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Die humanitäre Intervention, der internationale Strafrichter und das Völkerrecht

Ein Beitrag über internationale Straftribunale unter besonderer Berücksichtigung des Haager-Jugoslawientribunals

Von Peter Koch, Rechtsanwalt

I. Vorbemerkung

In Anlehnung an das Russel-Tribunal über den Vietnamkrieg hat sich gegen den Jugoslawienkrieg der Nato eine internationale Bewegung gebildet, die das Ziel verfolgte, verantwortliche Führer der Nato bzw. der Nato-Mitgliedsstaaten vor internationalen Tribunalen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. (kurz: internationale Tribunalsbewegung) Das vorliegende Manuskript entstand ursprünglich in der Absicht einer kritischen Würdigung der Kampagne und der Auseinandersetzung über die strafrechtlichen Möglichkeiten, Krieg und Kriegsfolgen wirksam zu begegnen, nicht zuletzt im Hinblick auf die zu erwartende Wirkungslosigkeit der sog "Schuldsprüche" ihrer Tribunale.

Über öffentliche Hearings, der Vorlage einer "Anklageschrift" durch den ehemaligen Justizminister der USA, Ramsey Clark, bis hin zur Vorlage verschiedener Eingaben beim Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, so u.a durch das "Movement for the Advancement of International Criminal Law" (MAICL) wurde eine Fülle belastenden Materials vorgelegt, das die Regierungen der Nato Staaten und die militärischen Führer der Nato der Kriegsverbrechen schuldig erscheinen lassen. Zweifellos hat die Kampagne auch dazu beigetragen, das Material einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und der einseitigen, den Krieg gegen Jugoslawien rechtfertigenden Propaganda, entgegenzuwirken.

Die internationale Tribunalsbewegung hat damit einen wesentlichen Beitrag in der Kritik an dem Krieg sowie an der Kriegführung geleistet und eine wesentliche Rolle an dem Aufbau einer politischen Front gegen diesen Krieg sowie der Natokriegspolitik insgesamt gespielt. Insbesondere auch die detaillierte Recherche einzelner Kriegshandlungen, die eindeutig als Kriegsverbrechen zu qualifizieren sind, hat dazu beigetragen, das propagandistische Zerrbild eines Krieges für die Menschenrechte wenigstens bei einem Teil der Öffentlichkeit zu zerstören oder wenigstens in Frage zu stellen. Die gesammelten Beweise, das recherchierte Material leistet weiter eine unabdingbare Hilfe für die Kritik an der Nato Kriegspolitik.

Die Tribunalsbewegung hat sich aber auch mehr oder weniger bewußt selbst in Beziehung gesetzt zu einer sehr real existierenden Tribunalsbewegung in Form der Ad-hoc Tribunale für Jugoslawien und Ruanda sowie des im Aufbau befindlichen ständigen Internationalen Strafgerichtshofs. Insbesondere mit dem nach dem Regierungswechsel in Jugoslawien nachlassenden Interesse der Antikriegsbewegung an dem Konfliktherd tritt die Energie, mit der der Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit vorangetrieben wird und die Effizienz, mit der das Jugoslawientribunal den Krieg strafrechtlich aufarbeitet, besonders kraß in Erscheinung. Die Tribunalsbewegung muß sich fragen lassen, ob die historische Linie vom Russel-Tribunal nicht über das Jugoslawientribunal führt, das die Idee einer internationalen Strafgerichtsbarkeit mit weit größerer Effizienz aufgegriffen hat.

Mit dem Jugoslawientribunal jedenfalls beschränkt sich die Internationale Strafjustiz nicht mehr auf die nur symbolische Verurteilung mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Erstmals (sieht man von dem historischen Sonderfall der Nürnberger Prozesse ab) müssen sich staatliche Amtsträger bis hinein in höchste Amtsfunktionen für ihr staatliches Handeln vor landesfremden Gerichten auch gegen den Willen ihres Staates strafrechtlich verantworten und deutet sich ein Trend an hin zu einer dauerhaften Praxis dieser Art.

Mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern für hoheitliches Handeln werden Fragen nach der Reichweite des Immunitätsschutzes und der Hoheitsgewalt souveräner Staaten aufgeworfen. Die hinter der Praxis der Jugoslawientribunals stehende Idee einer internationalen Strafjustiz ist, die staatliche Souveränität über hoheitliches Handeln auch im eigenen Hoheitsbereich (den sog. inneren Angelegenheiten) zurückzudrängen zugunsten einer vorgeblich der internationalen Gemeinschaft geschuldeten Verantwortlichkeit für die Menschenrechte. Die damit aufgeworfenen Fragen sind nahezu identisch mit den Fragen über die Rechtfertigung des Jugoslawienkrieges selbst, nämlich nach den Eingriffsbefugnissen in fremde Hoheitsbereiche notfalls auch mit Gewalt.

Die Tribunalsbewegung ist Teil einer verbliebenen Antikriegsbewegung, die den Jugoslawienkrieg der Nato ablehnte und sich von der sog. Friedensbewegung unterscheidet, die den Jugoslawienkrieg unterstützte und hinter den oben angedeuteten Entwicklungstendenzen zurücktritt. Sie (die Tribunalsbewegung) hat ihr Verhältnis zum Aufbau einer realen internationalen Strafgerichtsbarkeit, die sie gewissermaßen als Programm in ihrem Namen trägt, jedoch nirgendwo eindeutig und grundsätzlich geklärt. Vereinzelte Kritik speziell am Jugoslawientribunal betrifft untergeordnete Fragen speziell dieses Gerichts. Indem sie sich dennoch an das Haager Tribunal wandte, hat sie bis zu einen gewissen Grad auch dieses Gericht formal anerkannt.

Es reicht daher nicht, sich alleine kritisch auseinanderzusetzen mit der Reichweite des Strafrechts und dessen Möglichkeiten, Krieg und Kriegsfolgen zu bewältigen. Die Fragen sind grundsätzlicher Art und betreffen vor allem auch das Verhältnis einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zum geltenden Völkerrecht und damit auch die Auswirkungen der Souveränitätsverletzungen auf den Bestand einer völkerrechtlichen Friedensordnung.

Der nachfolgenden Beitrag ist keine völkerrechtswissenschaftliche Abhandlung, sondern ein politischer Diskussionsbeitrag. Außerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion läßt sich im öffentlichen Meinungsstreit jedoch eine zunehmende Beliebigkeit im Umgang mit völkerrechtlichen Begriffen feststellen. Entweder wird die jeweils eigene politische Meinung als geltendes Völkerrecht ausgegeben bzw. was davon für den eigenen Standpunkt nützlich erscheint, oder das Völkerrecht wird als unbeachtlich abgetan. Zu ersteren gehört z.B. ein Friedensforscher, der zur Rechtfertigung des Jugoslawienkrieges der Nato die im Völkerrecht nicht existierende Rechtsfigur der Nothilfe einbrachte (Senghaas) Andere schieben das Völkerrecht gleich ganz als "Papierkram" beiseite (Scharping) Dieser verbreitete "lockere" Umgang mit dem Völkerrecht ist selbst nichts anderes als eine Auswirkung von den Einbrüchen in geltendes Völkerrecht durch obige Entwicklungstendenzen und dessen offene Mißachtung durch die westliche Staatengemeinschaft. Die nachfolgende Darstellung soll daher das Verständnis für die hier in Rede stehenden grundlegenden völkerrechtlichen Fragen näherbringen, denn es ist nicht zuletzt das Völkerrecht selbst, das mit dem Jugoslawienkrieg und den Entwicklungslinien, die von ihm ausgehen, auf dem Spiel steht.

Dossenheim, März 2001

 

 

II.

Art 2 Abs. 4 der UN-Charta enthält ein umfassendes Verbot zwischenstaatlicher Gewalt. Die Vorschrift lautet:

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Für den Fall des Verstosses gegen das Gewaltverbot des Art 2 Abs. 4 der UN-Charta enthält das Völkerrecht, insbesondere die UN-Charta selbst, ein differenziertes System möglicher Sanktionen, das als System der kollektiven Friedenssicherung bezeichnet wird. Die Sanktionen nach Kap. VII der UN-Charta reichen von politischen bis militärischen Abwehrmaßnahmen unter der Autorität des Sicherheitsrats. Dagegen enthält das kollektive Sicherheitssystem keinen strafrechtlichen Sanktionsmechanismus.

Unmittelbare strafrechtliche Konsequenzen hat der Verstoß gegen das Gewaltverbot im Völkerrecht nicht. Soweit der Krieg strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, beschränken sich diese zunächst auf die Verfolgung von Verstößen gegen das Kriegsführungsrecht (insbesondere die Genfer Konventionen von 1949) auf dem Territorium des betroffenen Staates durch dessen Gerichtsbarkeit, sowie international auf die Verfolgung von Völkermord.

Wer den Einsatz des Strafrechts als Mittel im Kampf gegen den Krieg ernsthaft erörtert, dem muß sich zunächst die Frage aufdrängen, ob Kriege in diesem Sinne überhaupt justitiabel sind, oder ob nicht die Mittel des Strafrechts vor der Monstrosität des Ereignisses zwangsläufig versagen müssen.

Prinzipiell käme der Einsatz des Strafrechts sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene in Betracht. Auf nationaler Ebene hängt dies davon ab, ob die jeweilige Rechtsordnung entsprechende Strafbestimmungen enthält.

Gem. Art. 25 des Grundgesetzes sind in der Bundesrepublik die allgemeinen Regeln des Völkerrechts geltendes Recht. In Übereinstimmung damit findet sich in § 80 des deutschen StGB in Verbindung mit Art. 26 des GG ein strafrechtlicher Anknüpfungspunkt. § 80 StGB stellt den Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, unter Strafe und folgt damit dem Verfassungsgebot des Art. 26 GG. In diesem heißt es:

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

Auf der zitierten gesetzlichen Grundlage stellten 40 Hamburger Juristen nach Beginn der NATO Angriffe gegen Jugoslawien Strafanzeige gegen Gerhard Schröder und Rudolf Scharping. Die Bundesanwaltschaft leitete keine Ermittlungen ein. Der Generalbundesanwalt antwortete, "Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat sind nicht gegeben."

Die Bundesanwaltschaft begründet ihre Entscheidung mit der Auslegung des Art. 26 GG. Danach sei ein Angriffskrieg nur dann strafbar, wenn er in der Absicht begangen wird, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Dies sei aber bei dem Bundeskanzler und Rudolf Scharping nicht der Fall, da es ihnen erklärtermaßen um die Wahrung der Menschenrechte ginge. Der Wortlaut der zitierten Vorschrift mit der Hervorhebung "insbesondere der Angriffskrieg..." legt dagegen nahe, daß der Angriffskrieg als Unterfall dafür genannt wird, der ohne Einschränkung geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören.

