Der irakische Widerstand gegen die fremde Besatzung genießt breite Unterstützung in der Bevölkerung
Von Sami Ramadani *)
(Sami Ramadani ist Iraker im politischen Exil und außerordentlicher Professor für Soziologie an der städtischen Universität von London. )
Die Erkenntnis, dass Bagdad, die Stadt meiner Kindheit, jetzt besetztes Gebiet ist, kam für mich brutal und abrupt. Gleichzeitig begegnete ich erstmals einem beeindruckenden Symbol für die Feindseligkeit der irakischen Bevölkerung gegenüber den Besatzungsstreitkräften. Vom Beifahrersitz des Taxis aus, das uns aus Amman hergebracht hatte, bemerkte ich plötzlich, dass in einer Entfernung von nur ein paar Metern ein schweres Maschinengewehr auf uns gerichtet war. Es gehörte einem amerikanischen Soldaten auf einem vor uns fahrenden gepanzerten Fahrzeug, das im Verkehrsstau am Stadtrand Bagdads steckengeblieben war. Mit seinen Bewegungen bedeutete er unserem Fahrer, gefälligst nicht so schnell zu fahren. Dann schaute er nach links und streckte wütend den Mittelfinger in die Luft. Ich folgte seinem Blick und sah einen höchstens acht bis neun Jahre alten Jungen, der vor dem offen Tor, das zu seinem Haus führte, auf einem Stuhl saß. Er schrie dem Soldaten wütend und mit trotzig geballter Faust etwas zu und zerteilte dabei die Luft mit heftigen, blitzschnellen rechten Haken.
Nachdem ich zwei Wochen später mit etlichen Leuten gesprochen hatte und in den meisten Vierteln Bagdads gewesen war, ging mir allmählich auf, dass die rebellische und freie Geisteshaltung dieses Jungen ein packendes und bewegendes Sinnbild für die Gefühle war, die die meisten Menschen in Bagdad der Besatzungsmacht entgegenbringen. Es ist genau dieser unbezähmbare Geist, der die Jahrzehnte des brutalen Regimes Saddam Husseins, die zahlreichen Kriege und die mörderischen dreizehn Jahre der Sanktionen überlebt hat. Und es ist genau dieser Geist, mit dem Bush und Blair nicht gerechnet haben, als sie den Beschluss fassten, den Irak anzugreifen und zu besetzen. Statt dessen hörten sie lieber dem Echo ihrer eigenen Stimmen zu, das ihnen von einigen der irakischen Oppositionsgruppen zurückgeworfen wurde, die vom Pentagon und der CIA organisiert, finanziert und ausgebildet wurden. Einige dieser irakischen Organisationen sitzen inzwischen in dem von den USA eingesetzten irakischen Regierungsrat.
Ein jüngst erschienener Bericht in der Washington Post bestätigt die Gerüchte, die ich in Bagdad hörte, nach denen der Widerstand gegen die irakische Besatzung so stark ist, dass die Behörden jetzt sogar zur Rekrutierung einiger der brutalen Offiziere der Sicherheitskräfte und des Militärs übergegangen sind, die seinerzeit von Saddam selbst zur Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt wurden. Wenn das stimmt, versucht die US-Administration jetzt im Namen der Bekämpfung der so genannten Überreste des Saddam-Regimes, das schon in Trümmer liegende Gebäude des tyrannischen Staates unter Saddam wieder aufzubauen – schließlich war es ja auch eine Tyrannei, die von der US-Regierung viele Jahre lang unterstützt und mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet worden ist. Einer der Sprüche, die ich in Bagdad wiederholt gehört habe, beschreibt diese Beziehungen zwischen den USA und Saddams Regime: "Rah el sani’, ija el ussta" – "Der Lehrling ist gegangen, jetzt kommt der Meister."
Der Regierungsrat wird weniger mit Hass als mit Spott bedacht, und man kritisiert, dass seine Mitglieder nach konfessionellen Kriterien ausgewählt wurden. Die meisten Leute, mit denen ich sprach, halten ihn für machtlos: er hat keine Armee, keine Polizei und keinen nationalen Haushalt, dafür aber neun untereinander rotierende Präsidenten. Einer der in Bagdad zirkulierenden Witze mokiert sich darüber, dass man es gerade erst geschafft hatte, das Bild Saddams von den Wänden zu nehmen – und schon wurde einem befohlen, neun neue Bilder aufzuhängen.
Der Regierungsrat wird alles in allem nur von einigen Aktivisten der Organisationen, die selbst zum Rat gehören, unterstützt. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die meisten Anhänger der halbwegs glaubwürdigen im Rat vertretenen Organisationen gegen die Beteiligung an diesem von den USA geschaffenen Gremium. So finden es die führenden Mitglieder des Obersten Rates der Islamischen Revolution (SCIRI) immer schwieriger, ihre Mitglieder davon zu überzeugen, dass diese Zusammenarbeit mit den Invasoren den Weg zu Unabhängigkeit und Demokratie eröffnen kann. Dasselbe gilt für eine kleinere, aber ebenso glaubwürdige Partei, die islamische Da’wa, die sich aufgrund ihres Beschlusses, dem Rat beizutreten, gespalten und viele Mitglieder verloren hat.
