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Banditen" gab es schon einmal
Harald Neuber   19.12.2003

Trotz deutlicher Ablehnung der US-Besatzung ist das Thema Widerstand in der Diskussion um Irak in der Friedensbewegung tabu

Wenige Tage nachdem das Politmagazin Panorama sich in seiner jüngsten Sendung mit dem Widerstand gegen die US-Truppen und ihre Alliierten in Irak beschäftigte, ist die Diskussion in der Friedensbewegung um die "richtige" und "falsche" Positionierung zum Konflikt voll entbrannt "Spenden für den Terror").

Empörte Reaktionen gab es zunächst vor allem von den Interviewten. So sehen sichdie Mitglieder der "Initiativ e.V. - Verein für Demokratie von unten" aus Duisburg von dem verantwortlichen NDR-Journalisten, John Goetz, grob getäuscht: Nachdem man seinem Kamerateam fast anderthalb Tage Zeit geschenkt habe, hieß es in der Sendung über die Kriegsgegner. "Was diese patriotische Allianz so macht, zeigt sie vor der laufenden Kamera. Terroranschläge. Ehrfürchtig betrachten die Duisburger solche Aufnahmen", hieß es schließlich in der Sendung, die Gegner des Krieges gegen Irak als Unterstützer des Terrorismus darstellte. Mitunter geschah dies recht unverhohlen, dann nämlich, wenn sie wegen ihrer Aktion 10 Euro für den irakischen Widerstandals "Sympathisantenszene" bezeichnet wurden. Ein Begriff immerhin, der in Deutschland während der RAF-Zeit Ende der siebziger Jahre schon einmal dafür sorgte, dass Staatsanwälte über ihr Ziel hinaus schossen. Bei den Duisburgern verstand man die Welt nicht mehr:


Unsere Einschätzung der Friedensbewegung in Deutschland, unsere Argumente für die politische Unterstützung des irakischen Widerstandes gegen die völkerrechtswidrige Besatzung, die wir in den Interviews immer wieder betont haben, fanden keine Erwähnung. Selbst unsere Diskussion darüber, dass bei Widerstandsaktionen Unschuldige getroffen wurden, fand in dem Beitrag Erwähnung.
 Stellungnahmeder Initiativ e.V. vom 12. Dezember 2003

Doch ist weniger die Arbeitsmethode des Redakteurs interessant, als vielmehr die folgende überfällige Diskussion unter Friedensgruppen. Eine der schnellsten Reaktionenkam von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), deren Bundessprecher Jürgen Grässlin sich erschrocken distanzierte: Wer Geld für Waffen sammele und das Abschießen von Soldaten gut heiße, sei weder Pazifist noch Humanist und stelle sich damit selbst außerhalb der Friedensbewegung, der auch die "gezielten Tötungsaktionen der Koalitionstruppen" als "barbarischen Akt" bezeichnet. Es gehe vielmehr darum, die US-Besatzer "mit politischen und diplomatischen Mitteln" zu einem Rückzug aus Irak zu bewegen und das Land beim Aufbau demokratischer Strukturen in Staat und Gesellschaft zu unterstützen?.

Radikal anders fällt das Urteildes Freidenkerverbandes aus. Dessen Bundesvorsitzender Klaus Hartmann sieht die Absicht des Panorama-Beitrag darin, "den Widerstand des irakischen Volkes gegen die Besatzer zu diffamieren und zu kriminalisieren". Die Argumentation des Verbandes ist einfach: Weil es sich bei der US-Aktion gegen Bagdad um einen "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" gehandelt habe, sei seine Rechtswidrigkeit "unheilbar", wodurch "jeder, auch militärischer, Widerstand legitim und völkerrechtlich erlaubt" sei. Die historische Parallele, so Hartmann, dränge sich auf:


Es ist die bekannte Methode der Angriffskrieger, diesen Widerstand als Terror, und Partisanen als Terroristen zu verunglimpfen. Bekannt ist diese Methode u. a. vom "Barbarossabefehl" vom 13. Mai 1941, vom Befehl des Oberkommandos des Heeres vom 5. Juni 1941 über die "Behandlung feindlicher Landeseinwohner", von den "Richtlinien für die verstärkte Bekämpfung des Bandenunwesens im Osten" vom 18. August 1942 und von der "Banditenkämpfanweisung" des Oberkommandos der Wehrmacht vom 11. November 1942. Unauslöschlich mahnen uns die Namen deutscher "Partisanenbekämpfung": Oradour-sur-Glane in Frankreich, Lidice in der Tschechoslowakei, Kragujevac in Serbien, Distomo in Griechenland, Mogiljow in Weißrussland.
Klaus Hartmann

Die Freidenker leiten ihre Position aus der eigenen Geschichte ab: Der Verband wurde unmittelbar nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 verboten, der Vorsitzende Max Sievers am 17. Januar 1944 wegen "Hochverrat" im Gefängnis Brandenburg-Görden enthauptet.

