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* Rashid Ghewielib ist Vertreter der Irakischen KP in Deutschland
(s. dazu J. Guilliard: Irak – Besatzungsherrschaft, Widerstand und die Rolle der irakischen KP )
Dies sind Eindrücke von einem mehrmonatigen Aufenthalt im Irak und Überlegungen, die mir dabei gekommen sind. Ich musste 1982 aus meinem Land flüchten und war jetzt - nach 22 Jahren und nur acht Monate nach dem Sturz Saddam Husseins - zum ersten Mal wieder in Bagdad.
Wir irakischen Kommunisten haben Jahrzehnte lang gegen Saddams Kriege, gegen seine blutige Diktatur, aber auch gegen das dem irakischen Volk auferlegte Embargo gekämpft. Einer meiner stärksten Eindrücke im Irak war, dass ich im Ausland unterschätzt habe, wie tief Krieg, Diktatur und Embargo die Menschen verändert und ihr Verhalten geprägt haben. Ich habe gesehen, dass die Gesellschaft noch immer in Angst lebt - so, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten in Angst leben musste.
Saddam Hussein ist nicht durch irakische Kräfte entmachtet worden, sondern durch Krieg und ausländische Besatzung. Mit seinem Regime haben die USA im Grunde auch den irakischen Staat zerstört. Früher wurden politische Regime durch einen Putsch entmachtet, aber die Verwaltung blieb bestehen. Nach dem 9. April 2003 war der Irak ein Land ohne Staat und Verwaltungsstrukturen.
Die irakische Gesellschaft ist militarisiert und bewaffnet. Unter Saddam Hussein wurden Jungen und Mädchen militärisch ausgebildet. Dreizehn- oder Fünfzehnjährige gehen heute mit der Kalaschnikow um wie mit einem Spielzeug. Das Baath-Regime hat in den letzten Monaten Berge von Waffen in Wohngebieten versteckt und nach seinem Sturz herrenlos zurück gelassen. Da haben die Leute einfach zugegriffen. Allein in Bagdad gibt es ca. sieben Millionen unkontrollierter Waffen.
Der Irak ist heute ein Land mit weit offenen Grenzen. Die Amerikaner haben zwar die staatlichen Strukturen zerschlagen, aber die Grenzen nicht gesichert. Jeder kann sie passieren, wann, wo und womit er will. Die blutigen Auseinandersetzungen mit den al-Sadr-Milizen in Nadschaf haben auch gezeigt, wie tief einige Nachbarstaaten in die Ereignisse im Irak verwickelt ist. Terroristische Gruppen, u. a. aus Afghanistan und Iran drängen ins Land.
Ich meine, kein Staat der Region ist sehr daran interessiert, dass im Irak wirklich Stabilität einkehrt. Denn ein neues, stabiler demokratischer Irak wäre ein Beispiel für diese Länder, von denen viele keine Demokratie haben und von ihren Machthabern beherrscht werden.
Drei Akteure handeln gegenwärtig im Irak: die amerikanische Armee als Besatzungsmacht, die politischen Parteien und Organisationen, die gegen Saddam Hussein gekämpft haben, und die Gruppen, die im Lande Gewalt schüren und sich mit ihren Aktionen gern als Befreier darstellen möchten.
Zum ersten Mal in der Geschichte versuchen alle wichtigen politischen Parteien, unter den Bedingungen der Besatzung einen neuen Staat aufzubauen. Das ist ein äußerst kompliziertes Unterfangen. Die Ergebnisse sind noch nicht eindeutig und manchmal widersprüchlich. Aber bestimmte positive Momente zeichnen sich ab:
Es ist ihnen bisher gelungen, einen allgemeinen Bürgerkrieg im Lande zu verhindern. Nach jedem großen Anschlag wird vorausgesagt, dass jetzt Schiiten und Sunniten oder Araber und Kurden aufeinander losgehen. Das ist ausgeblieben. Die wichtigsten politischen Kräfte im Irak haben große Vernunft gezeigt. Trotz unterschiedlicher ideologischer und politischer Zielsetzungen verfolgen sie ein gemeinsames Ziel - einen neuen Irak.
Die USA haben es nicht geschafft, die politischen Parteien auszugrenzen. Sie wollten allein mit Vertretern der verschiedenen Stämme, Volksgruppen und Religionen nach dem Prinzip des "Teile und herrsche" Strukturen aufbauen. Aber sie mussten lernen, dass der Irak eine politische Bewegung mit eigener Geschichte und Erfahrungen hat. Als die UNO intervenierte, mussten die Amerikaner zustimmen, mit Beteiligung der politischen Parteien den provisorischen Regierungsrat zu schaffen.
