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Die IKP und die aktuelle Lage im Irak
Interview mit Rashid Ghewielib von der Irakischen Kommunistischen Partei
unsere zeit , 4. Mai 2007
http://www.dkp-online.de/uz/3918/s0204.htm

(s. dazu J. Guilliard: Ein anderer Blick auf den Widerstand, in der Zeitschrift Anstoß d. DKP Berlin, Juni 2007 )

UZ: Wie beurteilt die KP des Irak die aktuelle Lage im Irak?

Rashid Ghewielib: Die USA und ihre Alliierten sind nach wie vor eine starke Kraft im Irak, aber die Entwicklung im Irak zeigt deutlich, dass die eigenen Kräfte unseres Landes in der Lage sind, die Richtung, den Inhalt und den Weg der politischen Entwicklung zu steuern. Dabei ist die nationale Einheit des Irak ein unverzichtbarer Ausgangspunkt, es ist der einzige Weg, um die konfessionelle Spaltung zu überwinden, die von der US-Regierung verschärft und als Waffe gegen uns verwendet wird. Gemeinsam ist den Menschen in allen Regionen des Irak die Notwendigkeit, den Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu führen, gegen Privatisierungen und gegen die Ausbeutung unserer Ressourcen durch ausländische Unternehmen. Dieser soziale und Klassenkampf wird stärker sein als die ethnischen und konfessionellen Barrieren.

Wir haben es mit zwei gravierenden Widersprüchen zu tun:

  1. Zwischen dem irakischen Volk und der Besatzung.

  2. Zwischen den politischen Parteien/Organisationen, die den politischen Prozess unterstützen (die also eine politische Lösung vertreten) und denen, die versuchen, sich durch Terror und Gewalt als "Widerstand" darzustellen.

Dabei spielen Milizen eine sehr wesentliche, negative Rolle. Sie treten mittlerweile fast überall im Irak auf, und sie versuchen, eine eigene Macht als Alternative zur Regierung aufzubauen.

Wirtschaftlich gesehen stagniert der Aufbauprozess in vielen Bereichen, oder er geht nur sehr langsam voran. Unsere vom Krieg zerstörte Wirtschaft kann sich nicht erholen. Es gibt viele Versuche, die Versorgung mit Strom, Wasser oder Energie aufzubauen, aber es gibt auch immer wieder Rückschläge durch die Attentate, die es wieder zerstören. Den Gegnern eines demokratischen Irak ist jedes Mittel und jedes Angriffsziel recht. So werden die Lebensbedingungen immer schlechter, dazu kommt auch eine starke Inflation.

Dazu kommt, dass der Irak derzeit wenig Öl exportieren kann, u. a. weil Pipelines und andere Anlagen zerstört sind. Dadurch fehlt uns das Geld für Aufbau und Weiterentwicklung. Wir sind auf ausländische Geldgeber angewiesen, aber die stellen ihre eigenen Bedingungen. In vielen Bereichen wie Finanzen, Wirtschaft und Verwaltung ist die Korruption ein großes Problem.

Die Regierung hat Schwierigkeiten in mehreren Richtungen:

Außerdem behindert die Besatzungssituation den Fortschritt in Politik und Wirtschaft.

Der Kampf, den wir jetzt führen, ist der Kampf um unsere gesamte Zukunft. Die Situation ist noch immer offen. Es hängt stark von der Auseinandersetzung der Parteien untereinander ab, und ob sie ihre Parteiinteressen den allgemeinen Interessen unterordnen.

UZ: Welche Vorschläge hat die KP für die Zukunft des Landes?

Rashid Ghewielib: Wichtig ist für uns der Kampf gegen Religion als Mittel der Politik. Dazu sind vor allem einige Änderungen in der Verfassung notwendig. Geändert werden müssen vor allem auch die Punkte, die zur Ausgrenzung von Frauen führen. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, dafür zu arbeiten, dass die fortschrittlichen Werte von der Bevölkerung als eine starke Antwort auf die konfessionellen Ideologien angenommen werden. Dazu gehört auch, dass jede Behinderung von Meinungs- und Glaubensfreiheit unterbunden werden muss. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Auflösung aller Milizen.

