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Joachim Guilliard
Beitrag bei der Podiumsdiskussion am 4.3.2004
Irak unter Besatzung – Welche Strategien hat die Friedensbewegung?
Panorama berichtet letzten Donnerstag wieder vom Irak, es war derselbe Redakteur (Volker Steinhoff) der für den Beitrag im Dezember verantwortlich war. Sie gaben sich diesmal US-kritisch, es ging um Erschießungen von Verwundeten durch US-Soldaten. Dies geschah aber nicht ohne die Soldaten wieder als die eigentlichen Opfer hinzustellen, die sich – obwohl in bester Absicht im Irak –täglich ihrer Haut wehren müssten. Die Kritik an den offenkundigen Kriegsverbrechen vor laufender Kamera fiel milde aus, es wurde nur eine genaue Untersuchung gefordert. Dass US-Soldaten Menschen exekutieren, von denen sie nur vage vermuten konnten, dass es sich um bewaffnete Widerstandskämpfer handelt, wurde erst gar nicht thematisiert. Im gezeigten Fall reichte es aus, dass die Besatzung eines Kampfhubschraubers aus größerer Entfernung mittels Nachtsichtgerät sah, wie ein LKW-Fahrer einen länglichen Gegenstand in die Wiese warf um vier Menschen regelrecht abzuschießen – den vierten tötete erst der zweite Treffer und nur das wird als nicht ganz korrekt beanstandet.
Was Panorama hier als einzelne Entgleisung hinstellen möchte, ist in Wirklichkeit nur die Spitze des Eisbergs täglicher, oft blinder und willkürlicher Gewalt der Besatzungsmächte.
In deutschen Medien findet man darüber wenig, in England fallen der Independent und der Guardian wohltuend aus dem Rahmen. Weit ergiebiger sind naturgemäß die Berichte arabischer Medien, aber z.B. auch indische oder südafrikanische und entsprechende kritische Internetseiten (z.B. Occupation Watch)
Praktisch täglich kommen Unschuldige ums Leben, wie vor ein paar Tagen als US-Truppen mittels Luftwaffe und Bodentruppen drei Farmen zerstörten, ein 70 jähriges Ehepaar töteten, die Söhne der anderen beiden Bauernfamilien mitnahmen.
In der Pressemitteilung der US Army hieß es dazu: Einheiten wären entsandt worden, um zwei mutmaßliche Führer von Widerstandszellen gefangen zu nehmen oder zu töten. Eine Schießerei sei ausgebrochen, ein Guerillakämpfer wäre getötet und 9 weitere wären gefangengenommen worden, inkl. einem der Gesuchten. Es war diese Version, die von westlichen Medien übernommen wurde. Robert Fisk vom Independent hat eine ganze Reihe ähnlicher tödlicher Fälle bekannt gemacht.
Insbesondere direkt nach Anschlägen wird es für die Anwohner des Ortes gefährlich, wütende GIs führen regelrechte Strafaktionen durch und schießen auf alles was sich bewegt.
In riesigen Gefangenlagern werden Tausende von Gefangenen unter unerträglichen Bedingungen eingesperrt. Schätzungen gehen von 10.000 bis 18.000 aus. Gefangen ohne Anklage, ohne zu wissen, wie lange. Oft wissen die Angehörigen auch nach Monaten noch nicht wo sie sind. AI berichtet von häufigen Fällen von Foltern. In GB wurde ein Fall im September publik, bei dem der Gefolterte starb. Brit. Soldaten, die zurückgekehrt waren, erzählten geschockt, was sie mit ansehen bzw. anhören mussten.
Will man den Blutzoll ermitteln, den die Besatzung forderte, müssen zu den Opfern dieser Gewalttaten, die Opfer auf beiden Seiten durch direkte militärischen Auseinandersetzungen zwischen Guerilla und Besatzungstruppen addiert werden, sowie die von Todesschwadronen gegen pol. Gegner, von ungehinderten Racheaktionen und allgemeiner unkontrollierter krimineller Gewalt und nicht zuletzt natürlich die der verheerenden Terroranschläge.