Zwischen beiden Positionen versucht sich der Bundesausschuss Friedensratschlag zu positionieren, bei dem nach der Festnahme des irakischen Ex-Präsidenten Saddam Hussein (immerhin oder nur?) "verhaltener Jubel" herrscht. Zwar bestehe kein Zweifel daran, dass an den Händen Saddams Blut klebe, heißt es in der Erklärung, allerdings gehörten die Kriegsverantwortlichen nach internationalem Recht ebenso auf die Anklagebank.

In dieser Position macht sich am besten das Dilemma der Friedensgruppen aus. In einem früheren Papier vom 6. September liefertedie Gruppe "Sieben Gründe für die Beendigung der Militärintervention". Klar formuliert lassen sie kaum Raum für Fehlinterpretationen über die Haltung des "Friedensratschlages":


1.Der US-Angriff gegen Irak beruhe auf Lügen und fabrizierten "Beweisen" und entbehre daher einer legalen Basis.
2.Die Vereinten Nationen hätten den Krieg zu keiner Zeit befürwortet.
3.Eine Beteiligung von UN-Truppen unter US-Kommando wäre ein weiterer Schritt zur Unterminierung der Autorität der UN.
4.Mit der UN-Resolution 1483 habe der UN-Sicherheitsrat einen halsbrecherischen Spagat versucht. Einerseits seien die Besatzungstruppen als "authority" anerkannt worden, andererseits habe man auf die territoriale Integrität des Irak verwiesen.
5.Der militärische Widerstand sei eine Folge der Fremdbestimmung des Landes.
6.Eine Verstärkung der militärischen Besatzung würde die Terroranschläge noch weiter herausfordern.
7.Der Abzug der Besatzungstruppen sei aus den genannten Gründen unabdingbar.

Wenn die Besatzung aber als illegal anerkannt wird, so heißt das implizit, dass der Widerstand dagegen legitim ist. Darüber aber sucht man beim Friedensratschlag vergeblich Aussagen. Es scheint, dass weite Teile der Friedensgruppen sich mit eben diesem Schritt wegen der Tabuisierung des Widerstandes durch die kriegsführende Seite schwer tun, gewissermaßen also in dieselbe Propagandafalle tappen, gegen die sie vorzugehen versuchen. Nachlesen lässt sich das in einem Interviewmit dem US-Linguisten Noam Chomsky, das der Bundesausschuss paradoxerweise eben auf seiner Internetseite wiedergibt. Darin geht Chomsky eingangs kurz auf die Geschichte der Kriegspropaganda ein:


Das erste Ministerium für koordinierte Propaganda - Informationsministerium (Ministry of Information) genannt - entstand in Großbritannien, im Ersten Weltkrieg. (...) Tatsächlich stellten diese Leute eine Propaganda-Kampagne auf die Beine, die es binnen weniger Monate schaffte, aus einer relativ friedlichen Bevölkerung tobende anti-deutsche Fanatiker zu machen. Die Leute wollten alles zerstören, was irgendwie Deutsch aussah. Das Ganze ging so weit, dass es dem Boston Symphony Orchestra nicht mehr möglich war, Bach zu spielen.
Noam Chomsky im Gespräch mit David Bersamian

Bestünde die Aufgabe der Friedensbewegung und derjenigen, die mit dem Anspruch auf intellektuelle Unabhängigkeit an der Debatte teilnehmen, nicht gerade darin, sich von diesen subtilen Formen der politischen Kontrolle bewusst loszusagen? Natürlich wäre das unbequem, wie Chomsky am Beispiel des renommierten Kriegsreporters Peter Arnett belegt. Er werde, erklärt der kritische Linguist, in den USA "verachtet", obgleich Arnett ein "fabelhafter Reporter" sei. Man verurteile Peter Arnett vor allem, weil ein Interview im irakischen Fernsehen gab ( Peter Arnett fällt in Ungnade). "Aber man je irgendeinen verurteilt, weil er ein Interview im US-amerikanischen Fernsehen gab?", so Chomsky.

Die Bewertungen der bewussten Verweigerung eines von oben vorgegebenen politischen Konformismus könnten unterschiedlicher nicht sein. Auch diejenigen, die heute gegen den "Terrorismus" im Irak wettern, teilen moralisch ohne Zweifel den bewaffneten Kampf der ehemaligen "Banditen" (und späteren Helden) der französischen Résistance oder anderer Guerillagruppen gegen die deutschen Besatzer. Es gibt noch mehrere Beispiele aus der jüngeren Geschichte: So rief die "Tageszeitung" (taz) Anfang der achtziger Jahre noch zu Spenden für die FMLN-Guerilla in El Salvador auf. Der Appell "Waffen für El Salvador" brachte damals eine Million Mark in nur drei Wochen.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet kann die Festnahme Saddam Husseins und seiner Anhänger nur einen politisch reinigenden Effekt nach innen und außen haben. Anders gesagt: Jeder weitere Vermeldung eines Fahndungserfolges könnte sich für die Besatzer schon bald als Pyrrhussieg entpuppen. Dann nämlich, wenn alle Hussein-Leute festgenommen sind. Das Argument, sie steuerten den Widerstand, würde sich selbst entkräften. Und die Friedensbewegung würde sich vielleicht selbstbewusster zum Irak-Konflikt positionieren.

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last modified: 18.12.2003
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