Ende September beendete der US-Geheimdienst CIA seine Nachforschungen nach Massenvernichtungswaffen im Irak ergebnislos – von den untrüglichen Beweisen für die Gefährlichkeit des Irak unter Saddam Hussein keine Spur. Gerechtfertig werden Krieg und Besatzung nun mit der Befreiung der Iraker von einer brutalen Diktatur. Operation "Irakische Freiheit" – eine Bilanz Die Bilanz dieser neuen Freiheit sieht für die Betroffenen allerdings bitter aus. Die Verhältnisse im Irak sind auch Monate nach Kriegsende noch katastrophal, von Wiederaufbau oder gar der versprochenen Demokratie keine Spur. Stattdessen ist die Bevölkerung mit der harten, destruktiven und oft demütigenden Realität einer ausländischen Besatzung konfrontiert, die längst Züge eines Kolonialregimes angenommen hat. Schon die Art und Weise wie die Besatzung begann, mit ungezügelten Plünderungen und organisierten Brandstiftungen, legt nahe, dass es für die Strategen, die seit Jahren auf die Besetzung des Zweistromlandes hinarbeiteten, zumindest zweitrangig war, wann es im Irak wieder geordnete Verhältnisse geben wird. Die USA haben für den Irak eine radikale Form neoliberaler Marktwirtschaft vorgesehen. Die weitgehende Privatisierung der irakischen Wirtschaft, d.h. ihre Veräußerung an ausländische Konzerne, ist bereits in Vorbereitung. Nicht nur der Ölsektor, sondern auch Gesundheitsdienste, Wasserversorgung, Elektrizität, Transport, Erziehung, Pharmazie und Telekommunikation usw. sollen in private Hände übergehen. Der Abbau von Subventionen und freie Warenimporte drohen zudem die Landwirtschaft und die noch verbliebenen irakischen Firmen in den Ruin zu treiben. Katastrophale Lage fördert Widerstand Die irakische Bevölkerung hat – ungeachtet ihrer Gegnerschaft zum Regime Saddam Husseins – den Krieg mit wenigen Ausnahmen abgelehnt und stellt sich gegen die Besatzung. Angesichts der katastrophalen Verhältnisse und eines rücksichtlosen Okkupationsregimes wächst der aktive Widerstand der Bevölkerung. Neben Demonstrationen und anderen Formen zivilen Widerstands sehen sich die Besatzungstruppen mit einem regelrechten Guerillakrieg konfrontiert, der tägliche Verluste fordert und den Erdölexport wirksam behindert. Die Guerilla besteht nicht nur aus Resten des gestürzten Regimes. Sie basiert ebenso auf unabhängigen säkularen und islamischen Organisationen, auf Stammesstrukturen und Moscheen. Die Bush-Regierung hat ihre Ziele im Irak daher – und aufgrund einer anhaltend kritischen, weltweiten Öffentlichkeit – noch lange nicht erreicht. Statt Sprungbrett für neue militärische Interventionen zu sein, bindet der Irak nun erhebliche militärische Ressourcen. Weit mehr als 1500 Tote und Verwundete und explodierende Besatzungskosten setzen die Regierungen der USA und Großbritannien zu Hause schwer unter Druck. Die Bürde gemeinsam tragen? Bestürzend ist, wie schnell in Deutschland und anderen Ländern ein Schlussstrich unter den unbestreitbar völkerrechtswidrigen Krieg gezogen wurde. Das Kolossalverbrechen eines Angriffkrieges wird zum Bagatelldelikt herabgestuft und der Widerstand dagegen, so Gerhard Schröder, zu einer "Meinungsverschiedenheit". Der Bundeskanzler hat dem US-Präsidenten nun angeboten, die Bürde in Zukunft gemeinsam zu tragen. Es war aber keineswegs, wie nun oft unterstellt wird, ein leichter Sieg, der nur wenige Opfer forderte, so dass der Erfolg – die Befreiung des Landes von einer üblen Diktatur – im nachhinein doch den Preis rechtfertigen würde. Nach Recherchen vor Ort muss von mehr als 30.000 unmittelbaren, zivilen Opfern des Krieges ausgegangen werden. Die Zahl der in furchtbaren Bombardements und unter Einsatz geächteter Waffen getöteten Soldaten wird auf mindestens das doppelte geschätzt. Nicht vergessen werden sollte auch, dass dem Krieg ein langjähriges Embargo vorausgegangen war, das eineinhalb Millionen IrakerInnen das Leben kostete. In den Nachkriegsverhältnissen steigen die Opferzahlen durch mangelnde Versorgung, alltägliche Gewalt und ein zusammengebrochenes Gesundheitssystem rapide weiter. Die Besatzungsmächte setzten unterdessen unbeirrt ihre Pläne zur Umgestaltung des Irak um – die Weichen für die Zukunft des Irak werden lange schon gestellt sein, bevor Iraker zum ersten Mal an die Wahlurnen gehen können. Auch eine Aufwertung des provisorischen, vom US-Statthalter eingesetzten "Regierungsrats" und eine stärkere internationale Beteiligung wird daran nichts ändern. Da die bestimmende Rolle der USA und die Präsenz britisch-amerikanischer Truppen im Irak auch von Frankreich, Russland und Deutschland nicht in Frage gestellt werden, laufen alle Vorschläge auf ein internationalisiertes Besatzungsregime hinaus, unter dem die Neuordnung des Irak auch weiterhin im wesentlichen nach westlichen, vorwiegend US-amerikanischen Vorstellungen vorgenommen würde. Dass dies von einer Mehrheit der Iraker akzeptiert würde, ist unwahrscheinlich. UN-Generalsekretär Kofi warnte, dass die "fortgesetzte US-amerikanische Besatzung ein gefährlicher Katalysator für den Widerstand" sei. Wir wenden uns daher gegen jegliche Unterstützung der US-amerikanischen Besatzungspolitik, auch in Form eines erweiterten Mandats durch den UN-Sicherheitsrat. Besatzung – nur eine neue Phase des Krieges Die Herausbildung von lokalen Machtzentren, die auf Stammes- und Religionsführern basieren, droht den Irak weiter zu destabilisieren. Eine Reihe von Maßnahmen der Besatzungsbehörden, wie die Einführung eines ethnisch-konfessionellen Proporzes bei der Besetzung provisorischer Gremien wie dem "Regierungsrat", verstärken zudem die religiösen und ethnischen Gegensätze und gefährden dadurch die territoriale Integrität des Irak und seinen säkularen Charakter. Auch die Nachbarländer sind dadurch gefährdet, denen die USA eine direkte Einmischung in den Konflikt vorwerfen. Besonders Syrien, das mehrfach schon in Grenznähe Ziel US-amerikanischer Angriffe war, steht nun auch militärisch im Kreuzfeuer der USA und Israels. Vorbedingung jeder tragfähigen Lösung für die Wiederherstellung echter irakischer Souveränität ist der Rückzug der Invasionstruppen im Rahmen eines klaren, knappen Zeitplans. Erst dann können die UNO und die Arabische Liga tatsächlich Verantwortung für die Reorganisation des Landes übernehmen und sich innerhalb dieses Zeitplans bemühen, möglichst alle relevanten irakischen Kräfte in eine Übergangsregierung einzubeziehen – von radikalen Schiiten bis zu Strömungen der alten Regierungspartei. Für all die, die unter der Diktatur litten, scheint dies kaum hinnehmbar. Doch auch in Südafrika beispielsweise, wurde ein unblutiger Übergang nur durch schmerzliche Kompromisse möglich. Je mehr politische Kräfte ausgeschlossen blieben, desto größer wäre die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkriegs. Eine Rückkehr der Herrschaft Saddam Hussein ist nach der Schwächung seiner Partei durch den Zusammenbruch des Regimes dagegen nicht zu befürchten. Ein Rückzug der USA ist nicht in Sicht. Der Krieg gegen den Irak ist daher nicht zu Ende, sondern nur in einer neuen Phase. Die weitere Entwicklung wird maßgeblich davon abhängen, ob es den wichtigsten gesellschaftlichen Kräften im Irak gelingt, gravierende Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu verhindern und über ideologische und konfessionelle Grenzen hinweg eine gemeinsame Politik gegen die Besatzung zu entwickeln. Die internationale Bewegung gegen den Krieg und seine Folgen kann diesen Widerstand unterstützten: durch Aufklärung über die Realität im Irak und öffentlichen Druck gegen eine internationale Unterstützung der Besatzungspolitik. Nach geltendem Recht müssten die Aggressoren und ihre Helfershelfer juristisch verfolgt, Reparationen an den zerstörten Irak bezahlt und die Opfer entschädigt werden. Im Namen der Opfer – wer im Irak zur Tagesordnung übergeht, kapituliert vor dem nächsten Krieg!
Sa. 25.10.: Kundgebung
13.00 Uhr Bismarckplatz, Heidelberg
anschließend Infostände in der Innenstadt
Es rufen auf: Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg, DGB Arbeitskreis Frieden, Heidelberger Friedensratschlag, Linksruck HD, Ver.di Heidelberg/Buchen, VVN/BdA HD