Strukturen der irakischen Befreiungsbewegung – Update

Joachim Guilliard, Stand 17.10.2007

Neue Bündnisse

In den letzten Monaten haben sich die Einigungstendenzen innerhalb des Widerstands fortgesetzt, die Bündnisse erscheinen nun auch klarer strukturiert.

 

Bereits im Mai haben sich mit der Islamischen Armee und dem Ansar al Sunna (Rechtmäßiges Komitee von Ansar al Sunna) zwei der größten Guerillagruppen mit der etwas kleineren, aber ebenfalls sehr aktiven Mudschahedin Armee zur „Reform and Jihad Front“ (RJF) zusammengeschlossen. [1] Ihnen schloss sich später noch die gleichfalls recht bekannte „Armee der Fatihin“ (Jaish Al Fatiheen) an.

Die Gruppen operieren offensichtlich unter einem gemeinsamen Oberkommando und zeichnen ihre Erklärungen seither mit dem Zusatz „Reform and Jihad Front“

 

Seit Anfang September vereint die „Front for Jihad and Change“ (Front für Dschihad und Wandel) acht Guerillagruppen unter der Führung der Schwergewichte Brigaden der Revolution von 1920 und Al-Rashidin Armee.[2] Unter den acht Gruppen ist mit den „Bataillonen von Muhammad al-Fatih“ auch eine Brigade des „Nordsektor“ der Hamas-Irak.

 

Die Baath-Partei verkündete schließlich Anfang Oktober – parallel zu ihrem 13. Parteitag – die Gründung eines „Liberation and Jihad“  genannten Bündnis, das 22 Gruppen unter ihrer Führung zusammenfasst.[3] Oberkommandierender im „Supreme Command for the Jihad and Liberation“ ist der einstige Vizepremierminister Saddam Husseins, Izzat Ibrahim Al-Duri. Da es sich dabei um kleine, bisher weitgehend unbekannte Gruppen handelt, ist das militärische Gewicht weit geringer, als die Zahl der Gruppen suggeriert. Die führende Gruppe im Bündnis ist die von Al-Duri geleitete „Army of the Men of the Naqshbandi Order“. Sie ist auch die einzige, von der Aktionen bekannt sind. Der Naqshbandi Orden, dem Al-Duri seit längerem angehört, ist der größte Sufi-Orden [4] im Irak.

 

Die Reform and Jihad Front bildete vor kurzem, wie der Guadian am 12. Oktober berichtete, zudem mit der Islamischen Front des irakischen Widerstands JAMI und der Hamas Irak den „Politischen Rat des irakischen Widerstands.“[5] Die Brigaden der Revolution von 1920 schieden wegen Meinungsverschieden über den Umgang mit den Stammesorganisationen aus, die im Kampf gegen Al Qaeda Unterstützung von den USA angenommen haben. Ein Sprecher der Organisation, die sehr eng mit den Stammesstrukturen verbunden ist, sagte, sie wollten keinen Konflikt mit diesen Gruppen, sondern den Leuten, denen durch die Gewalt der al-Qaeda viel Leid zugefügt wurde, Zeit geben, ihre Haltung zu überdenken. Gleichzeitig dementierte er einen Bericht des Economist, dass sie selbst mit den US-Truppen zusammenarbeiten würden.

 

Möglicherweise ist dieser „politische Rat“ die Ablösung des Politischen Büro des irakischen Widerstands, der sich Mitte Juli im Guardian als politische Koordination von sieben Guerillagruppen vorgestellt hatte. Fünf davon sind jedenfalls im neuen Rat, die beiden anderen in der Front for Jihad and Change.

Vier Blöcke

So schälen sich aus dem Widerstand folgende vier große Blöcke, mit unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung, heraus, die alle relevanten Teile des sunnitischen Widerstands beinhalten.

 

1. Reform and Jihad Front

Nationalistisch und salafistisch [6], d.h. relativ stark sunnitisch religiös . Die Gruppen streben eine starke Rolle des Islams im Staat an („promote moderate Islam „ und „make Iraq an Islamic State and guarantee its unity under an Islamic flag“[7]).

