Antwort Michael Schiffmann an Tom Strohschneider 16.12.03
Lieber Herr Strohschneider,
zunächst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die ich zu schätzen weiß. Die Panorama-Redaktion hat das gegenüber den meisten Leuten, die ihre Kommentare dorthin geschickt haben, nicht für nötig gehalten, nicht einmal bei den Leuten, deren Interviews dann in der Sendung gebracht wurden.
Zur Sache selbst: Es geht hier nicht um einen "linken Meinungskorridor". Es geht darum, dass die Berichterstattung in Panorama grob verfälschend war. Das ist mein und vieler anderer zentraler Vorwurf an die Adresse der Panoramaredaktion (die es im Übrigen nicht für nötig gehalten hat, mir auf mein eigenes ausführliches Schreiben zu antworten, obwohl auch von mir Aufnahmen gedreht wurden, die dann allerdings nicht in der Sendung kamen) und hier hätte ich von Ihnen erwartet, dass sie um etliches mehr nachbohren und recherchieren.
Schließlich wissen wir nicht erst seit Noam Chomsky um die große Bedeutung der Medien für die "Schaffung von Konsens", und meines Erachtens haben wir hier einen exemplarischen Fall vor uns, in dem ein Medium - Panorama - auf der einen Seite kriegskritisch berichtet und auf der anderen Seite diese Kritik sofort wieder zunichte macht, auch das ein Mechanismus, den Konsens innerhalb sehr enger und ungefährlicher Grenzen zu halten.
Joachim Guilliard ist nicht der einzige Mitarbeiter des Heidelberger Forums gegen Militarismus und Krieg, der in der Sendung vorkam. Betroffen waren auch etliche andere, in der schließlichen Sendung dann neben Herrn Guilliard noch zwei Perso-nen, die unter mehreren möglichen ausgewählt wurden.
Unter "Schwindel" von Seiten des Panoramamitarbeiters Goetz verstehe ich, dass er gegenüber Herrn Guilliard sein Bedauern und Befremden in Bezug auf die ge-ringen Aktivitäten der Friedensbewegung gegen die fortdauernde US-Besatzung des Irak zum Ausdruck gebracht hat und angab, er wolle angesichts ihrer Wichtig-keit über derartige Aktivitäten berichten.
Was wir hier in Heidelberg behaupten, ist, dass Herr Goetz uns über den Zweck seiner Sendung getäuscht hat, dass seine Fragen zu unseren Aktivitäten unglaublich selektiv, um nicht zu sagen, auf ein einziges Thema begrenzt waren, dass auch die-ses Rohmaterial dann noch entsprechend bearbeitet und "sexyer" gemacht wurde und dass dann dementsprechend das Ergebnis in Form der Präsentation in der Pa-noramasendung ausgesprochen manipulativ war. Hier hätte ein wenig "linke" Me-dienskepsis Ihnen helfen können, der Geschichte durch Befragung anderer Perso-nen, die in der Sendung vorkommen, nachzugehen, um zum Beispiel zu überprü-fen, ob Joachim Guilliard recht hat, wenn er sagt, dass die Aktion "zehn Euro für den Widerstand" in Heidelberg bisher noch nicht einmal diskutiert worden ist.
Ihren linken, oder überhaupt journalistischen, Standpunkt vermisse ich, weil Sie nicht einmal zu bemerken scheinen, worin das Problem liegt. Stellen Sie sich ein-mal vor, Sie sind in einer Friedens- oder Gewerkschafts- oder was auch immer Gruppe tätig. Ein Redakteur, sagen wir einmal vom ND, kommt an und sagt, er möchte über die Aktivitäten Ihrer Gruppe berichten. Sie freuen sich, weil Sie eine Möglichkeit sehen, dass Berichte über Ihre Aktivitäten endlich einmal Ihren eige-nen Dunstkreis verlassen könnten. Aber beim Drehtermin befragt der Redakteur Sie dann plötzlich überhaupt nicht zu dem, was Sie machen. Statt dessen befragt er Sie zu Sachen, die Sie NICHT machen, weil er in Wirklichkeit eine Sendung machen will, in der es zentral um kontroverse Aktivitäten geht, von denen Sie bis dahin noch nie etwas gehört hatten.
Zu Ihrem großen Befremden ist in den Fragen des Redakteurs nie die Rede von Ih-ren Friedensaktivitäten oder Ihrem Eintreten für gewerkschaftliche Rechte, sondern immerzu nur von ihrer Meinung, sagen wir einmal, zum Komplex bewaffneter Kampf in der BRD, RAF, Isolationshaft etc. pp. (Andere Beispiele lassen sich leicht konstruieren.) Sie haben Ihre Meinungen zu diesem Thema und sagen diese daher dann auch, nur um in der Sendung zu entdecken, dass dort behauptet oder insinuiert wird, diese Meinungen seien der eigentliche Hintergrund für ihre ganz anders geartete Tätigkeit zugunsten des Friedens und gewerkschaftlicher Rechte.
