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Krieg in der Haifastraße
Nicht der Abzug, sondern die Präsenz der US-Truppen ist eine tödliche Gefahr für den Irak. Wie die Besatzer die Situation in Bagdad eskalieren

Von Joachim Guilliard
junge Welt. 07.04.2007 / Schwerpunkt / Seite 3

Tödliche Gefahr: US-Soldat bei einer Razzia in Bagdad Tödliche Gefahr: US-Soldat bei einer Razzia in Bagdad 
Foto: AP

Von Befreiung im Irak spricht heute niemand mehr. Vier Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins ist Bagdad bestenfalls eine »geteilte Stadt«. Zu diesem Schluß kam dieser Tage AP. »Wenn es schon unmöglich erscheint, Schiiten und Sunniten miteinander zu versöhnen, so ist zumindest die räumliche Trennung weitgehend gelungen«, beschönigte die US-Nachrichtenagentur die brutalen ethnischen Säuberungen als Folge der Besatzung. »Ein friedliches Nebeneinander« liege »nach wie vor in weiter Ferne«.
Auch die New York Times pries »homogene« Viertel bereits als Ausweg aus der Gewaltspirale. Für den Terror und die Toten im Zweistromland werden in aller Regel die »verfeindeten Religionsgruppen« verantwortlich gemacht, immer seltener Washingtons Truppen. Nicht wenige auch in der deutschen Friedensbewegung fürchten für den Fall eines Abzugs der Besatzer Chaos, Mord und Totschlag, also genau das, was heute für die meisten Iraker bittere Realität ist.
Der lange Kampf um die berühmt-berüchtigte Haifastraße unweit der »Grünen Zone« in Bagdad führt vor Augen, wie sehr die Besatzungstruppen für die Eskalation der Gewalt verantwortlich sind. Bei manchen Operationen besteht der Verdacht, daß Milizen regelrecht als Lockvögel eingesetzt werden. So versuchten im Vorfeld der sogenannten Sicherheitsoffensive im Februar schiitische Bewaffnete, in das vorwiegend sunnitische Viertel einzudringen. Örtliche Selbstverteidigungsgruppen, wahrscheinlich unterstützt von Guerillakämpfern, stellten sich ihnen entgegen und verrieten so ihre Verteidigungsstellungen. Daraufhin rückten 400 US-amerikanische und 500 irakische Soldaten an, unterstützt von Panzern und Kampfhubschrauber. Selbst F-15-Kampflugzeuge der US-Luftwaffe begannen in diesem dichtbesiedelten Stadtviertel, auf die sunnitischen Stellungen zu feuern. Über Stunden kämpften sich die Besatzungstruppen schließlich Meter um Meter vor. Sie stürmten Haus für Haus, nahmen alle Männer mit. 50 »Aufständische« seien getötet worden, hieß es am Abend von seiten der US-Armee in einer Standardfloskel. Nach irakischen Angaben waren die meisten der Getöteten jedoch keine Kämpfer. Diese sind offenbar nach und nach der Übermacht gewichen und in benachbarten Stadtvierteln abgetaucht.

Die Haifastraße, einst eine renommierte Gegend mit modernen Hochhäusern und Wohnungen, war bereits früh ein Zentrum des Widerstands gegen die US-Besatzung. Sie ist ein gutes Beispiel zum einen dafür, wie sich Teile des Irak immer wieder für längere Zeit der Kontrolle der Besatzungsmacht entziehen und zum anderen, wie deren Versuche, sie zurückgewinnen, die Gewaltspirale immer weiter anheizen.

Im Gegensatz zum Bild von ständiger Gewalt, das mit dem Viertel verbunden wird, war es in der Haifastraße – wie meist in den sogenannten Aufstandsgebieten – größtenteils ruhig, so der US-amerikanische Soziologieprofessor Michael Schwartz in einer Studie. Gleich nach dem Fall von Bagdad im April 2003 hatten Besatzungsgegner die militärische und politische Führung im Viertel übernommen. Milizen wurden aufgestellt, um der Welle von Kriminalität Herr zu werden, die mit der Auflösung von Polizei und Armee über die Hauptstadt schwappte, und auch die übrigen Probleme wurden in Selbstverwaltung angegangen. Die Gegend ist mehrheitlich sunnitisch, doch die Schiiten genossen denselben Schutz.
Das relativ friedliche Leben wurde immer dann unterbrochen, wenn US-Patrouillen eindrangen. Wenn die Besatzer zu Razzien anrückten, herrschte Krieg: mit Straßenbomben, Panzerfäusten und Scharfschützen fügten die Anwohner den Angreifern regelmäßig empfindliche Verluste zu, die Haifastraße wurde von US-Truppen bald nur noch »Death Street« genannt, Todessstraße. Sie war lange Zeit eine der vielen »no-go«-Areas im Irak, »off-limits« nicht nur für US-Soldaten, sondern auch irakische Besatzungshelfer.

Im Frühjahr 2005 nahmen die US-Truppen schließlich im Zuge einer fünf Monate dauernden und äußerst brutal durchgeführten Offensive das Viertel ein. In den US-Medien wurde die »Befriedung« der »Death Street« als große Erfolgsstory verkauft, laut der »eine Straße voller Gewalt endlich zur Ruhe fand«. Tatsächlich war es die blutigste Zeit ihrer Geschichte. Die damalige Schlacht ist ein perfektes Beispiel für die anhaltende großangelegte Strategie, die vorsieht, widerspenstige Stadtviertel von bewaffneten Kräften zu säubern und sie anschließend durch massive Präsenz vorwiegend irakischer Armee-Einheiten zu halten.

In der Haifastraße war der Erfolg jedoch nur von kurzer Dauer. Die bewaffneten Kämpfer, die sich nur zurückgezogen hatten, kamen bald zurück und trieben die Besatzer sukzessive erneut aus der Straße heraus. Im Februar 2006 mußten diese schließlich das Viertel wieder komplett aufgeben.

In der Haifastraße und im Viertel um sie herum blieb es danach ziemlich ruhig. Ungeachtet der eskalierenden Gewalt gelang es den Anwohnern mit Hilfe sunnitischer Milizionäre, einen recht effektiven Schutz zu organisieren, auch für die schiitische Minderheit. Durch Absprachen mit Vertretern der umliegenden, überwiegend schiitischen Viertel, die von den Mehdi-Milizen Muqtada Al Sadrs kontrolliert wurden, war ein recht großes Gebiet entstanden, das einigermaßen sicher vor Angriffen, sowohl sunnitischer und schiitischer Extremisten wie auch marodierender Polizeieinheiten und regierungsnaher Milizen war – bis die Besatzer im Rahmen ihrer »Sicherheitsoffensive« nun erneut angriffen. Mit der Verhaftung führender Mitglieder der Mehdi-Armee wurde sowohl der Schutz der schiitischen Viertel unterminiert, als auch die Kommunikation zwischen den benachbarten Vierteln unterbrochen. Die Folge waren vermehrte Angriffe auf Schiiten, die den USA als Vorwand für ihre Großoffensive dienten.