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Wider die Eskalationsspirale von Terrorismus und Staatsterrorismus
Jürgen Grässlin 
ND vom 16.01.04

Mit den Terroranschlägen vom 11. September hat der US-Präsident das Staatenbündnis gegen Terror geschmiedet. Bush wollte Al-Qaida-Führer bin Laden »tot oder lebend« aufspüren und erklärte Iran, Irak sowie Nordkorea zur »Achse des Bösen« und damit zu Kriegszielen. Nachdem die USA das Taliban-Regime in Afghanistan entmachtet hatten, galt es nun, das Al-Qaida-Netz zu zerschlagen, das immer funktionierte. Nur mit Mühe konnte Bush die militärischen Misserfolge im Kampf gegen den Terror kaschieren, und so benötigte er schnellstmöglich sichtbare Erfolge. Im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen wurde der schwache Irak zum Hauptfeind der USA erklärt und völkerrechtswidrig mittels eines »Präventivkriegs« besetzt. Argumentativ setzte Bush auf die Behauptung, das Regime Saddam Hussein arbeite mit Al Qaida zusammen und verfüge über Massenvernichtungswaffen. Beide Behauptungen entpuppten sich als Kriegslügen.
Dennoch darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass international operierender Terrorismus eine der größten Bedrohungen des Weltfriedens darstellt. Diese Tatsache legitimiert jedoch in keiner Weise, dass die selbst ernannte »Allianz gegen Terror« ihrerseits mit Mitteln des Staatsterrorismus zurückschlägt. So wie die irakische Regierung völkerrechtswidrig aus dem Amt gebombt worden ist, so wird das Land bis heute widerrechtlich besetzt. Dieser Rechtsbruch kann nicht dadurch geschönt werden, dass die US-Besatzer vorgeben, sie wollten lediglich »Terroristen« gefangen nehmen, das Land befrieden und den Übergang zu einer demokratischen Regierung organisieren. Die Absichten, die sich hinter diesen Vorgaben verbergen, sind nur allzu durchsichtig: Von Anfang an sollte ein missliebiger Machthaber aus dem Weg geräumt werden, der es gewagt hatte, die Waffen gegen das eigene Volk wie die Nachbarstaaten einzusetzen, die ihm allen voran die USA und Deutschland zuvor geliefert hatten. Vor allem aber hatte es Saddam Hussein gewagt, den USA auf der Weltbühne Paroli zu bieten. Der eigentliche Kriegsgrund war jedoch, dass Irak über die zweitgrößten Rohölfelder der Welt verfügt und sich Saudi-Arabien als Nummer eins auf dem Welterdölmarkt zum unsicheren US-Vertragspartner entwickelt.
Die Friedensbewegung muss sich nunmehr die Frage stellen, wie sie in einer Auseinandersetzung agieren will, in der die Konfliktparteien tagtäglich in höchstem Maße Bereitschaft zur Gewaltanwendung zeigen und Terror mit Gegenterror beantwortet wird. Klar ist, dass die Politik der von den USA geführten Besatzer auf schärfste verurteilt werden muss und wir die Strafverfolgung der Kriegsverbrecher massiv einklagen müssen. So darf nicht nur Diktator Saddam Hussein auf Grund seiner zahllosen Menschenrechtsverletzungen auf der Anklagebank sitzen. Wer das Völkerrecht bricht und für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist, gehört vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder ggf. vor ein nationales Gericht. Auf der Anklagebank müssten also auch Regierungschefs wie Bush, Blair und Aznar Platz nehmen. Da dies offensichtlich von der Staatengemeinschaft nicht einmal erwogen wird, liegt es an der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, in ihren Ländern Tribunale durchzuführen, vergleichbar dem Russell-Tribunal von 1969, als es darum ging, die US-Verbrechen in Vietnam aufzuklären.
Nebst dieser Vorgehensweise müssen wir uns zugleich die Frage nach den Widerstandsformen im Irak stellen. Artikel 51 der UN-Charta gesteht das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung zu, »bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat«. Unstrittig ist, dass die Menschen im Irak das Recht besitzen, sich gegen die Besatzungsmacht aufzulehnen. Dieses Selbstverteidigungsrecht legitimiert jedoch keinesfalls automatisch die Anwendung von Gewalt. Wer die Verstümmelung oder Ermordung der Okkupanten argumentativ befürwortet, per Geldsammelkampagnen unterstützt oder gar selbst praktiziert, läuft Gefahr, sich auf eine Ebene mit religiös verblendeten Islamisten zu begeben.
Wer die Meinung vertritt, Minenleger und Heckenschützen verbal, ideell oder gar materiell unterstützen zu wollen, darf das nicht unter dem Logo von Peacefahnen und Friedenstauben tun. Wer wie Antiimperialistischen Koordination zum Waffengang oder wie Campo Antiimperialista mit dem Foto eines Molotow-Cocktail werfenden Jungen zu 10-Euro-Geldspenden zur Stärkung des Widerstands aufruft, muss sich kritische Nachfragen gefallen lassen:
