[home] |
Unter der Besatzung ist kein Frieden in Sicht
Von Joachim Guilliard *)
ak - analyse & kritik vom 21.11.2003
Angesichts des rasant zunehmenden militärischen Widerstands im Irak, sah sich nun auch die US-Führung gezwungen, das "befreite" Land wieder zum Kriegsgebiet zu erklären. Die CIA geht gemäß eines an die Öffentlichkeit lancierten Geheimberichts von einer weiteren Intensivierung des Guerillakriegs und seiner Ausweitung auf bisher ruhigere Regionen des Landes aus.
Ungeachtet der Völkerrechtswidrigkeit des Überfalls auf das Land wurde das Ergebnis – der Sturz des Baath-Regimes – auch von den einst kriegskritischen europäischen Regierungen als Befreiung begrüßt und trotz des wachsenden militärischen wie zivilen Widerstands unterstützen sie die Fortdauer der Besatzung und eine Befriedung des Landes durch US-geführte Truppen.
Außer Acht gelassen wird dabei, dass die überwiegende Mehrheit der Iraker sich nicht auf diese Weise "befreien" lassen wollte und schon gar nicht von denen, die schon einmal das Land in Schutt und Asche bombten und anschließend mit mörderischen Sanktionen belegten.
Die Bilanz dieser "Freiheit" sieht für die Betroffenen bitter aus. Eine große Zahl wurde unmittelbar Opfer der Kampfhandlungen während der Invasion. 1) Auch Monate danach gibt es Strom und fließendes Wasser nur mit großen Unterbrechungen. Lebensmittel und Medikamente sind knapp, Krankenhäuser funktionieren nur eingeschränkt und ein Gesundheitssystem gibt es nicht mehr. In den Straßen herrscht die nackte Gewalt: Überfälle, Morde, Vergewaltigungen und Mädchenraub sind allgegenwärtig.
Nicht fehlende Planung der Strategen in Washington, wie ihnen häufig vorgeworfen wird, ist dafür in erster Linie verantwortlich, sondern ihre Prioritätensetzung. So waren für die politisch-ökonomische Neuordnung des Landes durchaus schon lange vor dem Krieg sehr detaillierten Pläne ausgearbeitet worden. In einem hundertseitigen Papier des US State Department ("Moving the Iraqi Economy from Recovery to Sustainable Growth") wird beispielsweise ausführlich beschrieben, wie die irakischen Gesetze umzuschreiben sind, inklusive genauer Formulierungen der zukünftigen Steuergesetze und Copyright-Bestimmungen oder wie der Banksektor übernommen werden soll. Sogar an den Entwurf eines Antrags des Iraks auf Mitgliedschaft in der WTO war gedacht worden.2)
Mit der Umsetzung dieser Pläne, die u.a. die Privatisierung aller staatlichen Betriebe, Einrichtungen und Dienstleistungen, einschließlich der Grundversorgung, wie z.B. Wasser, beinhalten, wurde unmittelbar begonnen. Die von der Besatzungsbehörde Ende September erlassene Direktive 39 führt bereits knapp 200 staatliche Unternehmen auf, die zum Verkauf stehen und gestattet Ausländern eine hundertprozentige Übernahme zu steuerlich äußerst attraktiven Bedingungen. Die von Paul Bremer schon auf dem World Economic Forum im Juni angekündigte "Schocktherapie" für den Irak – totale wirtschaftliche Öffnung des Landes und Streichung aller staatlichen Subventionen – drohen zudem die verbliebenen, durch das Embargo ohnehin stark angeschlagenen Firmen und landwirtschaftliche Betriebe, in den Ruin treiben.