Weiterhin ist der Kampf gegen Privatisierungen ein entscheidender Faktor für unsere Zukunft.

UZ: Wie beurteilt die KP des Irak die Bewegung für den Abzug aller Besatzungstruppen? Wie ist die Haltung der verschiedenen politischen Gruppen im Irak?

Rashid Ghewielib: Wir waren immer grundsätzlich gegen den Krieg, wir sind ebenso grundsätzlich gegen die Besatzung. Wir fordern einen klaren Zeitplan für den Rückzug der Besatzungstruppen, aber es muss mit dem Aufbau der irakischen Sicherheitskräfte verbunden sein. Diese Sicherheitskräfte müssen sich aber aufgrund der Zugehörigkeit zum Land definieren, nicht über konfessionelle oder Parteizugehörigkeiten. Mittlerweile sind alle Fraktionen im Parlament dieser Meinung, auch die, die früher einen sofortigen Truppenabzug forderten.

UZ: Es gibt Berichte über Abspaltungen in der IKP. Entspricht das der Wahrheit?

Rashid Ghewielib: Es gibt bei uns keinen Grund für eine Spaltung, wir haben eine offene Diskussion in der Partei. Hier wird von Personen gesprochen, die teilweise nicht einmal Mitglieder unserer Partei waren. In unserem Land gibt es keine Basis für derartige Abspaltungen.

UZ: Konnten die religiös-fundamentalistischen Parteien ihren großen Vorsprung der letzten Wahlen halten oder ist da ein Umschwung zu beobachten?

Rashid Ghewielib: Die konfessionelle Teilung beherrscht das Bild noch immer, aber innerhalb und zwischen den großen Fraktionen gibt es Bewegungen, Abspaltungen.

Die Zustimmung zu den demokratischen Kräften wächst, aber die Islamisten werden ihre Stärke in absehbarer Zeit nicht verlieren, ihre Erfolge kamen ja nicht von nichts. Sie werden ihre Sitze nicht in dieser Größenordnung halten können. Der Kampf geht weiter, ich meine, die Zukunft gehört den laizistischen Kräften im Irak.

UZ: Welche Möglichkeiten nutzt ihr, um den kommunistischen Einfluss im Irak weiter zu entwickeln?

Rashid Ghewielib: Wir haben eine Zeitung, die landesweit fünfmal in der Woche erscheint. Darüber hinaus gibt es viele lokale Zeitungen. Wir haben auch theoretische Veröffentlichungen, etwa in der Art der Marxistischen Blätter. Auch die Medien haben ein großes Interesse an uns. Und vor allem hatten wir Ende März in Bagdad zum 73. Jahrestag unserer Parteigründung ein großes Fest mit 10 000 Besuchern. Kleinere Feste gab es im ganzen Land, in Basra z. B. waren 2 000 Besucher. Eine solche Mobilisierungsfähigkeit deutet nicht auf eine Spaltung unserer Partei hin, oder?

Darüber hinaus organisieren wir natürlich Diskussionsveranstaltungen, Kulturkonferenzen usw., und sind in zahlreichen Initiativen vertreten, z. B. im Irakischen Rat für Frieden und Solidarität, das ist unsere irakische Friedensbewegung, in der Frauenbewegung, in der Jugendarbeit, in Menschenrechtsorganisationen.

Enorm wichtig ist für uns vor allem auch der Kontakt zu Kulturschaffenden im Land, das muss aber noch viel weiter ausgebaut werden. Wir unterstützen natürlich die Streiks von LehrerInnen für besseren Lohn, den Arbeitskampf in der Textilindustrie. Und natürlich, nicht zuletzt, bemühen wir uns um die Verstärkung der Kontakte zu kommunistischen, sozialistischen, linken, fortschrittlichen Parteien anderer Länder.

UZ: Euer 8. Parteitag steht bevor. Was sind die wichtigsten Punkte, die anstehen?