Zu diesem Regierungsrat gab es im Grunde keine Alternative. Er hatte Schwächen bei der Koordinierung zwischen den unterschiedlichen Kräften. Viele stellten ihre Parteiinteressen über das gemeinsame Ziel. Die Amerikaner haben den Rat zu schwächen versucht, indem sie z. B. die Entscheidungen über die Finanzen bei ihrem Verwalter Bremer ließen.
Aber der Regierungsrat war die Basis für die erste irakische Regierung nach Saddam Hussein. Er hat eine Übergangsverfassung beraten. Das war eine schwere Geburt, aber jetzt haben wir sie, und sie enthält viele progressive Elemente. Er hat den Irak regional und international wieder handlungsfähig gemacht. Und er hat erreicht, dass keine türkischen Truppen ins irakische Kurdengebiet einmarschieren, wie es die USA und die Türkei wollten. Die Übergangsregierung ist durch Konsultationen zwischen den politischen Hauptkräften entstanden. Die irakische KP stellt in dieser Regierung den Kulturminister.
Die Übergangsregierung hat sich an die Arbeit gemacht. Solange die Sicherheitsfrage im Lande ungelöst ist, fällt es ihr jedoch schwer, an so wichtige Aufgaben wie den Aufbau der Wirtschaft und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu gehen.
Viele Debatten gibt es über die Person von Ministerpräsident Allawi. Er war bestimmt nicht der Wunschkandidat der Irakischen KP. In seiner Jugend Baathist, wurde er Anfang der siebziger Jahre zum Gegner von Saddam Hussein.
Der hat versucht, ihn zu ermorden. Allawi bekennt öffentlich, dass er mit der CIA zusammengearbeitet hat. Als sich die Parteien über vier von ihnen gewünschte Anwärter nicht einigen konnten, fiel schließlich die Wahl auf ihn. Für ihn sprechen seine guten Kontakte zum arabischen Raum, seine Tätigkeit im Regierungsrat, wo er für Sicherheitsfragen zuständig war, und dass er kein politischer Islamist ist.
Warum hat sich die Irakische KP bereit gefunden, im provisorischen Regierungsrat und in der Übergangsregierung mitzuarbeiten? Vor dem Irak-Krieg haben wir es abgelehnt, uns an den Konferenzen der irakischen Opposition in den USA, in London oder Wien zu beteiligen, weil wir Krieg und Besetzung nicht legitimieren wollten. Aber jetzt haben wir ja gesagt, weil wir meinen, dass dieses Land eigene irakische Strukturen braucht. Der Regierungsrat war für uns kein Selbstzweck, sondern eine Möglichkeit, um in Kontakt zu allen politischen Bewegungen zu treten, uns von Anfang an aktiv in den politischen Prozess einzuschalten und dort unsere Vorstellungen einzubringen. Das schließt nicht aus, dass wir auch außerhalb des Rates politisch arbeiten. Wir legen das Schwergewicht darauf, im Irak eine Zivilgesellschaft aufzubauen, Gewerkschaften, Frauen-, Jugend- und Menschenrechtsorganisationen zu gründen. Daher ist der Vorwurf aus mancher linken Ecke, wir arbeiteten mit den USA zusammen, einfach ungerecht.
Zur Politik der USA gegenüber dem Irak haben wir keinerlei Illusionen. 1963 haben sie mitgeholfen, dass die Baath-Partei in einem blutigen Putsch an die Macht gelangte. Dieser war gegen die KP gerichtet. Die Opfer waren Kommunisten, Linke, Demokraten des Irak. In den Jahren 1982/83 haben die USA Saddam Hussein massiv unterstützt, damit er an der Macht bleibt. Ohne ihre Hilfe hätte er den Krieg gegen den Iran verloren. 1991 gaben die USA Saddam Hussein die Möglichkeit, den größten Aufstand des Volkes blutig niederzuschlagen. Opfer war 100 000 Irakerinnen und Iraker. 2003 wollten die USA diese Diktatur entmachten. Nicht, wie sie gerne behaupten, um im Irak Menschenrechten und Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, sondern, weil der Irak für die USA das Einfallstor zum ganzen Nahen Osten darstellt.
Die Amerikaner sind als Besatzungsarmee gekommen. Sie können dem Land keine Sicherheit bringen. Sie können die Hauptstadt und die Hauptorte kontrollieren, aber sie haben die Gesellschaft nicht im Griff. Immer wieder kommt es zu blutigen Anschlägen, bei denen viele Menschen sterben. Die Akteure sehen sich als "Widerstandskämpfer" gegen die Besatzer. Was hat es damit auf sich?
