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03.07.2001 |
Was halten Sie von der Milosevic-Auslieferung? |
Laura von Wimmersperg, Friedenskoordination Berlin: |
Für 2,8 Milliarden DM Kopfgeld (und das nur als Darlehen!) hat der Ministerpräsident Serbiens, Zoran Djindjic, die Souveränität Jugoslawiens verkauft. Milosevic war die Gabe für die Konferenz der »Geber«, die den Völkern Jugoslawiens ein Vielfaches des Kopfgeldes schuldet: als Entschädigung für die Verluste, die die Einmischung in die tragischen innerjugoslawischen Konflikte, die würgenden Sanktionen und der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien verursacht haben. Die Anklage gegen Milosevic ist Teil des Kriegsarsenals der NATO. Sie wurde formuliert im Mai 1999, als die NATO ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien ein weiteres Mal auf zivile Ziele, einschließlich Krankenhäuser, ausdehnte. Der wachsende weltweite Protest veranlaßte zu diesem Zeitpunkt auch einige europäische NATO-Regierungen, nach Verhandlungswegen zu suchen, um den Krieg zu beenden. Um diese Verhandlungen unter der Teilnahme Rußlands zu behindern, forcierten die USA Anklageschriften gegen Milosevic und andere Mitglieder der jugoslawischen Regierung. Der Verhandlungsprozeß wurde erschwert, der Krieg verlängert. Die Auslieferung Milosevics an das unter Druck der NATO vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Haager Tribunal ist ein Bruch geltender nationaler und internationaler Rechtsnormen. Kein Staat dieser Erde hat der UNO Strafhoheit übertragen, und nach geltendem Völkerrecht ist der Sicherheitsrat in keiner Weise befugt, Verfassungen von Staaten außer Kraft zu setzen und internationale Gesetze zu erlassen, mit denen er sich diese Strafhoheit durch eigene Beschlüsse aneignet. Das Haager Tribunal ist ein Instrument des Angreifers gegen den angegriffenen Staat. Zur Möglichkeit einer Anklage gegen die NATO-Aggressoren erklärte der damalige Sprecher des Paktes, Jamie Shea: »Die NATO ist die Freundin des Tribunals. (...) Es waren die NATO- Länder, die das Geld für die Einrichtung des Tribunals bezahlt haben, wir stellen die Mehrzahl der Geldgeber.« Es geht nicht um Schuld oder Unschuld des ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten, es geht nicht um die Person Milosevic, es geht um den »Fall Milosevic«. Slobodan Milosevic soll ein Schauprozeß gemacht werden. »Beweise« wird die NATO finden, genau so, wie sie mit Lügen die Vorwände für die barbarischen Luftschläge geschaffen hat. Dieser Schauprozeß soll die NATO weißwaschen und ihren Aggressionskrieg im nachhinein legitimieren. Er soll ein Zeichen setzen: Wer sich seiner Rolle in der »neuen Weltordnung« nicht fügt, der wird es auch mit ihrer Justiz zu tun bekommen. Das Recht der Gleichberechtigten, das die UNO-Charta vorsieht, soll vom Unrecht der Stärkeren abgelöst werden. Wie einzelne auch immer zur Person Milosevic stehen mögen, diesem widerrechtlichen Akt und der gefährlichen Entwicklung hin zu internationaler Rechtlosigkeit muß entschieden entgegengetreten werden. Heinz Stehr, Vorsitzender der DKP: Die DKP verurteilt das Regierungsdekret und die Auslieferung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic an das UNO-Tribunal als völkerrechtlichen Piratenakt. Regierungschef Zoran Djindjic hat sich für das von der Brüsseler Geberkonferenz in Aussicht gestellte Kopfgeld in Milliardenhöhe über das Verfassungsgericht seines Landes hinweggesetzt. Er ist damit endgültig in einer Wertegemeinschaft mit den wirklich Verantwortlichen für den Krieg gegen das jugoslawische Volk angekommen, die nach ihren eigenen Interessen Länder überfallen, Regierungen wegbomben und ihnen genehme Statthalter finanzieren. Die DKP wird sich auch zukünftig an Protestaktionen gegen NATO-Aggression und Völkerrechtsbruch beteiligen und in der Bundesrepublik Deutschland nicht nachlassen, die Verantwortung deutscher Politiker für den Überfall auf Jugoslawien und die Leiden der jugoslawischen Bevölkerung zu betonen. Iris Schneider, Amnesty International, deutsche Sektion: Wir begrüßen die Überstellung Slobodan Milosevics nach Den Haag. Wir sehen darin einen wichtigen Schritt zur Beendung der Straflosigkeit ehemaliger Kriegsverbrecher. Führende Politiker, die in Verbrechen in der Region verstrickt sind, haben viel zu lange mit dieser Straflosigkeit rechnen können. Es ist an der Zeit, die schweren Verbrechen zu ahnden, allerdings mahnen wir an, daß auch die übrigen mit internationalem Haftbefehl Gesuchten nun ausfindig gemacht und an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden. Das sind etwa 25 Personen. Wolfgang Gehrcke, Außenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion: Die Überstellung des ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic an das Haager UN- Kriegsverbrechertribunal ist unter völkerrechtlich höchst bedenklichen Bedingungen geschehen. Verwiesen sei nur auf die Nichtinformation der Rechtsanwälte, auf die Nichtinformation des jugoslawischen Präsidenten, auf das Urteils des jugoslawischen Verfassungsgerichtes und den zeitlich unmittelbaren Zusammenhang zur Geberkonferenz, so daß die Frage, ob politischer und finanzieller Druck letztendlich ausschlaggebend dafür waren, nicht von der Hand zu weisen ist. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird jetzt gefordert sein nachzuweisen, daß das Verfahren gegen Milosevic rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Prinzip der Unparteilichkeit entspricht. Dabei erweist sich schon jetzt als hinderlich, daß das gleiche Gericht bereits eine Voruntersuchung gegen die NATO, ob Völkerrecht gebrochen worden ist im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien, abgelehnt hatte. Klaus Hartmann, Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic: Das Haager Tribunal, das sich die Funktion eines internationalen Strafgerichts anmaßt, ist illegal. Die Anklage gegen Präsident Milosevic während des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Jugoslawien war ein Akt der psychologischen Kriegführung der NATO. Um die Kriegsverbrechen der NATO vergessen zu machen, ist das Tribunal bestrebt, die Opfer der NATO-Aggression als Täter zu diffamieren. Mit der Auslieferung von Milosevic offenbaren die als »demokratische« Opposition firmierenden gegenwärtigen Machthaber in Belgrad ihre zynische Verachtung von Verfassung und Recht. Mit dem gleichen Zynismus erklärt der deutsche Außenminister, die Auslieferung von Slobodan Milosevic sei »für das internationale Recht ein großer Tag«. In Belgrad wie in Berlin scheinen Regierungen nach dem bekannten Sponti-Motto zu agieren »legal, illegal, scheißegal«. Mit einer derartigen totalen Perversion aller Normen des Rechts sollen die nächsten Kriege der Herren der Globalisierung vorbereitet werden. (Zusammengestellt von Harald Neuber und Rüdiger Göbel) |
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