Vor allem die führende Organisation, die islamische Armee sieht im Iran den Hauptfeind, redet von der zweifachen Besatzung und sieht praktisch alle schiitischen Organisationen als Kollaborateure mit den USA und/oder Iran an.

 

Die Front ist nahezu im ganzen Irak präsent, die islamische Armee außer in Bagdad und den sunnitischen Provinzen im mittleren und westlichen Irak auch in den südlichen Provinzen Babil, Wasit, Al-Samawah, Basra und Al-Amarah. Ansar al Sunna operiert auch im Norden gegen die Peshmerga-Einheiten der beiden Kurdenparteien PUK und KDP.[8]

 

2. Hamas Irak und Islamischen Front des irakischen Widerstands JAMI

Nationalistisch und religiös (sunnitisch). Sie stehen der internationalen Muslimbruderschaft nahe, legen großes Gewicht auf die poltische Arbeit, gelten als politisch pragmatisch und sind sehr um Verankerung in der Bevölkerung bemüht.

 

Die 44 Brigaden der Hamas Irak decken weite Teile des irakischen Territoriums ab, neben ihren Schwerpunkten in den Provinzen Baghdad, Al-Anbar, Diyala und Salah-al-Din, in denen auch JAMI aktiv ist, ist sie auch in den kurdisch Gebieten präsent. Über ihre Präsenz im Süden Iraks ist nichts bekannt. [9]

 

3. Front for Jihad and Change

Nationalistisch, gemäßigt religiös, steht der Vereinigung der islamischen Religionsgelehrten im Irak (AMSI) nahe. Ziel ist ein moderner, demokratischer Staat mit islamischer Prägung („say they would allow a popular consensus to determine democratically what type of political regime would prevail“[10])

Ihr Hauptgewicht liegt auf dem Kampf gegen die US-Besatzung, ohne die Sorge um den Einfluss des Irans im Land zu vernachlässigen. Sie legt großes Gewicht auf Einigung aller Kräfte, auch der schiitischen (zumindest mit denen, die nicht mit den USA kollaborieren).

Das Operationsgebiet erstreckt sich neben den sunnitischen Provinzen und Bagdad auch auf Babil im Süden Bagdads.

 

Die Bekanntgabe der Bildung dieser Front erfolgte nahezu zeitgleich mit der Veröffentlichung eines politischen sehr klaren und weitsichtigen „Offenen Brief an den irakischen Widerstand“ von AMSI, in dem die Vereinigung – angesichts eines näherrückenden Rückzugs der Besatzer – vor den Gefahren warnt, die nach dem militärischen Sieg lauern. Mangelnde Einheit, das Fehlen eines gemeinsamen Programms etc. könnte dazu führen, dass die Besatzer, die man unter großen Opfern „zur Tür hinaus gejagt hat, durchs Fenster wieder hereinkommen“. Nur ein vorher vereinbartes gemeinsames Programm könne die Gefahr von Zusammenstößen zwischen den Fraktionen ausschließen, wobei dieses Programm den Interessen aller Kräfte gerecht werden müsse, die gegen die Besatzung sind, nicht nur dem der bewaffneten Gruppen. Der Widerstand alleine könne keinen neuen Staat aufbauen, auch sei nicht jeder gute Guerillaführer geeignet, Führungspositionen in einem Staat zu übernehmen. Da sowohl die nationalen, als auch die internationalen Gegebenheiten beachtet werden müssten, sollten die Guerillagruppen sich flexibel zeigen. Eindringlich warnen sie vor Egoismus und Engstirnigkeit: jeder Fehler während des kritischen Übergangsstadium könne den Erfolg rasch zunichte machen.  [11]

 