Robert Fisk kam letzten August bereits - auf der Basis der Zahlen von Bagdad und dreier weiteren Städte - zum erschütternden Ergebnis, dass im Irak wöchentlich mindestens 1000 Iraker und Irakerinnen eines gewaltsamen Todes sterben, etwa 25 mal soviel wie vor dem Krieg.
So furchtbar diese Zahlen sind – sie spiegeln noch nicht die schlimmste Seite der irakischen Realität wider. Weit mehr, als der unmittelbaren Gewalt, werden die Iraker Opfer der fürchterlichen Lebensbedingungen. Wie eine IPPNW-Studie vom Nov. 2003 belegt, sind die Bedingungen in allen Lebensbereichen schlechter als vor dem Krieg – und auch da waren sie aufgrund des Embargos schon katastrophal. So verdoppelte sich Kindersterblichkeit fast von 57 auf 103 pro tausend Geburten. D.h. aktuell stirbt jedes zehnte Kind bei der Geburt.
"Sterben wegen Vernachlässigung" überschrieb der Independent vor zehn Tagen einen Bericht über den schockierenden Zustand der Kinderkrankenhäuser in Bagdad – 10 Monate nach Beginn der Besatzung. Die sanitären Bedingungen sind verheerend, Dreckwasser tropft von den Decken, es fehlt nicht nur an Medikamenten und Verbandsmaterial, sondern auch an Desinfektionsmittel, oft fehle sogar einfache Seife. (Dr. Jenan Hassan aus Basra hat auf der Veranstaltung im November in HD ebenfalls berichtet, dass ihre Kinderklinik seit Beginn der Besatzung noch keinen US-Dollar erhalten hatte)
Zu den mangelnden Behandlungsmöglichkeiten kommen noch Epidemien (Diarrhoe, Bronchitis etc.) und häufige gegenseitige Ansteckungen, aufgrund mangelnder Hygiene und der Überfüllung. Hunderte Kinder und Erwachsene sterben monatlich allein wegen dieser Bedingungen, für die anderen wird der Krankenhausaufenthalt zur Qual. Hatte der irakische Staat vor dem Krieg trotz Embargo noch in einer enormen Leistung wenigstens für einen funktionierenden Not-Betrieb gesorgt, so bleiben die Krankenhäuser sich selbst überlassen.
Von den monatlichen 3.8 Mrd. Besatzungskosten (von denen ein beträchtlicher Teil in die Taschen von regierungsnahen US-Konzernen fließt) sind gerade mal 35 Mio. für das Gesundheitswesen bestimmt. Davon wird ein guter Teil aufgewandt, um die techn. Ausrüstung an US-Standards anzupassen, d.h. europ. Geräte gewinnbringend durch US-amerikanische zu ersetzen.
Es wäre ein eigener Vortrag darzulegen, wie Mrd., die angeblich für die Versorgung und den Wiederaufbau bestimmt sind, in den Taschen div. Konzerne landen, ohne den geringsten positiven Effekt im Irak zu hinterlassen.
Vor dem Krieg schätzen UN-Organisation die monatlichen Opfer aufgrund der durch das Embargo geschaffenen Lebensbedingungen auf 5.000 – 7.000 pro Monat. Diese Zahl dürfte nun noch drastisch gestiegen sein.
Zusammenerbrochene Gesundheitsversorgung, Nahrungsmangel, oft nur stundenweise Strom und fließendes Wasser, mangelnde Sicherheit und die demütigende Realität und oft auch brutale Realität der Besatzungsherrschaft – das ganze Ausmaß der Situation in der die Iraker gezwungen wurden lässt sich von außen nur erahnen. (-> wer mehr wissen möchte -> unser Buch oder meine IMI-Studie)
Wenn im Zusammenhang mit dem Irak von Gewalt die Rede ist, müssen wir diese Bedingungen im Hinterkopf behalten. Sie sind das treibende Moment des wachsenden Widerstands. Hinzu kommt der offene Ausverkauf des Landes, der – darüber macht sich die Mehrheit der Iraker keine Illusionen – die trostlose Lage der Bevölkerung auf lange Sicht festschreiben würde.
