Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) auf der Demonstration gegen den Krieg im Irak am 5.4.2003
Wenn ich die Bilder von diesem Krieg betrachte, die man uns in der Zeitung und im Fernsehen sehen lässt, und mir vorstelle, wie viel reales menschliches Leid hinter diesen Bildern steckt und auch wenn ich hier vor diesem mit Absperrungen, Polizisten und Soldaten vor unserem Protest abgeschirmten Headquarter stehe, empfinde ich wie sicher viele von uns eine ohnmächtige Wut. Ich wünsche mir, dass wir dieses Gefühl der Ohnmacht verlieren. Und ich wünsche mir, dass wir unsere Wut behalten. Die Wut über eine Gesellschaft, die solche Kriege zulässt, über eine Gesellschaft, die solche Kriege hervorbringt, über eine Gesellschaft, die solche Kriege braucht, um ihre sogenannte ‚Ordnung’ am Leben zu erhalten. Wir wollen uns aber weder von unserer Wut noch von unserer Ohnmacht dumm machen lassen. Deswegen werden wir genau hinschauen und hinhören bei den Parolen, Slogans und Reden, die bei den Friedensdemos der letzten Wochen aufgetaucht sind. Es ist auf den vergangenen Demonstrationen zu Recht oft vom Bruch des Völkerrechts die Rede gewesen.
Tatsächlich: Die USA und Großbritannien haben in diesem Krieg das Völkerrecht kurzerhand über den Haufen geworfen. Das ist ein Zeichen dafür, wie wenig kapitalistischen Staaten selbst die eigenen Gesetze und Regelungen wert sind, wenn's drauf ankommt.
Dennoch bleibt die Frage: Was wäre eigentlich besser daran gewesen, wenn der Krieg mit der Billigung der UN – und also völkerrechtskonform - geführt worden wäre (die Entscheidung stand ja auf der Kippe)?
Wäre er dann ein gerechter Krieg?
Nur zur Erinnerung: Die UN und erst recht der UN-Sicherheitsrat sind keineswegs "demokratisch" gewählte Gremien. Im UN-Sicherheitsrat entscheiden die mächtigsten und reichsten Staaten dieser Welt, auch wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung (oder auch nur ihre jeweiligen Regierungen, die ja auch keineswegs demokratisch sind) ganz anderer Meinung sind.
Die USA behandeln den UN-Sicherheitsrat als genau das, was er ist: ein Instrument zur Durchsetzung von Macht- und Wirtschaftsinteressen. Wenn er gebraucht wird, gut. Wenn nicht, wird eben ohne ihn gehandelt. Wer wirklich etwas gegen Krieg hat, der darf seine Zustimmung nicht davon abhängig machen, ob der UN-Sicherheitsrat ihn beschlossen hat oder nicht.
Besonders abgeschmackt und verlogen ist es allerdings, wenn heute Grüne und Sozialdemokraten über den Bruch des Völkerrechts jammern, den sie aus Gründen der Staatsraison aber nicht als Bruch des Völkerrechts bezeichnen dürfen (insofern ist Herrn Binding der Maulkorb, den er heute trägt, von seinem eigenen Kanzler angelegt worden). Wir werden nicht vergessen, dass sich Deutschland mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 unter seiner rot–grünen Regierung zum ersten Mal über die geltenden Regeln des Völkerrechts hinweggesetzt hat und Bundeswehrsoldaten auf den Spuren ihrer Wehrmachtsgroßväter in Serbien einmarschieren ließ. Auch dieser Angriffskrieg wurde ohne den Auftrag der Vereinten Nationen geführt. Als Begründung mussten damals für Deutschland – genau wie heute für die USA – Menschenrechte, ein "blutrünstiger Diktator" und eine "humanitäre Katastrophe" herhalten. Das war damals ebenso verlogen wie heute – oder wollen uns die rot-grünen Regierungsparteien ernsthaft weismachen, die Verbrechen des irakischen Regimes seien harmloser als die Untaten, die damals der jugoslawischen Regierung zur Last gelegt wurden? Unsere rot-grünen "Friedensfreunde" stört momentan also offensichtlich nur, dass die USA und Großbritannien jetzt das selbe ohne Deutschland tun, was sie noch vor wenigen Jahren selbst vorgeführt haben.