Mit einer derart umstrittenen und dem Wortlaut widersprechenden Gesetzesauslegung gebe sich, so Sybille Tönnies, die Bundesanwaltschaft in keiner anderen Rechtsfrage zufrieden, aber so meint sie in einer Abhandlung über das Völkerrecht und die humanitäre Intervention " ,Inter arma leges tacent.’ heißt es aus alter Erfahrung. Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze."

III.

Auf internationaler Ebene scheint es auf den ersten Blick eine verwirrende Vielzahl von Gerichtsbarkeiten und juristischer Initiativen zu geben, die sich auch mit den Ereignissen im zerfallenden Jugoslawien und deren Folgen befassen, die also insbesondere die kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb Jugoslawiens und den Natokrieg gegen Jugoslawien zum Gegenstand haben.

Internationale Jurisdiktion (Rechtsprechung) wird auf 2 Ebenen zumindest tatsächlich praktiziert. Zum einen auf der Ebene internationaler Gerichtsbarkeit, zum anderen aber auch durch die Jurisdiktion nationaler Gerichte, sofern sie internationale Zuständigkeit besitzt oder in Anspruch nimmt.

Für die Befassung einer internationalen Gerichtsbarkeit mit dem Krieg und den Kriegsfolgen interessieren hier die völkerrechtlichen Möglichkeiten einer juristischen Konfliktbewältigung und auch deren Grenzen.

Tatsächlich hat die internationale Gerichtsbarkeit, der Ausbau und die Stärkung entsprechender Instrumentarien und Institutionen zur Bewältigung internationaler Konflikte

eine sehr hohe Bedeutung. Allerdings geht es dabei vorrangig nicht um eine strafrechtliche Gerichtsbarkeit.

Das Völkerrecht kennt nicht nur das Gewaltverbot. Damit korrespondierend gibt es ein ausdrückliches Gebot zur friedlichen Streitbeilegung. In Art 2 Nr. 3 der UN-Charta heißt es:

Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

Dieser Grundsatz verpflichtet die Mitglieder der Vereinten Nationen sich bei internationalen Streitigkeiten Mittel der friedlichen Streitbeilegung zu bedienen. Dieser Grundsatz wird präzisiert durch Art. 33 der UN-Charta. Dieser verpflichtet die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden,

sich zunächst um eine Beilegung durch

Verhandlungen, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl

zu bemühen. Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung ist keineswegs auf eine bestimmte Art von Konflikten beschränkt. In der "Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen" der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Oktober 1970 wird die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung aller internationaler Streitigkeiten bekräftigt. Damit erhalten die Vorschriften der UN-Charta zur friedlichen Streitbeilegung eine äußerst weitgehende Auslegung.

Aus diesem Zusammenhang, aus der Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung, ergibt sich die völkerrechtliche Bedeutung von internationaler Gerichtsbarkeit. Dabei handelt es sich um eine Art Gerichtsbarkeit, die im nationalen Recht der Verwaltungsgerichtsbarkeit ähnelt. Wie sich aus der Aufzählung in Art 33 UN-Charta (siehe oben) ergibt, sind auf internationaler Ebene die Mittel zur friedlichen Streitbeilegung ziemlich vielfältig und nicht so streng normiert wie in nationalen Rechtsordnungen. Es werden genannt Verhandlungen, Untersuchungen, Vergleiche u.a., also nicht nur Gerichte. Trotzdem kommt internationalen Gerichten eine herausragende Bedeutung zu. Gerichte können dabei wiederum verschiedene Gestalt annehmen. Es kann sich um Schiedsgerichte handeln, die nur für die Schlichtung eines Konflikts eingerichtet werden, um ad-hoc Gerichte sowie auch um ständige Einrichtungen. Die bekannteste Institution in diesem Zusammenhang ist der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag mit seinem Vorläufer, dem StIGH des Völkerbundes. Im Zusammenhang mit dem Nato Angriff auf Jugoslawien hat der Staat Bundesrepublik Jugoslawien gegen 10 Nato Staaten vor dem IGH in Den Haag Klage erhoben im wesentlichen mit dem Ziel, die beklagten Staaten zur Beendigung der Bombardierungen und zur Leistung von Schadenersatz zu verpflichten.

Die friedliche Streitbeilegung erstreckt sich auch auf die Wahrung und den Schutz der Menschenrechte wie etwa im Fall des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg, der auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention entscheidet, und inzwischen für 43 Mitgliedsstaaten zuständig ist.

Es gehört zum Wesen dieser Art von internationaler Gerichtsbarkeit, daß sie Streitfälle zwischen Staaten zum Gegenstand hat (also nicht etwa zwischen Einzelpersonen und Staaten; dies gilt auch für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte). Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer schiedsrichterlichen oder gerichtlichen Streitbeilegung ist außerdem, daß sich die beteiligten Staaten freiwillig der Gerichtsbarkeit unterwerfen.

Völlig unabhängig davon stehen die Bemühungen um die Etablierung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsschutz zum Gegenstand hat. Eine allgemein anerkannte und umfassende internationale Strafgerichtsbarkeit gibt es nicht. Im Unterschied zu der oben skizzierten internationalen Gerichtsbarkeit, die in Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung errichtet und auf der Basis der wechselseitigen Staatenverpflichtung zwischen gleichberechtigten Staaten tätig wird, widerspricht eine internationale Strafgerichtsbarkeit bereits im Ansatz gefestigten völkerrechtlichen Prinzipien. Das kann auch deshalb gar nicht anders sein, weil die Ausübung einer Strafgerichtsbarkeit in den Kernbereich nationaler Hoheitsgewalt eingreift. Internationale Strafgerichtsbarkeit gerät daher von vornherein in Konflikt mit dem Grundsatz staatlicher Souveränität. Ausgeübt wird sie gegenwärtig in rudimentären Formen (auf internationaler Ebene) vor allem durch die beiden Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda mit weitreichenden Auswirkungen auf das Prinzip der staatlichen Souveränität. Daneben gibt es den (bereits fortgeschrittenen )Versuch, einen ständigen Strafgerichtshof aufzubauen sowie zahlreiche unterstützende Initiativen (wozu im weiteren Sinne auch die Tribunalsbewegung mit ihren "unabhängigen Tribunalen" gezählt werden muß)

 

IV.

Internationale Strafjustiz gibt es vom Begriff her nicht nur auf der Ebene internationaler Gerichte, sondern kann auch durch nationale Gerichte ausgeübt werden. Eine schmale völkerrechtliche Grundlage liegt in dem sog. Weltrechtsprinzip. Danach gibt es eine tatbestandlich eng begrenzte Gültigkeit bspw. des deutschen Strafrechts für Taten, die im Ausland begangen wurden, unabhängig vom Recht des Tatorts. Dieses Weltrechtsprinzip hat in § 6 des deutschen StGB seinen Niederschlag gefunden. Weltrechtsgeltung hat danach das Verbrechen des Völkermords. Völkerrechtliche Rechtsgrundlage hierfür ist die Genozid-Konvention vom 9.12.1948 (und gilt nur für die Vertragsstaaten)

Der § 6 des StGB ist die einzige legitime (d.h. allgemein anerkannte) Rechtsgrundlage für die Ausübung einer internationalen Jurisdiktion(national wie international) und berechtigt ausschließlich zur Strafverfolgung von Auslandstaten im Fall von Völkermord. (soweit es um die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen geht und damit um das hier interessierende Thema der strafrechtlicher Bewältigung von Krieg und Kriegsfolgen. Daneben gibt es natürlich aufgrund zahlreicher internationaler Abkommen internationale Zuständigkeiten in der Bekämpfung gemeiner Kriminalität, wie etwa länderübegreifender Computerkriminalität u.ä.)

Die Legitimität internationaler Verfolgung von Völkermord kann unter humanitären und politischen Gesichtspunkten natürlich von erheblicher Bedeutung sein. Für den Aufbau und die Ausübung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit hat dies jedoch bereits von der Quantität her allenfalls marginale Bedeutung. Um darauf die ausufernde internationale Strafverfolgungskompetenz zu stützen, muß der Tatbestand des Völkermords parallel zu der inflationären Verwendung als politischer Kampfbegriff gedehnt werden. Zusätzlich wird durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die tatbestandliche Begrenzung dadurch unterlaufen, indem eine sog. Annexkompetenz begründet wird. Danach werden auch "einfache" Tötungsdelikte tatbestandlich mitumfasst, sofern sie in einem mutmaßlichen tateinheitlichen Zusammenhang mit dem Völkermord stehen (also auch dann, wenn sich der Vorwurf des Völkermords nicht bestätigt)

Auf der Ebene nationaler Gerichte kam in jüngster Zeit vor allem dem Verfahren gegen Pinochet Bedeutung zu. Bereits in der Durchführung des Verfahrens (mit Amnesty International als Partei!) liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht und Mißachtung staatlicher Souveränität. Nach Art. 2 Nr. 1 der UN-Charta beruht die Organisation der Vereinten Nationen auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder. Aus dem Prinzip der souveränen Staatengleichheit folgt der Grundsatz der Staatenimmunität. Danach darf kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen.(weshalb Chile zu Recht gegen das Verfahren und die Festnahme Pinochets protestiert hat) Immunität genießen danach uneingeschränkt Staatsoberhäupter. Für Pinochet war die Immunität als ehemaliges Staatsoberhaupt beschränkt auf den Schutz staatlichen Handelns. Eine Immunitätsausnahme käme grundsätzlich nur bei Völkermord in Betracht, wobei die Strafverfolgungskompetenz auch dann nur subsidiär (und nicht etwa vorrangig vor dem chilenischen Staat) wäre. Das Verfahren gegen Pinochet steht damit im gleichen Kontext, wie die oben erwähnte deutsche (internationale) Strafgerichtsbarkeit, mit dem Ziel den staatlichen Immunitätsschutz systematisch zurückzudrängen. D.h., das mit Pinochet befasste Gericht hätte entweder die sofortige Freilassung verfügen müssen oder mußte den Ausnahmekatalog des Immunitätsschutzes erweitern. Das maßgebliche zweite Urteil v. 24.3.99 ist zwar nicht ganz so weitgehend ausgefallen, wie sich das einige, insbesondere diverse Menschenrechtsorganisationen, gewünscht hätten, bestätigt aber die Immunitätseinschränkung jedoch zumindest im Hinblick auf Folter. (die spätere Freilassung und erlaubte Ausreise von Pinochet beruht nur noch auf verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten - hier: Verhandlungsunfähigkeit)

Über solche Einbrüche in den Immunitätsschutz im Fall ehemaliger Staatsoberhäupter ist es kein weiter Schritt mehr bis zu dem Versuch, das Souveränitätsprinzip vollständig zu liquidieren und den Immunitätsschutz sogar für amtierende Staatsoberhäupter ganz zu beseitigen, so geschehen mit der am 22.5.1999 erhobenen Anklage gegen Milosevic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, also gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt.

Das Verfahren gegen Pinochet war noch beschränkt auf die Verfolgung solcher Taten, die eine gewisse "Auslandsberührung" hatten, bei denen also Ausländer die Opfer waren. Bei der Anklage gegen Milosevic dagegen geht es um hoheitliches Handeln auf eigenem Hoheitsgebiet auch ohne jede Berührung mit dem Ausland

Mit der Errichtung der internationalen Strafgerichtshöfe erfolgt eine Umkehrung des Prinzips der ausnahmsweisen Außerkraftsetzung der Immunität staatlichen Handelns zum Zwecke der Strafverfolgung in das Prinzip der Strafverfolgung von staatlichem Handeln als eigentlichem Zweck.

Das Verfahren gegen Pinochet befasste sich noch überwiegend mit Fragen der internationalen Zuständigkeit im Zusammenhang der Strafverfolgungskompetenz und der Reichweite staatlichen Immunitätsschutzes. In dem Verfahren (das der Vorbereitung von Auslieferungsverfahren diente) wurden die Grenzen möglicher Strafverfolgung sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch tatbestandsbezogen noch relativ eng gezogen. In den Verfahren vor den internationalen Strafgerichtshöfen spielen Zuständigkeitsfragen oder Fragen der eigenen Strafverfolgungskompetenz keine Rolle mehr. Die Zuständigkeit liegt in der Existenz und staatliche Souveränitätsrechte treten ohne jede juristische Diskussion zurück.

Es ist nicht erkennbar, daß die völkerrechtliche Legitimation für die Errichtung der Tribunale irgendwo ernsthaft begründet worden wäre. An die Stelle tritt die Fiktion, daß bereits die allgemeine Ächtung sog. Völkerrechtsverbrechen ausreichende Legitimation wäre. Auch hier wird wieder an erster Stelle die Völkermordkonvention herangezogen. Diese Konvention schafft wie oben bereits ausgeführt eine mögliche subsidiäre internationale Zuständigkeit in einem eng begrenzten Bereich. Weder diese noch andere Konventionen schaffen eine Rechtsgrundlage für die Errichtung internationaler Strafgerichte. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermord v. 9.12.48. selbst. Zwar heißt es in Art IV der Konvention,

"Personen, die Völkermord oder eine der sonstigen in Art III aufgeführten Handlungen begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind."

Damit wird zum einen Bezug genommen auf die begrenzten Tatbestände des Art III (ausschließlich Völkermord in verschiedenen Begehungsweisen), über die der Strafkatalog der internationalen Tribunale für Jugoslawien und Ruanda weit hinausgeht. Vor allem folgt aber aus Art. VI der Konvention, daß solcherart beschuldigten Personen

"vor ein zuständiges Gericht des Staates, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist, oder vor ein internationales Gericht gestellt (werden), das für die Vertragsschließenden Parteien, die seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben, zuständig ist."

Deutlicher kann der nationale Souveränitätsvorbehalt nicht ausgedrückt werden.

Daraus eine völkerrechtliche Legitimationsgrundlage abzuleiten, kann wie Denninger formuliert " nur Erstaunen, ja Befremden auslösen." In der völkerrechtlichen Literatur begegnet man daher gelegentlich dem Phänomen, daß auch glühende Verfechter der internationalen Straftribunale (wie auch der "humanitären Intervention") die Legitimation nach bisher gültigen Rechtsnormen erst gar nicht behaupten, sondern wie Kreß (Referent des Völkerrechtsreferats im Bundesjustizministeriums) z.B. feststellen, daß "die internationalen Strafrichter die tradierte Völkerrechtssicht jedoch hinter sich gelassen (haben)". Bemerkenswert ist dann allerdings, daß nach dieser Rechtsauffassung die Judikatur des Tribunals selbst nicht unerheblich zur eigenen Legitimationsgrundlage beigetragen haben soll Kreß nennt dies dann "Wandel im Völkerrecht".

Neben der Legitimation der Gerichtsbarkeit im ganzen stellen sich noch die Fragen nach den normativen Voraussetzungen der Strafbarkeit und ihrer verfahrensmäßigen Durchsetzung. Tatbestandliche Voraussetzung für die Strafbarkeit sind weder "die Menschenrechte" noch "die Menschenrechtsverletzungen" Als völkerrechtliche Eingriffsvoraussetzung sind sie nach dem Urteil eines renommierten Völkerrechtlers "zu diffus, zu aufgebläht, zu heterogen, zu verschiedengewichtig, zu umstritten." Dies dürfte die überwiegende Meinung widerspiegeln. Damit sollen weder die Bemühungen um die internationale Ächtung und Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen schlechtgeredet noch sollen die damit zum Ausdruck gekommen Fortschritte in zahlreichen internationalen Abkommen geleugnet werden. Doch darf dies nicht dazu verleiten, zwei wesentliche Umstände zu übersehen. Zum einen kann nicht übersehen werden, daß es weltweit schon vom Ansatz her ein unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten gibt und die Vertragsentwicklung nicht für alle Staaten gleichermaßen gilt. Auf die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 konnte bspw. das damalige noch weitgehend kolonialisierte Afrika kaum Einfluß nehmen, und viele afrikanische Länder sind nachfolgenden internationalen Abkommen nur zögernd beigetreten. 1986 ist dann die "Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker" in Kraft getreten, die von einem eigenen Menscherechtsverständnis geprägt ist. Zum anderen dürfen auch echte Fortschritte in der weltweiten Bekämpfung schwerer Menschenrechtsverletzungen auf der Basis von Abkommen nicht verwechselt werden mit der definitorischen und normativen Ausarbeitung international anerkannter strafbewehrter Verletzungstatbestände. Für Nichtjuristen etwas verständlicher ausgedrückt heißt das, vertraglich ausgehandelte Menschenrechtsstandards können nicht einfach in Strafnormen umgedeutet und zur Aburteilung herangezogen werden. Es ist deshalb schon erstaunlich, auf welche politische Akzeptanz in demokratischen Staaten die Praxis einer internationalen Strafgerichtsbarkeit stößt, die auf der normativen Grundlage diffuser "Völkerrechtsverbrechen" beruht, ohne daß die maßgeblichen Strafnormen in einem dem demokratischen Gesetzgebungsverfahren vergleichbaren Verfahren kodifiziert worden wären.

Die Strafbestimmungen des Jugoslawientribunals lauten:

- Art. 2: Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949

- Art. 3: Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges

- Art. 4: Völkermord

- Art. 5: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Die normativen und definitorischen Voraussetzungen der Strafbarkeit sind danach so unbestimmt, daß das Tribunal in jedem Fall die Grundlage der Strafbarkeit jeweils selbst bestimmen und nahezu jedes mutmaßliche Delikt erfassen kann. Bspw. führt das Tribunal mehrere Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung durch. Wäspi (Ankläger vor dem Jugoslawientribunal) zeigt sich erleichtert, daß die Urteile von Arusha und Den Haag "(nun) belegen, daß sexuelle Gewalt jeder Art ... als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Kriegsverbrechen und als andere schwere Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges gilt. Es sind also die Urteile des Gerichts, die die Straftatbestände nach einer verwaschenen Vorlage selbst schaffen. Eine Justiz, die sich die strafrechtlichen Verfolgungstatbestände selbst schafft, ist dann auch "souverän" genug zu entscheiden, welche Fälle sie zu verfolgen gedenkt. Damit fällt das gleiche Delikt nach demselben Tatbestand, begangen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens (also im selbst zugeschriebenen Zuständigkeitsbereich des Tribunals), mal unter die Strafbarkeit des Tribunals und mal nicht. Z.B. haben Soldaten der 82. Luftlandedivision der amerikanischen Armee im Rahmen ihres Einsatzes in der "Kosovo-Friedenstruppe" Zivilisten mißhandelt und geschlagen und mindestens ein 11-jähriges albanisches Mädchen nach vorangegangener Vergewaltigung ermordet. Nach einer Untersuchung der Armeeführung seinen damit "Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens und die Werte der Armee im respektvollen Umgang mit Dritten zumindest von einigen Soldaten der Division verletzt worden", zit nach FAZ in einem Artikel mit der Überschrift "Fehlverhalten im Kosovo" Selbstverständlich kamen die Beschuldigten wegen dieser "Fehlverhalten" nicht vor das Internationale Tribunal. Soweit bekannt, wurden sie zumindest teilweise nationaler Gerichtsbarkeit unterstellt oder mit Disziplinarstrafen belegt. Ähnlich im Fall niederländischer Blauhelme, gegen die die niederländische Militärkammer ermittelt und das Verfahren gegen die 7 Verdächtige im Dezember 1999 eingestellt hat. Vorgeworfen wurde ihnen 1995 in der UN-Schutzzone in Srebrenica begangene Straftaten, u.a. in neun Fällen das Überfahren von Bosniaken, Verweigerung von medizinischer Hilfeleistung für Verletzte und die Bedrohung von Kindern mit Feuerwaffen. Die Einstellung wurde u.a. damit begründet, daß es sich 1995 in Srebrenica um eine besondere Situation, eine Kriegssituation gehandelt hätte, und aus diesem Grund eine Strafverfolgung "so viele Jahre später nicht mehr am Platz sei."

In den verfahrensmäßigen Voraussetzungen zur Durchsetzung der eigenen Gerichtsbarkeit unterscheiden sich die internationalen Gerichte von nationalen vor allem dadurch, daß sie über keinen eigenen (Gewalt-)apparat verfügen, der zu hoheitlichem Handeln ermächtigt wäre. Vielmehr muß die Durchführung des Verfahrens inkl. der Festnahme der Beschuldigten oder Angeklagten bis hin zur evtl. Vollstreckung von Urteilen sowie die überwiegende Ermittlungstätigkeit, also das Auffinden und Sammeln von Beweismitteln, auf dem Hoheitsgebiet des Staates durchgeführt werden, dessen staatliches Handeln zur Verurteilung ansteht. Das bedeutet, das gesamte Verfahren kann nur in einer permanenten Verletzung der territorialen Integrität des angeklagten Staates durchgesetzt werden. (Militärische) Gewalt und die völkerrechtlich verbotene Verschleppung sind daher die vorherrschenden Fahndungsmethoden.

Bspw. konnte der ehemalige Bürgermeister von Vukovar, Slavko Dokmanovic nur festgenommen werden, indem ein Ermittler des Jugoslawientribunals Vertrauen zu ihm erschlichen hatte und ihn (angeblich) auf UN-verwaltetes Gebiet locken konnte. Dokmanovic machte in seiner Verteidigung u.a geltend, die Ermittler hätten ihn angelogen und gekidnappt, und es sei die Souveränität Jugoslawiens verletzt worden. Eine gewaltsame Festnahme, die ohne Zustimmung des Inhabers der Gebietshoheit erfolgt, stellt grundsätzlich eine Verletzung der territorialen Integrität des betroffenen Staates dar und kann ein Strafverfahrenshindernis nach sich ziehen. Die Einwände des mutmaßlichen Täters wurden jedoch nicht berücksichtigt. Das Verfahren endete dann mit dem Selbstmord des Angeklagten.

Daneben wird neuerdings eine List in die Fahndungsmethoden eingeführt, die darin besteht, daß die (eigentlich öffentlichen) Anklagen geheimgehalten werden. Kurze Zeit nach der Verhaftung von Dokmanovic wurde der Polizeichef von Prijedor, dessen Anklage nicht veröffentlicht wurde, bei seiner Verhaftung durch die Sfor erschossen.

Anfang Oktober 2000 wurde der vom Kriegsverbrechertribunal gesuchte bosnische Serbe Janko Janjic bei dem Versuch seiner Festnahme durch deutsche Sfor-Truppen in Foca getötet. Nach Nato Angaben soll er bei der Festnahme eine Handgranate gezündet haben.

Die zwangsweise Durchsetzung der internationalen Strafgerichtsbarkeit gleicht in der Absicht und den Methoden der systematischen Souveränitätsverletzung der humanitären Intervention. Außerhalb des Zusammenhangs einer "humanitären Intervention" ist die Völkerrechtswidrigkeit der oben skizzierten Fahndungsmethoden unbestritten. Dies geht soweit, daß selbst die Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst auch unter Berücksichtigung der allgemein unerwünschten Folge, daß dessen Taten zu Lebzeiten ungesühnt geblieben wären, eine unerlaubte Verletzung der Gebietshoheit darstellt.

 

V.

Die Nähe von humanitärer Intervention und der internationalen Strafgerichtsbarkeit macht verständlich, daß für beide um die gleiche Ermächtigungsgrundlage gerungen wird. Im traditionellen Völkerrecht ist diese nicht vorhanden. Zur Klarstellung soll an dieser Stelle nochmals darauf verwiesen werden, daß internationale Konventionen zum Schutz von Menschenrechten wie die Völkermordkonvention oder die Folterkonvention zwar wechselseitige Staatenverpflichtungen begründen, aber keine Interventionsermächtigungen . Denninger warnt daher ausdrücklich vor dem ebenso naiven wie gefährlichen Ruf nach dem Strafrichter und verweist in diesem Zusammenhang auf die Helsinki Schlußakte.

In der Helsinki-Schlußakte vom 1.8.1975 die sowohl für die Bundesrepublik Deutschland wie für Jugoslawien gilt, haben sich die Teilnehmerstaaten wechselseitig verpflichtet, sie werden sich

"jeder direkten oder indirekten, individuellen oder kollektiven Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten enthalten. Sie werden sich dementsprechend jeder Form der bewaffneten Intervention oder der Androhung einer solchen Intervention gegen einen anderen Teilnehmerstaat enthalten." (Korb 1 Kapitel VI der Akte)

Die Befürworter des internationalen Strafrichters setzen daher auf den Wandel des Völkerrechts, der nicht zuletzt durch die ständige Mißachtung traditionellen Völkerrechts herbeigeführt werden soll oder nach einer Mindermeinung bereits herbeigeführt wurde. Zentrale Bedeutung kommt dabei insbesondere der humanitären Nato-Intervention in Jugoslawien zu. "Über die erhebliche Tragweite des Nato-Einsatzes kann in der Tat kein Zweifel bestehen" (Kreß) Für Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 19.4.1999, "ein Gründungsakt für ein Europa der Menschen und der Menschenrechte" Trotz dieser zentralen Bedeutung sieht Kreß den Nato-Einsatz nicht isoliert, "sondern läßt sich vielmehr in einen direkten Bezug setzen zu einer Reihe neuerer völkerrechtlichen Entwicklungstrends" und meint damit vor allem die internationale Strafgerichtsbarkeit (Kreß). "In der Gesamtschau ergibt sich das Bild einer Gewichtsverschiebung zwischen völkerrechtlichem Staats- und Individualschutz." (Kreß) Nach traditionellem (und das heißt geltendem Völkerrecht) handelt es sich bei der Nato Intervention um einen Angriffskrieg, ein Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN- Charta und einschließlich aller Folgemaßnahmen um schwere Verstöße gegen die nationale Souveränität und territoriale Integrität Jugoslawiens. Das bemerkenswerte an der im Völkerrrechtsreferat des Bundesjustizministerums vertretenen Auffassung ist, daß dies wohl erkannt wird, es aber gleichwohl nicht darauf ankommt. "Unabhängig von den Divergenzen bei der Beurteilung des zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechts", geht es Kreß alleine um die "Völkerrechtsentwicklung" (Kreß), die durch das Ereignis weitere Schubkraft erhält. Mit der oben erwähnten Verschiebung vom völkerrechtlichen Staats- und Individualschutz ist die Aushöhlung staatlicher Souveränität (und des durch sie begründeten Immunitätsschutzes) gemeint. "Kein Folterknecht solle sich künftig mehr hinter den Zäunen der Souveränität verstecken können" , kommentierte Däubler-Gmelin die Fortschritte beim Aufbau der Internationalen Strafgerichtshofs INtStrGH . Bei der Aufnahme eines vom Jugoslawientribunals Verurteilten in einer bayerischen Haftanstalt drückte sich die Bundesjustizministerin bereits ähnlich aus, " Schreibtischtäter und Folterknechte sollen sich nirgendwo mehr sicher fühlen."

Mit dem Vordringen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit wird auch durch Bemerkungen wie die der Bundejustizministerin eine Verrechtlichung bei der internationalen Konfliktbewältigung suggeriert, was gleichbedeutend sei soll mit dem Vordringen von Rechtsstaatlichkeit. " Die Tribunale bringen Rechtsstaatlichkeit zurück nach Ruanda und auf den Balkan", so Wäspi Allerdings handelt es sich bei der Rechtsstaatlichkeit, wie der Begriff selbst zum Ausdruck bringt, um die innere Verfasstheit eines Staates. Institutionell wie auch in seinen tragenden Grundsätzen kann der Rechtsstaat nicht über die nationalen bzw. staatlichen Grenzen hinaus ausgedehnt werden, weil es dafür an einer legitimierten staatlichen Hoheitsgewalt mangelt. Der Begriff läßt sich daher vom Wesen her nicht auf die Beziehungen zwischen Staaten anwenden. Gewaltverhältnisse zwischen Staaten können nur unmittelbar auf Unterwerfung beruhen, ein Umstand der zeigt, wie sehr sich Nato-Intervention und Internationale Strafgerichtsbarkeit für den Wandel des Völkerrechts gegenseitig bedingen und durchdringen. Natosoldaten sind das notwendige Vollzugs- und Vollstreckungspersonal des Tribunals. Instruktiv ist der Brief v. 6.4.99 der Präsidentin des Haager Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien noch während des Krieges an die Außenminister der Nato-Staaten. Der Brief enthält einen Appell "an alle Nato-Mitgliedstaaten, mit der Lieferung von Beweismaterial über im Kosovo begangene Verbrechen dem Strafgerichtshof zu helfen" Die Jurisdiktion des Haager Tribunals ist damit im Kern nichts anderes, als die Fortsetzung des Krieges mit militärischen Mitteln.

Das Völkerrecht ist anders als innerstaaliches Recht informeller und mehr abhängig von der Staatenpraxis. Dies ist der Ansatz für die Befürworter der humanitären Intervention auf die normändernde Wirkung u.a. der Nato-Intervention in Jugoslawien selbst sowie der Judikatur der internationalen Strafgerichte zu setzen. Die Völkerrechtswissenschaft geht dagegen ganz überwiegend nicht davon aus, daß für die Nato-Intervention eine anerkannte Rechtsgrundlage bestanden hätte, sondern jedenfalls nach Inkrafttreten der UN-Charta die "humanitäre Intervention" völkerrechtswidrig ist. Selbst Kreß u.a., die einen weitgehenden Wandel im Völkerrecht konstatieren wollen, behaupten dies nicht, sondern sprechen lediglich von neueren Entwicklungstendenzen im Völkerrecht. Zu beachten ist, daß die hier betroffenen Völkerrechtsgrundsätze nicht auf Gewohnheitsrecht beruhen, sondern in der UN-Charta eindeutig niedergelegt sind, so daß selbst eine geänderte Staatenpraxis alleine hier keinen raschen Wandel des Völkerrechts herbeiführen könnte. Ausdrücklich als unzutreffend weist Deiseroth die gelegentlich im völkerrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung zurück, daß seit Anfang der 90er Jahre ein Wandel durch eine geänderte Staatenpraxis eingetreten sei. Für ein geändertes Völkergewohnheitsrechts, das die humanitäre Intervention erlauben würde, fehlt es nach überwiegender Auffassung an der hierfür erforderlichen dauerhaften, einheitlichen und allgemein verbreitenden Staatenpraxis (allgemeinen Übung) sowie der gemeinsamen Rechtsüberzeugung. (opinio juris) Letzters zeigen alleine die kritischen Reaktionen in den Stellungnahmen der Regierungen von Rußland, China, Indien, Südafrika und vieler weiterer UN-Mitgliedsstaaten auf die "humanitäre Intervention" der Nato, auf die Deiseroth zu Recht hinweist. Damit besteht für die Intervention eindeutig keine gewohnheitsrechtliche Rechtfertigung. Neben einem Verstoß gegen die UN-Charta verstieß die Intervention gegen völkerrechtlichen Verträge.(wie z.B. im Fall Deutschlands dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und innerstaatliches (Verfassungs-) Recht.

 

VI.

Deiseroth behandelt im obigen Zusammenhang unmittelbar nur die "humanitäre Intervention" ohne UN-Mandat. Dennoch wurde die Rechtswidrigkeit des Krieges in der öffentlichen Debatte (nicht in der völkerrechtlichen Fachdiskussion) teilweise zu sehr auf diesen Aspekt verengt, als wäre das UN-Mandat zu haben wie eine Eintrittskarte für eine Theatervorstellung. Die Nato hat sich um ein Mandat für die Intervention nicht ernsthaft bemüht, zum einen, weil sie es nicht bekommen hätte und zum anderen, weil sie den absichtsvollen Rechtsbruch wollte, genau in dem Sinne, daß damit ein Bruch des alten Rechts herbeigeführt werden sollte, wobei mit altem Recht die geltende auf der souveränen Gleichheit der Staaten beruhende Völkerrechtsordnung gemeint ist. Sie wollte sich mit dem fehlenden Mandat nicht nur unabhängig machen von dem Sicherheitsrat, sondern damit in das kollektive Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen einbrechen, das eine "humanitäre Intervention" nicht vorsieht.

Tatsächlich wurde der Krieg kaum ernsthaft rechtlich begründet im Sinne einer normativen Rechtfertigung, sondern überwiegend moralisch unter Berufung auf eine höhere Ethik. "Der Krieg gegen Jugoslawien müßte nicht im Namen der Moral geführt werden, wenn er im Namen des Rechts geführt werden könnte", so treffend Zuck .

Der gewollte Rechtsbruch unter Berufung auf die Moral und das gleichzeitig behauptete Vordringen von Rechtsstaatlichkeit, vor allem auch durch die Ausweitung der Internationalen Strafgerichtsbarkeit, scheint zunächst widersprüchlich. Im aktuell von der CDU losgetretenen Streit um die Vergangenheit des Bundesaußenministers Fischer entwickelt die Oppositionsführerin Angela Merkel Argumentationsmuster, wonach die Auflehnung der 68er am Beispiel der Putzgruppe deshalb verwerflich war, weil sie sich gegen den Rechtsstaat richtete. Merkel löst sich damit von dem überkommenen Verständnis des Rechtsstaats im Sinne einer Bindung des Staates und seiner Organe an Recht und Gesetz. Joseph Fischer erhält damit noch einmal unerwartet die Weihe als ehemaliger Straßenkämpfer aus der Frankfurter Spontiszene mit der Aura des outlaws und des für eine gerechtere Welt kämpfenden Rebellen. In dieser eigentümlichen Dialektik treffen sich die Kontrahenten in der Politik und Ethik des Krieges. Joschka Fischer schreitet vom kontrollierten Rechtsbruch im Frankfurter Häuserkampf zur militärischen Herausforderung einer tradierten völkerrechtlichen Friedensordnung.

Die Berufung auf den Wandel des Völkerrechts selbst schafft noch keine Rechtsgrundlage. Zutreffend weist Zuck darauf hin, daß wer den Bruch herbeiführt (gemeint ist die Nato-Intervention), mit demselben Risiko lebt, wie die Revolution. "Sie muß gelingen, und die neue Ordnung muß anerkannt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Rechtsbruch lediglich ein Versuch zur Schaffung einer neuen (Rechts-)Ordnung. Legitimierende Kraft kommt ihm vor Erreichung seines Ziels nicht zu."

Der Krieg wurde getragen von einem breiten Konsens aller im Bundestag vertretenen Parteien außer der PDS, mitgetragen aber vor allem von einer moralisierende Linken, die in der Idee der universellen Geltung der (individuellen) Menschenrechte in einer neuzuschaffenden Weltordnung ihre Visionen vom gerechten Weltstaat wiedererkannte und sich als besonders mobilisierende Kraft erwies. Der Außenminister" schreibt Mark Siemons am 31.5.99 in der FAZ, "knüpfte an die politischen Bildungserlebnisse seiner Generation an und umschrieb die eigene Position als Guerilla-Moral, so als wäre die Nato eine Art internationale Brigade. Hier wie dort gilt die Ethik revolutionärer Gewalt. Das geltende Recht wird gebrochen unter Berufung auf einen künftigen, erst noch zu schaffenden Rechtszustand - im Falle der Nato eines von ‘westlichen Werten’ geprägten Weltstaats unter Führung Amerikas, der zur Ahndung internationalen Delikte in der Lage ist."

Die Divergenz zwischen Moralisierung einerseits und Verrechtlichung andererseits versucht etwa Habermas darüber aufzulösen, daß über die angestrebte Etablierung eines weltbürgerlichen Zustands Menschenrechtsverletzungen nicht mehr unter moralischen Gesichtspunkten beurteilt und bekämpft, sondern wie kriminelle Delikte "innerhalb einer staatlichen Ordnung" geahndet werden könnten. Dieser innerstaatlichen Weltordnung steht allerdings (noch) die souveräne Staatengleichheit als ordnendes Prinzip einer völkerrechtlichen Weltordnung entgegen. Deshalb mein Habermas, aus westlicher Sicht, könnte "der Kosovo-Krieg einen Sprung auf dem Weg des klassischen Völkerrechts der Staaten zum kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft bedeuten"

Die gewaltsame Beseitigung dieser Ordnung mit militärischen Aktionen (gemeinhin Krieg genannt) bleibt einstweilen nur einer moralischen Begründung zugänglich. Hier interessiert bewußt nicht die moralische Gewichtung der Opfer des Krieges oder eine moralische Abwägung irgendeiner Art. Auf dieser Ebene wurden bereits genügend qualvolle Debatten (vor-)geführt oder quälenden moralische Selbstzerfleischungen öffentlich inszeniert. Mir erscheint die Kategorie moralisch auf einen Krieg angewandt einfach nur anstößig. Es hat etwas von der gleichen Unwirklichkeit wie die zelebrierte Würde bei einer staatlichen Hinrichtung. Hier interessiert alleine der systematische Zusammenhang von Moral und Rechtsbruch.

Unter den Bedingungen eines seiner Ansicht nach nur schwach institutionalisierten Menschenrechtsschutzes kommt Habermas zu einer Art Grenzüberschreitung (oder -verwischung) von Recht und Moral. Diese Grenzüberschreitung ist aber nichts anderes als der bei anderen Autoren ebenfalls proklamierte Vorgriff auf eine zukünftige Rechtsordnung. Aus dem Widerspruch zwischen derzeitgem und zukünftigem Recht kommt Habermas zu einem gegenwärtigen Recht, das im Hinblick auf das anzustrebende zukünftige Recht mangelhaft ist (und sich etwa in mutmaßlichen Defiziten beim Menschenrechtsschutz ausdrückt) Auch das ist nicht besonders originell, sondern lag bereits der unerträglichen Rhetorik von Fischer und Scharping zugrunde. Dann allerdings verkehrt Habermas die Grenzüberschreitung von Recht und Moral in einer dialektischen Wendung in eine Art Doppelcharakter des Rechts. Da das gegenwärtige Völkerrecht und seine institutionelle Verfassung den Natokrieg gegen Jugoslawien nicht autorisieren kann (oder wie Habermas sagt, "der Sicherheitsrat blockiert ist"), "kann sich die Nato nur auf die moralische Geltung des Völkerrechts berufen". Mit dieser Rechtsphilosophie läßt sich allerdings recht zwanglos jede Art von Selbstjustiz rechtfertigen.

Die Divergenz zwischen Moralisierung und Verrechtlichung scheint für einige wenigstens teilweise aufgehoben durch die Etablierung einer Gerichtsbarkeit zur Aburteilung völkerrechtlicher Verbrechen. Allerdings wäre damit die grundsätzliche Zielsetzung dieser Art Gerichtsbarkeit verkannt. Das Haager Kriegsverbrechertribunal ist ja nicht dazu da, das Verhalten sämtlicher Beteiligter einer Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterwerfen, sondern dazu, den Kriegsgegner abzuurteilen. Sicher werden einige im Sinne Habermas eine Institutionalisierung von Menschenrechtsschutz darin erblicken. Doch steht diese Gerichtsbarkeit selbst so sehr an der Nahtstelle des Rechtsbruchs, dem sie nicht nur ihre Existenz verdankt, daß sie als Fortsetzung der "humanitären Intervention" diese nicht verrechtlicht, sondern das Schicksal der Rechtlosigkeit mit ihr teilt. Mit einem wirklichen Gericht hat es nur die lose Form gemein. Juristisch ist es eine inhaltsleere Attrappe mit einer selbstgeschaffenen Strafverfolgungskompetenz gegenüber dem bezwungenen Feind. Zwar wird man darin einen weiteren Schritt in der "Transformation des Völkerrechts in das Recht der Weltbürger" im Habermaschen Sinne sehen können. In das Bild einer innerstaatlichen Rechtsordnung übertragen, hat das Haager Tribunal allerdings soviel Legitimität wie etwa die Volksgerichte der Roten Brigaden.

Das Bild von der Blockade des Sicherheitsrats, das Habermas benutzt, legt nahe -allerdings ohne jeden Versuch eines Nachweises- , daß ein Eingreifen durch den Sicherheitsrat eigentlich geboten gewesen wäre, aber entweder an formalen Voraussetzungen oder im Hinblick auf substantielle Rechtsdefizite gescheitert sei. Beides ist jedoch eindeutig nicht der Fall. Die Eingriffsvoraussetzungen für Maßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta (Zwangsmaßnahmen) lagen nicht vor. Es lag keine Angriffshandlung seitens Jugoslawiens vor und der Weltfrieden war weder gebrochen noch bedroht. Eine entsprechende Feststellung des Sicherheitsrat nach Art 39 UN-Charta hätte gar nicht getroffen werden dürfen.

Umgekehrt - und das wird in der öffentlichen Diskussion um die Rechtfertigung des Natokrieges dezent übergangen - lag mit dem Beginn der Natobombardierung Jugoslawiens eine Angriffshandlung vor, die auch geeignet war, den Weltfrieden zu bedrohen. Hier hätte der Sicherheitsrat eigentlich eingreifen müssen.

Bei diesem Tatbestand läßt sich die "Blockade" des Sicherheitsrats nur auf dessen fehlende Eingriffsvoraussetzungen beziehen. Die UN-Charta hat aber bei dem angeordneten Gewaltverbot den Menschenrechtsschutz keineswegs übersehen, worauf Tönnies völlig zutreffend und unter völkerrechtlicher Sicht auch eigentlich nicht bestreitbar hinweist. Die UN-Charta hat der Friedenssicherung bewußt den Vorrang gegeben und den Menschenrechtsschutz als Eingriffsvoraussetzung oder als Ausnahme von dem Gewaltverbot bewußt ausgeschlossen.

Diese Sicht wird auch bestätigt durch die historische Entwicklung der Kriegsverhütung bzw. Eindämmung. Mit dem westfälischen Frieden bis nach Ende des 1. Weltkrieges 1918, in der Epoche des klassischen Völkerrechts, war der Krieg als Mittel der nationalen Politik bzw. das Recht zum Krieg noch unangetastet. Er wurde aber auf eine rationale Grundlage gestellt und war an das Souveränitätsrecht des Staates gebunden. Die naturrechtliche Idee des gerechten Krieges war in Grenzen (zunächst nur unter christlichen Staaten) bereits verbannt und die "humanitäre Intervention" verboten. Gegen Ende dieser Epoche gab es mit den Haager Friedenskonferenzen erkennbare Anstrengungen mit der Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit und der Haager Landkriegsordnung zur Kriegsvermeidung und Eindämmung der Kriegsfolgen. Aber erst nach dem 1. Weltkrieg entwickelt sich das moderne Völkerrecht über verschiedene Stufen des vertraglichen Kriegsverbots (bspw. des Briand-Kellogg-Pakts von 1929) bis zur vollständigen Ächtung des Krieges als Menschheitsverbrechen und dem umfassenden zwischenstaatlichen Gewaltverbot, wie es sich in der UN-Charta niedergeschlagen hat.

Es ist dieser völkerrechtlich erreichte Entwicklungsstand, der mit dem Jugoslawienkrieg der Nato auf dem Spiel steht. Der Bestand dieser Völkerrechtsordnung ist nicht bedroht in erster Linie mit deren partiellen Verletzung. Jede Rechtsordnung muß mit Verstößen gegen ihre Ordnung, mit Rechtsverletzungen leben. Dies gilt auch für die Völkerrechtsordnung, die jedoch weitaus stärker noch vom Konsens getragen ist. Mit jeder Stufe der fortschreitenden Ächtung des Krieges gab es weiterhin Kriege und haben sich die Staaten Vorbehalte zugunsten ihrer Interessenswahrung offengehalten. Gleichzeitig brachte es aber denjenigen, der gegen das Kriegsverbot verstieß in immer größere Bedrängnis, den Rechtsverstoß zu begründen oder zu rechtfertigen. An Rechtfertigungsversuchen mangelte es nie, aber in der Regel waren unter dem Legitimationsdruck die Völkerrechtler eifrig bemüht, den Einklang des Handelns ihrer Regierungen mit dem geltenden Recht zu begründen. Im Falle des Natokrieges ist auffällig, daß nahezu die gesamte Völkerrechtswissenschaft, die Intervention für rechtswidrig hält und eine "humanitäre Intervention" grundsätzlich für rechtlich nicht gegeben hält. Die Rechtfertigung der Intervention kommt aus der Politik selbst und einem öffentlichen Diskurs, der sich weitgehend außerhalb des Völkerrechts und der Völkerrechtswissenschaft bewegt. Die Rechtfertigung aus dieser Richtung bemüht sich aber auffallend nicht darum, den Krieg als rechtmäßig zu begründen. Es wird nicht der Einklang mit geltendem Recht behauptet, sondern der Bruch des geltenden Rechts gefordert.

Ich verweise in diesem Zusammenhang nochmals auf den bereits zitierten Aufsatz von Tönnies, weil diese überzeugend und m.E. erschöpfend darlegt, daß die UN-Charta nicht nur bewußt der Kriegsverhütung den Vorrang einräumt, sondern dies auch zu Recht. Mit der Verletzung der UN-Charta bewegt man sich nicht, so Tönnies, auf einer höheren oder humaneren Stufe gewissermaßen oberhalb des Völkerrechts. Wer die UN-Charta an diesem Punkt unter Berufung auf den Menschenrechtsschutz verletzt, bewegt sich auf einer unzivilisierteren, primitiveren Ebene als das Völkerrecht (und fällt mit der Legitimierung der "humanitären Intervention" noch hinter die Zivilsationsstufe des klassischen Völkerrechts zurück) "Wie im status naturalis stehen sich die Völker wieder wie Wölfe gegenüber."

Inzwischen wurde die Bundeswehr im Rahmen des neuen strategischen Konzepts, das sich die Nato anläßlich des Jugoslawienkriegs und ihres 50jährigen Bestehens gegeben hat, zu einer interventionsfähigen Armee umgerüstet. Damit ist auch und gerade in der Bundesrepublik weit über die unmittelbaren Wirkungen der Natointervention in Jugoslawien hinaus ein gesellschaftlicher Konsens aufgebrochen, der nach anfänglichem heftigen Widerstand gegen die Wiederbewaffnung zuletzt noch in einer gewissen Grundüberzeugung bestand, daß jedenfalls von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Aus seiner Sicht zu Recht mahnt Karl Feldmeyer in einem Leitkommentar der FAZ v. 9.1.2001 fragend an, ob die Botschaft des Jugoslawienkrieges im öffentlichen Bewußtsein überhaupt richtig angekommen ist, daß es sich nämlich "nicht um ein Vorkommnis (handelt), dessen Wiederholung ausgeschlossen ist", sondern "um einen Paradigmenwechsel". Ansonsten "wäre die Umrüstung und Umstrukturierung von einer reinen Verteidigungsarmee in eine interventionsfähige Streitmacht nicht begründbar...Zur Bereitschaft, den eigenen Staat auf seinem Territorium gegen einen Aggressor zu verteidigen," fährt er fort, "muß nun diejenige kommen, notfalls ein anderes Land anzugreifen und das eigene Leben für den Schutz fremder Menschen zu riskieren - und zwar ggf. ohne legitimierenden Beschluß der Vereinten Nationen, so wie es gegen Jugoslawien geschehen ist."

VII.

Das Stichwort von einer Weltinnenpolitik, die den Weltbürger zum Gegenstand hat, ist nur eine ideologisierende Umschreibung für Außenpolitik. Bürgerrechte, die sich in den Prinzipien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der institutionellen Garantie der Menschenrechte niederschlagen, verwandeln sich durch ihre Umkehrung nach außen in ihr Gegenteil. Vom Wesen her begründen sie die auf die Volkssouveränität gegründete staatliche Souveränität und die mit ihr gleichzeitig aus den bürgerlichen Revolutionen hervorgegangene europäische Ordnung souveräner Staaten. Nach außen gekehrt negieren sie die auf der souveränen Staatengleichheit beruhenden völkerrechtliche Weltordnung, die aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und der antikolonialen Befreiung hervorgegangen ist. Die Lösung demokratischer Prinzipen von dem konstituierenden Moment der Volkssouveränität verwandelt sie in Leeformeln zur beliebigen Rechtfertigung westlicher Herrschaftsansprüche und kann und wird auf Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Staaten bleiben, die den Bruch herbeiführen. Einbrüche in diesen Staaten in obige Prinzipien, die auf diesen Prozeß zurückgehen, sind bereits zu verzeichnen.

Die Vorrangstellung der Kriegsverhütung im geltenden Völkerrecht bedeutet nicht, daß das Völkerrecht den Menschenrechtsschutz im weiteren übersehen oder in nicht zu vertretender Weise vernachlässigt hätte. Es ist auffällig, daß in der öffentlichen Debatte über den Menschenrechtsschutz auf das inzwischen existierende komplexe Netz multilateraler Verträge überhaupt nicht verwiesen wird. Zwar hat das öffentliche Bemühen der Menschenrechtsfrage geradezu inflationär zugenommen, aber ebenso auffällig wird der Menschenrechtsschutz als fester Bestandteil der Außenpolitik zugewiesen. Der Menschenrechtsschutz wird damit einseitig aus einer Perspektive betrachtet, aus der die Idee der universellen Geltung der Menschenrechte vorrangig als Recht zur Einmischung in die Angelegenheiten fremder Länder erscheint.

Fischer z.B., der im Juli 1999 bei seinem Brasilienbesuch erstmals Vertreter deutscher Nichtregierungsorganisationen mitnahm, erklärte dort, Menschenrechte seien universell und "werden von uns nicht als Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden."

Diese rein außenpolitische Instrumentalisierung der Menschenrechte geht einher mit einer evidenten Vernachlässigung des institutionalisierten Menschenrechtsschutzes. Dies betrifft beispielhaft den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Arbeit wegen Überlastung substantiell bedroht ist. Der Gerichtshof leidet an einer mangelhaften personellen und technischen Ausstattung. Auf drei Richter kommt eine Sekretärin. Es fehlt an wissenschaftlichen Mitarbeitern, vor allem solchen, die die Rechtssysteme der neuen Mitgliedstaaten kennen. Strukturelle Mängel schlagen sich in der finanziellen Abhängigkeit vom Gesamtbudget des Europarats nieder sowie in der fehlenden Verwaltungsautonomie des Gerichtshofes. Vor allem aber fehlt es an Geld. Die Anzahl der Beschwerden hat in den letzten sieben Jahren um 500% zugenommen, trotzdem fehlt es an dem Geld, um alleine die Effizienz des Computersystems aufrechtzuerhalten. Mehr als 13.000 Verfahren sind noch überhängig. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, der für 15 Staaten zuständig ist und die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts überwacht, erhält dreimal soviel Geld wie der Menschenrechtsgerichtshof, der für (inzwischen) 43 Staaten zuständig ist.

Der Präsident des Straßburger Gerichtshofes Wildhaber warnte deshalb anläßlich des 50 jährigen Jubiläums der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem Appell vor ernsthaften Schwierigkeiten, in der der Gerichtshof geraten würde, wenn es bei der Haltung der großen Geldgeberstaaten (darunter Deutschland) bliebe.

Bei der zum gleichen Anlaß stattfindenden Bundestagsdebatte kam es nur zu einem verlegenen Herumglucksen und folgenlosen Absichtserklärungen. (Der Außenminister sprach von einem großartigen Erfolg) Statt ernsthafter Reformbemühungen und finanzieller Zusagen beließ es Däubler-Gmelin bei der Erklärung, "die Bundesregierung werde alles in ihrer Kraft stehende tun, die Arbeitsfähigkeit des Gerichtshofs zu unterstützen."

Die Bedeutung des Menschenrechtsschutzes durch Abkommen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention liegt in der wechselseitigen Staatenverpflichtung. Gleiches gilt für zahlreiche andere multinationale Abkommen, darunter fundamentale Menschenrechtsabkommen wie die Anti-Folter-Konvention v. 10.12.84. Die Prognose dürfte jedoch nicht allzu gewagt sein, daß sich die Befürchtungen des Präsidenten des Menschenrechtsgerichtshofes Waldhaber bestätigen werden. Angesichts des Menschenrechtsaktivismus vor allem im Zusammenhang mit der Natointervention in Jugoslawien, aber auch beim Aufbau der internationalen Strafgerichtsbarkeit, darf die dauerhafte finanzielle Unterversorgung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof durchaus als absichtsvoll bezeichnet werden. Dieser Gerichtshof wird wohl in die allmähliche Bedeutungslosigkeit überführt werden, sei es, daß er durch offenkundige Überlastung oder durch allmähliches Zurückschneiden seiner Zuständigkeiten effektiven (Menschen-) rechtsschutz nicht mehr gewährleisten kann, so daß das Interesse der Öffentlichkeit allmählich erlahmt.

Der Ausbau eines effektiven Rechtsschutzes auf der Basis wechselseitiger Staatenverpflichtung in multilateralen Abkommen und supranationalen Systemen wäre eine wirkliche Perspektive für die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes. Aus diesen folgt aber vor allem eine Selbstverpflichtung der beteiligten Staaten gegenüber ihren eigenen Bürgern (wie es dem Wesen der Menschenrechte entsprechen würde) Für den Einsatz außenpolitischen Drucks eignen diese Systeme weniger. Hieraus erklärt sich wohl das augenfällige Desinteresse. Wenn Habermas und andere etwa von Defiziten des institutionalisierten Menschenrechtsschutzes reden, dann meinen sie nicht etwa die oben aufgezeigten Mängel. Gemeint ist damit die fehlende rechtliche Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes als Eingriffsbefugnis und Interventionsermächtigung.

Einen ähnlich dramatischen Bedeutungswandel erfährt gegenwärtig das Demokratieprinzip in der Außenpolitik der westlichen Staatengemeinschaft. Die den Wandel in Jugoslawien herbeiführenden Wahlen fanden unter den Bedingungen statt einer durch den Krieg fast vollständig zerstörten Wirtschaft, unter dem nachfolgenden Wirtschaftsembargo und unter den Bedingungen einer teilweisen militärischen Besetzung des Landes durch den Kriegsgegner (Kosovo). Schon unter diesen Bedingungen ist an eine demokratische Wahl kaum zu denken. Hinzu kam die Anklage und der Haftbefehl gegen den amtierenden Präsidenten vor dem Jugoslawientribunal und dessen Ausschreibung zur Festnahme. (Die Festnahme wurde ihm ganz akut für den Fall angekündigt, daß er sein Vorhaben wahr machen und im besetzten Teil seines Landes Wahlkampfveranstaltungen durchführen sollte.) Soweit die Wahlen unter diesen Rahmenbedingungen stattfanden, handelte es sich um einen Vorgang unter zumindest teilweiser Oberherrschaft eines völkerrechtswidrigen Besatzungsregimes und insoweit um keinen völlig unüblichen oder einmaligen Vorgang. Der eigentliche Bedeutungswandel des Demokratieprinzips vollzieht sich unter der Definitionshoheit der westlichen Staatengemeinschaft, indem nicht mehr das Wahlverfahren über das Prädikat demokratisch entscheidet, sondern alleine das Wahlergebnis. Im Falle der Ablösung des Präsidenten Milosevics durch demokratische Kräfte hatte die Europäische Union eine veränderte Jugoslawienpolitik angekündigt . In einer "Botschaft an das serbische Volk" der Außenminister der EU, hieß das konkret, die Aufhebung der Sanktionen für diesen Fall. Über den Wahlen schwebte also die Drohung der Fortsetzung des Wirtschaftsembargos bei unerwünschtem Wahlausgang. Und doch wurde eine Forderung bis heute nicht durchgesetzt, die in das Herz der Souveränität des Landes zielende Forderung nach Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Milosevic an das Haager Tribunal.

Während bei diesen Wahlen das "alte Regime" wenigstens noch das demokratische Wahlverfahren garantierte, das den Politkwechsel ermöglichte, erhält das Demokratieprinzip in Bosnien-Hercegovina, das faktisch unter westlicher Verwaltung steht, einen vollständigen Bedeutungswandel. Da der Wahlausgang dort als "Fiasko für die Staatengemeinschaft" betrachtet wurde (vor allem in der RS und in den kroatisch besiedelten Gebieten siegten die sog. nationalistischen Kräfte und wurden die von OSZE und OHR unterstützen Kandidaten und Parteien weit abgeschlagen) hat der OHR-Chef Petritsch in Reaktion auf das Wahlergebnis noch am Wahltag "mehrere Gesetze erlassen, welche die gesamtstaatlichen Institutionen stärken und ausländische Investitionen mehren sollen" Das OHR hat in Bosnien die Befugnisse einer Übergangsregierung. Zur Begründung der eigenmächtig auf den Weg gebrachten Gesetzesbestimmungen (so u.a. die Harmonisierung der Handelsgesetze mit den internationalen Bestimmungen) gab der Österreicher Petritsch an, in den vergangenen Jahren habe die Politik nicht die Ergebnisse erbracht, die das Land braucht. "Da", wird Petritsch weiter zitiert, jetzt "alle Staaten des Balkans und Südosteuropas demokratische Regierungen hätten (...) dürfe Bosnien-Hercegovina nicht zurückbleiben." Wahlen (so schließt der FAZ-Kommentar) bringen das Land jedenfalls derzeit weniger voran als Dekrete des OHR"

Wie weit in diesem Prozeß bereits Einbrüche in das Demokratieprinzip in den westlichen Ländern selbst zu verzeichnen sind, zeigt sich in einer fast totalen Meinungsdiktatur, mit der die Akzeptanz der Bevölkerung und die Zustimmung des Bundestags für den Krieg erreicht worden ist. Obwohl sich die unmittelbar kriegsauslösenden Behauptungen über angebliche Massaker an der Zivilbevölkerung (Racak), die Errichtung von Konzentrationslagern sowie die Massenvertreibung vor der Natointervention und der sog. Hufeisenplan allesamt als haltlos erwiesen (und nicht erst durch die jüngsten Fernsehdokumentationen von Jo Angerer und Mathias Werth am 8.2.2001 in der ARD) ist die Unterstützung des Jugoslawienkrieges durch alle Parteien des Bundestags außer der PDS ungebrochen, obwohl zumindest die FDP und die Union offen Zweifel an der Richtigkeit der Darstellungen Scharpings aussprechen. Dies machte die Bundestagsdebatte anläßlich der von der PDS beantragten Aktuelle Stunde am 16.2.2001 deutlich. Diese Übereinstimmung der Bundestagsfraktionen zeigt aber auch, daß die unter falschen Voraussetzungen erreichte Zustimmung Deutschlands zu dem Jugoslawienkrieg gar nicht als Einbruch in das Demokratieprinzip (und etwa von den Abgeordneten als Demütigung des Parlaments) begriffen wird. Das Totalitäre an dieser Meinungspolitik liegt nicht darin, daß die Wahrheit auf Dauer unterdrückt werden könnte, sondern darin, daß das Aufdecken der Wahrheit absolut folgenlos bleibt. Deswegen konnte bspw. auch die Abgeordnete und verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer von den Grünen gelassen darauf hinweisen, daß die Zustimmung zum Jugoslawienkrieg gar nicht "von einzelnen Vorkommnissen" abhängig gewesen sei, (gemeint sind wohl die obigen Unwahrheiten) Unter diesem Gesichtspunkt kam es sinngemäß nur darauf an, die Zustimmung zu dem sowieso gewollten Krieg zu erreichen. Demnach hat das Informationsmanagement Scharpings seinen Zweck erfüllt und kann durchaus als professioneller Erfolg durchgehen. Genau so hatte sich bereits der Medienbeauftragte der OSZE, Freimut Duve, über die Informationspolitik der Nato geäußert, der in der Juli Ausgabe 1999 der Zeitschrift "Evangelische Kommentare", erklärte, die Allianz habe wie eine Firma operieren müssen, die am Erfolg gemessen werde. Dazu gehöre nicht zuletzt die entsprechende Propaganda. Deshalb könne sich das Bündnis bei kriegerischen Einsätzen nicht demokratisch verhalten.

Auch die Etablierung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit ist Außenpolitik. Dies gilt bereits für den Ruf nach dem internationalen Strafrichter. Die Gerichtsbarkeit selbst ist nichts anderes als ein Instrument der Außenpolitik und zwar der Außenpolitik der westlichen Staaten. Auch wenn sich diese Form der Außenpolitik der Form nach in justizförmigen Verfahren ausdrückt und damit den Schein der Unabhängigkeit gibt, ist sie doch der Interessenspolitik von Staaten oder Staatengruppen unterworfen. Vor einem solchen Gericht, dem Haager Kriegsverbrechertribunal hat die Internationale Tribunalsbewegung Eingaben eingebracht, um auf eine Verurteilung der Nato-Führer hinzuwirken, so u.a. durch das MAICL (The Mouvement for the Advancement of International Criminal Law), einer internationalen Juristengruppe mit Sitz in Cambridge

Das MAICL hat in seiner Eingabe akkurat Verstöße der Natokriegsführung gegen das humanitäre Völkerrecht in übersichtlichen Dossiers aufgrund von Augenzeugenberichten zusammengestellt. Besonders folgende Angriffe der Nato werden im einzelnen untersucht:

Es ist hier weder der Platz, noch ist es Aufgabe im Rahmen dieses Manuskripts auch nur ansatzweise die Natokriegsführung, vor allem die Angriffe der Nato auf die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung Jugoslawiens zu behandeln oder gar zu dokumentieren.(Z.B. listet die Eingabe des MAICL alleine die Zerstörung von insgesamt 20 Brücken, die Beschädigung oder Zerstörung von insgesamt 71 Raffinerien, Lagerhäuser und Fabriken sowie 26 gezielte Angriffe auf Radio- und Fernsehsender auf.) Ich selbst verfüge auch nicht über Expertenwissen. Es muß in diesem Zusammenhang auf die Spezialliteratur und Quellen wie die oben genannte verwiesen werden. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Dokumentationen, des öffentlich zugänglichen Quellenmaterials und der weithin bekannten Medienberichterstattung lassen sich Zweifel daran, daß die Nato bzw. deren verantwortlichen Führer zahlreiche Verstöße gegen die Genfer Konventionen begangen haben sollen, kaum ernsthaft begründen .

Trotz der zahlreichen Gesuche und Eingaben wird die Anklagebehörde des Haager Tribunals wegen der Kriegsführung der Nato nicht ermitteln. Die Chefanklägerin des Gerichts meinte dazu knapp, dazu sehe sie keinen Anlaß. Man könnte hinzufügen, warum auch? Im Unterschied zu der Strafanzeige deutscher Rechtsanwälte (und vergleichbarer Vorgänge in anderen beteiligten Staaten) vor den nationalen Justizbehörden, stoßen Eingaben wie des MAICL auf Bedenken. Internationale Strafgerichte verfolgen außenpolitische Zwecke und dienen den Staaten, die die Macht haben, über sie als außenpolitische Instrumente zu verfügen. Das ist das Wesen internationaler Strafgerichtsbarkeit.

Von einem rechtsstaatlichen Gericht unterscheidet sich das Haager Tribunal zunächst wesensmäßig vom vollständigen Fehlen der Gewaltenteilung. Zwar untergliedert sich das Tribunal selbst in eine Anklagebehörde und in das Gericht. Aber hinter diesen beiden Teilgliederungen des Tribunals stehen keine von einander unabhängige Gewalten. Insofern handelt es sich um eine nach außen völlig uninteressante interne Untergliederung. Nach außen wirkt das Tribunal als Ankläger und Richter in einem. Das Tribunal dient dem gleichen Zweck, zu dem die Nato den Krieg gegen Jugoslawien geführt hat. Das Agieren des Tribunals, insbesondere die Anklageerhebung gegen Milosevic während der Bombardierungen zeigt, daß es mit dem Natokrieg noch mehr verbindet als den gleichen Zweck, es ist Teil der Natokriegsführung. Ankläger und Richter in einem ist die Nato oder, um ein Wortspiel zu bemühen, das Haager Kriegsverbrechertribunal ist das Tribunal der Kriegsverbrecher.

Die Bedenken gehen in zwei Richtungen. Zum einen erhielt das Tribunal Gelegenheit, die Anschuldigungen gegen die Nato (bzw. die jeweils namentlich benannten Führer) im Rahmen von Vor-Vor-Ermittlungen abzuweisen (offizielle Ermittlungen hat es nicht gegeben), was zumindest den Eindruck hinterläßt, die Verbrechen des Opfers der Aggression könnten schwerwiegender sein als die des Aggressors.