Die Irakische Kommunistische Partei (IKP), die Ende der fünfziger Jahre die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung im Irak genoss, aber mittlerweile stark zusammengeschrumpft ist, war gegen die Invasion und gegen den Rat, ist ihm aber dann in letzter Sekunde dennoch beigetreten. Die meisten Anhänger der IKP waren gegen diesen Schritt. Einer von ihnen, ein armer Lastwagenfahrer, bezeichnete ihn als sogar noch schlimmer als die Entscheidung der IKP-Führung von 1972, der Regierung Saddams beizutreten. (1) Diese Politik scheiterte mit einem Blutbad, als Saddam mit Gewalt gegen die Partei vorging und Tausende ihrer Mitglieder tötete, ins Gefängnis warf oder ins Exil trieb. Der Lastwagenfahrer bezeichnete den Rat als "des Teufels Eisen", womit er sich auf den abergläubischen Brauch bezog, ein Stück Eisen im Haus zu haben, um den Teufel fernzuhalten.
Die Kluft zwischen der Meinung der Bevölkerung und den Mitgliedern des Rats wurde nach dem Mord an dem SCIRI-Führer Ayatollah Mohammed Baqir Al Hakim offenbar. Die Losungen, die während der dreitägigen Begräbnisprozessionen in Bagdad und Najaf von Hunderttausenden gerufen wurden – "Tod Amerika, Tod Saddam!" und "Es gibt keinen Gott außer Allah; Amerika ist der Feind Allahs; Saddam ist der Feind Allahs" – ähnelten sehr stark dem, was ich in Bagdad zu hören bekam. Sie offenbarten die Heftigkeit der gegen die Besatzungsmacht gerichteten Gefühle in Bagdad und im Süden des Landes.
Die eine Region, in der die USA gewisse Erfolge verzeichnen konnten, ist Irakisch-Kurdistan. Die politische Situation in diesem Gebiet ist komplex. Die meisten Kurden glauben, die während der Herrschaft Saddam Husseins gültige Flugverbotszone habe sie vor seinen chemischen Waffen geschützt, und es ist klar, dass die Sanktionen Kurdistan weniger hart getroffen haben als den restlichen Irak. Während der Vorbereitungen zum Krieg war es den meisten Kurden wichtiger als alles andere, vor Saddam und dem verhassten türkischen Militär geschützt zu sein. Trotz dieses Hintergrundes werden die amerikanischen Pläne für Kurdistan wahrscheinlich auf breiten Widerstand stoßen, sobald die Interessen der USA und die regionalen Widersprüche sich in der Praxis bemerkbar machen. Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass die historische Einheit von Arabern und Kurden im Irak zerbricht.
Wie sieht es mit dem bewaffneten Widerstand aus? Und warum ist er in einigen Teilen des Irak viel stärker präsent als in anderen? Der bewaffnete Widerstand gegen die US-Besatzungsmacht genießt zweifellos breite Unterstützung in der Bevölkerung und wird größtenteils von örtlich verankerten Organisationen praktiziert, die ganz verschiedene politische Richtungen vertreten. Andererseits sprach ich in Bagdad mit vielen Leuten, die den gegen die "Invasoren" kämpfenden "Patrioten" zwar durchaus wohlgesonnen sind, aber die Meinung vertreten, es sei "noch zu früh" für ein solches Vorgehen. Sie meinen, man solle zunächst einmal alle friedlichen Mittel ausschöpfen und die Menschen durch Massenorganisationen mobilisieren, bevor man den bewaffneten Kampf gegen die Besatzungsmächte aufnimmt. Die Stimmung in der Bevölkerung lässt sich gut an den derzeit in Bagdad kursierenden Verschwörungstheorien ablesen. Wenn zivile statt militärischer Ziele abgegriffen werden, geben die Menschen dafür routinemäßig den USA, Israel oder Kuwait die Schuld.
Man muss jedoch kein Verschwörungstheoretiker sein, um die Hauptursache für die Intensität des bewaffneten Kampfes im Zentralirak und der Gegend um Mossul in der selbstgewählten Entscheidung der USA zu suchen, in diesen Gebieten einen ihrer Ansicht nach leicht zu gewinnenden Showdown zu inszenieren, um einen Brückenkopf zur Unterwerfung Bagdads und des südlichen Iraks zu schaffen. Indem sie in Falludscha, Mossul, Ramadi und anderen Orten kaltblütig Zivilisten töteten, provozierten sie den Konflikt, lange, bevor es in diesen Gebieten zu bewaffnetem Widerstand kam.
Die Besatzungsmächte merkten bald, dass schon die geringste Provokation im Labyrinth der Arbeiterviertel von Bagdad und in den meisten Städten des Südens mit massiven Straßendemonstrationen und -kundgebungen beantwortet wurde. Und das US-Militärkommando ist sich natürlich darüber im klaren, dass die Iraker in diesen Gebieten schwer bewaffnet, gut ausgebildet und besser organisiert als anderswo sind.
Der Unsinn, den die US-Behörden über ein "sunnitisches Dreieck" und das "schiitische Bagdad" oder den "schiitischen Süden" verbreiten, ist ein Rauchvorhang, mit dem es ihnen bisher nicht gelungen ist, die irakische Bevölkerung zu spalten und in interne Konflikte zu hetzen. Die wenigen Iraker, die immer noch glauben, die USA würden dem Land den Weg zur Demokratie ebnen, haben einfach die Rolle Amerikas in der jüngeren Geschichte des Irak, die strategische Bedeutung des Landes und das Wesen der heutigen US-Außenpolitik noch nicht wirklich verstanden.
Als ich Bagdad auf dem Rückweg nach Amman wieder verließ und unser Wagen am Haus jenes frühreifen Jungen vorbeikam, wurde mir klar, weshalb meine Liebe zu dieser Stadt trotz 34 Jahren im Exil nicht geringer geworden war.
Übersetzung: Michael Schiffmann
* Der Beitrag erschien zuerst am 27. September 2003 unter dem Titel „Patriots and invaders“ im britischen Guardian
(1) Saddam Hussein war damals erst Vizepräsident, aber bereits sehr einflussreich. A.d.Ü.