Die Grünen haben zu dieser Demonstration mit einem eigenen Aufruf mobilisiert, weil sie die Aufforderung, gegen die Kriegsmaschinerie auch in Deutschland vorzugehen, nicht mittragen wollten. Der Titel dieses Aufrufs lautet: ‚Für eine multilaterale Weltordnung!’ Ich darf das vielleicht einmal ins allgemeinverständliche übersetzen. Im Klartext heißt das Gerede von der ‚multilateralen Weltordnung’ doch Folgendes: "Den Anspruch, die Welt nach unseren Interessen neu zu ordnen, teilen wir. Wir werden die Umsetzung dieses Anspruchs allerdings nicht mehr den USA überlassen." Wer solches schreibt und sagt, vertritt keine Antikriegsposition, er arbeitet an der Vorbereitung kommender Kriege! Schon heute sind Tausende deutscher Soldaten an Kriegsschauplätzen in aller Welt im Einsatz, um eine Weltordnung im Sinne des Kapitalismus durchzusetzen und um die Macht Europas zu demonstrieren.
Lassen wir uns nicht weismachen, dass wir nur die Wahl hätten zwischen einem größeren und einem kleineren Übel – zwischen Saddam und Bush, zwischen Amerikas Macht oder der Macht Europas.
Kriege entstehen nicht wegen der "Bosheit von Diktatoren" oder der "Cowboy-Mentalität von Präsidenten". Sie entstehen, weil in dieser Gesellschaft selbst der Mensch zu einer Ware wird und nichts Anderes zählt, als möglichst viel Profit zu machen. Eine solche gewalttätige Gesellschaft kann gar nicht anders, als ihre Interessen von Zeit zu Zeit auch gewalttätig durchzusetzen.
Günther Eich hat in seinem wohl bekanntesten Text geschrieben: "Schlaft nicht, wenn die Ordner dieser Welt geschäftig sind! Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe dieser Welt!" Sorgen wir dafür, dass die Ordner der Welt, sei es in Deutschland, sei es in den USA, nicht auf uns rechnen können!
Leider versuchen momentan noch ganz andere Gestalten als SPD und Grüne, auf der Flamme der gegenwärtigen Antikriegsproteste ihr trübes nationalistisches und antiamerikanisches Süppchen zu kochen: Nazis von NPD bis hin zu militanten Neonazi-Gruppen der ‚freien Kameradschaften’ haben für den 19.4., also in zwei Wochen einen Aufmarsch in Heidelberg angekündigt unter dem Titel ‚Amis raus!’. Solche Aufmärsche sind für Heidelberg nichts Neues. In den vergangenen zwei Jahren haben die Nazis schon zweimal versucht in Heidelberg zu marschieren. Beide Male wurde das durch massenhafte antifaschistische Proteste verhindert. Zeigen wir diesen dumpfen Hetzern, dass es in Heidelberg auch weiterhin keinen Platz für sie gibt! Als 1945 die Häftlinge aus den deutschen Konzentrationslagern befreit wurden, hieß ihre Parole: Nie mehr Faschismus, nie mehr Krieg! Zeigen wir den Nazis, dass diese beiden Maximen für uns immer noch zusammengehören.
Wir werden am Samstag in zwei Wochen wieder gegen den Krieg demonstrieren. Und wir werden den Faschisten zeigen, dass wir uns gegen ihre Versuche, die Antikriegsbewegung für Rassismus und Antisemitismus zu vereinnahmen, zu wehren wissen. Gemeinsam den Nazi-Aufmarsch verhindern! Gegen Faschismus und Krieg!
Michael Csaszkóczy
für die Antifaschistische Initiative Heidelberg