Zum anderen gehört es zu den erklärten Zielen des MAICL, höchste Vertreter und Amtsträger von Staaten, die gesetzwidrige Akte von Gewalt gegen Personen begangen haben, vor einem Gerichtshof zur Verantwortung zu ziehen. Diese Zielsetzung ist (wenn auch teilweise modifiziert) der gesamten Internationalen Tribunalsbewegung zu eigen. Insofern die Tribunalsbewegung ausdrücklich wie das MAICL die Errichtung internationaler Strafgerichte zur Aburteilung staatlichen Handelns in dem oben erwähnten Sinn fordert, besteht hierin eine partielle Angleichung an die Ziele der Nato. Eben, auch um diesen Grundsatz gegen geltendes Völkerrecht durchzusetzen, hat sie den Krieg geführt.

Die Kritik an dem Haager Ad-hoc Tribunal, sofern sie darauf abzielt, es handele sich um eine Art Sondergericht, geht fehl. Auch ein Sondergericht ist im Prinzip ein Begriff, der der nationalen Rechtsordnung entnommen ist. Das Wesen des Haager Tribunals wird dadurch bestimmt, daß es ein internationales Strafgericht ist. Der im Aufbau befindliche ständige Internationale Strafgerichtshof unterscheidet sich vom Jugoslawientribunal vor allem darin, daß er die Aufgaben des Ad-hoc Tribunals ständig wahrnehmen wird. Die Vorstellung von einem unabhängigen internationalen Strafgerichtshof ist der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung fremd und unter machtpolitischen Gesichtspunkten abwegig. Keine Macht der Welt könnte die USA und andere führenden Nato-Staaten dazu zwingen, ihre höchsten Vertreter und Amtsträger der Jurisdiktion eines landesfremden Gerichts auszuliefern. Die Einrichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichts ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, der mit den Ad-hoc Tribunalen begonnen wurde. Er soll dem Eingriff in die Hoheitsgewalt souveräner Staaten den Schein von Legalität und der Verletzung der staatlichen Integrität der betroffenen Länder, bis hin zu klassischen Militäraktionen oder echten Kriegen wie dem Jugoslawienkrieg, den Anschein von Polizeiaktionen geben.

Nicht das provisorische des Jugoslawientribunals ist daher das wesentliche, worauf die Kritik als Sondergericht aber abzielt, sondern die Abkehr vom Völkerrecht mit einer Judikatur im Sinne der humanitären Intervention. Die Ad-hoc Tribunale stehen damit aber nicht im Gegensatz zu dem ständigen Strafgerichtshof, sondern in einem Verhältnis fortschreitender "institutioneller Verdichtung des Völkerrechtswandels" (Kreß), als dessen primären Motor Kreß die Völkerstrafgerichtsbarkeit ausmacht. Der ständige Strafgerichtshof ist daher letztlich in Fortsetzung des jetzigen Jugoslawientribunals die institutionalisierte Form der humanitären Intervention und das Pendant zur (ständigen) Interventionsarmee.

VIII.

Die Idee der "humanitäre Intervention" ist nicht alleine ein neues ideologisches Konstrukt zur Rechtfertigung von Kriegen. Ihr Wesen liegt, wie die kleine tour d`horizont gezeigt haben soll, in der Negation der völkerrechtlichen Ordnung souveräner Staaten. Ihr Anspruch stellt nicht nur das Prinzip der souveränen Staatengleichheit in Frage, sondern richtet sich im Kern gegen die Rechtssubjektivität der Staaten überhaupt. Die Basis für das ideologische Aufkeimen abstruser Weltstaatsfiktionen ist der tatsächliche Bedeutungsschwund herkömmlicher Nationalstaatlichkeit im Zuge der sog. Globalisierung. Die Universalität der Menschenrechte korreliert mit der internationalen Harmonisierung der Handelsgesetze. Die nationalstaatliche Souveränität wird immer mehr, und zwar Prinzip unabhängig davon wie sie ausgeübt wird, zum Hemmnis für den internationalen Handels- und Kapitalverkehr. Die internationale Privatisierung stößt nicht nur in den Souveränitätsansprüchen einzelner Länder auf Hindernisse, ihr ist die UNO selbst als einer aus den Nationalstaaten hervorgegangenen Weltorganisation ein Hindernis. Es ist die Bundesrepublik Deutschland, die offenbar eine Vorreiterrolle dabei spielt, der UNO Modernisierungsimpulse zu geben und den staatlichen Charakter des multilateralen Gremiums aufzuweichen. Das Stichwort hierzu heißt "global compact" und ist erstmals gefallen, seit sich UN-Generalsekretär Annan im Sommer 2000 mit Unterstützung Deutschlands mit 50 ranghohen Wirtschaftsvertretern in New York traf, um über eine neue Form der Partnerschaft mit der Privatwirtschaft nachzudenken. Die globale Partnerschaft war auch Gegenstand einer im Dezember von Deutschland eingebrachten Resolution der Generalversammlung. Es ist gegenwärtig noch nicht abzusehen, welche möglicherweise auch organisatorischen Auswirkungen sich aus diesem neuen sich abzeichnenden "global compact" auf die Weltorganisation ergeben. Fest steht nur, daß diese Entwicklung bereits auf heftigen Widerstand vor allem der jungen Nationalstaaten der 3. Welt bzw. der Staatengruppe der G-77 Staaten stößt.

Sichtbarer Ausdruck des Autoritätsschwunds staatlicher Souveränität ist auch das immer aufdringlichere Auftreten von sog. Nichtregierungsorganisationen in der internationalen Arena. Kreß begrüßt ausdrücklich "das kompetente und engagierte" Streiten von Nichtregierungsorganisationen bei den Verhandlungen über das Statut des Internationalen Gerichtshofs. Wie der Natokrieg gegen Jugoslawien so etwas wie ein Zäsur darstellt (ein Gründungsakt für ein Europa der Menschenrechte), so sieht Kreß wie ausgeführt in der internationalen Strafgerichtsbarkeit den Motor der Völkerrechtsentwicklung und - in den Nichtregierungsorganisationen sogar die tiefer liegende Triebfeder für die gegenwärtigen Entwicklungslinien des Völkerrechts.

Kürzlich ereignete sich in Iran eine Sensation, weil erstmals in einer öffentlichen Manifestation von Widerstand gegen den Zwang zum Hedschab protestiert wurde. Teilnehmerinnen einer Konferenz in den Räumen des dem Außenministerium nahestehenden "Instituts für Politische und Internationale Studien" traten öffentlich ohne Kopfbedeckung auf und unterschrieben eine Deklaration gegen den Zwang zum Hedschab. Bemerkenswert daran ist allerdings alleine, daß es sich dabei nicht um Iranerinnen handelte, sondern um die internationalen Teilnehmerinnen von Nichtregierungsorganisationen, die damit einen diplomatischen Eklat und innenpolitische Konflikte heraufbeschwörten - Die neueren Entwicklungslinien des Völkerrechts machen nicht einmal halt vor der Kleiderordnung fremder Kulturen.

IX.

Jugoslawien und Serbien haben bisher noch keine Staatsbürger an das Haager Tribunal ausgeliefert, obwohl der Westen seinen Druck spürbar verstärkt. Bei einem Besuch einer EU-Delegation am 8.2.2001 haben EU-Außenkommissar Patten, Solana und die schwedische Außenministerin Anna Lindh in Belgrad die Forderung bekräftigt, Serbien müsse vorbehaltlos mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeiten. Gegen den Besuch der EU-Delegation haben nach Zeitungsangaben "mehr als 1000" Menschen demonstriert und u.a. die Festnahme Solanas gefordert, der im September 2000 von einem Belgrader Gericht, neben weiteren 13 führenden Politikern aus Nato-Staaten, zu 20 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen gegen die jugoslawische Bevölkerung verurteilt wurde. (von der EU bezeichnenderweise als Justizfarce abgetan) Eine weitere EU-Delegation unter deutscher Delegationsleitung forderte nur wenige Tage später die jugoslawische Regierung auf, drei Offiziere der jugoslawischen Armee auszuliefern. Während der Vereidigung der neuen serbischen Regierung befand sich die Chefanklägerin des Tribunals, Carla Del Ponte, auf einem dreitägigen Besuch in Belgrad. Bei ihren Gesprächen weigerten sich sowohl Kostunica als auch die neue serbische Regierung, Milosevic und andere jugoslawische Staatsbürger auszuliefern. Kostunica, der erst überhaupt nicht mit Del Ponte reden wollte, begründete dies u.a. mit dem Hinweis auf die Verfassung, die die Auslieferung verbiete. Er forderte dagegen Frau Del Ponte auf, wegen des Einsatzes von Waffen mit abgereichertem Uran zu ermitteln.

Rußland hat unterdessen erneut durch seinen Außenminister Iwanow die Forderung nach der Auflösung des Tribunals anläßlich seiner Zusammenkunft mit dem serbischen Ministerpräsidenten Djindjic gefordert.

In Deutschland ist der Ruf nach dem Internationalen Strafrichter dagegen besonders laut und findet die Idee Internationaler Tribunale besonders viele Anhänger. Einer der "Väter" des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes, Hans Peter Kaul, Leiter des Völkerrechtsreferats des Bundesaußenminsteriums, hat sich für seinen unermüdlichen Einsatz international sogar den Beinamen "Mister Strafgerichtshof" verdient. Vor allem die alte sog. Friedensbewegung ist darin vollständig aufgegangen und in ihrem Troß die Menschenrechtsaktivisten und -organisationen jeglicher Couleur.

Mir fällt dazu ein Zitat ein, das zwar in einem etwa anderen Zusammenhang steht, hier aber m.E. trotzdem paßt. Es stammt von Gerhard Mauz, der es im Vorwort zu einer Veröffentlichung über die RAF Prozesse geschrieben hat. " Der Deutsche", meinte er, "hat kein Talent zur Strafverteidigung. Lieber klagt er an, am liebsten richtet er. Er kann sich für einen anderen opfern, und er ist sogar fähig, ein Lied auf der Lippe, für abstrakte Begriffe zu sterben. Doch das besonnene, taktisch bedachte Eintreten für einen anderen - das liegt ihm nicht."

Die russische Forderung nach Auflösung des Haager Jugoslawientribunals hat bisher in Deutschland noch keine hörbare Unterstützung gefunden. Es grassiert wieder einmal der Glaube an eine abstrakte Idee, diesmal die der universellen Gerechtigkeit. Bisher ist dafür noch kein Deutscher gestorben, aber viele Menschen in Jugoslawien mußten dafür ihr Leben lassen.

Ich möchte mein Manuskript deshalb beenden mit einem Zitat des genialen Erwin Chargaff, der in einem "Aufschrei des einzelnen" noch während die Bomben der Natostrafexpedition auf Jugoslawien niedergingen, leugnete, daß es irgend jemanden in der Welt erlaubt sei, von Bestrafung zu reden. Mit ihm möchte man sagen, "Gerechtigkeit ist die grausamste Gabe, die dem Menschen gegeben ist."