Von Humeira Iqtidar - ZNet 23.04.2003
In den letzten beiden Wochen mussten wir mit ansehen, dass viele, die gegen den Krieg waren, entmutigt wurden, weil wir kontinuierlich mit Bildern von amerikanischen und britischen Truppen, die Saddam-Statuen niederreißen und Irakern, die darauf tanzen, bombardiert werden und uns mitgeteilt wird, dass die Haltung der Koalition gerechtfertigt war und diese Bilder die Realität im Irak widerspiegeln.
Welchen Sinn ergeben diese euphorischen Bilder aus dem Irak? War es wirklich ein Sieg für Rumsfeld und Co.? Wurde die irakische Bevölkerung wirklich von den Amerikanern ‘befreit’? War es wirklich falsch gegen diesen Krieg zu sein?
Im Gegenteil. Bevor wir jeden Bericht, der die Vernunft, die hinter diesem Krieg steckte, beweist, unkritisch verdauen, müssen wir uns daran erinnern, dass diese Berichte von so genannten “eingebetteten” Journalisten stammen; dass Ereignisse wie das Niederreißen von Saddam-Statuen und das Einwickeln einer solcher Statue in einer irakischen Flagge geplant sind; dass einige Hundert Leute, die auf einer Saddam-Statue tanzen, den Sturz eines Tyrannen feiern, nicht aber die Invasion; dass die paar Dutzend Iraker, die den amerikanischen Soldaten zuwinken, kaum die Mehrheit der 25 Millionen Iraker repräsentieren; dass die Berichterstattung sehr einseitig war und das anschaulichste Beispiel dafür die Entlassung eines Starjournalisten von NBC war, dem man eine ‘unpatriotische’ Berichterstattung vorwarf; und dass man uns eine alternative Nachrichtenquelle vorenthält.
Das beinhaltete auch die Bombardierung des Senders Al Jazeera in Bagdad, nachdem die Journalisten dem Pentagon wenigstens zwei Mal über ihren Standort informiert hatten und ihnen von der US-Armee das Gefühl der Sicherheit gegeben wurde. Al Jazeera hatte die Ehre, einen weiteren Sender zu verlieren, als Kabul bombardiert wurde, kurz bevor die Amerikaner in diese Stadt kamen. Es beinhaltete auch den grundlosen Panzerangriff auf das Hotel Palestine in Bagdad, in dem sich mehrere nichteingebettete Journalisten aufhielten.
Eine kritische Betrachtung der Berichterstattung aus dem Irak heißt nicht, dass wir die Wirklichkeit leugnen. Wir sind vielmehr vorsichtig. Denn wir können schließlich nicht dieser Koalition der Gekauften und Schikanierten, wie sie Arundhati Roy nennt, trauen, nachdem uns gefälschte Beweise über den Besitz irakischer Massenvernichtungswaffen präsentiert wurden. Seymour Hershs Ermittlungsbericht im New Yorker umreißt, wie auf oberster Ebene sowohl die britische als auch die amerikanische Regierung daran beteiligt waren, diesen so genannten ‘Cut- and Paste-Job’ aus dem Internet als unwiderlegbaren Beweis für Saddams bösartige Absichten zu präsentieren.
Unser Verständnis für Ereignisse, die weit weg passieren, hängt davon ab, wie sie berichtet werden. Kolonisatoren haben sich lange auf selektive, aus dem Zusammenhang gerissene Berichterstattung verlassen, um die Unterstützung in den Heimatländern zu erhalten. Eine solche Berichterstattung ist ein starkes Mittel, um die Gegenwart von der Vergangenheit zu trennen - somit es den Regierungen zu ermöglichen, Bilder kolonialisierter Gesellschaften zu malen, die weit von der Wirklichkeit entfernt sind. Sobald wir die Fernsehbilder in ihrem wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhang bringen, erscheint ein anderes Bild. Wir erinnern uns daran, dass vor einigen Monaten ähnliche Bilder mit glücklichen Menschen in Afghanistan, die durch die Amerikaner und Briten befreit wurden, übertragen wurden, um uns mitzuteilen, der Krieg in Afghanistan sei beendet. Aber es ist deutlich geworden, dass weder der Krieg beendet wurde, noch der Frieden aufrechterhalten werden konnte. Tatsächlich wurde eine Fassade geschaffen, die seither zerfallen ist, aber zum damaligen Zeitpunkt hatten die Massenmedien neue Interessen entdeckt.
Eine Probe, die der im Irak geplanten ähnelt, fand in Afghanistan statt. Karzai wurde dem Land als vom Volk gewählter Präsident aufgedrängt. Es wurde bald offensichtlich, dass seine Regierung nicht einmal von sich behaupten kann, die volle Kontrolle über Kabul zu besitzen, geschweige denn über Afghanistan. Robert Fink ist vielleicht der einzige berühmte englische Journalist, der sich die Mühe gemacht hat, nach Afghanistan zurückzukehren, nachdem das Land aus dem Rampenlicht der Medien entschwunden ist. Er berichtet nicht nur über eine steigende Gesetzlosigkeit, Plünderungen und die Machtübernahme durch die Drogenmafia, sondern auch darüber, dass die Al-Qaeda einen Radiosender in Afghanistan betreibt; dass sich US-Truppen von fünf Positionen zurückziehen mussten, aber bisher nur einen Rückzug zugegeben haben; dass neue Landminen nicht nur von Afghanen, sondern auch von einer neuen Truppe arabischer Kämpfer gelegt wurden; dass, wie damals gegen die Sowjets, Gulbadin Hikmatyars Hizb-e-Islami sich mit anderen Gruppen, einschließlich der Taliban, zusammengeschlossen hat.
Die Zerstörungen, die bei diesem fortgeführten, unerklärten Krieg angerichtet werden, sind erschreckender - falls das überhaupt möglich ist - als beim zuvor erklärten Krieg. Kinder und Erwachsene sterben an Hunger, Zivilisten werden durch Landminen, die immer wieder aufgefüllt werden, in die Luft gesprengt, am schlimmsten jedoch ist die Tatsache, dass kein Ende in Sicht ist. Die Vergangenheit bleibt schmerzhaft im Gedächtnis, die Gegenwart ist nicht erträglich und die Zukunft ist das Nichts.
Vielleicht gab es einige Menschen, die die amerikanischen Soldaten umarmten, als sie das erste Mal in Kabul einmarschierten, aber wir können gewiss sein, dass sie heute diesen Augenblick bedauern. Genau wie die Katholiken in Irland die ‘Hilfe’ der britischen Armee in den 1960ern heute bedauern. Irland, die erste imperiale Kolonie Englands, verdankt seine ‘Befreiung’ durch die Briten großteils dem fortgesetzten Blutvergießen.
Mit jedem weiteren Tag wird es augenscheinlicher, dass die Wirklichkeit im Irak viel anders ist als auf den vorbeifliegenden Bildern der Massenmedien. Bei der Operation der Befreiung des Iraks (Operation Irak Liberation = OIL) geht es um den Aufbau einer riesigen Fassade, hinter der der Krieg gegen das irakische Volk gerade beginnt. Die entsetzlichen Angriffe mit Streubomben auf die Menschen werden in ihrer Bedeutung zweitrangig im Verhältnis zu der bevorstehenden massenhaften Beraubung, die geplant ist durch die Privatisierung nicht nur ihrer Ölressourcen, sondern auch des Gesundheitswesens, des Wassers, des Stroms, der Verkehrsmittel, der Erziehung, der Arzneimittel und des Telefonsystems. Unter dem Deckmantel des ‘Wiederaufbaus’ sind große Konzerne schon dabei, Verträge zu unterzeichnen, um die Kontrolle über den Irak auszuüben.
Die von den USA aufgezwungene Demokratie ist handverlesen, um diese Kontrolle zu legitimieren. Der Lieblingskandidat des Pentagon Ahmed Chalabi, der Vorsitzende des Irakischen Nationalkongresses, hat bestimmt die richtige Erfahrung. Er wurde 1992 von einem jordanischen Gericht wegen Veruntreuung, Diebstahl, Missbrauch von Anlegerfonds, wegen seiner Rolle im 200-Millionen-Dollar-Skandal der Petra Bank, verurteilt. All diese Fähigkeiten werden ihm zweifelsohne im Irak nach den Vorstellungen des Pentagon zugute kommen.
Mittlerweile werden die Massenmedien von weisen Männern wie dem britischen Verteidigungsminister Geoff Hoon überschwemmt. Er hat behauptet, dass die irakischen Mütter irgendwann einmal später dankbar über die Streubomben seien. Tony Blair behauptet ähnlich, dass jetzt weniger Menschen stürben als unter Saddam Husseins Regime, ohne die komplexe Formel, mit der er zu diesem Ergebnis kommt, zu enthüllen. Schließlich hat Jack Straw die Plünderungen der Nationalschätze des Irak und medizinischer Vorräte in den Krankenhäusern als Ausdruck der neugefundenen Freiheit seitens des irakischen Volkes interpretiert.
Und so ist es kein Wunder, dass diese Berichterstattung in den Medien, die Iraker zeigt, welche die Amerikaner und Briten willkommen heißen, bis zu einem gewissen Grade den Effekt hat, den sich Bush und Blair wünschen. Viele, die gegen den Krieg demonstrierten, fühlen sich von den Irakern entmutigt, ja beinahe im Stich gelassen. Mehr als das, die Bilder von jubelnden Irakern dienen der nachträglichen Rechtfertigung des Angriffs, weil noch keine Bilder erschienen sind, welche die viel propagierten Massenvernichtungsmittel zeigen. Viele, die unsicher oder gegen den Krieg waren , sind jetzt der Überzeugung, dass der Krieg den Irakern behilflich ist, eine bessere Zukunft ohne Saddam aufzubauen. Nach einer von ICM durchgeführten Meinungsumfrage zwischen dem 11. und 13. April, ist die Unterstützung für den Krieg in Großbritannien bei den Befragten von 38% im März auf 62% im April gestiegen.
Diese Bilder von jubelnden Irakern, das Drama um den irakischen Jungen (dessen Glieder wie auch seine gesamte Familie durch den Schock-und-Entsetzen-Zirkus in die Luft gesprengt wurden), dem von den Befreiern geholfen wurde und andere ähnliche machiavellistische Tricks haben auch dazu beigetragen, Blairs Regierung zu retten, während sie Deutschland und Frankreich zurückgeworfen haben. Vor allem die UNO sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, den Hausmeisterdienst für die US-Regierung zu übernehmen und ist weit davon entfernt, die Kriegskoalition für einen Krieg, den Kofi Annan ausdrücklich als Aggressionsakt bezeichnet hatte, mit Sanktionen zu belegen.
Anstatt vom Medienzirkus entmutigt zu sein, sollten alle Kriegsgegner die Fortschritte sehen, welche die Antikriegsbewegung in ihrem Kampf gegen den globalen Imperialismus gemacht hat. Sie hat das nicht repräsentative Wesen der so genannten westlichen Demokratien und den Widerspruch zwischen den Massenmedien und der Öffentlichkeit entblößt sowie das Bewusstsein für das Globalisierungsprogramm, das Krieg benötigt, um die Wirtschaft anzutreiben, geschaffen und schließlich weltweit verschiedene Gruppen von den fundamentalistischen Muslims bis zu den Gewerkschaften für ihren Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner zusammengebracht.
