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Myanmar: Nothilfe und Intervention

Westliche Staaten nutzen die Wirbelsturm-Katastrophe für ihre Politik gegen das Regime
(AKF-Rundmail, aktualisiert, Stand 15.6.2008)

Es steht außer Frage, dass die Menschen in Myamnar nach dem verheerenden Zyklon dringend und so rasch wie möglich Hilfe brauchten. Wer in so einer Situation wirklich helfen will, der wird sich die schnellsten Wege aussuchen. Angesichts der Spannungen zwischen dem dortigen Regime und den westlichen Staaten wären auf diplomatischer Ebene leise Töne und Flexibilität nötig gewesen. Stattdessen hauten die westlichen Regierungen und Medien ordentlich auf die Pauke, bestanden ultimativ darauf, dass die von ihnen bereitgestellten Hilfsgüter nur von eigenen Leuten und nach eigener Lagebeurteilung verteilt werden dürften. Sowohl Frankreich als auch die USA haben Kriegsschiffe und Militärflugzeuge für ihre Hilfsdienste vorgesehen. 

Keine dieser Regierungen würde umgekehrt eine solche Preisgabe von Souveränität bei sich zu Hause akzeptieren und schon gar nicht gegenüber Ländern, die sich seit langem in die internen Angelegenheiten einmischen. Und gerade wenn man der Militär-Junta unterstellt, dass sie die Sicherung ihrer Macht über die Hilfe für die Opfer der Katastrophe stellt, so muß man im Interesse der Opfer erst Recht mit genügend Rücksichtsnahme vorgehen. 
Die USA hingegen haben am Tag bevor der Zyklon Myanmar erreichte, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Katastrophe schon absehbar war, die Sanktionen gegen das Land noch einmal verschärft. Dadurch wurden auch direkte Spenden US-amerikanischer und z.T. auch internationaler Organisationen an myanmarische Organisationen nahezu unmöglich (siehe Sara Flounders, Myanmar cyclone U.S. hostility hampers relief, Workers World, 15.5. 2008). 

Die US-Marine führte außerdem bei Thailand gerade ein großes Militärmanöver durch und droht, so die International Harald Tribune, unausgesprochen aber dennoch deutlich, mit Intervention. Allein dadurch, dass die USA die Möglichkeit einer Invasion offen lassen, könnten sie "Druck auf Peking, Neu Dehli und Bangkok und darüber wiederum auf die burmesischen Generälen ausüben" ("Aid at the point of a gun", IHT, 14.5. 2008)

Über all dies wurde und wird so wenig berichtet, wie darüber, dass Hilfskräfte aus den Nachbarländern China, Indien, Singapur, Laos, Thailand etc. sehr schnell ins Land gelassen wurden. Selbst Japan und Italien fanden mit nicht-militärischem Mitteln relativ rasch den Weg ins Land. Viele Hilfsorganisationen, wie z.B. auch die deutsche Kinderhilfsorganisation World Vision konnten relativ bald mit der Arbeit beginnen, indem sie sich auf einheimische Mitarbeiter stützten. 

Indem all dies ausgeblendet wurde, gelang es, eine große Empörung gegen die "Verweigerungshaltung des Militärregimes" zu schüren. In der Folge ging einerseits die Spendenbereitschaft gegen Null und wurden anderseits aus allen Ecken, sogar aus der Linksfraktion, die Forderung nach einer militärischen "humanitären" Intervention laut. 

Dies ist, wie es scheint, auch der Zweck der Übung. Deutschland, die USA und die anderen Staaten der EU nutzen somit die Katastrophe, um das Regime in Rangun weiter unter Druck zu setzen und international zu isolieren  -- dies auf dem Rücken der Opfer. 

Bei der Diskussion um einen Militäreinsatz in Myanmar geht es zudem auch darum, einem generellen Recht des Westens auf bewaffnete Intervention in fremden Staaten zum Durchbruch zu verhelfen. Westliche Politiker und Think Tanks berufen sich dabei auf das Konzept "Responsibility to Protect", das die westlichen Staaten 2001 formuliert und 2005 von der UN-Versammlung angenommen wurde. Dieses soll zügig als Gewohnheitsrecht im internationalen Recht verankert werden (mehr hierzu bei german-foreign-policy.com Das Recht des Stärkeren).

Siehe auch:

Scheinheilige Empörung: "Birma verweigert westlichen Helfern Einreise"
(Leserbrief v. 10.5.2008 an mehrere Zeitungen, erschien in der RNZ vom 17.5.2008)

Man muß kein Freund des Regimes in Myanmar (Birma) sein, um zu sehen, wie viel Heuchelei in der Empörung der westlichen Politiker und Medien über dessen Weigerung liegt, westlichen Katastrophen-Helfern freien Zugang zum Katastrophengebiet zu gewähren.
Die westlichen Staaten würden in solchen Fällen auch keine iranischen oder arabische Helfern ins Land lassen. Selbst als der Hurrikan Katharina New Orleans unter Wasser gesetzt hatte und der landeseigene Katastrophenschutz einen ziemlich hilflosen Eindruck machte, hielt Washington die Grenzen für ausländische Helfer geschlossen. Nicht nur den sehr erfahrenen und für solche Zwecke hervorragend ausgerüsteten Teams, die Kuba und Venezuela entsandt hatten, wurde die Einreise verweigert, auch ein französisches Hospitalschiff das in der Karibischen See bereitstand wartete vergeblich auf seinen Einsatz.