4. Liberation and Jihad/Baath-Partei

Nationalistisch, überwiegend säkular, reklamiert führende Rolle der Baath-Partei im Widerstand und nach Abzug der Besatzer. Ebenfalls stark anti-iranische Rhetorik. Neben dem von Izzat al-Duri geführten Mehrheitsflügel der Baath-Partei gibt es noch weitere Flügel, die moderater sind. Der bedeutendste wird von Yunus al-Ahmad geführt und soll der syrischen Baath nahestehen. Es sind kaum militärische Operationen von Gruppen dieses Bündnisses bekannt.[12]

 

Die ersten beiden Blöcke sind im politischen Rat zusammengeschlossen, mit den Gruppen des „Front for Jihad and Change“ gibt es einen regen Austausch und eine gewisse Koordination. Die Baath spielt entgegen dem Eindruck, den sie und ihre Anhänger erwecken wollen, eher eine nebensächliche Rolle. Die Gründung einer Front aus 22 bis dahin meist unbekannten Gruppen scheint nur eine öffentlichkeitswirksame Antwort auf die Gründung der schwergewichtigen Guerilla-Fronten zu sein, bei der die Baath außen vor blieb.

 

Daneben gibt es natürlich noch die schiitischen Kräfte, die in Opposition zur Besatzung stehen, Zum einen die Bewegung Muktada al-Sadrs zum anderen die erst in jüngerer Zeit entstanden schiitischen Guerillagruppen, die ideologisch z.T. der Hisbollah nahesten.

 

In ihren eigenen Worten

Parallel zu den Zusammenschlüssen wurden auch mehre öffentliche Erklärungen und Interviews in englischer Sprache veröffentlicht.

 

Die Medienabteilung der Brigaden der Revolution von 1920 gab am 8. September ein 16 minütiges Video „The Hidden Facts“ heraus, in dem sie in sehr sachlichem Ton auf diverse politische Aspekte eingehen. Ein offizielles englisches Transkript des Textes, sowie ein Link zum Video findet man u.a. bei terroristmedia.com: Hidden_Facts.doc

Eine ziemlich holprige deutsche Übersetzung gibt es auf albasrah.net: „Versteckte Fakten“.

Die Brigaden gehen dabei auf die Probleme der USA im Irak und weltweit ein, und auf die von ihr im Irak angewandten Taktiken und warum sie scheiterten. Sie versuchen zu erklären, warum der „irakische Widerstand, trotz möglicher Vorbehalte, die man gegen ihn hegen mag, ein einzigartiges Beispiel setzt, welches die Historiker und Analysten noch für Jahre beschäftigen wird. Das wichtigste was dieser Widerstand den unterdrückten Völkern und Gesellschaften dieser Welt zeigt, ist dass in unserer modernen Welt ein selbstbestimmter Widerstand nicht nur möglich ist, sondern die mächtigsten Gegner in ihren Grundfesten erschüttern kann.“

Die sektiererischen Konflikte seien lediglich eine andere Lüge der USA und der ihnen hörigen Medien. „Religionen haben im Irak Tausende von Jahren lang friedlich zusammen gelebt, weshalb sollte dies nun plötzlich ein Problem sein?“

„Der Widerstand hat ebenfalls bewiesen, dass die Gesellschaften, welche auf hohem Konsum basieren keine langen Kriege führen können, dass ihre Gier nach Energie eine bestimmte Lebensart zu erhalten trachtet und die gesamte Menschheit schließlich in einen globalen Markt der Sklaverei führen wird. Dies kann nur zum totalen Kollaps führen. Der Kapitalismus als Haupttriebfeder fordert mehr und mehr Energie und wird schließlich fallen.“

Die Brigaden reichen, so der Sprecher, allen Truppen im Irak, die an Moral und Menschlichkeit festhalten wollen die Hände. Sie hätten bereits zig US-Soldaten geholfen den Kämpfen im Irak zu entfliehen. Einige Beispiele werden namentlich aufgeführt.

Sie bedanken sich bei der Anti Globalisierungs- und Friedensbewegung und den US-Amerikanern die aufgewacht sind und sich bemühen, die Kriegsverbrecher aus dem Weißen Haus zu entfernen.

