Das Elend der Äquidistanz

Werner Pirker

junge Welt - Der schwarze Kanal, 03.01.2004

 

Am Tag, als der Irak-Krieg ausbrach, hatten viele der Friedensbewegten bereits kapituliert. Wie Schröder und Fischer hofften sie, daß der Krieg, nachdem er schon nicht zu verhindern gewesen war, nun möglichst schnell zu Ende gehen möge. Diese Hoffnung beruhte auf der absoluten Überlegenheit der US-amerikanischen Militärmacht. Damit begaben sich diejenigen, die bis zum Kriegsbeginn gegen den illegalen Angriff aufgetreten waren, auf die Seite der Aggressoren. Sie identifizierten sich auch mit deren Kriegsziel, dem Sturz des Baath-Regimes. Das sei der angenehme Nebeneffekt dieses Krieges gewesen, hieß es. In Wirklichkeit war dies der ganze Sinn und Zweck des anglo-amerikanischen Überfalls auf den Irak: die Zerschlagung der irakischen Staatsmacht und die Errichtung eines Protektorats: durch direkte Militärpräsenz, die es früher oder später ermöglichen soll, zur Methode des »indirect rule« in Gestalt eines Marionettenregimes überzugehen.

Wirklich Friedensbewegte sollten eine genau entgegengesetzte Haltung einnehmen. Protest gegen einen Eroberungskrieg ergibt nur dann einen Sinn, wenn er sich gegen die Kriegspartei richtet, die ihn führt. Das erzwingt die Einsicht, daß die Nachkriegsordnung im Ergebnis eines Aggressionskrieges ebenso illegal ist wie dieser selbst. Bewaffneter Widerstand gegen ein Okkupationsregime, so bestimmt es wenigstens das Völkerrecht, ist legal. Deutsche Pazifisten sind da anderer Meinung.

In einer Stellungnahme des hessischen Landesverbandes der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) wird aus einem Kommentar in junge Welt zitiert: »Eine konsequente Antikriegshaltung kann doch nur bedeuten, sich im Kriegsfall an der Seite der Angegriffenen zu positionieren«. Dagegen legen die Friedensfreunde energischen Widerspruch ein. Pazifisten hätten gegen jede Kriegspartei zu sein. Dem jW-Kommentator aber ginge es schlicht um die »Parteinahme für eine Kriegspartei«. »Daß es dabei um die ›angegriffene Seite‹ gehen soll, ist selbstverständlich heuchlerisch und vorgeschoben«. Nun: Die Kriegsallianz hat den Irak tatsächlich angegriffen und nicht angeblich. Und daß der Irak zu einer Kriegspartei geworden ist, ergab sich daraus, daß er überfallen wurde. Daß er eine Kriegspartei wider Willen war, ist aus der Sicht pazifistischer Äquidistanz keine Überlegung wert. Doch selbst mit der Äquidistanz nehmen sie es nicht so genau. Gnadenlos wird über die irakische Guerilla hergezogen. Den herrschenden Terror-Begriff unreflektiert übernehmend, wird sie als grausam und menschenverachtend beschrieben. Auf eine Verurteilung des selbst von den bürgerlichen Medien mitunter erwähnten Terrors der US-Soldateska wartet man indes vergeblich. Kein Wort auch über den feigen Bombenkrieg der USA, über die Tötung von mindestens zehntausend Zivilisten, über die Zehntausenden irakischen, von ihrer Generalität verratenen Soldaten, die von der US-Airforce auf offenem Feld niedergemetzelt wurden. Denn auf diese Weise konnte der Krieg – mit einem Minimum an amerikanischen Opfern – rasch beendet werden. Was aber diese »Friedensaktivisten« – im Einklang mit den Kriegsherren in Washington – so nervt, ist die Tatsache, daß dieser Krieg eben noch nicht zu Ende ist und dabei die unterlegene Seite die strategische Initiative übernommen hat.

Die UN-Charta, deren Artikel 51 bei Angriffen auf ein Land das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung fixiert, wird in der Stellungnahme der DFG-VK Hessen zur »10 Euro für den Widerstand«-Kampagne ablehnend kommentiert: »Aus pazifistischer Sicht ist anzumerken, daß das Völkerrecht von Staaten gemacht wurde, die Kriege führen wollen«. Das genau aber bringt dieser Artikel nicht zum Ausdruck, sondern das Recht von Bevölkerungen, sich gegen Staaten, die »Kriege führen wollen« und das auch tun, zur Wehr zu setzen. Ihnen das abzusprechen und den Partisanenkrieg zu delegitimieren, bedeutet in der Konsequenz die nachträgliche Rechtfertigung von Raubkriegen. Hätten Pazifisten während des Zweiten Weltkrieges eine solche Haltung eingenommen, wären sie als Nazikollaborateure zu behandeln gewesen. Deutsche Kriegsdienstverweigerer haben aber genau entgegengesetzt gehandelt.

Wer im imperialistischen Krieg gegen unabhängige Nationen nicht Partei ergreift, hat schon Partei ergriffen. Von der Äquidistanz zur Verurteilung aufständischer Gewalt ist es nur mehr ein Katzensprung. Und von da aus ist es auch nicht mehr weit zur offenen Apologie imperialistischer Kriege und der daraus hervorgehenden Nachkriegsordnung. Am Beispiel Jugoslawiens hat sich gezeigt, wie schnell aus Pazifisten Bellizisten werden können – beherrscht von der Idee des zivilgesellschaftlichen Interventionismus.