Da haben wir zunächst die Baathisten, die Anhänger Saddam Husseins, auf die
sich seine Diktatur stützte. Die sind natürlich nicht alle verschwunden.
In den ersten Wochen nach Saddams Sturz waren sie in einem Schockzustand. Da sie
die Gesellschaft 35 Jahre lang mit Gewalt und Mord regiert haben, glaubten sie,
man werde mit ihnen genau so umspringen. Aber dann haben sie festgestellt, sie
sind frei, sie können sich im Land bewegen, niemand verfolgt sie, es wird nichts
gegen sie unternommen. Da haben sie angefangen, sich neu zu organisieren. Sie
besitzen Milliarden von Dollars. Saddam Hussein hat kurz vor seinem Sturz alle
Banken im Irak leer räumen lassen, um Aktionen nach seinem Abtreten zu
finanzieren. Es war klar festgelegt, was zu tun ist, wenn die Macht verloren
geht. Heute ist der Einfluss der Baathisten durchaus zu spüren, wenn auch nicht
immer leicht zu erkennen.
Wir gehen davon aus, dass sie auch bei der Krise von Nadschaf ihre Finger im Spiel hatten, die darauf gerichtet war, das gesamte System im Irak zusammenbrechen zu lassen. Im Vordergrund agierten dort die Milizen von Muktada al-Sadr, die die Imam-Ali-Moschee besetzten. Al Sadr ist ein junger Mann ohne eigene politische Erfahrung. Sein Vater, Ayatollah Mohammed Sadik al-Sadr, hat in den Jahren 1995 bis 1999 eine Schlüsselrolle im Irak gespielt. Da Saddam Hussein alle politischen Parteien zerschlagen hatte, war zwar die Mehrheit der Gesellschaft gegen sein Regime, hatte aber keine politischen Strukturen. Ayatollah al-Sadr zog bei den Freitagsgebeten Millionen von Menschen an, darunter viele, die kamen, um ihre Opposition zum Regime zu demonstrieren. So wurde der Ayatollah zu einem Symbol des Widerstandes gegen Saddam Hussein. Er war sehr beliebt. 1999 wurden er und zwei seiner Söhne von Saddams Leuten umgebracht.
Nach dem Sturz Saddam Husseins versucht nun sein verbliebener Sohn Muktada al-Sadr seinen Namen zu nutzen, um eine eigene Bewegung zu schaffen, die eine politische Rolle im Irak übernehmen will. Die Chancen dafür im normalen politischen Prozess sind gering, denn Al Sadr ist kein großer Politiker und verfügt über keine eigenen Parteistrukturen. Durch Gewalt gegen die Besatzung und gegen die Ungläubigen versucht er einen Platz im politischen Feld zu finden. Al-Sadr knüpft an die Gefühle von Tausenden schiitischen Jugendlichen an, die unter Saddam Hussein diskriminiert wurden. Deshalb sind in seiner Bewegung viele Schiiten, die zwar das Regime Saddam Husseins hassen, aber nicht die Geduld aufbringen, ein neues, demokratisches System aufzubauen. Sie wollen Macht für die Schiiten und eine Perspektive für sich selbst.
Aber ob nun al-Sadr oder die im sunnitischen Falludscha aktiven Kräfte - sie bieten dem Irak keine Perspektive. Die radikal islamischen Gruppen, die auch Kontakte zu Al Khaida unterhalten, und die Leute, die hinter ihnen stehen, sind weder Demokraten, noch Kräfte des Friedens oder der Befreiung. Sie vertreten ein arabisches, nationalistisches, rassistisches Konzept, das sogar faschistische Elemente enthält.
Die Nadschaf-Krise wurde dadurch kompliziert, dass die Milizen sich in der
Imam-Ali-Moschee verschanzt hatten. Diese ist für die Schiiten das höchste
Heiligtum - so wie der Vatikan für die Katholiken. Niemand kann diese Moschee
mit Raketen beschießen. Vor allem die Übergangsregierung nicht, die einen neuen
Irak repräsentieren will.
Die Regierung tat deshalb gut daran, sich der Unterstützung der höchsten
theologischen Autorität im Irak, Ayatollah al-Sistani, zu versichern, der ein
eigenes Interesse daran hatte, den Konflikt friedlich beizulegen. Zum einen,
weil er dieses schiitische Heiligtum schützen wollte, zum anderen aber auch,
weil das eine gute Gelegenheit war, Nadschafs Position als theologisches Zentrum
aller Schiiten in der Welt zu verteidigen und zu bekräftigen. Während der
Herrschaft Saddam Husseins haben nämlich die schiitischen Theologen im Iran,
Ayatollah Chomeini und seine Anhänger, versucht, die Rolle von Nadschaf zu
übernehmen. Mit einem gewaltlosen Marsch Hunderttausender Schiiten nach Nadschaf
gelang es al-Sistani, auf seine Weise, die Krise zu entschärfen.