Da die Hilfsorganisationen asiatischer Länder ins Land dürfen, würde es nahe liegen, diesen die bereitgestellten Finanzmittel zu überlassen. Wenn die USA, Deutschland und die anderen europäischen Länder darauf bestehen, ihre Hilfe nur über die eigenen Leute zu leisten, so liegt der Verdacht nahe, dass sie nicht nur helfen, sondern die Katastrophe auch zur Schwächung des Regimes nutzen zu wollen. Damit machen auch sie Politik auf dem Rücken der Opfer,

Joachim Guilliard, Heidelberg

Infos über den Stand der Hilfsmaßnahmen des Bündnis „Entwicklung hilft“ (medico international, Brot für die Welt, Misereor, terre des hommes und Deutsche Welthungerhilfe), sowie Beiträge, die sich kritisch mit der Verquickung von Hilfe und Intervention und der Arbeit von Hilfsorganisationen auseinandersetzen findet man bei medico international

medico international, 20.05.2008
Bündnis „Entwicklung hilft“ kann Unterstützung ausbauen

World Vision: Myanmar: Hilfe kommt an

... Die Kinderhilfsorganisation World Vision hat ausdrücklich betont, dass trotz der Schwierigkeiten in Myanmar die internationale Hilfe bei den Bedürftigen ankommt. „Wir sind derzeit dabei für rund eine halbe Million Menschen auch im Irrawaddy-Flussdelta Hilfe bereit zu stellen“, sagt Silvia Holten, Pressesprecherin von World Vision Deutschland. „Die Hilfsgüter werden von etwa 580 lokalen Mitarbeitern in Myanmar verteilt. Zudem haben sich viele Freiwillige gemeldet, die in speziellen Trainings von den World Vision Experten in Katastrophenhilfe ausgebildet werden.“
...

»» Neu: Jürgen Wagner, IMI-Analyse 2008/020 - in: AUSDRUCK (Juni 2008)
Humanitäre Heuchelei
Myanmar als Türöffner für Humanitäre Interventionen und die Militarisierung des Katastrophenschutzes

Peter Nowak, telepolis, 15.05.2008
Humanitäre Intervention in Birma?

... Anders als die Parteipolitiker äußern sich die Experten in Bezug auf Birma wesentlich vorsichtiger. So warnte der Geschäftsführer von Medico International , einer Organisation, die sich immer wieder kritisch mit der eigenen Arbeit auseinandersetzt , im Gespräch mit Telepolis vor einer übereilten Symbolpolitik.

Es sei ohne Zweifel notwendig, Druck auf das Regime in Birma auszuüben, um Hilfsgüter ins Land zulassen. Gebauer betont auch, dass er sich Situationen vorstellen könne, in denen aus humanitären Gründen ein Militäreinsatz zur Verhinderung eines Genozides sinnvoll ist. Allerdings müsse verhindert werden, dass hinter dem vermeintlichen humanitären Anliegen andere verdeckte Interessen zum Tragen kommen. Gerade im Fall Birma sei das aber nicht auszuschließen. So würden in der öffentlichen Debatte auch nicht alle Fakten gewürdigt. Die Hilfe aus China, die dort in den letzten Tagen ankommt, wird selten erwähnt, weil sie nicht ins Konzept passt. Es würde auch ein falsches Bild erzeugt, wenn man suggeriert, dass zur Zeit keine Hilfe in Birma geleistet werden könne. Organisationen, die schon lange vor Ort arbeiten, leisten der betroffenen Bevölkerung längst Unterstützung .

Ein weiterer Mythos ist die Vorstellung, dass nur genügend europäische Helfer ins Land kommen müssten und alles würde gut. Gerade die Erfahrungen nach der großen Tsunami-Katastrophe 2004 in Asien hätten aber gezeigt, dass die Hilfe oft genug an den Interessen der lokalen Bevölkerung vorbei geplant wurde .
...

Neues Deutschland, 20. Mai 2008
Humanitäre Hilfe militärisch erzwingen?

Medico-Chef: Helfer zu behindern ist skandalös – eigennütziges Interesse der Helfer aber auch
Ein Interview mit medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer

german-foreign-policy.com 16.05.2008 
Das Recht des Stärkeren
Ein Militäreinsatz in Myanmar soll einem allgemein gültigen Recht auf bewaffnete Intervention in fremden Staaten zum Durchbruch verhelfen.

Sara Flounders Workers World, 15.5. 2008
Myanmar cyclone U.S. hostility hampers relief

Shawn W Crispin, Asia Times, May 10, 2008
The case for invading Myanmar

International Harald Tribune, 14.5.2008
Aid at the point of a gun

Sehr empfehlenswert ist auch ein etwas älterer Artikel von Uta Gärtner, der Myanmar-Expertin des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin:

Uta Gärtner, junge Welt vom 01.11.2007
Verhärtete Fronten
Seit 1988 stehen sich in Myanmar Militärregierung und "Nationale Liga für Demokratie" gegenüber. Westliche Staaten verstärken die Konfrontation, obwohl eine Verständigung beider Seiten möglich wäre: