Kommentar
Die Gretchenfrage:
Arundhati Roys Bekenntnis zum Widerstand

Werner Pirker
junge Welt vom 20.01.2004

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy hat mit ihrer Rede auf dem Weltsozialforum in Mumbai das westliche Establishment der Globalisierungskritiker herausgefordert. Sie hat das leere Gerede von der anderen Welt, die möglich sei, mit der Realität der imperialistischen Gewaltpolitik konfrontiert und die Globalisierung des antiimperialistischen Widerstandes gefordert. Als zentralen Bezugspunkt dieses Widerstandes nannte sie, so Agenturen, den Irak: »Wenn wir wirklich gegen Neoliberalismus und Imperialismus sind, müssen wir den Widerstand im Irak nicht nur unterstützen, sondern selbst zum Widerstand im Irak werden«.

Das hat unter den Honoratioren der Bewegung äußerstes Befremden ausgelöst. Die Distanzierung erfolgte umgehend. Philipp Hersel, ein ATTAC-Vertreter, sah in den Äußerungen Roys die Gefahr »einer Solidarisierung mit Leuten, die nicht zur Bewegung gehören«. Wer zur Bewegung gehört und wer nicht, bestimmen deren Sprecher. Nicht zur Bewegung gehört, wer seinem Protest gegen die neoliberale Globalisierung durch die Unterstützung antiimperialistischer Befreiungskämpfe konkret Ausdruck verleiht. Da ATTAC dem Prinzip der Gewaltfreiheit verbunden sei, schloß Hersel »eine grundsätzliche Unterstützung für den Widerstand« gegen die Besatzung im Irak aus.

Da haben wir sie wieder: die neokoloniale Attitüde »zivilisierter« Westlinker. Welche Formen des Widerstandes ein seiner nationalen und sozialen Grundrechte beraubtes Volk zu wählen habe, bestimmen die abendländischen Moralapostel. Dabei hatte sich Roy nicht einmal dezidiert für die bewaffnete Gegenwehr ausgesprochen, sondern für den Widerstand im allgemeinen. Umso bezeichnender sind die Reaktionen ihrer Kritiker. Nicht einmal der sich in Wechselwirkung mit dem bewaffneten Aufstand entwickelnde zivile Protest wird als legitim anerkannt. Als legitim erscheinen einzig jene zivilen Aktivitäten, die unter dem Begriff »Zivilgesellschaft« auf eine Normalisierung der fremdbestimmten Situation im Irak hinauslaufen. Eine solche Linke ist nicht Teil des Widerstandes im Irak, sondern, ob bewußt oder unbewußt, ein Teil der Besatzung.

Die Haltung zum Widerstand im Irak ist zum Prüfstein für den realen Veränderungswillen der globalisierungskritischen Bewegung geworden. Wer verändern will, muß auch siegen wollen. Roy sieht in einer Globalisierung des irakischen Widerstandes eine historische Chance für die auf Veränderung orientierten Kräfte, wieder einmal zu siegen. Doch genau das ist es, was eine ruhiggestellte und korrumpierte Linke nicht will – und wenn, dann nur innerhalb des Systems.

* Siehe auch den Thema-Beitrag »Feiertagsproteste stoppen keine Kriege« (Rede von Arundhati Roy in Mumbai)

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Ausdruck erstellt am 21.01.2004 um 18:05:17 Uhr

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