Die Nationalkonferenz des irakischen Übergangsparlaments hat in dieser Situation ebenfalls eine gute Rolle gespielt. Auch ihr wird vorgeworfen, sie sei von den Amerikanern gemacht und beschäftige sich nicht mit den wirklichen Problemen des Irak. Dabei haben diese 1300 Delegierten, unter ihnen auch Vertreter von al-Sadr, sehr intensiv und kontrovers über die Situation in Nadschaf diskutiert. Sie haben einen Vorschlag für eine friedliche Konfliktlösung vorgelegt. Die irakische Übergangsregierung und alle Parteien forderten al-Sadr und seine Leute auf, am politischen Prozess, an den kommenden Wahlen teilzunehmen.
Nun bedeutet die Entschärfung der Krise von Nadschaf noch nicht, dass al-Sadr oder die Islamisten von Falludscha ihre Waffen so einfach niederlegen werden. Dafür müssen die wirtschaftlichen und sozialen Fragen im Irak angepackt werden. Die Menschen müssen Arbeit bekommen. Verwaltungs-und Sicherheitsstrukturen müssen aufgebaut werden. In einer Gesellschaft, in der achtzig Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind, gibt es keine Sicherheit.
Worauf orientiert nun die Irakische KP? Wir sehen einen engen Zusammenhang
zwischen dem Kampf gegen die Besatzung und der Alternative zur Besatzung.
Deshalb sagen wir ja zum Widerstand, aber zu politischem Widerstand, wie ihn die
große Mehrheit der Menschen im Irak will. Der bewaffnete Kampf ist für die
irakische Gesellschaft keine Alternative. Terror und bewaffnete Anschläge
liefern der Besatzungsmacht nur den Vorwand, noch lange im Irak zu bleiben.
Die bewaffneten Aktionen werden von manchen als antiimperialistischer Kampf
bezeichnet. Die Irakische KP war immer eine Partei der Antiimperialismus, der
Befreiung, des Kampfes gegen den Kolonialismus. Und wir sind das immer noch.
Nach unserer Auffassung kann antiimperialistischer Kampf im Irak heute aber
nicht in bewaffneten Anschlägen bestehen, sondern im Aufbau eines Irak, wo die
Gesellschaft als Struktur die Möglichkeit erhält, politisch gegen die Besatzung
zu kämpfen.
Ich habe im Irak mit vielen Menschen gesprochen. Ich habe eine große Familie und
telefoniere jede Woche mit Bagdad. Die Mehrheit der Menschen verurteilt die
Gewalt. Sie wollen Frieden und Stabilität, sie wollen einfach leben.
Sie haben 23 Jahre nichts anderes erlebt als Krieg, Zerstörung und Tod. Es
gibt keine Familie im Irak, die nicht zwei, drei oder vier ihrer jungen Männer
in diesen Kriegen verloren hätte.
Niemand sollte von Berlin oder Wien aus vereinfachte Urteile fällen, wie die
Situation im Irak ist. Problematisch wird es, wenn sich sogenannte
Antiimperialisten in europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, mit
Leuten treffen, hinter denen eindeutig die Baathisten stehen, wie in Köln am 17.
Juli 2004 geschehen. Sie wollen ein sogenanntes Komitee für einen freien Irak
gründen und fordern die Freilassung aller politischen Kriegsgefangenen.
Das bedeutet, sich auch für die inhaftierten Verantwortlichen des
Saddam-Hussein-Regimes einzusetzen, die schlimmste Verbrechen gegen die
Menschlichkeit auf ihrem Gewissen haben. Es ist bedauerlich, dass unter solchen
Aufrufen, auch Namen von einigen Mitgliedern der Kommunistischen Plattform der
PDS aus Hamburg sowie anderer linker Parteien und Gruppen stehen.
Es ist richtig, gegen die Besatzung des Irak und gegen die Politik der USA zu sein. Das bin ich auch. Aber ich bin nicht bereit, dafür mit einer baathistischen Verbrecherorganisation oder mit islamischen Fundamentalisten zusammen zu arbeiten. Das wäre ungefähr so, als arbeitete jemand in Deutschland mit den Neonazis zusammen und meinte, er bekämpft damit den Sozialabbau.
Das irakische Volk braucht in dieser schweren Zeit breite internationale
Solidarität. Unser Ziel ist ein neuer Irak, ein föderaler Staat, in dem Frieden,
Demokratie, und Menschenrechte eine Heimstatt haben.