Würden Sie das nicht auch für eine Täuschung und "Schwindel" halten?
Aber all das geht in Ihrem Artikel völlig unter. Mittels derartiger Methoden kann man überall, nicht nur in der Friedensbewegung, Kontroversen konstruieren und provozieren, wo es zuvor keine gab. Zur Versachlichung einer Diskussion zwi-schen den verschiedenen Flügeln der Friedensbewegung tragen sie, mit dem extre-men Rechtfertigungs- und Distanzierungsdruck, den sie erzeugen, ganz gewiss nicht bei.
In Wahrheit handelt es sich hier um Schaumschlägerei, Quotenjournalismus und die Hysterisierung einer Debatte, die sich durchaus bald unabhängig von "Panora-ma" als notwendig erweisen könnte.
Sie bestreiten, in ihrem Artikel zu behaupten, Joachim Guilliard habe Geld für den BEWAFFNETEN "Widerstand" gesammelt. Aber das ist irrelevant, weil das in meinem Leserbrief gar nicht gesagt wird.
Was Sie in Ihrem Artikel sehr wohl behaupten, ist, dass Herr Guilliard Geld für den "Widerstand" sammelt, und das ist, wie ich in meinem Leserbrief bereits geschrie-ben habe, schlicht unwahr. Alles, was Herr Guilliard getan hat, ist, den Aufruf "Zehn Euro für den Widerstand zu unterzeichnen", neben der wahrhaft beeindru-ckenden Anzahl von 24 weiteren Unterzeichnern aus der Bundesrepublik.
Wenn demnächst über jeden Aufruf mit 25 Unterschriften für was auch immer in der Bundesrepublik prominent in Funk und Fernsehen berichtet wird, brauchen wir uns um die Demokratisierung der Medien vermutlich keine großen Sorgen mehr zu machen.
Ganz unabhängig davon stellt sich die Frage, was ist, wenn die Exponenten des bewaffneten Kampfes gegen die US-Besatzung eines Tages ein identifizierbares Gesicht bekommen sollten und sich herausstellen sollte, dass zumindest manche von ihnen akzeptable Ziele verfolgen und die Unterstützung wichtiger Teile der irakischen Bevölkerung haben? Dann müsste die jetzt unter unseriösen Umständen aufgeworfene Frage der politischen und moralischen Berechtigung bewaffneten Widerstandes im Irak und seiner Unterstützung von außen in der Tat aufgeworfen werden, so wie sie aufgeworfen wurde, als die FNL erst in Algerien und dann in Südvietnam, und später die nationalen Befreiungsbewegungen in Mittelamerika den bewaffneten Kampf gegen ausländische Besatzer oder deren einheimische Sur-rogate aufnahmen.
Vorläufig stellt sich jedoch in Bezug auf die unterstellte Gefahr einer Unterstützung des bewaffneten Widerstandes im Irak durch die bundesdeutsche Friedensbewe-gung bei näherem Zusehen heraus, dass der kreißende Berg eine Maus gebiert. Die-se Maus wird in der Panorama-Sendung zu einem furchterregenden Skandal erster Güte aufgeblasen. Und Sie, der Redakteur des linken (in Verbindung mit der Zei-tung darf ich doch dieses Attribut vielleicht gebrauchen, oder befinden wir uns dann Ihres Erachtens auch schon wieder in einem Meinungskorridor?) ND merken offenbar nicht, was hier geschieht, versäumen es, wirklich nachzufassen und han-deln das Ganze im Stil von "einerseits-andererseits" ab. So haben Sie den perfiden Sensationsjournalismus von Panorama (das bezieht sich ausdrücklich aus DIESE Sendung) einfach durchgewinkt und damit ein weiteres Mal zur entsprechenden Wirkung beigetragen.
Das ist es, was ich in diesem Fall für schlicht und einfach zu wenig halte, und wes-halb ich so frustriert war, diesen Artikel von allen Zeitungen ausgerechnet im Neu-en Deutschland zu lesen. Wo ist Neuss Deutschland, das wäre mir jetzt lieber? dachte ich.
Wie dem auch sei. Als ich in meinem Schreiben meiner Empörung Luft gemacht habe, ging es mir nicht um einen persönlichen Angriff auf Sie. Die in meinem Le-serbrief und weiter oben angesprochenen Fragen halte ich dagegen schon für rele-vant.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Schiffmann