Rashid Ghewielib: Wir haben lange Vorbereitungen hinter uns, es ist unser erster Parteitag nach dem Sturz von Saddam, deshalb wird es ein volles Programm geben. Auf der Liste steht natürlich ein ausführlicher politischer Bericht, darüber hinaus verabschieden wir ein neues Programm und ein Statut, und ein Dokument über unsere sozialistische Alternative.

Einmalig für den Irak ist, dass wir diese politischen Papiere schon vorher zur öffentlichen Diskussion freigegeben haben. Dazu gab es schon viele Veranstaltungen und Diskussionsrunden, auch zu speziellen Themen, und es werden noch viele weitere stattfinden.

UZ: Zu den zentralen Problemen im Irak gehört die hohe Arbeitslosigkeit. Gibt es dagegen gezielte Maßnahmen der Regierung und wenn ja, welche? Welche Forderungen hat die IKP?

Rashid Ghewielib: Arbeitslosigkeit gab es auch unter Saddam, während des Embargos, vor allem unter den Jugendlichen. Diese Lage hat sich durch Krieg und Besatzung verschlimmert. 60 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, obwohl viele das Land verlassen. Die Regierung hat bisher kein umfassendes Programm gegen die Arbeitslosigkeit vorgelegt. Das soziale Netz ist erst ganz am Anfang, es ist schwach und korrupt.

Es gibt natürlich Forderungen und Konzepte von den Gewerkschaften und von unserer Partei, dazu gehören verstärkte Investitionen in die Wirtschaft, stark vom Krieg zerstörte Regionen müssen stärker gefördert werden. Basra z. B. war im "Städtekrieg" gegen den Iran 1991 massiv betroffen, und hat sich bis heute nicht erholt. Das schafft auch den Nährboden für Terrorismus. Die Arbeitslosigkeit verstärkt den Terrorismus, und der Terrorismus verstärkt die Arbeitslosigkeit. Wir verlangen z. B. mehr Ausbildungsmöglichkeiten vor allem für Jugendliche und Frauen, und öffentliche Projekte müssen gefördert werden.

Es gibt aber auch Probleme beim Lohnsystem für die beim Staat Beschäftigten. Die Löhne sind völlig willkürlich geregelt, es gibt viele Ungerechtigkeiten, und auch das hat etwas mit der Korruption zu tun. Im Irak kauft man sich Arbeit.

Eine weitere Forderung unsererseits ist die Regelung der Rentenversorgung. Weiterhin müssen die Lebensmittelrationen beibehalten werden, sonst kommen Millionen Menschen in große Not. Einer unserer Schwerpunkte ist der Kampf gegen die Versuche, unsere nationalen Produkte zu privatisieren.

UZ: Im Gespräch sind Production Sharing Agreements, die ausländischen Firmen langfristig die Ölförderung im Irak ermöglichen. Wie ist der derzeitige Stand der Dinge?

Rashid Ghewielib: Derzeit wird ein neues Öl- und Gas-Gesetz vorbereitet, das die Weichen stellen wird. Die IKP kämpft darum, dass das Öl nicht aus der staatlichen Kontrolle gerät. Wir sind entschieden gegen diese Art von "Partnerschaft" mit den Investoren, obwohl klar ist, dass wir ausländisches Geld und Know-how brauchen. Wichtig ist, dass dabei kein Verkauf der nationalen Produktion stattfindet. 90 Prozent des irakischen Staatshaushalts basiert auf den Öleinnahmen, 70 Prozent der Produktion hängt mit dem Öl zusammen, und 98 Prozent der Exporte sind Ölexporte.

Wir sind strikt für eine völlige Kontrolle durch das Irakische Parlament, aber die Frage ist, ob wir dafür eine Mehrheit bekommen. Die Lager, die eine Privatisierung befürworten, argumentieren häufig mit den Erfahrungen der staatlichen Wirtschaftspolitik unter Saddam. Die Menschen im Irak haben sehr schlechte Erfahrungen mit staatlichen Kontrollmechanismen gemacht.

UZ: Vielen Dank für Deinen Lagebericht!

Die Fragen für die UZ stellte
Rosemarie Feger