Dieser Widerstand ist im übrigen nicht ausschließlich militärisch, wie Jürgen Grässlin immer wieder unterstellt ("Wenn von Widerstand im Irak die Rede ist, ist militärischer gemeint, ND"), sondern sehr vielfältig und in allen Lebensbereichen verankert. Die zivilen Formen reichen von der schlichten Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht über Demonstrationen, Blockadeaktionen von Arbeitslosengruppen, bis zu regelrechten Streiks in den von den Privatisierungsbemühungen betroffenen Unternehmen. Die Übergänge zwischen zivilen und militärischen Formen sind allerdings fließend, nicht anders, als es in früheren Widerstandsbewegungen in anderen Länder auch der Fall war. So wurde der Direktor eines zur Privatisierung vorgesehenen Speiseölkonzerns, der sich trotz Arbeiterproteste und Streiks geweigert hatte, einige Dutzende Arbeiter wieder einzustellen, auf dem Weg zur Arbeit erschossen.
[Die Zusammensetzung des militärischen Widerstands ist nach wie vor von außen nicht zu durchschauen, daher sind Zuordnungen von Aktionen kaum möglich. Die CIA schätzte im November dass bis zu 50.000 Irakerinnen und Iraker bereits im Widerstand aktiv sind, der größte Teil davon war kein Anhänger des alten Regimes.
Genauere Kenntnisse darüber sind allerdings für unsere Debatte auch nicht erforderlich.]
Was soll und kann die FB in dieser Situation tun?
Arundhati Roy hat den prinzipiellen Ansatz in Ihrer Rede in Mumbai sehr schön ausgedrückt.
Die Frage ist nicht, den Widerstand in Irak gegen die Besatzung zu unterstützen oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand in Irak gehört ( Sind sie alte Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten?) Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden.
Unser Widerstand muss mit der Zurückweisung der Legitimität der US-Okkupation Iraks beginnen.
In erster Linie heißt es für uns hier in Deutschland, Gegenöffentlichkeit über die Folgen des Krieges und die Realität der Besatzung herzustellen. (–> internat. Irak-Kriegs-Tribunale)
Außerdem den häufigen Illusionen über US-Politik entgegentreten.
Die Bush-Administration hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Besatzungstruppen auf unbestimmte Zeit bleiben werden, auch der demokratische Präsidentschaftskandidat würde daran nichts ändern. Die aktuellen Pläne zielen auf eine "Irakisierung" der Besatzungsherrschaft ab, die angesichts des breiten Widerstands auch weiterhin nur mit Gewalt aufrechterhalten werden könnte, und zu einer US-hörigen Diktatur und Bürgerkrieg führen würde.
Vor allem müssen wir uns gegen jegliche deutsche Unterstützung wehren.
Nachdem sich die USA und D+F weiter angenähert haben, bereitet sich die NATO schon auf ihren Einsatz im Irak vor, auch deutsche Soldaten werden, gemäß Militärminister Struck, mit dabei sein, sollte ein entsprechendes Ersuchen einer irakischen Regierung und ein UN-Mandat vorliegen. Beides dürfte nach einer formalen "Machtübergabe" im Juni kommen.
Es bleibt somit wenig Zeit, um einen weiteren deutschen Militäreinsatz zu verhindern
In diesem Kontext sind wir damit konfrontiert, dass nicht nur unsere Regierung, sondern auch die Medien schon lange die Besatzung anerkannt haben und unterstützen. Was Panorama in extremer Form machte, bringt im Prinzip auch die Tagesschau. Gewalt der Besatzer wird kaum gezeigt, (wenn dann, wie von Panorama), auch über die Lebensumstände erfahren wir wenig.
Wesentliches Element der Propaganda ist die Gleichsetzung von bewaffnetem Widerstand und Terror.
