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Obamas Besatzungsplan

Der neue US-Präsident verspricht den Abzug aller amerikanischen Soldaten bis Ende 2011– sicher sind nur drei weitere Jahre Okkupation.

Von Joachim Guilliard
Erschien gekürzt in junge Welt vom 20.03.2009, Schwerpunkt / Seite 3

»Ihr habt die Aufgabe erledigt« –
US-Präs»Ihr habt die Aufgabe erledigt« – 
US-Präsident läßt sich in Camp Lejeune 
von der Truppe feiern (27.2.2009)
Foto: AP

Der neue US-Präsident Barack Obama verdankt den Einzug ins Weiße Hause nicht zuletzt seiner Haltung gegen den Irak-Krieg. Er hatte von Beginn an die von George W. Bush, Dick Cheney und Donald Rumsfeld angeordnete Invasion des Zweistromlandes scharf als „Verletzung des internationalen Rechts“ kritisiert und versprochen, im Fall seines Wahlsieges die Truppen zügig nach Hause zu holen und den Irak-Krieg damit zu beenden. Ende Februar stellte Obama in einer Rede vor begeisterten Marineinfanteristen in Camp Lejeune seine mit Spannung erwarteten Pläne für den Irak vor. Demnach soll der Abzug zwar langsamer vonstatten gehen als im Wahlkampf versprochen, bis August 2010 soll jedoch das Gros der Besatzungstruppen den Irak verlassen haben. „Lasst es mich so klar sagen, wie ich kann: Mit dem 31. August 2010 wird unser Kampfauftrag im Irak enden.“ Er habe zudem die „Absicht, bis Ende 2011 alle US-Truppen gemäß dem Stationierungsabkommen mit der irakischen Regierung abzuziehen.“

Werden die USA nun also den Irak verlassen und werden die Verbrechen der Vorgängerregierung untersucht? Beides mal nein. Auch wenn Obamas Ansprache im Marine Camp im Vergleich zu Bushs spektakulären Auftritt auf einem Flugzeugträger viel seriöser war [und die formulierten Ziele wesentlich bescheidener sind]: die „Mission“ wird im August 2010 oder Dezember 2011 ebenso wenig abgeschlossen sein wie im Mai 2003.

Fest steht nur eines: die bereits sechs Jahre andauernde Besatzung soll um mindestens drei weitere Jahre verlängert werden. Drei Jahre, in denen die US-Führung sich weiter bemühen wird, eine langfristige Kontrolle des Landes und seiner Ressourcen zu verankern.

Während die Republikaner sich überwiegend erfreut zeigten, reagierten führende Demokraten eher ablehnend auf die Pläne. Sie zeigten sich vor allem über die hohe Zahl von Truppen irritiert, die noch so lange im Irak bleiben sollen. So konnte sich Nancy Pelosi, die Präsidentin des Repräsentantenhauses, nicht erklären, wie eine Zahl von 50.000 Soldaten zu rechtfertigen ist – viel mehr, als bisher in dem flächenmäßig größeren Afghanistan eingesetzt werden.

Obama und die Militärführung haben vor, das Gros der Truppen bis nach den für Dezember geplanten Parlamentswahlen im Land zu belassen.[1] Nur so können sie sicherstellen, dass die verbündeten Kräfte am Ruder und gegnerische Kräfte wie Muqtada Al-Sadr, außen vor bleiben. Statt wie im Wahlkampf versprochen, ein bis zwei Kampfbrigaden pro Monat, werden im gesamten Jahr nur zwei abgezogen, insgesamt 12.000 Mann. Damit geht die Truppenstärke nur auf den Stand zurück, den sie 2007 vor der „Surge“ genannten Truppenerhöhung hatte. Da die Zahl der Söldner seither um über 10.000 anstieg, wird die Zahl der bewaffneten Kräfte weiterhin höher sein.

Dass die Wahlen tatsächlich im Dezember stattfinden werden, gilt als unwahrscheinlich. Es gibt noch keinen Termin und noch nicht einmal ein Wahlgesetz. Vermutlich werden sie um mindestens zwei bis drei Monate verschoben. Da die Wochen bis zur Regierungsbildung die kritischsten sind, wird Obama seine Truppen auch dann nicht sofort abziehen wollen. Der US-Armee blieben dann allerdings nur noch wenige Monate um wie versprochen bis August 2010 80.000 Soldaten zurückzuholen. Seine Generäle hatten dafür bisher mindestens volle 19 Monate veranschlagt.