Welche Widerstands- oder Guerillagruppen unterstützen sie im Irak? Wie kann militärischer Widerstand einen Anspruch auf moralische Legitimität oder gar heroische Verehrung erheben, wenn selbst unbewaffnete Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes oder der Vereinten Nationen sowie Schulkinder zu den Opfern zählen? Wollen die heutigen Guerillaeinheiten nach Besatzungsende mit ihren Schwarzmarktwaffen eine eigene Armee gründen oder Teil staatlicher Streitkräfte werden? Und wollen sich die Guerillaeinheiten mit ihren »Freiheitskampf« einen Anspruch auf spätere Regierungsbeteiligung herbeischießen oder erheben sie als Söldner lediglich den Anspruch auf finanzielle Zuwendungen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass militärischer Widerstand die Eskalationsschraube weiter ankurbeln wird. Wohin dies führt, zeigt die Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Die zahllosen Selbstmordattentate dienen der Regierung Scharon zur Legitimation ihrer Aufrüstung und Kriegspolitik. Und ebenso werden die Anschläge irakischer Guerillakrieger, pathetisch zu »Freiheitskämpfern gegen den US-Imperialismus« hochstilisiert, den US-Falken als Legitimation für die unbefristete Besetzung Iraks und für weitere Rüstungsprogramme dienen.
Legitim erscheint meines Erachtens dagegen das gesamte Spektrum des zivilen Widerstands, von gewaltfreien Blockaden bis hin zu Generalstreiks, mit denen das gesamte gesellschaftliche Leben im Irak lahm gelegt werden kann. Gewaltfreiheit ist nicht das Attribut eingeschüchterter oder mutloser Drückeberger, sondern die erfolgversprechendste Form des Widerstandes. Schnell würde sich der gewaltfreie Widerstand zum Desaster für die Besatzungsmächte entwickeln.
Die Diskussion um die Formen legalen, legitimen oder erfolgreichen Widerstands darf nicht von den zentralen Problemen ablenken. Als weltweite Friedensbewegung müssen wir aktiv dazu beitragen, dass der politische Druck auf die Besatzungsmächte derart erhöht wird, dass ein Rückzug unumgänglich wird. Dieser muss begleitet werden vom Prozess der Demokratisierung, der zu Selbstbestimmung und freien Wahlen führt. Wird dies versäumt, so droht die Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten und womöglich auch den Kurden im Norden des Landes.
Der Demokratisierungsprozess kann nur gelingen, wenn das Ende der Okkupation und das Verschwinden militärischer Macht der vormaligen Besatzermächte mit einer Stärkung internationaler Vermittlerorganisationen unter dem Dach der Vereinten Nationen einhergeht. Das zwölf Jahre währende Embargo hat die Mehrheit der im Irak lebenden Menschen ihrer Existenz beraubt, in bittere Armut getrieben und Hunderttausende von Kindern in den Tod getrieben. Schuld daran sind nicht nur die Vereinten Nationen, sondern auch das Regime Saddam Hussein, das sich unter Auszehrung des eigenen Volkes prunkvolle Paläste gebaut und das Volk derweil mit martialischen Mitteln ausgebeutet hat. Die Akzeptanz der UN-Vermittler wird sich vor allem dann einstellen, wenn zugleich die Armut breiter Bevölkerungsschichten beendet wird und Zustände geschaffen werden, die allen Irakerinnen und Irakern in absehbarer Zeit ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Dass diese Aufgabe einzig und allein von den Vereinten Nationen geleistet werden kann, darf getrost bezweifelt werden. So stellt sich zudem die Frage nach Verstärktem humanitärem Engagement der Hilfsorganisationen aus aller Welt.
Im Übrigen darf nicht vergessen erden, dass das European Command (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen während des Krieges eine der wichtigsten US-Kommandozentralen für die Kampfeinsätze dargestellt und die Bundesregierung über direkte und indirekte kriegsunterstützende Maßnahmen (reibungsloser Transit der US- und NATO-Truppen, Teilnahme von Bundeswehrsoldaten an AWACS-Überwachungsflügen, die ungehinderte Nutzung der US-Militäreinrichtungen auf deutschem Territorium und deren Schutz durch Bundeswehrsoldaten etc.) den Krieg massiv befördert hat. Sie müsste sich dafür vor Gericht verantworten.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck lieferte der 11. September die argumentative Basis, die Bundeswehr von einer Verteidigungstruppe in eine Anti-Terror- und damit in eine Angriffsarmee umzustrukturieren. Artikel 87a des Grundgesetzes, wonach der Bund ausschließlich Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt, wurde kurzerhand über Bord geworfen. Mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien verabschiedete die Bundesregierung im Mai 2003 das aggressivste Bundeswehrprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg. Die klassischen Waffengattungen Heer, Marine und Luftwaffe werden abgeschafft, die Streitkräfte in die wesentlich effizienteren und schlagkräftigeren Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte umfunktioniert und die weltweite Kriegsbeteiligung der Bundeswehr unter dem Deckmantel so genannter humanitärer Interventionen wieder zum Mittel der Politik. Also auch in Deutschland muss die Friedensbewegung ihre Aktivitäten verstärken, um der zunehmenden Militarisierung der Außenpolitik Einhalt zu gebieten.

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner, Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes »Kleinwaffen stoppen«, Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros e.V. und Buchautor. Letzte Veröffentlichung: »Der dritte Golfkrieg – idealer Nährboden für weitere Terroranschläge« in »NO WAR«, Knaur-Verlag, München, 2003.

(ND 16.01.04)