 

Am 17 September strahlte der englische Kannal von Al-Jazeera ein 20-minütiges Interview mit dem offiziellen Sprecher der Islamischen Armee Iraks, Ibrahim al-Shammary, aus. Das Video ist auf der englischen Homepage der IAI zu finden. Das Interview ist sehenswert, da Al Jazeera viele relevanten Punkte, wie die Haltung zum Iran, abklopft. Leider gibt es davon keine Transkription.

 

Gleichfalls interessant ist auch das Interview mit dem Führer der Al-Rashidin-Armee, Adil Al-Zahawi vom 2.10. das von Roads to Iraq übersetzt wurde: „Al-Rashideen Army to the Americans: Don’t walk behind a mirage, we will fight you till the last man falls.“

Al-Zahawi antwortet darin u.a. auf die Fragen nach der politischen Agenda und den Zielen der Jihad and Reform Front, über Konflikte zwischen den Widerstandsgruppen und über angebliche Verhandlungen von Widerstandsgruppen mit den USA. Bzgl. der Konflikte zwischen dem Widerstand und schiitischen Organisationen, betont er, dass sie solche Unterteilungen und jede Form sektiererischer Terminologie ablehnen.


[1] Newly formed insurgent group accuses al-Qaida of killing 12 of its senior members”, AP, 14.5.2007
Siehe auch: „
Kampf gegen das Phantom - Irak: neue Allianzen des Widerstands“, Telepolis, 12.05.2007 und New front challenges al-Qaeda in Iraq - Reform and Jihad Front”, conflictsforum.org , 8.5.2007,

Webseite: http://www.reformandjihadfront.org/  (aktuell, Okt. 2007, nur arabisch)

[2] Eight Iraqi Jihad Factions Form United ‘Jihad and Change Front’”, Al-Jazeera.net, 6.9.2007

[3] albasrah.net, Iraqi Resistance Report for events of Wednesday, 3 October 2007
Ba’ath party 13th conference: New resistance alliance front and statement about dividing Iraq”, Roads To Iraq, 3.10.2007

[4] Der Sufismus gilt allgemein als die islamische Mystik. Anhänger des Sufismus nennt man z.T. auch Derwisch (persisch)

[5] Sunni insurgents form alliance against US, Guardian, 12.10.2007

[6] Unter Salafismus (Salafiyya) versteht man eine traditionalistische islamische Bewegung, die in den letzten Jahren der Herrschaft des Propheten Mohammeds in Mekka ihr Ideal sieht (arabisch „salaf“ = Rückbezug auf die Altvorderen). Sie ist äußerst puritanisch, jedoch, es viele Berührungspunkte, nicht mit dem islamischen Fundamentalismus gleichzusetzen. Die al-Qaeda nahen Gruppen sind alle Salafisten, aber die wenigsten Salafisten haben Sympathien für Al Qaeda, viele Salafisten halten Gewalt im Namen des Islams für nicht gerechtfertigt. (siehe u.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Salafismus )

[7] New front challenges al-Qaeda …”, a.a.O.

[8] Jordianian weekly 's insight into Iraqi resistance groups”, OURAIM , 24.7.2007

[9]  ebd.

[10] Muhammad Abu Rumman, “Deconstructing Iraq's Sunni armed groups”, The Daily Star (Libanon), 25.9.2007

[11] Open Letter from AMSI to the Resistance Fighters, AMSI, Saturday, 15.9.2007

[12] Eine interessante Diskussion zwischen einem entschiedenen Baath-Anhänger und Skeptikern findet man im Anschluss an den Artikel “Propaganda: „Syria and Iraqi resistance“, RoadsToIraq, 8.10.2007. Der Baath-Anhänger argumentiert im wesentlichen damit, dass er alles was die führende Rolle der Baath-Partei in Frage stellt, schlicht als heimtückische Versuche aller möglicher Kräfte und Medien darstellt, den wahren Widerstand zu diskreditieren.