Obama hat in seiner Rede jedoch schon angedeutet, dass die Abzugstermine nicht in Stein gemeißelt sind und „schwierige Perioden“ wahrscheinlich „taktische Anpassungen“ nötig machen werden. Jede Truppenreduzierung würde darum von der Entwicklung vor Ort abhängig gemacht. Die Militärführung äußerte sich daher auch äußerst zufrieden mit Obamas Entscheidung. So gab sich Generalstabchef Admiral Mike Mullen gegenüber CNN überzeugt, dass Obama den Zeitplan für den Rückzug sehr flexibel handhaben werde, sollten die Bedingungen vor Ort dies erfordern.[2]

Bemerkungen des Kommandeurs der Besatzungstruppen, General Raymond T. Odierno und seines Vorgesetzter General David Petraeus zufolge, geht das US-Militär davon aus, daß auch 2015 noch mindestens 35.000 Soldaten im Irak stationiert sein werden – d.h. so viele wie gegenwärtig im weit größeren Afghanistan. Sie gehen realistischer Weise davon aus, daß es auch in drei Jahren noch keine pro-amerikanische Regierung und Armee im Irak geben wird, die in die Lage sind, sich alleine zu behaupten.[3] Aus diesem Grunde erwarten sie auch keinen Probleme bei der Verlängerung der im Stationierungsabkommen vereinbarten Fristen.

Konsequent fährt das Pentagon fort, die großen Militärbasen auszubauen, so z.B. 4400 Meter lange Startbahnen in Balad und Al-Asad für schwere Bomber und Transporter. Die riesigen Flughäfen in diesen Basen gelten als Schlüsselelemente einer neuen Luftbrücke der US-Luftwaffe über Deutschland, Bulgarien und Rumänien, Irak und dem Golf bis nach Afghanistan und Zentralasien.

Laut Thomas E. Ricks, führender Militärkorrespondent der Washington Post mit guten Kontakten zu führenden US-Militärs ist es stillschweigender Konsens unter den Offizieren, die im Irak waren, dass US-Truppen auch 2015 dort noch in Kämpfe verwickelt sein werden – womit wir aktuell gerade Halbzeit hätten.  [4]

Und nichts deutet gegenwärtig darauf hin, dass sich am Charakter der Besatzung und dem Einsatz der US-Truppen grundsätzlich etwas ändern wird. Obamas Pläne sehen weiterhin offensive Operationen der US-Truppen vor. Ab, nicht nur bis August 2010, wenn der Kampfauftrag laut Obama abgeschlossen sein soll, sondern auch darüber hinaus. Sie sollen dann zwar nicht mehr Kampftruppen heißen, aber dennoch u.a. auch den Auftrag haben „gezielte Operationen zur Terrorismusbekämpfung durchzuführen“ und die „laufenden zivilen und militärischen Bemühungen“ der Besatzer im Irak abzusichern.

Der Rückzug des größten Teils der Besatzungs-Truppen in die großen Basen außerhalb der Städte geschah zum großen Teil schon letztes Jahr, unabhängig vom Stationierungs­abkommen, in dem sich die USA verpflichteten, alle Kampfeinheiten bis Juni aus allen Städten abzuziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, wie Kommandeure vor Ort versichern, dass diese nun in Zukunft die Militäroperationen gegen den weiterhin recht effektiv agierenden Widerstand einstellen werden. [5] Um die im Abkommen festgelegten Restriktionen scheinen sie sich dabei, wie u.a. Berichte der New York Times zeigen, kaum zu kümmern. [6]

Auch die in den Städten verbleibenden Einheiten werden sich weiterhin – umetikettiert in »Trainings- und Unterstützungstruppen«  –führend an Kampfeinsätzen beteiligen. Angesichts des geringen Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Loyalität der irakischen Sicherheitskräfte können die Besatzer sie nur so unter Kontrolle halten – und dies wird sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern.

