Was tun nach dem Abzug?

Zehn-Punkte-Plan für Frieden im und mit dem Irak. Ein Vorschlag des schwedischen Instituts TFF – Transnational Foundation for Future Peace Research

junge Welt, 27.02.2008 / Schwerpunkt / Seite 3 
 
Besatzer und Besetzte – Militärrazzia in Bagdad
Besatzer und Besetzte – Militärrazzia in Bagdad
* Der Chef des im schwedischen Lund ansässigen Friedensinstituts TFF Jan Oberg und der langjährige UN-Diplomat Hans von Sponeck (Genf) haben zusammen mit Annabel McGoldrick (Sydney), Vicky Rossi (Jerusalem) und Annette Schiffmann (Heidelberg) einen Vorschlag zur Beendigung der US-Besatzung im Irak ausgearbeitet. junge Welt dokumentiert das Papier auszugsweise. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Jürgen Heiser.

1. Ende der Besatzung durch den Rückzug ausländischer Truppen und Söldner und den Abbau der Militärstützpunkte

Die heutige Existenz organisierter Widerstandgruppen im Irak ist eine direkte Folge des Einmarsches von 2003 und der nachfolgenden Besatzung. Das Gleiche gilt für terroristische Gruppen wie Al-Qaida und Al-Qaida-in-Mesopotamien. Die Besatzungsmächte haben eine bürgerkriegsähnliche Situation provoziert, indem sie einzelne sektiererische und ethnische Gruppen gegeneinander ausgespielt haben. Die gegenwärtigen Konflikte und die Gewalt unter Irakern – beispielsweise zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen – wären ohne die Besatzung und Einmischung von außen nicht entstanden. Iraker aus allen Gesellschaftsschichten sind sich sicher, daß der Rückzug ausländischer Truppen eher zu einem Rückgang als zu einem weiteren Anwachsen der Gewalt führen würde.

Das Ende der Besatzung muß zeitlich sowohl mit der Schließung von ausländischen Militärstützpunkten, dem Abzug von ausländischem Militär und von privaten Sicherheitsdiensten und Söldnern zusammenfallen als auch mit der Verkleinerung der US-Botschaft. Sie alle sind Inbegriff einer Besatzungsmacht und deren Interesse an den Energieressourcen des Irak.

2. Wiedererrichtung und Respektierung der irakischen Souveränität und territorialen Integrität

Es gibt zu viele vereinfachende Auffassungen über das Land Irak. Eine besagt, daß es dort hauptsächlich drei deutlich voneinander zu unterscheidende Gruppen gibt: die Kurden im Norden, die Sunniten im Zentrum und die Schiiten im Süden. Bei dieser Betrachtungsweise wird nicht nur die ethnische und religiöse Zugehörigkeit durcheinandergebracht, sie ist auch faktisch falsch. Erstens sind die Kurden in ihrer Mehrheit Sunniten, und zweitens haben sich Araber und Kurden traditionell in den meisten Teilen des Landes vermischt. Vor der Invasion lebten in Bagdad ungefähr eine Million Kurden – weltweit die größte Konzentration in einem städtischen Gebiet.

Die »Drei-Gruppen-Theorie« hat einige Außenstehende dazu gebracht, auf unverantwortliche Weise die Teilung des Irak in drei autonome, wenn nicht sogar völlig voneinander getrennte Gebiete zu erwägen. Der internationale Beitrag zur Unterstützung des Landes muß vor allem darauf abzielen, dem Irak als Einheit und nicht als dreigeteiltem Land zu helfen. Was auch immer dort passiert, es ist Sache der Iraker, das zu entscheiden und ein Einvernehmen herzustellen.

3. Eine von den Vereinten Nationen geleitete friedensbildende Mission

Will die UNO als Partner überzeugen, muß sie eine eindeutige Bereitschaft zu einer respektvollen Partnerschaft mit dem irakischen Volk zeigen. Zusätzlich muß eine breit aufgestellte UN-Mission ihre Bemühungen mit der Liga der Arabischen Staaten, der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), dem Golf-Kooperationsrat (GCC) und unter Umständen mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Union verknüpfen und abstimmen.

Es muß noch einmal betont werden, daß die schätzungsweise 26 Millionen Bürger und Bürgerinnen des Irak – die in Irakisch-Kurdistan in besseren Verhältnissen und höherer Sicherheit Lebenden eingeschlossen – in einem Maße leiden, wie es in der Neuzeit noch nicht vorgekommen ist. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich auf die zirka zwei Millionen Vertriebenen innerhalb des Landes und zirka 2,5 Millionen Flüchtlinge, die das Land verlassen haben, verwiesen.

4. Schuldenerlaß

45 Staaten haben entschieden, daß die Schulden, die der Irak bei ihnen hat, erlassen werden. Der Gesamtbetrag beläuft sich auf über 140 Milliarden US-Dollar. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Bestätigung, daß der Schuldenerlaß erfolgt ist, sollte alsbald folgen.