"Der Krieg ist nicht vorbei" urteilt daher die in Beirut geborene US-Wissenschaftlerin Rania Masri. "Der Krieg ist nur in eine andere Phase getreten – die Besatzung des Iraks und die Invasion der Konzerne." 3)
Die Iraker werden bei alldem nicht gefragt. "Selbst wenn morgen der letzte Soldat aus dem Golf verschwindet und eine souveräne Regierung an die Macht kommt," so Naomi Klein, "bleibt der Irak besetzt: durch Gesetze, die im Interesse eines anderen Landes gemacht wurden, durch ausländische Konzerne, die entscheidende Dienstleistungen des Landes kontrollieren." 4)
Nicht zuletzt auch dagegen richtet sich der wachsende – nicht nur militärische – Widerstand in der Bevölkerung. Niemand glaubt der US-Regierung noch, dass der Guerillakrieg nur von versprengten Resten der Sicherheitskräfte des alten Regimes oder zugereisten religiösen Fanatikern getragen wird. Zu offensichtlich ist die breite Unterstützung dieser Vielzahl unterschiedlich zusammengesetzter Widerstandsgruppen, die teils auf Stammesstrukturen und Moscheen basieren, teils aber auch säkularen, patriotischen Organisationen angehören.5) Die CIA schätzt die Zahl der Aktiven inzwischen auf 50.000. 6)
Die Antwort der Besatzungstruppen ist eine Verschärfung der Repression. Anschläge auf amerikanische Soldaten werden mit regelrechten Strafaktionen gegenüber der Bevölkerung am Ort des Geschehens beantwortet, zuletzt mit Bombardierung aus der Luft. Es ist nicht zuletzt diese Repression, wie Ulrich Ladurner in Die Zeit berichtete, die der Guerilla ständig neue Kämpfer zuführt. 7)
Von "Aufbau der Demokratie" kann unter diesen Bedingungen keine Rede sein. Eine "Demokratisierung" im eigentlichen Sinne war angesichts der detaillierten Pläne Washingtons für eine Neuordnung des Landes auch nie zu erwarten gewesen. Die wesentlichen Weichen, daran ließen die US-Strategen keinen Zweifel, sollten gestellt sein, lange bevor Iraker zum ersten Mal an die Wahlurnen gehen können. Es war auch klar, dass die Besatzungstruppen bleiben sollen, bis die Gegner einer solchen Politik ausgeschaltet sein würden – und darüber hinaus: Mit Beginn der Besatzung wurden vier große permanente Militärbasen errichtet, die die irakische Souveränität unabhängig der weiteren Entwicklung dauerhaft einschränken werden. 8)
Auch ein rascher Wiederaufbau des Iraks hatte nie Priorität. Schon die Art und Weise wie die Besatzung begann – mit ungezügelten Plünderungen und organisierten Brandstiftungen –, legt nahe, dass es für die neokonservativen Strategen in der US-Administration, die seit Jahren auf die Besetzung des Landes hinarbeiteten, zumindest zweitrangig war, wann es im Irak wieder akzeptable Lebensbedingungen geben würde.
"Wir können nicht in jedem Winkel Iraks für Sicherheit sorgen" war die zynische Antwort von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf die Vorwürfe von UN-Generalsekretär Kofi Annan, die USA hätten zuwenig für die Sicherheit des UN-Hauptquartiers getan. Das Pentagon verweigerte von Anfang an die Zuständigkeit für die Wiederherstellung einer gewissen Ordnung. Die soll es erst geben – so die klare Botschaft – wenn sich die Iraker der Besatzungsmacht unterwerfen und unter ihrer Hoheit selbst darum kümmern: Die irakische Bevölkerung könne sich entscheiden, ob sie mit dem "Rest der Welt" den "Weg zur Demokratie beschreiten" oder "im jetzigen Chaos verharren" wolle, so der Verteidigungsminister.
Viele Iraker wie auch kritische internationale Beobachter vor Ort befürchten, die USA könnten bewusst das herrschende Chaos fördern, unter anderem durch Schüren ethnischer und religiöser Gegensätze, die bisher in der irakischen Gesellschaft eine eher untergeordnete Rolle spielten. 9) So droht die Besetzung aller provisorischen Gremien – von Stadträten bis hin zum provisorischen "Regierenden Rat" – nach ethnisch-religiösem Proporz die Trennungslinien zwischen den Bevölkerungsgruppen zu verschärfen. Die International Crisis Group befürchtet, dass der Irak damit schon auf "den Weg einer Libanonisierung" gebracht wurde. Die "Politisierung religiöser und ethnischer Risse" so die ICG, gefährde die territoriale Integrität Iraks und seinen säkularen Charakter. 10)
Dies käme den radikalen Protagonisten eines US-amerikanischen Empires nicht ganz ungelegen. Ein Zerfall des Landes, in verschiedene regionale Einflussgebiete, und die damit einhergehende Destabilisierung auch angrenzender Länder würde durchaus im Interesse derer liegen, die einer Rückkehr national orientierter Kräfte im Irak verhindern wollen und sich die Unterwerfung der ganzen Region auf die Fahne geschrieben haben.
Hier könnte sich somit die volle Bedeutung des in den Strategiepapieren der Neokonservativen verwendeten Begriffs der "kreativen Zerstörung" erschließen, die einer ihrer Wortführer, Michael Ledeen, so erläuterte: "Stabilität ist ein Auftrag, der Amerikas nicht würdig ist ... Wir möchten keine Stabilität im Iran, im Irak, in Syrien, im Libanon, und sogar in Saudi-Arabien möchten wir keine Stabilität; Wandel wollen wir. ... Kreative Zerstörung ist unsere zweite Natur, ob es unsere Gesellschaft betrifft oder das Ausland". 11)
Hinter dem irakischen "Chaos" könnte sich somit eine gewisse Strategie verbergen, wie trotz wachsendem Widerstand auch mit begrenzten Kräften das Land im Griff gehalten werden kann. Auch in bürgerkriegsähnlichen Situationen sei, so Vertreter des Pentagons, ein Zugriff auf den Ölreichtum möglich. Dies zeige das Beispiel Kolumbien, wo das Problem von Sabotage an Pipelines schließlich auch gemeistert werden konnte. "Wir müssen nicht auf den Mond zielen", zitierte der private Nachrichtendienst "Stratfor" einen Sicherheitsexperten angesichts des Unvermögens die Guerilla im Irak auszuschalten, "alles was wir tun müssen, ist nur etwas Öl zu pumpen." 12)
Krieg und Besatzung selbst bieten nicht nur Rüstungskonzernen hohe Profitmöglichkeiten: Eine Reihe großer US-Konzerne, wie Halliburton, Bechtel und DynCorps, mit engen Verbindungen zur Regierung, hat sich bereits Einnahmen in Milliardenhöhe für Aufträge wie den Bau und Unterhalt von Militärbasen, den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur, die Reparaturen an den Ölproduktionsanlagen und Sicherungsaufgaben gesichert. Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel der monatlichen 3,9 Milliarden Dollar Besatzungskosten an private Firmen gehen. 13)
Weder ein stärkeres internationales Engagement, noch die Bemühungen einer "Irakisierung" der Herrschaft unter der Hoheit der USA werden zur Wiederherstellung irakischer Souveränität und zu einer Besserung der Lage im Irak führen. So würde die, auch von Deutschland und Frankreich befürwortete, Übergabe von mehr Regierungsgewalt an den von Washington eingesetzten "Regierenden Rat", Macht in die Hände von zum Teil sehr zwielichtigen Personen14) und Gruppierungen legen, deren Ziele sich mit denen der US-Regierung decken oder die im Bündnis mit der Besatzungsmacht ihre eigenen partikularen politischen und materiellen Interessen verfolgen. Im Irak selbst fehlt diesem Übergangsrat jegliche Anerkennung und gelten die Ratsmitglieder als Kollaborateure.15)
Zusammen mit der Aufstellung US-loyaler irakischer Sicherheitskräfte unter Einbeziehung verbündeter Organisationen, werden so Kräfte mit geringer gesellschaftlicher Verankerung gegen den Rest der Bevölkerung in Stellung gebracht, die sich auch auf längere Sicht nur mit Gewalt werden durchsetzen können. Am Ende stünde nicht die irakische Souveränität, sondern eine US-hörige Diktatur, eine Kolonialregierung mit irakischem Anstrich.
Ungeachtet der Risiken – Vorbedingung eines jeden realistischen Weges aus der aktuellen Misere, ist der Rückzug der Invasionstruppen im Rahmen eines klaren, knappen Zeitplans. Erst wenn sicher ist, dass sie das Land verlassen, können die Vereinten Nationen tatsächlich Mitverantwortung bei der staatlichen Reorganisation übernehmen, ohne als Teil der Besatzungsmacht angesehen zu werden. Erst dann ist mit breiterer Unterstützung der Iraker zu rechnen und gibt es eine realistische Chance – innerhalb dieses Zeitplans – eine Übergangsregierung auf breiter Basis bilden und den Übergang durch klassische UN-Blauhelme aus neutralen Staaten absichern zu können.
Die weitere Entwicklung hängt maßgeblich davon ab, ob es den wichtigsten gesellschaftlichen Kräften im Irak gelingt, gravierende Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu verhindern und über ideologische und konfessionelle Grenzen hinweg eine gemeinsame Politik gegen die Besatzung zu entwickeln.
Vom Autor erscheint Anfang Dezember Göbel/Guilliard/Schiffmann (Hg.): Der Irak – ein befreites Land? Der Neue Golfkrieg und die Folgen (Köln, PapyRossa Verlag, 2003), EUR 14,90, ISBN 3-89438-270-8.
*) für eine ausführliche Schilderung siehe die von mir verfasste IMI-Studie 2003/05, „Irak - Die neue Phase des Krieges“ der Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de)
für weitere Informationen siehe auch das Occupation Watch Center unter www.occupationwatch.org.