Es ist daher wichtig dieser Gleichsetzung entgegenzutreten, unabhängig davon ob man gewaltsamen Widerstand prinzipiell ablehnt oder was man persönlich von den kämpfenden irakischen Organisationen hält.
Widerstand an sich – auch militärischer – gegen die Besatzung ist legitim, das Recht sich individuell oder kollektiv gegen Invasoren und Fremdherrschaft zu verteidigen ist auch im internationalen Recht verankert.
Selbstverständlich sind dabei Angriffe auf zivile Ziele ausgeschlossen. Doch bei aller Abscheu vor Anschlägen, wie am Dienstag, sind zwei Dinge zu beachten. Es bleibt in der Regel völlig unklar, wer die Urheber sind. Wir dürfen nicht den Besatzungsmächten die Deutung überlassen, sondern müssen unabhängige Untersuchungen darüber fordern. Denn ganz offensichtlich sind die Hauptnutznießer solcher Gewaltakte die, die eine Fortdauer der Besatzung wollen.
Unabhängig wer tatsächlich dahinter steckt, auch solche Gewalttaten sind eine Folge der Besatzung, wie auch die – ebenfalls nicht zu rechtfertigenden – Angriffe, die zwar auf Besatzungstruppen oder ihre einheimischen Hilfstruppen zielen, rücksichtslos aber Scharen von Unbeteiligten in Mitleidenschaft ziehen.
Wir müssen das Augenmerk auf die 95% Gewalt richten, die durch die Besatzungsmächte verursacht werden und nicht auf die 5% Gegengewalt
Ein großer Teil der Friedensbewegung hat sich sehr rasch nach Kriegsbeginn wieder anderen Themen zugewandt. Sehr bedauerlich und auch schwer nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang, dass sich eine ganze Reihe von Organisationen aus dem internat. Aktionstag zum Jahrestag des Krieges ausklinkten, und stattdessen – in einer Art vorgezogenem Ostermarsch – in Ramstein gegen Atomwaffen protestieren.
[Ramstein wäre an sich ein sehr guter und symbolträchtiger Ort, läuft doch hierüber ein guter Teil der Versorgung der US-Truppen im Irak und Afghanistan und werden im Lazarett des benachbarten Landstuhl wöchentlich Hunderte verwundeter Soldaten so gut es geht zusammengeflickt. Der Protest müsste sich aber in erster Linie gegen die US-Kriegspolitik generell, sowie der hier sehr gut sichtbaren deutschen Unterstützung dafür, richten und auch gegen solche (geächteten) Waffen, die von dort aus aktuell tatsächlich zum Einsatz kommen.]
Ich denke es ist wichtig sich klar zu machen dass es sich im Irak aktuell wahrscheinlich um den wichtigsten Brennpunkt der Weltpolitik handelt
– wo imperiale, militärische Machtpolitik und neoliberale Globalisierung kulminieren (s. A. Roy) und auf einheimischen wie internationalen Widerstand stoßen.
– wo wir – zusammen mit einer weltweiten Bewegung – mit Aussicht auf Erfolg eingreifen können
Die USA haben ihre Ziele im Irak noch lange nicht erreicht. Im Land selbst sehen sie sich einem erheblichen (und weiter zunehmenden) zivilen und militärischen Widerstand gegenüber, der die Umsetzung ihrer ehrgeizigen, wirtschaftlichen und politischen Pläne erheblich behindert und ihnen schon viele Zugeständnisse abverlangte. International hat die Kritik am verbrecherischen Überfall nicht nachgelassen – im Gegenteil: die USA und Großbritannien verlieren durch die Aufdeckung immer neuer Lügen und Manipulationen, sowie ihrer Besatzungspolitik, weiter an Ansehen.
Die Probleme im Irak, die auf absehbare Zeit erhebliche militärische, geheimdienstliche und finanzielle Kapazitäten binden, haben auch der Fortführung oder gar Ausweitung der aggressiven Politik der Bush-Administration in anderen Regionen Grenzen gesetzt.
Umso wichtiger ist es nun, zu verhindern, daß die NATO und Deutschland den "Bedrängten" zu Hilfe kommen.