem Revolver mit einer Kugel in der Trommel. Es hat zwar den Anschein, als ob ein friedlicher Ausweg aus der Krise gesucht werde, doch tatsächlich ist diese Krise geschaffen worden, um Aristide zu stürzen.
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