Insbesondere sollen die rund 5.000 Elitesoldaten für “Sonderoperationen” wie Army Green Berets und Rangers, Navy SEALS, sowie die Spezialeinheiten der Luftwaffe und Marine im Land bleiben, die verdeckte Operationen im Land durchführen, wie z.B. gezielte Tötungen oder Entführungen von Gegner. Da diese wiederum von der Unterstützung offen operierender regulärer Truppen abhängen, sicherte ihnen das Pentagon zu, dass auch während des Abzugs stets ausreichend Kampfeinheiten im Land aktiv bleiben werden.[7]

Mit dem Stationierungsabkommen sind all diese Absichten nicht vereinbar.

Unerwähnt bei Obamas Rede blieb, wie er mit den Luftwaffe- und Marineeinheiten im Irak verfahren will. Da der Irak auf absehbare Zeit nichts haben wird, was diesen Namen verdient und geeignet ist, die Grenzen oder den Luftraum zu kontrollieren oder großangelegten Öl-Schmuggel per Schiff zu unterbinden, wird Washington diese kaum abziehen wollen. Vor allem ist die Luftwaffe aber die entscheidende Kraft gegen den militärischen Widerstand und ihre Bedeutung wird mit dem Abzug von Bodentruppen noch zunehmen.

Viele Kriegsgegner haben Obamas Ankündigungen in Camp Lejeune begeistert aufgenommen. In seiner Rede – voll von Patriotismus, Blut und Ehre – war jedoch nichts mehr zu hören von einem illegalen Krieg des George W. Bush. Unerwähnt blieben die Verbrechen in Abu Ghraib und die Verantwortung der USA für die unzähligen Opfer im Nahen Osten. Statt dessen rechtfertigte der neue Oberkommandierende nun den Krieg, indem er die US-Soldaten pries, unter Einsatz ihres Lebens gegen Tyrannei und Chaos gekämpft zu haben. „Wir sandten unsere Truppen in den Irak, um Saddam Husseins Regime zu beseitigen – und ihr habt diese Aufgabe erledigt“, rief Obama den jubelnden Soldaten zu. „Wir ließen unsere Truppen im Irak, um beim Aufbau einer souveränen Regierung zu helfen, und ihr habt die Aufgabe erledigt. Und wir lassen das irakische Volk mit einer schwerverdienten Chance für ein besser Leben – das ist Euer Verdienst.“ In Verbindung mit seinen Plänen, den Krieg in Afghanistan zu eskalieren, läßt die Übernahme der Floskeln seines Vorgängers nichts Gutes ahnen.

Unabhängig von der Ernsthaftigkeit der Abzugstermine: wäre es Barack Obama um einen wirklichen Wandel, einen „Change“ in der Irak-Politik gegangen, so hätte der erste Schritt eine Verurteilung der US-Aggression und Verbrechen im Irak sein müssen, sowie die Anerkennung der Schuld gegenüber der irakischen Bevölkerung, inklusive der Pflicht auf Wiedergutmachung. Ein Truppenabzug allein ist nichts dergleichen. Bestenfalls, so Lutz Herden sehr treffend in der Wochenzeitung Freitag, das Eingeständnis einer Niederlage.[8]


[1] Obama’s Iraq Plan Has December Elections as Turning Point for Pullout, NYT, 26.2.2009

[2] U.S. military chief Mullen comfortable with Iraq withdrawal”, Reuters, 1.3.2009

[3] Thomas E. Ricks, a.a.O, Jeff Huber, Mission Accomplished Indefinitely, Antiwar.com, 3.2.2009.

[4] Thomas E. Ricks, “The war in Iraq isn't over. The main events may not even have happened yet, Washington Post, 15.2.2009;

[5] US troops to remain active in Iraq after pullback - US military: Combat operations won't stop after June pullback to bases outside Iraqi cities , AP 15.3.2009

[6] U.S. Military Violated Security Agreement Twice in 2 Weeks, Iraqi Leaders Say”, NYT, 7.2.2009

[7] Iraq Withdrawal Raises Logistical Concerns for Elite Forces”, AP/FoxNews, 6.3.2009

[8] Lutz Herden, Frontbegradigung: Das Imperium stutzen, die Weltmacht retten, FREITAG, 05.03.2009