Bericht aus Bagdad (6.12.2003)
von Karin Leukefeldt
Dieses Mal fuhren wir in der Nacht von Amman nach Bagdad. Ich war überrascht, als der Fahrer das vorschlug, doch meinte er, die Straße sei jetzt sicher. Er hatte recht, das einzige, was die Fahrt etwas brenzlig machte, war streckenweise dichter Nebel. Thomas, einen österreichischen Kollegen, traf ich am Flughafen in Amman, wo uns der Fahrer abholte und los ging es. An der Grenze waren wir gegen 2.00 Uhr morgens, es herrschte reges Treiben. Das große Geschäft für wen auch immer jetzt ist der Handel mit Gebrauchtwagen. Sie werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz gekauft und per Schiff nach Jordanien verfrachtet. Von dort aus bringen Fahrer die Wagen nach Bagdad. Manche Händler mieten LKWs, die wir während der Fahrt überholten. Darauf sind dann bis zu 6 Gebrauchtwagen gestapelt. Früher fuhren hier nur Laster mit Gütern, die das UN-Programm "Öl für Nahrungsmittel" genehmigt hatte.
Um 7.00 Uhr morgens überqueren wir den Euphrat bei Ramadi, eine Stunde später fahren wir durch Abu Ghraib im Westen Bagdads. Es liegen noch immer zerschossene Panzer im Straßengraben. Ich beobachte einen Eselskarren, der sich durch ein Trümmerfeld einen Weg bahnt.
Bagdad braucht alles andere als Autos, die Stadt ersäuft in einem einzigen Verkehrsstau, die Luft ist ein Gemisch aus Benzin und Staub. Kein Platz für Asthmatiker. Wir brauchen eine Stunde bis zum Hotel, ein trister Ort nahe der Deutschen Botschaft. In wenigen Tagen werden wir ins Al Fanar umziehen. Anders als zunächst berichtet, sind doch noch Zimmer frei dort.
Ein erster Eindruck? Die Stadt erscheint mir noch dreckiger als im Sommer, vernachlässigt, chaotisch. Doch sieht man zwischen den Trümmern hier und da auch neue Gebäude oder zumindest Häuser, die wiederaufgebaut und gestrichen werden. Es gibt eine Menge neuer Mauern, aus vorgefertigten Betonplatten. Die findet man vor allem vor den Eingängen von Hotels, die von Amerikanern und ausländischen Sicherheitskräften bewohnt sind, aber auch vor dem Eingang einiger Parteien. Oft weiß man auch gar nicht, was sich hinter den Mauern und dem Stacheldraht verbirgt. Und es gibt viele Container, Wohncontainer. Für Wachleute, für Obdachlose, für was weiß ich sonst noch. Die Ausgangssperre ist aufgehoben und es ist wirklich abends mehr los, als noch bei meinem letzten Aufenthalt hier im Sommer. Dennoch sind die meisten der früher belebten Straßen nach 20.00 Uhr wie leergefegt, der einzige Lärm kommt von den Generatoren, die weiterhin für Strom sorgen müssen. Die Leute aus dem Hotel lassen ihre Gäste ungern nach Dunkelheit aus dem Haus. Als Thomas gestern Abend los ging, um noch den Kollegen von dpa zu treffen, gaben Sie ihm einen Begleiter mit. Natürlich können sich Araber hier doch ganz anders bewegen, als wir Ausländer.
Die Bagdadis sind unsicher wegen der Anschläge, die sich gegen die US-Truppen richten und niemand weiß, wo es beim nächsten Mal krachen wird. Aber auch Kriminalität ist ein Problem. Menschen werden überfallen, entführt um Lösegeld zu erpressen, erschossen, weil man ihr Auto stehlen will.
Am Freitag waren wir in einer (sunnitischen) Moschee, wo uns der Scheik kurz vor Beginn des Freitagsgebets tatsächlich ein kurzes Gespräch gewährte. Danach besuchten wir einen Vergnügungspark, wir wollten mal sehen, was die Leute so am Wochenende tun. Dort war nur wenig los, der Besitzer und die Schausteller klangen ziemlich verzweifelt, weil ihre Existenz auf dem Spiel steht. Wir trafen aber auch einige junge Frauen, Schwestern, die mit insgesamt 12 Kindern unterwegs waren. Deren Stimmung schien prächtig, wir haben uns einige Zeit mit ihnen unterhalten (mit Übersetzer). Eine der Frauen schenkte mir dann ihr Kopftuch (ich hatte nur gefragt, wo sie es gekauft hatte) und im Gegenzug luden wir alle zu einer Runde Autoskooter ein. Ich musste in die Bütt während Thomas einige Fotos machte. Ihr seht, die Leute versuchen auch, dem tristen Alltag zu entkommen. Vor allem für die Kinder ist das wichtig.
Alltag holte uns dann schnell wieder ein, als wir mit Leuten an einer Tankstelle sprachen, vor der sich kilometerlang die Autos stauten. Mitten in der Nacht stellen die Leute sich mit ihren Wagen an, um irgendwann am nächsten Tag mal Benzin zu bekommen. Und das im Irak, dem Land mit den zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt! Der Benzinausschank wird scharf kontrolliert, von zivilen Hilfskräften, irakischer Polizei und US-Soldaten. Es soll verhindert werden, dass Leute sich Kanister mit Benzin füllen, das sie draußen, am Straßenrand zum 100fachen Preis verkaufen. 2000 Irakische Dinar (ID) pro Liter, statt 20 ID. Eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit, meinte ein Journalist vom Irakischen Radio, der darüber eine Reportage machte.
Und so könnte ich immer weiter erzählen. Nach nur 48 Stunden schon wieder mitten drin im Bagdader Alltag. Ach ja, noch etwas. Heute ist ja Nikolaustag, Mr. Rumsfeld besucht seine Truppen in Kirkuk und Bagdad, wie ich aus dem Internet erfahre. Das aber ist eine andere Welt.