5. Internationale Entschädigung für Sanktionen, Invasion und Besatzung

Es ist weithin bekannt, welche ungeheuren Kosten den USA durch Inva­sion und Besatzung entstanden sind. Es gibt aber keine Schätzungen darüber, welche Kosten der irakischen Gesellschaft durch die physische, mentale, soziale und kulturelle Zerstörung entstanden sind. Es geht hierbei nicht um humanitäre oder Entwicklungshilfe, sondern um Entschädigung für die Folgen von Krieg, Besatzung und Sanktionen. 1991 hat der UN-Sicherheitsrat den Irak für die Zerstörungen verantwortlich gemacht, die durch den Einmarsch in Kuwait entstanden sind. Daraufhin wurde der UN-Entschädigungsausschuß (UNCC) eingesetzt. Regierungen, Unternehmen und Individuen stellten Schadenersatzansprüche in Höhe von 350 Milliarden US-Dollar. 30 Prozent der Gelder, die für humanitäre Programme im Irak vorgesehen waren, wurden zur Befriedigung dieser Ansprüche zweckentfremdet, während sich gleichzeitig die Kindersterblichkeit im Irak einem Höhepunkt näherte.

6. Hoheitsgewalt über Ölvorkommen

Der Irak ist im Besitz der größten Ölvorkommen der Welt. Es muß Teil des Friedensprozesses sein, daß der Irak seine völlige Hoheitsgewalt über seine Ölvorkommen und die künftigen Einnahmen daraus zurückerhält. Das würde heißen, daß alle gegenteiligen »Abkommen«, wie sie von der »Coalition Provisional Authority« (CPA – die frühere US-Besatzungsbehörde, die Red.) verkündet wurden, für null und nichtig erklärt werden.

7. Der Nahe Osten – Eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen

Der UN-Sicherheitsrat und die UN-Generalversammlung haben beide schon vor längerer Zeit darauf bestanden, daß der Nahe Osten eine Zone sein soll, die frei ist von Waffen und Massenvernichtungswaffen. Das betrifft alle Länder im Nahen und Mittleren Osten einschließlich Israel, das seit Jahrzehnten zu den Atommächten gehört, und weitere Länder wie den Iran, der womöglich danach trachtet, eine solche Macht zu werden. Es kann keinen Frieden in der Region geben, solange dort nicht ein Abbau nuklearer und anderer Massenvernichtungswaffenanlagen stattfindet.

8. Prozeß der Wahrheitsfindung und Aussöhnung

Die sozio-psychologische Gewalt, unter der Millionen Iraker leiden, wird in der öffentlichen Debatte und in den Medien überschattet vom Ausmaß der physischen Zerstörung. Nicht nur denen, die materiellen Schaden erlitten haben, sondern auch jenen Millionen, die psychisch gelitten haben, steht ein Menschenrecht auf Hilfe zu. Ähnlich wie andere Konfliktländer in der Vergangenheit wird auch der Irak einen gesellschaftlichen Prozeß und angemessene institutionelle Regelungen brauchen, um sicherzustellen, daß die umfassende Wahrheit über seine Gegenwartsgeschichte offengelegt und dokumentiert wird.

9. Zusammenarbeit von Mensch zu Mensch

Regierungen allein sind nicht in der Lage, ihre Fehler wiedergutzumachen. Es ist zwingend erforderlich, daß die Zusammenarbeit von Mensch zu Mensch Teil des Friedensprozesses im Irak wird. Zu den auswärtigen Kräften, die ermutigt werden sollten, nach Beginn des neuen Typs der von der UNO geleiteten Mission im Irak zu arbeiten, sollten Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Ingenieure, Lehrer und Ausbilder gehören. Junge Iraker, die durch Sanktionen und Invasion viele Jahre verloren haben, sollten im In- und Ausland Stipendien erhalten. Viele dieser Initiativen können nur ergriffen werden, wenn die Sicherheitsbedingungen es erlauben. Bis das soweit ist, können elektronische Mittel genutzt werden, die Verständigung zu fördern.

10. Ein umfassender Ausgleich für die gesamte Region

Heute stehen alle Krisen in den verschiedenen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens in Wechselwirkung miteinander; sie können nicht isoliert voneinander gelöst werden. Deshalb wird es eine wichtige Initiative in Richtung Frieden sein, eine ständige Regionalkonferenz einzuberufen – unter Federführung der UNO und der Arabischen Liga –, in der alle Parteien der verschiedenen Konflikte einschließlich Regierungen, regionalen Organisationen und Zivilgesellschaft zusammenkommen, um über Frieden, Sicherheit und Entwicklung im Nahen Osten zu diskutieren. Es ist wichtig zu betonen, daß eine solche Regionalkonferenz wirklich alle mit einbeziehen muß. Keine Partei darf außen vor bleiben.

* Vollständiger Wortlaut im Internet:
http://transnational.org/Area_MiddleEast/2007/TFF_IraqPeacePlan2008.pdf

Hans von Sponeck wird den TFF-Plan auf der internationalen Irak-Konferenz in Berlin  zur Diskussion stellen.

Internationalen Irak-Konferenz
"Alternativen zu Krieg und Besatzung"

am 7.-9. März 2008 in Berlin
http://www.irakkonferenz2008.de