Die Vorschläge westlicher Experten zur Beendigung des Irak-Krieges
decken sich in vielem mit denen, die aus den Reihen des politischen und
militärischen Widerstands im besetzten Zweistromland kommen. Erstere
gehen jedoch meist davon aus, daß man die Iraker auf keinen Fall sich
allein überlassen darf und bauen stark auf Hilfe von außen. »Die
schlechteste und gefährlichste Politik« sei »eine Politik des Rückzugs
und Vergessens«, heißt es auch in den Vorbemerkungen zum Plan der
schwedischen Transnational Foundation for Future & Peace (TTF), den
junge Welt am 27.2. an dieser Stelle dokumentiert hatte. Iraker haben
diesbezüglich eine andere Sichtweise. Natürlich sollen die Verursacher
der Katastrophe, allen voran die USA, nicht einfach aus der
Verantwortung entlassen werden. Dennoch würden die Bewohner des
Zweistromlandes einen raschen Rückzug einer weiteren Besatzung absolut
vorziehen. Die nächst bessere Option wäre ein phasenweiser Rückzug nach
einem abgesprochenen Zeitplan, auch ohne sonstige Zugeständnisse
Washingtons und seiner Verbündeten. Das ist vor dem Hintergrund der
US-Geschichte und der globalen Machtverhältnisse wahrscheinlich das
Beste, was man der Supermacht abringen kann.
Die
Überlegungen der irakischen Opposition konzentrieren sich auf interne
Lösungen ohne größere äußere Einmischung. Die Pläne sind schon weit
gediehen. So diskutieren seit Frühjahr 2005 mehr als hundert Vertreter
verschiedenster Gruppierungen, Wissenschaftler und prominente
Persönlichkeiten im Rahmen der »Nationalen irakischen Initiative zur
bedingungslosen Beendigung der Besatzung« über detaillierte Pläne für
ein Ende der Okkupation sowie die Zeit danach. Die Schirmherrschaft hat
Dr. Khair El-Din Haseeb. Der Generaldirektor des renommierten Beiruter
»Centre For Arab Unity Studies« (CAUS) hatte, bis er 1974 ins Exil
ging, hohe Ämter in Bagdad bekleidet, darunter das des
Zentralbankchefs. Im September 2006 erschienen die Vorschläge,
inklusive den Entwürfen einer neuen Verfassung und eines neuen
Wahlgesetzes, als 250 Seiten starkes Buch mit dem Titel »Iraks Zukunft
planen: ein detailliertes Projekt zum Aufbau des Iraks nach der
Befreiung«.
[1]
Die Bedeutung der Initiative liegt darin, daß es
offenbar gelungen ist, einen Großteil der Besatzungsgegner einzubinden.
Koautoren waren beispielsweise Dr. Abdul Karim Hani, einer der
prominenten Führer des Irakischen Nationalen Gründungskongreß (INFC),
sowie die gleichfalls sehr bekannte Frauenrechtlerin Hana Ibrahim,
Direktorin der Bagdader Frauenorganisation »
Women’s Will Association«.
Über die Kontakte einiger Beteiligter zu bewaffneten Widerstandsgruppen
waren auch diese eingebunden; sie stehen nach Angaben der Autoren
hinter dem Projekt. Tatsächlich stimmen die Vorschläge mit den
Grundlinien überein, die Vertreter der im »Politischen Rat des
irakischen Widerstands« zusammengeschlossenen Guerillagruppen gegenüber
dem britischen Guardian skizzierten, wie auch mit den programmatischen
Äußerungen der »Front für Dschihad und Wandel«. Die beiden Bündnisse
vereinen den größten Teil des bewaffneten Widerstands im Irak.
Alle
nennen als ersten Schritt die Vereinbarung eines verbindlichen
Zeitplans für den Abzug der Besatzungsmächte. Deren Truppen müßten sich
binnen sechs Monaten aus den Städten in gemeinsam vereinbarte Basen
zurückziehen. Der »irakische nationale Widerstand« würde unter diesen
Bedingungen einen Waffenstillstand erklären, die Waffen allerdings
zunächst behalten. Erst nach dem vollständigen Abzug aller
Besatzungskräfte sollen die Milizen aufgelöst werden. Unter der
Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrates und in Absprache mit dem
nationalen Widerstand und allen anderen politischen Kräften, die nicht
mit den Besatzern kollaboriert haben, soll für zwei Jahre eine
Interimsregierung gebildet werden, deren Mitglieder bei den folgenden
Wahlen von der Kandidatur ausgeschlossen sind. Eine der wichtigsten
Aufgaben dieses Kabinetts wäre der Aufbau einer Armee und einer
Polizei, die national orientiert und politisch neutral sind.
Weiter
sieht der Plan die Annullierung aller Erlasse der Besatzungsmacht sowie
der Verträge über die Ölproduktion vor, die während der Okkupation
abgeschlossen wurden. Die Unterzeichnung von Abkommen mit solch
weitreichender Bedeutung unter Besatzungsherrschaft sei nach
internationalem Recht illegal. Das gleiche gelte für die von der
kurdischen Regionalregierung mit ausländischen Konzernen
abgeschlossenen Verträge. Von den USA und Großbritannien wird für die
ersten sechs Monate die Bereitstellung von mindestens 50 bzw. 20
Milliarden US-Dollar für Wiederaufbau und Wiedergutmachung verlangt.
Dies wäre gerade die Hälfte der Summe, die sie aktuell pro Jahr für den
Krieg ausgeben.
Dr. Khair El-Din Haseeb wird die Vorschläge seiner Initiative auf der Internationalen Irak-Konferenz »Alternativen
zu Krieg und Besatzung« vom 7. bis 9. März 2008 in der
Humboldt-Universität zu Berlin vorstellen. irakkonferenz2008.de
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