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04.07.2001
Die neueste Ordnung
Die Auslieferung von Slobodan Milosevic bedeutet die Aufgabe staatlicher Souveränität schlechthin. Von Peter Koch

Als das jugoslawische Verfassungsgericht in der vergangenen Woche das Auslieferungsverfahren gegen Slobodan Milosevic vorläufig stoppte, wurde eine Serie von eklatanten Rechtsbrüchen wenigstens vorläufig unterbrochen. Wie kaum anders zu erwarten setzte sich jedoch die serbische Regierung einfach über den Spruch der Verfassungsrichter hinweg und lieferte den früheren Präsidenten des Landes an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aus. Ein weiterer Höhepunkt eklatanten Verfassungsbruchs, der in der westlichen Welt einhellig begrüßt wurde, so verkündete Ulrich Wickert dem Fernsehpublikum beispielsweise: »Ein großer Tag für die Demokratie und die Menschenrechte«.

Im April 1999 bezeichnete Bundeskanzler Gerhard Schröder während der Bombardierung Jugoslawiens den NATO-Krieg in einer Regierungserklärung als einen »Gründungsakt für ein Europa der Menschen und der Menschenrechte«. Dieses Pathos der Gewalt erinnerte an die feierliche Verkündung der Menschenrechte in der französischen Revolution von 1789. Mit einem Unterschied: Die französische Revolution verhalf der Volkssouveränität und der auf ihr beruhenden Herrschaft des Rechts zum Durchbruch. Gleichzeitig war sie ein Kristallisationspunkt in der Herausbildung einer Ordnung souveräner Staaten. Der NATO-Krieg markiert dagegen eine radikale Abkehr vom Prinzip der staatlichen Souveränität. In Abkehr der Prinzipien der französischen Revolution lösten sich Begriffe wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit von dem konstituierenden Moment der Volkssouveränität und wurden statt dessen zum Schlachtruf eines modernen westlichen Kreuzzuges. Statt Recht begründen sie den Rechtsbruch. Die westliche Begeisterung über die »mutigen« Rechtsbrüche der jugoslawischen bzw. serbischen Regierungsstellen sind nur der konsequente Nachhall des mit dem NATO-Krieg bewußt herbeigeführten Einbruchs der tradierten Völkerrechtsordnung souveräner Staaten.

Die Verknüpfung wirtschaftlicher Maßnahmen mit politischen Forderungen fällt völkerrechtlich unter das Interventionsverbot, wonach wirtschaftlicher Zwang nicht dazu benutzt werden darf, einen Staat zur Aufgabe rechtlich garantierter Positionen zu bewegen. Das lnterventionsverbot ist allgemeines Völkerrecht und wird beispielsweise in der Deklaration über die Prinzipien freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten von der UN- Generalversammlung vom Oktober 1970 aufgegriffen. So heißt es darin: »Kein Staat darf wirtschaftliche, politische oder irgendwelche anderen Maßnahmen anwenden oder deren Anwendung unterstützen, um einen anderen Staat zu zwingen, auf die Ausübung souveräner Rechte zu verzichten ...«

Im Fall Milosevic liegt die besondere Tragweite dieser völkerrechtlich verbotenen Einmischung in dem Auslieferungsverlangen eigener Staatsbürger und vor allem das eines ehemaligen Staatsoberhaupts. Hiermit wird nicht nur die Aufgabe irgendeiner souveränen Rechtsposition verlangt, sondern die Aufgabe staatlicher Souveränität schlechthin. Die geltende Völkerrechtsordnung beruht auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten. Hieraus folgt der Grundsatz der Staatenimmunität, der vor allem besagt, daß kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen darf.

Der bisherigen Einmaligkeit dieser völkerrechtswidrigen Praxis durch die ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda stehen die Nürnberger Prozesse gegen Nazideutschland nicht entgegen. Ein Vergleich verbietet sich nicht nur hinsichtlich der Dimension der tatsächlichen (bzw. im Fall Milosevics der mutmaßlichen) Vergehen. Vor allem hat Nazideutschland in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg die halbe Welt in Chaos und Elend gestürzt. Jugoslawien war dagegen zum wiederholten Male Opfer einer völkerrechtswidrigen Aggression und hat keinerlei international geschützte Rechtsgüter der NATO-Staaten oder irgendeines anderen Staates verletzt. Mit dem Jugoslawien-Tribunal schwingt sich die NATO zum Richter über die inneren Angelegenheiten eines Landes auf und setzt damit ihre völkerrechtswidrige Praxis der »humanitären Intervention« gegen die Souveränität und lntegrität des jugoslawischen Staates fort.