Die Politisierung verschiedener Gruppen, die sich versammelten, um gegen die amerikanische Invasion des Iraks und Afghanistans zu protestieren, ist ein riesiger Schritt vorwärts. Dies ist das erste Mal, dass viele Muslime den Nicht-Muslimen gezeigt haben, dass sie gegen den Irak-Krieg sind, nicht weil sie sich als Gruppe verfolgt fühlen, sondern weil sie verstehen, dass dieser Krieg ein imperiales Unternehmen ist, das durch das Interesse von Konzernen bestimmt wird. Ähnlich geht es vielen linken Gruppen, die bisher nur Lippenbekenntnisse zu den Rechten und Problemen von Minderheiten abgelegt hatten und nun gelernt haben, das Engagement muslimischer Aktivisten zu respektieren.
Es wird augenscheinlich, dass es im Irak nicht um die Verteidigung der Haltung von Bush und Blair, sondern vielmehr um die der Kriegsgegner geht. Wir hören jeden Tag von Protesten in den Städten des Iraks und die blutige Antwort der US-Truppen auf diese Proteste. Wir hören von so genannten Widerstandsnestern, in denen Iraker immer noch gegen die Invasoren kämpfen. Wir haben feststellen müssen, dass die US-Administration zwar große Truppeneinheiten zum Schutz des Ölministeriums in Bagdad aufstellte, aber keine zum Schutz des Erziehungs-, des Innen- und des Landwirtschaftsministeriums zur Verfügung stellte. Es waren keine Truppen vorhanden zum Schutz der Krankenhäuser, aus denen lebensnotwendige Vorräte geplündert wurden, welche die Menschen, die im Sterben lagen dringend benötigten.
Schließlich sind die Neuigkeiten aus dem Irak, die trotz der Versuche der Medien, sie entweder zu unterdrücken oder zu verfälschen, an die Öffentlichkeit kommen, dazu bestimmt, die schon bestehenden antiamerikanischen Empfindungen, besonders in der muslimischen Welt, anzuheizen. Die Antikriegsbewegung muss die Macht dieser Informationen nutzen und wird dabei in dieser Hinsicht von der Tatsache unterstützt, dass die Bewegung Menschen zu einer breiteren Diskussion über die Grundlagen internationaler und lokaler Politik geführt hat. Die Regierungen von Bush und Blair haben die Intelligenz der Menschen und ihre Fähigkeit, die Bilder von Feierlichkeiten auf den Straßen des Iraks zu durchschauen und fortzufahren, sich besser zu organisieren, um die Macht vom imperialistischen Establishment zu übernehmen, unterschätzt.
Am 12. April gab es weltweit Demonstrationen. In den USA demonstrierten in Washington einige Tausend Menschen mit der Forderung, die US-Truppen sollten nach Hause gebracht werden. In den USA haben sich auch mehr als 10 000 Menschen entschieden, ihre Steuern, die zur Finanzierung des Krieges beitrügen, zurückzuhalten ( hierbei handelt es sich um einen Akt des zivilen Ungehorsams, der hier viel gefährlicher ist als in Pakistan!). Auf der Londoner Demonstration, an der ich teilnahm, waren ungefähr 200 000 Menschen, die durch die Straßen zogen, um Widerstand gegen die fortgesetzte Unterstützung der Massaker durch ihre Regierung zu leisten. Viele Sprecher im Hyde Park, wo die Demonstration endete, legten den Schwerpunkt ihrer Rede darauf, festzustellen, dass es für eine Nation unangebracht sei, seine Mörder zu begrüßen. Dass nur 200 000 Menschen im April in London demonstrierten, statt 2 Millionen im Februar ist weniger ein Zeugnis für die Auflösung der Friedensbewegung als eher ein Hinweis auf die Breite ihrer Zustimmung angesichts eines grausamen Kreuzfeuers von Lügen durch die Massenmedien.
Quelle: ZNet Deutschland vom 30.04.2003. Übersetzt von: Tony Kofoet
Orginalartikel: “Celebration In Iraqi Streets”
Veröffentlicht am Freitag, 02. Mai 2003