Das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag ist kein internationales, unabhängiges Gremium, das gewissermaßen als neutrale Instanz über den Interessen der beteiligten Staaten schwebt. Als Soldaten der 82. Luftlandedivision der amerikanischen Armee im Rahmen ihres Einsatzes in der »Kosovo-Friedenstruppe« (KFOR) Zivilisten mißhandelt und geschlagen und mindestens ein elfjähriges albanisches Mädchen nach vorangegangener Vergewaltigung ermordet haben, kamen die Beschuldigten nicht vor das Internationale Tribunal. Instruktiv für die Verschmelzung von NATO- Krieg und der Jurisdiktion des Haager Tribunals ist auch der Appell der Präsidentin des Haager Kriegsverbrechertribunals vom 6. April 1999 an »alle NATO-Mitgliedstaaten, mit der Lieferung von Beweismaterial über im Kosovo begangene Verbrechen dem Strafgerichtshof zu helfen«.

Auch die Gründung des Tribunals durch den Sicherheitsrat gibt der Institution keine völkerrechtliche Legitimität. Das Tribunal wurde 1993 für das ehemalige Jugoslawien durch den Sicherheitsrat eingesetzt. Das ursprüngliche Mandat hatte eine vielleicht äußerst schwache, hier jedoch nicht zu erörternde, Legitimität durch die damalige politische, von internen Kriegen gezeichnete Lage im zerfallenden Jugoslawien, in dem es vorübergehend angeblich keine funktionierende Justiz gegeben haben soll. Trotzdem war die Errichtung des Tribunals auch damals schon rechtswidrig. Für die Erteilung eines Mandats zur Errichtung von Straftribunalen durch den Sicherheitsrat enthält das Völkerrecht keine Ermächtigungsgrundlage, schon gar nicht die UN-Charta. Mit der bewaffneten Aggression der NATO hat sich die politische Situation dann so weit von dem ursprünglichen Mandat entfernt, daß Rußland durch seinen Außenminister Igor lwanow zu Recht bereits mehrfach die Auflösung des Tribunals gefordert hat.

So wenig das Jugoslawien-Tribunal über eine rechtlich anerkannte Strafverfolgungskompetenz verfügt, so wenig verfügt es über einen anerkannten Strafkatalog. Rechtsstaatliche Gerichte entscheiden auf der Grundlage von Gesetzen, die in einem demokratischen Gesetzgebungsverfahren kodifiziert sind. Die Strafbestimmungen des Jugoslawien-Tribunals sind weder rechtsstaatlich kodifiziert noch sind sie ausreichend bestimmt, um rechtsstaatliche Verfahren im engeren Sinne zu ermöglichen. Die Strafbestimmungen lauten: Schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Trotz der selbst angemaßten Strafverfolgungskompetenz auf dieser verwaschenen Grundlage ist nicht einmal ersichtlich, wie die dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten in der Anklageschrift vorgeworfenen Taten diesen Straftatbeständen genügen sollen. Die während der NATO- Bombardierungen erhobene »Anklage« lautet auf gemeinschaftlichen Mord an 340 Personen zusammen mit den Mitangeklagten, auf Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen sowie auf Deportation. Aus diesem Grunde muß die Anklage wohl noch erweitert werden, damit sie überhaupt »paßt«.

Der hier am schwersten wiegende Vorwurf des Mordes ist an die Regierungsverantwortlichkeit geknüpft und meint nicht den gemeinen Mord. Insofern kann er jeden Regierungsverantwortlichen treffen, unter dessen Verantwortung Polizei- oder Militäreinsätze stattfinden und ist im juristischen Sinne vollkommen abwegig. Um den naheliegenden Vergleich zu bemühen, genügt ein Blick in den Nachbarstaat Mazedonien mit durchaus vergleichbarem Verlauf der ethnischen Spannungen. Infolge der Militäreinsätze der Regierung gibt es Tote und Verletzte, und der UNHCR schätzt die Flüchtlingswelle ins benachbarte Kosovo und sonstige Ausland bereits auf 10 000 Albaner. In Mazedonien handelt es sich jedoch nach der neuen NATO-Sprachregelung bei der UCK um »bewaffnete Schläger und Terroristen«.

Der Grund hierfür ist naheliegend. Der NATO bzw. den NATO-Staaten kam es niemals auf die Unterstützung der Albaner und deren ethnisch ausgerichtete Politik an. Die ethnischen Spannungen wurden lediglich ausgenutzt und geschürt zur Destabilisierung eines Landes und zum Sturz eines politischen Systems, das nach westlicher Definition nicht demokratisch ist. Unter der westlichen Definitionshoheit erhält der Demokratiebegriff dabei einen rasanten und von der westlichen Öffentlichkeit kaum bemerkten Inhaltswechsel. Das Prädikat demokratisch erhalten die Wahlen nicht mehr durch das Wahlvervahren, sondern durch den Wahlausgang.

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